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Yavuz Ekinci erzählt vom Leben in einem kurdischen Dorf, von einem seit Jahren immer wieder aufflammenden Konflikt und von der Angst der Menschen, dass auch sie Opfer einer willkürlichen Zerstörung werden - so poetisch wie politisch.Wie ein Märchen beginnt diese poetische Erzählung einer hochbrisanten Geschichte: Wer alles hatte sich nicht schon erträumt, den Berg Amar zu bezwingen und das Walnusstal zu erobern? Feldherren, Propheten, Herrscher, Könige ... Sie alle sind gescheitert, nur ein Liebespaar, Amar und Sara, hat das Walnusstal aufgenommen. Das war vor langer Zeit. Ihre Nachfahren…mehr

Produktbeschreibung
Yavuz Ekinci erzählt vom Leben in einem kurdischen Dorf, von einem seit Jahren immer wieder aufflammenden Konflikt und von der Angst der Menschen, dass auch sie Opfer einer willkürlichen Zerstörung werden - so poetisch wie politisch.Wie ein Märchen beginnt diese poetische Erzählung einer hochbrisanten Geschichte: Wer alles hatte sich nicht schon erträumt, den Berg Amar zu bezwingen und das Walnusstal zu erobern? Feldherren, Propheten, Herrscher, Könige ... Sie alle sind gescheitert, nur ein Liebespaar, Amar und Sara, hat das Walnusstal aufgenommen. Das war vor langer Zeit. Ihre Nachfahren leben bis heute in einem Dorf im Walnusstal, und sie wissen, eines Tages kommt ein Mann vom Berg Amar mit der gefürchteten Botschaft: Sie kommen! Und nichts mehr wird so sein wie vorher.Von der Schönheit einer archaischen, unberührten Natur erzählt der kurdische Autor Yavuz Ekinci, und von ihrem Schrecken, von den Menschen in einer Dorfgemeinschaft, von einem Leben, das gewohnten Regeln und Ritualen folgt, in denen die alten Legenden nicht vergessen sind, auch wenn die Moderne durch das Fernsehen längst Einzug gehalten hat, von der unterschwelligen Gegenwart eines immer wieder aufflammenden Krieges. Mit einer betörenden Sprache beschwört er den Reichtum einer alten Kultur, ihren unzerstörbaren Kern, gegen eine Zerstörung, die er kommen sieht, wenn sie kommen.
Autorenporträt
Yavuz Ekinci, 1979 in Batman/Türkei geboren, beschäftigt sich in seinem literarischen Werk mit dem Leben der Kurden in der Türkei. Nach einem Studium der Erziehungswissenschaft arbeitet er seit 2001 als Lehrer und ist Herausgeber einer Publikationsreihe mit kurdischer Exilliteratur.Ekinci erhielt für seine Veröffentlichungen zahlreiche Preise, darunter den Yunus Nadi Story Award, den Human Rights Asso-ciation Story Award sowie den Yasar Nabi Nayir Noteworthy Story Award. Zuletzt erschien Der Tag, an dem ein Mann vom Berg Amar kam (Kunstmann 2017).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2017

Schaut in den Osten der Türkei!

Der türkische Autor Yavuz Ekinci hat einen Roman von bestürzender Aktualität geschrieben: Ein kurdisches Dorf wartet auf seinen Untergang

Dieses Buch ist kein Thriller, erzeugt aber eine solche Vorahnung des Bösen, dass es kaum auszuhalten ist. Es ist keine historische Erzählung, bringt aber dennoch die schicksalhaften Fragen eines ganzes Volkes auf den Punkt. Es ist keine ethnographische Studie und schildert doch den Reichtum einer bedrohten Kultur. "Der Tag, an dem ein Mann vom Berg Amar kam" heißt der großartige Roman des türkischen Schriftstellers Yavuz Ekinci. Er ist ein Aufschrei gegen das Unrecht, das die türkische Regierung seit Jahrzehnten an der kurdischen Bevölkerung begeht, und klagt an, ohne die Täter beim Namen nennen zu müssen. Kurden bezeichnen sich selbst "als größtes Volk ohne Land". Sie leben in Syrien, dem Irak, Iran, vor allem aber in der Türkei, dem Land des Recep Tayyip Erdogan.

