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Geld ist keine Ware, sondern Kredit, also ein Zahlungsversprechen, und muss als paraökonomische Struktur im Kapitalismus der Gegenwart verstanden werden.
Wie sind die Transformationen des Kapitalismus und die exponentielle Vermehrung der globalen Geldmengen zu erklären? Die übliche Lehrmeinung, Geld sei eine besonders wertvolle Tauschware, vergleichbar mit einem Haus oder Automobil, beruht auf einem Missverständnis über den Charakter des Geldes. Tatsächlich ist Geld keine Ware, sondern ein Kredit - ein Zahlungsversprechen.
Der Kapitalismus der Gegenwart ist paradox: Einerseits hat das
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Produktbeschreibung
Geld ist keine Ware, sondern Kredit, also ein Zahlungsversprechen, und muss als paraökonomische Struktur im Kapitalismus der Gegenwart verstanden werden.

Wie sind die Transformationen des Kapitalismus und die exponentielle Vermehrung der globalen Geldmengen zu erklären? Die übliche Lehrmeinung, Geld sei eine besonders wertvolle Tauschware, vergleichbar mit einem Haus oder Automobil, beruht auf einem Missverständnis über den Charakter des Geldes. Tatsächlich ist Geld keine Ware, sondern ein Kredit - ein Zahlungsversprechen.

Der Kapitalismus der Gegenwart ist paradox: Einerseits hat das Geld fast alle gesellschaftlichen Sphären erobert und sie ökonomischen Verwertungslogiken unterworfen. Andererseits ist heute alles Geld Kredit, erschaffen von Banken per Tastendruck - und zwar unter Bedingungen, die selbst nicht mehr vollständig von ökonomischen Logiken geprägt sind. Diese paraökonomische Praxis des Kredits ist in einen euphorischen Zustand eingetreten, in dem immer mehr Kapital aus dem Nichts entsteht - gerade dadurch drohen permanent Krisen. Eine neue Theorie des Geldes ist dringend geboten.
Autorenporträt
Aaron Sahr, Prof. Dr., Philosoph und Soziologe, ist seit 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung und leitet seit Mai 2019 die Forschungsgruppe Monetäre Souveränität. Seit August 2019 ist er Gastprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2017

Wer Schulden hat, hat auch Beziehungen
Ein Guthaben verpflichtet: Aaron Sahr verknüpft seine Kritik der Finanzwirtschaft mit Vorschlägen für eine neue Soziologie des Geldes

Die Soziologie des Geldes schließt üblicherweise eng an die vorherrschende ökonomische Geldtheorie an: Geld wird als ein Vermögenswert begriffen, der Tausch erleichtert. Es steht nur in einem begrenzten Umfang zur Verfügung, den die privatwirtschaftlichen Akteure nicht beeinflussen können, ist insofern knapp und wertvoll. So ermöglicht es Transaktionen zwischen wirtschaftlichen Akteuren, die sich nicht oder kaum kennen, und macht damit den Austausch wirtschaftlicher Leistungen von personalen Nahbeziehungen unabhängig.

Wie aber ändert sich die soziologische Sicht des Umgangs mit Geld, wenn Geld nicht ein knappes Aktivum ist, sondern ein Schuldtitel, den die Geschäftsbanken selbst unbegrenzt schaffen können? Diese Frage stellt der Philosoph und Soziologe Aaron Sahr, der am Hamburger Institut für Sozialforschung tätig ist. In seiner Studie schließt er sich der Kritik vieler Postkeynesianer an der neoklassischen Geldtheorie an, sucht auf dieser Grundlage eine neue Soziologie des Geldes zu begründen und wagt schließlich eine grundsätzliche Infragestellung des heutigen Geldsystems.

Je nach Abgrenzung sind achtzig bis neunzig Prozent des Geldes, das heute im Umlauf ist, Buchgeld. Dieses Geld entsteht vor allem, wenn Banken Kredite vergeben. Eine Bank erwirbt Ansprüche auf künftige Zahlungen des Kreditnehmers und "bezahlt" diese dadurch, dass sie das Guthaben auf seinem Girokonto erhöht. Mit dem Guthaben kann dann der Kreditkunde die Leistung eines anderen Wirtschaftsakteurs bezahlen, auch wenn dieser andere Akteur Kunde eines anderen Instituts ist. In diesem Fall sorgt die Bank dafür, dass der jeweilige Betrag dem anderen Institut "zufließt" und von diesem dann dem richtigen Kunden gutgeschrieben wird.

In der gleichen Weise kommt zusätzliches Geld in Umlauf, wenn eine Geschäftsbank bei einem anderen Finanzinstitut oder bei einem Wirtschaftsakteur, der Kunde eines anderen Instituts ist, einen Vermögenswert (zum Beispiel einen Finanztitel oder eine Immobilie) erwirbt. Egal wofür das neue Geld nun entstanden ist, jeweils am Abend werden zwischen den Banken die "Zu-" und "Abflüsse" eines Tages gegeneinander verrechnet. Banken mit zu wenig "Zuflüssen" leihen sich über Nacht das für den Ausgleich benötigte Geld bei Instituten mit überschüssigen "Zuflüssen". Entscheidend ist: Geschäftsbanken müssen sich das Geld, das sie verleihen oder für den Kauf eines Vermögenswertes ausgeben wollen, nicht erst beschaffen, sie können es selbst schöpfen. Sie - und nur sie - sind dazu in der Lage, weil ihre Verbindlichkeiten teilweise, nämlich insofern es sich um Kontoguthaben ihrer Kunden handelt, als Zahlungsmittel akzeptiert werden. Aus dieser vor allem von Postkeynesianern entfalteten Sicht der endogenen Entstehung neuen Geldes folgert Aaron Sahr, dass die Soziologie des Geldes Entscheidendes am Umgang mit Geld übersehe. Geld müsse vor allem als Kredit begriffen werden: als ein Schuldtitel, mit dessen Entstehung und Verwendung ein Geflecht finanzwirtschaftlicher Beziehungen immer enger geknüpft werde und immer weiter wachse. Tatsächlich, wenn bei der Kreditvergabe einer Bank neues Geld geschaffen wird, verpflichtet sich der Kreditkunde zu einem Schuldendienst, so dass zwischen der Bank und ihrem Kunden eine - vom Vertrauen auf künftige Zahlungen getragene - Beziehung entsteht oder sich intensiviert.

