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Der amerikanische Historiker José M. Sánchez bietet einen neuen Zugang zu der internationalen Kontroverse um Pius XII. - und zu den Fakten. Systematisch geordnet stellt er in übersichtlicher Form die Hauptstreitpunkte und die wichtigsten Argumente der Kritiker und der Verteidiger des Papstes vor und unterzieht sie einer sachlichen und fairen Bewertung.

Produktbeschreibung
Der amerikanische Historiker José M. Sánchez bietet einen neuen Zugang zu der internationalen Kontroverse um Pius XII. - und zu den Fakten. Systematisch geordnet stellt er in übersichtlicher Form die Hauptstreitpunkte und die wichtigsten Argumente der Kritiker und der Verteidiger des Papstes vor und unterzieht sie einer sachlichen und fairen Bewertung.
Autorenporträt
José M. Sánchez ist Professor für Geschichte an der St. Louis University, Missouri. Er ist Autor verschiedener Bücher, u. a. "The Spanish Civil War as a Religious Tragedy".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Dostojewski nahm es mit Schuld und Sühne genauer
Reizfigur Pius XII.: Hätte Daniel Goldhagen nur José Sánchez gelesen, wäre Goldhagen II nicht passiert / Von Konrad Repgen

Hitlers Judenmord und Pius XII." - das alte, emotionsgeladene Thema hat in den Vereinigten Staaten wieder Konjunktur. Zwei einschlägige Neuerscheinungen dieses Jahres erreichen jetzt in Übersetzung Deutschland. Sie unterscheiden sich nach Umfang und Preis schon sehr; nach Fragestellung, Vorgehensweise und Ergebnis sind sie wie Feuer und Wasser.

Goldhagen ist kein Unbekannter. Vor sechs Jahren erschien sein Wälzer "Hitlers willige Vollstrecker" mit der Zentralthese, daß die Deutschen, von Ausnahmen abgesehen, mit dem Judenmord einverstanden gewesen seien. Dieser These haben die Fachhistoriker fast unisono widersprochen, während das Buch ein Bestseller wurde und der junge Autor zum Medienstar aufstieg. Wird Goldhagen II an den Erfolg von 1996 anknüpfen? Am bewährten Marketing mangelt es nicht. Die deutsche Version erscheint sogar zeitgleich mit der New Yorker Originalausgabe (bei Alfred A. Knopf). Daher ist die Zuverlässigkeit der Übersetzung noch nicht überprüfbar. Sie macht keinen schlechten Eindruck. Ob auch diesmal, wie bei Goldhagen I, gewisse Abmilderungen vorgenommen worden sind, bleibt abzuwarten.

Goldhagen II bietet jedoch nicht, wie der Titel behauptet, eine "Untersuchung", sondern ist ein Plädoyer. Der Autor will mit seinem umfangreichen Buch, das viele Aspekte berücksichtigt, eine Verurteilung begründen, um Wiedergutmachung wegen des Holocaust, der die Folge des kirchlichen Antijudaismus gewesen sei, zu verlangen: materielle (unter acht Millionen Dollar), politische (Abschaffung des Vatikanstaates) und moralische (Eliminierung von 450 Judenfeindschaft verursachenden oder begünstigenden Versen der Evangelien und der Apostelgeschichte). Dabei ergeht er sich in ermüdenden Wiederholungen. So werden problematische Hypothesen zum Reichskonkordat von 1933 allein an sieben verschiedenen Stellen des Buches wiederholt.

Dem Plädoyer entspricht auch Goldhagens mitunter hämmernder Argumentationsstil, der drei, vier, fünf rhetorische Fragen suggestiv aneinanderreiht. Gibt es darauf keine befriedigende Antwort (oder kennt der Autor sie nicht), so ist "bewiesen", daß Schuld vorliege, die Wiedergutmachung erfordere. Der junge Politikwissenschaftler Goldhagen aus Harvard schreibt sein zweites Buch nicht wie ein Historiker, sondern wie ein Anwalt oder Ankläger in einem Wiedergutmachungsprozeß.

Die fundierte Kritik der Fachleute an Methode und Resultat von Goldhagen I ist an dem Autor abgeprallt. Er wiederholt seine Thesen von 1996 und hält an deren Gültigkeit unvermindert fest. Dort galt als Leitbegriff zur Erklärung der Massenmord-Aktionen der Jahre 1941/1945 die in Deutschland angeblich allgemein verbreitete Mentalität eines "eliminatorischen Antisemitismus". Der ziemlich nahtlose Übergang vom Verdrängen zum Vernichten verstand sich für ihn fast von selbst. "Töten ist nur eines von zahlreichen Mitteln der Ausschaltung", heißt es auch jetzt lapidar. In Goldhagen II geht es aber nicht mehr, wie 1996, um "die Deutschen", sondern um "die katholische Kirche". Damit meint er den Papst, die Bischöfe und den Seelsorgeklerus, nicht die Laien.