Es beginnt harmlos und poetisch, mit einer bildgewaltigen Erzählung über das Liebespaar Amar und Sara, dem gelingt, woran Feldherren, Könige und Propheten immer scheiterten: Auf dem Rücken eines Rappen finden sie Zuflucht im sagenumwobenen Walnusstal am Berg Amar. Noch Generationen später leben die kurdischen Nachfahren dort in einem Dorf, in dem die Erinnerung an die alte Legende aufrechterhalten wird. Es ist zunächst ein Tag wie jeder andere: Die Väter verrichten in der heißen Sommerhitze die Arbeit auf dem Feld; die Frauen kümmern sich um Haus und Kinder; kleine Jungs rennen auf einem Plateau zwischen alten Eichenbäumen einem Fußball hinterher und sitzen später, als langsam die Dämmerung heraufzieht, zusammen vor dem einzigen Fernseher im Ort und schauen, unterbrochen von Stromausfällen, einen Cowboy-Film.

Onkel Amar, der sich seit dem frühen Tod seiner Frau jeden Tag auf dem Friedhof herumtreibt, ist der Erste, der den Mann, der vom Berg zum Dorf gelaufen kommt, bemerkt. "Sie kommen! Sie kommen!", hört man bald im ganzen Dorf. Wer "sie" sind und die Dorfbewohner von einer Sekunde auf die andere in Todesangst versetzen, bleibt unausgesprochen. Man muss die Täter nicht benennen. Das Wissen über das allzeit drohende Unheil hat sich den Menschen eingeprägt wie die Legende von Amar und Sara. "Sie" haben schon alle Dörfer auf der anderen Seite des Berges niedergebrannt, haben "Menschen nackt auf den Dorfplätzen zusammengetrieben", haben "getötet ohne Unterschied", haben Frauen vergewaltigt. Der Roman, der bis dahin noch wie ein Märchen anmutete, ist damit mit einem Schlag in der türkischen Gegenwart. "Sie" meint das türkische Militär.

Alle Welt schaut gerade auf Ankara. Auf Erdogans Ausfälle gegenüber Europa, auf die unterdrückte türkische Opposition, auf die türkischen Journalisten, die ein einziges kritisches Wort hinter Gitter bringen kann, auf das bevorstehende Referendum am 16. April, das über die Zukunft der Türkei entscheiden wird. Und während all das passiert, wahrgenommen und ausgiebig kommentiert wird, tobt in den vorwiegend von Kurden bewohnten südöstlichen Regionen des Landes wieder der Krieg. Mehr als 2000 Menschenleben soll dieser Krieg der UN zufolge seit der Aufkündigung des Friedensvertrags mit der PKK im Juni 2015 gekostet haben. Die Regierung in Ankara behauptet, allein dem Terrorismus gelte dieser Kampf. Doch er wirkt wie eine kollektive Bestrafungsaktion gegen das Volk der Kurden an sich: Ganze Stadtteile und Siedlungen wurden dem Erdboden gleichgemacht und etwa eine halbe Million Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Zahlreiche Fälle von Folter und "Verschwindenlassen" wurden dokumentiert, zivile Opfer werden in Kauf genommen.

Es ist ein Vorgehen, das man schon kennt in der Türkei. Nachdem die PKK sich in den achtziger Jahren vom politischen Kampf ab- und den Waffen zugewandt hatte, wurden nahezu 4000 Dörfer in kurdischen Regionen zerstört. Tausende Menschen wurden verschleppt und kehrten nie zurück. Immer wieder entdecken kurdische Bauern Massengräber aus dieser Zeit, doch Ankara ist nicht daran interessiert, die damaligen Täter der Justiz zuzuführen. Heute ist es nicht anders.