Weitere ähnliche Beziehungen werden mit der Verwendung des Geldes geknüpft: Beziehungen zwischen den Geldinstituten, die an einer Zahlung beteiligt sind, Beziehungen zwischen diesen und ihren Einlagenkunden, Beziehungen zwischen Banken, denen im Laufe des Tages zu wenig Geld "zugeflossen" ist, und denen, die ihnen über Nacht das benötigte Geld ausleihen. Mehr noch, mit der Vergabe ihrer Kredite vertraut eine einzelne Bank immer auch darauf, dass die Gesamtheit der Banken in Zukunft genug Kredite vergeben und neues Geld schaffen wird.

Schließlich ist - symmetrisch zur Geldentstehung bei der Kreditvergabe - mit der Rückzahlung eines Kredits Geldvernichtung verbunden. Da der Kredit verzinst ist, wird dann sogar mehr Geld vernichtet, als bei der Kreditvergabe entstanden war. Deshalb müssen die Kreditvergabe des Bankensektors und mit ihr das Geflecht der finanzwirtschaftlichen, auf der Erwartung künftiger Zahlungsströme beruhenden Beziehungen immer weiter wachsen; nur dann kann der Schuldendienst zumindest auf das Gros der vergebenen Kredite vereinbarungsgemäß geleistet werden.

Die Entstehung des Geldes bei der Kreditvergabe einer Bank und die bankwirtschaftlichen Prozesse, die mit seiner Verwendung im bargeldlosen Zahlungsverkehr verbunden sind, deutet Sahr deshalb als Teilmomente einer "Praxis der fortwährenden Knüpfung, Aufrechterhaltung und Terminierung riskanter, interdependenter Beziehungen". Wird in einer Gesellschaft mehr Geld eingesetzt, dann bedeutet dies folglich nicht, dass Beziehungen durch Transaktionen ersetzt werden. Vielmehr entstünden dadurch - so Sahr gegen die herkömmliche Sicht der Geldsoziologie - mehr und nicht weniger Beziehungen.

Das ist scharf beobachtet. Sahrs Blick unter die bankwirtschaftliche Oberfläche des Umgangs mit Geld fordert spannende, für die Soziologie des Geldes neue Aspekte des Umgangs mit Geld zu Tage. Trotzdem stellt sich die Frage, ob diese Einsichten die bisherige Geldsoziologie fundamental in Frage stellen. Zwar ist die Abwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs über das Knüpfen, Bestätigen und Beenden von Beziehungen vermittelt. Das zeigt sich in der finanzwirtschaftlichen Binnensicht. Aber die - gegenüber der Finanzwirtschaft externe - Perspektive der realwirtschaftlichen Akteure, die sich des einmal geschaffenen Buchgeldes bedienen, ist eine andere. Sie entspricht der herkömmlichen geldsoziologischen Sicht. Schließlich werden etwa die Käuferin und der Verkäufer eines gebrauchten Buches über eine Internetplattform diesen Kauf und die damit verbundene Überweisung nicht als Aufnahme einer mehr oder minder dauerhaften Beziehung zueinander wahrnehmen, sondern vor allem als eine punktuelle Transaktion zwischen ihnen selbst und einem anderen Menschen, der ihnen fremd ist und fremd bleibt. Insofern führt Sahrs Analyse wohl eher zu einer Ergänzung als zu einem neuen Ansatz der Soziologie des Geldes.

Die enorme Geldexpansion zwischen dem Ende des Bretton-Woods-Systems und dem Ausbruch der globalen Finanzkrise deutet Sahr unter dem Einfluss Hyman Minskys als finanzwirtschaftliche Euphorie. Die finanzwirtschaftlichen Akteure hätten immer stärker darauf vertraut, dass das Geflecht ihrer Beziehungen zueinander schon halten werde und durch noch mehr Kredit und noch mehr Geld immer weiter intensiviert werden könne.

Diese monetäre Expansion, mit der kaum realwirtschaftliche Geschäfte anderer Wirtschaftsakteure finanziert, sondern vor allem finanzwirtschaftliche Transaktionen zwischen Finanzinstituten alimentiert wurden, verweist für Sahr auf einen grundlegenden Systemfehler des sogenannten Keystroke-Kapitalismus, also eines Kapitalismus, in dem Banken einfach durch das Drücken einer Taste auf der Computertastatur Geld schaffen können. Deshalb schließt er sein lesenswertes, gerade auch für Ökonomen inspirierendes Buch mit einer Frage und einer Aufforderung, die weit über seine nüchternen soziologischen Analysen hinausgreifen: "Wer soll und darf darüber entscheiden, wie viel Geld es gibt und für welchen Zweck es geschaffen wird? Wir sollten darüber sprechen."

BERNHARD EMUNDS

Aaron Sahr: "Das Versprechen des Geldes". Eine Praxistheorie des Kredits.

Hamburger Edition im HIS Verlag, Hamburg 2017. 392 S., geb., 35,- [Euro].

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