Warum nun gerade der hierarchische und klerikale Antijudaismus religiöser Art den Schlüssel für die Massenmorde von Babi Jar und Auschwitz bieten soll, erklärt Goldhagen II nicht, obwohl er gut weiß, daß "Antisemitismus allein kein Programm des systematischen Massenmordes hervorbringt". Einen angemessenen Zugang zur Lösung dieses Problems verstellt er sich jedoch mit Pauschalurteilen wie etwa: "Die Kirche, der Papst, die nationalen Kirchen, die Bischöfe und die Priester haben während des Holocaust insgesamt gefehlt." Auch wer dieses Urteil sich zu eigen machen wollte, hätte noch zu begründen, wie gerade dieses Fehlverhalten die Massenmord-Aktionen verursacht habe. Dazu müßte man sich allerdings auf viele Quellen einlassen und nicht, wie Goldhagen II, mit fleißigen, aber flüchtigen Exzerpten aus der Sekundärliteratur begnügen.

Nur wenn man, wie er, den (kirchlichen) Antijudaismus und den NS-Antisemitismus zu dicht zusammenrückt, kann der wüste Kirchenhasser Julius Streicher, dessen "Stürmer" in Artikeln und Karikaturen gleichermaßen gegen Juden wie gegen "Pfaffen" hetzte und den Kardinalstaatssekretär Pacelli als Kumpan des "Weltjudentums" attackierte, kann ausgerechnet Streicher als Zeuge für eine judenfeindliche Verwandtschaft zwischen Kirche und Nationalsozialismus figurieren. Dies ist eine ähnlich abwegige Konstruktion wie die These, daß das Reichskonkordat dem Regime das "Recht" zugestanden habe, "seine unverhüllt militaristischen, imperialistischen und rassistischen Ziele zu verfolgen".

Im Vertrag von 1933 steht das Gegenteil. Denn dort wird dem Klerus die "pflichtmäßige Verkündigung und Erläuterung der dogmatischen und sittlichen Lehren und Grundsätze der Kirche" ausdrücklich vorbehalten. Gehörten etwa Militarismus, Imperialismus und Rassismus im Jahre 1933 zum Dogma der katholischen Kirche? Plakativ, freilich ohne Beleg, wird im Text von des Papstes "Begeisterung für den deutschen Eroberungsfeldzug im Osten" gesprochen; dagegen steht nur irgendwo im Anmerkungskeller, daß der Vatikansender (am 21. Januar 1940) den Nationalsozialismus für schlimmer als den Kommunismus erklärt habe. Jongliert ein seriöser Historiker derart mit Behauptungen und Fakten?

Für einen Historiker mit wissenschaftlichem Anspruch eine befremdliche Maxime: "Da dieses Buch keine Übung in Geschichtsschreibung ist, begebe ich mich nicht in eine laufende Diskussion mit Ansichten dieser oder jener Autoren, die von den meinen abweichen mögen. Leser, die ihre Kenntnisse über diese Fragen zu vertiefen wünschen, können sich ihre Bücher und die anderer Autoren, die das Material anders deuten, ohne weiteres beschaffen." Das könnte man höchstens als freundlichen Aufruf zur Absatzförderung historischer Literatur gelten lassen; aber so wird Geschichte zum Steinbruch, dem für abstrakte Thesen über Schuld und Sühne Belege entnommen werden, die nicht begründen, sondern illustrieren. Auf deutschsprachige Texte bezieht er sich selten, auf lateinische, französische und italienische noch weniger und auf die Sprachen der Bibel schon gar nicht.

Es liegt nahe, daß bei dieser Vorgehensweise der Historie auf Schritt und Tritt Gewalt angetan wird. Ich will aber nicht die lange Litanei seiner groben Fehler und kleineren Schnitzer weiter ausbreiten. Ich möchte jedoch daran zweifeln, daß Goldhagens exegetische Kompetenz ausreicht, um ein überzeugendes Programm für die Eliminierung von 450 unbequemen Bibelstellen, wie es ihm vorschwebt, zu begründen.

In Umfang, Preis und Anspruch präsentiert sich die von Schöningh betreute Sánchez-Studie sehr viel bescheidener. Auch ist José M. Sánchez, Professor an der Jesuitenuniversität von St. Louis/Mo., bisher in Deutschland unbekannt. Das könnte sich nun ändern. Denn was er in betont ruhigem Duktus über die Anatomie der aktuellen Pius-XII.-Debatte geschrieben hat, bringt die Geschichtswissenschaft tatsächlich voran und öffnet dem breiteren, zeitgeschichtlich interessierten Publikum den Weg zu eigenem Urteil. Er will den Leser weder überreden noch emotionalisieren, sondern ihm eigenes Urteilen ermöglichen. Seine Schneise durch den Dschungel der neuesten Literatur über Pius XII. im Zweiten Weltkrieg ist dafür eine Hilfe.