Was geschieht, wenn ein Volk jahrzehntelang immer wieder Zerstörung und Tod erleben muss? Wenn ein Volk verinnerlicht hat, dass die regierende Macht die eigene Existenz wieder und wieder bekämpft? Ein Volk, für das schon das Sprechen der eigenen, kurdischen Sprache ein Risiko bedeutet, wie Yavuz Ekinci, der 1979 in einem kurdischen Ort bei Batman geboren wurde, als Lehrer arbeitet und in der Türkei eine kurdische Exilliteraturreihe herausgibt, einmal im Interview gesagt hat. Immer wieder schließen sich junge Kurden bewaffneten Gruppierungen an, besonders jetzt. Sie "gehen in die Berge", sagen die Menschen in der Türkei.

In einer Kurzgeschichte von 2013 erwähnt Ekinci einen älteren Bruder, der sich so entschied. Was das für die Zurückbleibenden bedeuten kann, weiß er genau: Sie werden stellvertretend bestraft, so wie die Menschen aus dem Walnusstal. Denn das Dorf, das wird einem nach und nach bei der Lektüre bewusst, ist ein Dorf, in dem es keine jungen Männer mehr gibt.

Der "Sie kommen!"-Ruf ist der Beginn eines Countdowns, an dessen Ende das Dorf brennen wird. Ekinci erspart es dem Leser, das Morden und die Zerstörung zu schildern. Ihm geht es um die Stunden davor, um die Angst und Panik. Gegenwehr kommt niemandem in den Sinn, auch den Gedanken zu fliehen verfolgen die Menschen nicht. Sie sind zu erschöpft, fühlen sich schwach. Zu groß ist die Gewissheit, dass man sie einholen wird. Sie empfinden eine Unausweichlichkeit des Schicksals, ja schon fast Resignation, die für den Leser kaum auszuhalten ist. Immer wieder streift Ekinci nun das Handeln einzelner Personen, die er bis dahin als Teil der Dorfgemeinschaft beschrieben hat. Ein Paar beschließt, sich noch einmal leidenschaftlich zu lieben; die Kinder vergraben das wenige Spielzeug, das sie besitzen, und suchen ein Versteck für den geliebten Fernseher; Mütter und Väter verstecken ihre Habseligkeiten in Baumkronen und verbarrikadieren die Türen, obwohl sie wissen, das sie nicht standhalten können. Eine Frau wäscht sich noch einmal, sie möchte sich rein fühlen, wenn sie vergewaltigt wird; eine andere will sich umbringen und schafft es nicht. Und der traurige Onkel Amar, der nach dem sagenhaften Urahn dieser Menschen benannt worden ist, hebt sich neben dem Grab seiner Frau eine Grube aus, in der er auf die Mörder warten wird. Wenn der Tod kommt, möchte er an der Seite seiner Liebsten sein. Die kurdische Kultur trägt sich hier selbst zu Grabe.

Schmerz und Hoffnung angesichts des Kampfes um kurdische Selbstbestimmung und Bürgerrechte sind wichtige Motive von Ekincis literarischem Schreiben. "Der Tag, an dem ein Mann vom Berg Amar kam" ist sein dritter Roman. Er geht einem lange nicht aus dem Kopf. Das Manuskript hatte Ekinci schon fertiggestellt, bevor der Krieg gegen die Kurden im Sommer 2015 erneut entbrannte. Dass er trotzdem den Roman zur Stunde geschrieben hat, sagt viel aus über die Türkei. Das Dorf im Walnusstal ist der Zeit enthoben. Es könnte fast jedes kurdische Dorf im türkischen Südosten sein.

KAREN KRÜGER

Yavuz Ekinci: "Der Tag, an dem ein Mann vom Berg Amar kam". Aus dem Türkischen von Oliver Kontny. Verlag Antje Kunstmann, 186 Seiten, 18 Euro

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