Sánchez hält sich an die erprobten historischen Methoden und fragt in zwölf kurzen Kapiteln jeweils drei Dinge: Was möchten wir wissen? Welche Quellen haben wir dafür? Welche Antworten lassen sich darauf begründen sowie - sehr wichtig - welche Antworten nicht. Denn der Historiker ist nicht das Weltgericht und weiß nicht alles. Aber er vermittelt Einsicht, indem er den Leser nie darüber im unklaren läßt, was er eigentlich weiß und was nicht, wie weit sein Blick reicht, wie sicher seine Aussagen die Probe durch die Evidenz der Logik und der Quellen bestehen können. Sánchez erörtert die Probleme, während er die primären Quellen prüft, und bildet sich daraus eine eigene Meinung. Deshalb macht seine Lektüre wirklich klüger. Außerdem findet man bequem beisammen, was zum jeweiligen Punkt der Debatte die Kritiker des Papstes (wie John Cornwell, Suzan Zuccotti und Michael Phayer), seine Verteidiger (wie Margherita Marchione und Ronald Rychlak) oder ein Historiker, der einen Mittelweg sucht wie Giovanni Miccoli (Triest), geschrieben haben.

Etwas zu bedauern ist freilich, daß Sánchez in seinen Überblick nicht auch die große, vor zwei Jahren erschienene Studie von Hans Jansen, früher katholischer Priester, jetzt reformierter Pfarrer und Professor an der Freien Universität Brüssel, einbezogen hat. Auf 850 Seiten eines sehr materialreichen, allerdings niederländisch geschriebenen Buches, das "den Protest Pius XII. und seiner Mitarbeiter gegen die Judenverfolgung in Europa" behandelt, arbeitet Jansen einen Katalog von nicht weniger als vierzig "Protesten" des Papstes zugunsten der Juden heraus. Denn einfach "geschwiegen" hat Pius XII. bekanntlich nicht; aber er war im Zweiten Weltkrieg, wie Sánchez im Schlußteil überzeugend formuliert, eine zugleich "bemitleidenswerte und beeindruckende Gestalt". Die ständige Güterabwägung zwischen den beiden Amtspflichten, Stellvertreter Christi und Oberhaupt der Kirche zu sein, war nach des Papstes eigenen Worten "schmerzvoll schwer". Die Späteren, die in der Welt von heute leben, verstehen eine solche Problematik kaum noch unmittelbar. Sánchez erleichtert es ihnen; denn er will "einige der Legenden, die sich um das Rätsel ,Pius XII. und der Holocaust' ranken", begraben. Das ist ihm gelungen. So hebt er die Erinnerung an Persönlichkeit und Wirken des Pacelli-Papstes über Anklage und Verteidigung hinaus.

Daniel Jonah Goldhagen: "Die katholische Kirche und der Holocaust". Eine Untersuchung über Schuld und Sühne. Aus dem Amerikanischen von Friedrich Griese. Siedler Verlag, Berlin 2002. 480 S., 24 S/W-Abb., geb., 24,90 [Euro].

José M. Sánchez: "Pius XII. und der Holocaust". Anatomie einer Debatte. Aus dem Amerikanischen von Karl Nicolai. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2002. 182 S., br., 13,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Hansjakob Stehle war skeptisch: ein weiteres Buch über die umstrittene Rolle des Papstes während des Holocaust? Doch die Studie des amerikanischen Historikers hat ihn überzeugt; Sanchez sei es nämlich geglückt, "zum ersten Mal die Kernpunkte aller zugänglichen Quellen und der gesamten Sekundärliteratur sachlich-kritisch zu verarbeiten und dabei dem Dilemma zwischen Verurteilung und Freispruch fast zu entkommen". Bei der Lektüre wird Stehle zufolge deutlich, dass Pius XII. über den Völkermord Bescheid wusste. Warum wurde er nicht tätig? Weil er als "widerspruchsvolle Persönlichkeit", einmal aus politischen Ängsten ins Zaudern geraten, nicht mehr aus dem Schwanken herauskam - so die Darstellung von Sanchez, bei dem Stehle sogar ein gewisses Mitleid feststellt. Die politischen und religiösen Pflichten eines Papstes, sind sich Autor und Rezensent einig, sind nur schwierig unter einen Hut zu bringen. Pius XII. sei an der Aufgabe gescheitert.

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"Was Sánchez geschrieben hat, bringt die Geschichtswissenschaft voran und öffnet dem breiteren, zeitgeschichtlich interessierten Publikum den Weg zu eigenem Urteil. Er will den Leser weder überreden noch emotionalisieren ... Deshalb macht seine Lektüre wirklich klüger." Konrad Repgen in: FAZ