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Während die Besetzung der britischen Kanalinseln durch die Wehrmacht in den Jahren 1940 bis 1945 in Deutschland vergessen ist, ist sie in Großbritannien durchaus im kollektiven historischen Bewusstsein präsent. Anders als an der "Ostfront" errichteten die Deutschen auf Guernsey, Jersey und Alderney zwar kein auf Vernichtung der Zivilbevölkerung abzielendes Terrorsystem, doch auch hier geschahen Kriegsverbrechen, waren Tote zu beklagen, wurden Zwangsarbeiter ausgebeutet, Juden deportiert. Hans Max Freiherr von Aufseß (1906-1993), Besatzungsoffizier und deutscher Zivilverwalter der Inseln,…mehr

Produktbeschreibung
Während die Besetzung der britischen Kanalinseln durch die Wehrmacht in den Jahren 1940 bis 1945 in Deutschland vergessen ist, ist sie in Großbritannien durchaus im kollektiven historischen Bewusstsein präsent. Anders als an der "Ostfront" errichteten die Deutschen auf Guernsey, Jersey und Alderney zwar kein auf Vernichtung der Zivilbevölkerung abzielendes Terrorsystem, doch auch hier geschahen Kriegsverbrechen, waren Tote zu beklagen, wurden Zwangsarbeiter ausgebeutet, Juden deportiert.
Hans Max Freiherr von Aufseß (1906-1993), Besatzungsoffizier und deutscher Zivilverwalter der Inseln, stammte aus altem fränkischem Adel. Aus der Perspektive seines Standes -
überheblich, antisemitisch, dünkelhaft, gleichzeitig teilnehmend, einfühlsam, gebildet, stellenweise auch selbstkritisch - führt von Aufseß während seiner Zeit auf den Inseln Tagebuch. Dieses Tagebuch ist eine Quelle für die Geschehnisse auf den "Islands", vor allem ist es aber der Blick auf das Innenleben eines deutschen Besatzungsoffiziers während einer hierzulande kaum bekannten Episode aus dem großen Drama des Zweiten Weltkriegs. Gerade die Ambivalenz des Freiherrn macht das Tagebuch lesenswert. Er ist kein tumber "Nazi", aber auch kein Widerständler. Der Nationalsozialismus ist ihm ästhetisch und habituell unangenehm, den deutschen Angriffskrieg hinterfragt er trotzdem nicht. Die häufig diskutierte Frage nach Handlungsspielräumen des Einzelnen im Angesicht von Terror und Unmoral stellt sich dem Leser der Tagebücher unmittelbar.
Autorenporträt
Hans Max Freiherr von Aufseß, geboren 1906, gestorben 1993, gilt als einer der bedeutenden fränkischen Schriftsteller seiner Zeit. Er lebte und schrieb auf seinem Schloss Oberaufseß in Oberfranken. Vom 16. November 1943 bis zum 9. Mai 1945 war er »Chief civil administrator« von Jersey. Nach dem Krieg war der Jurist zunächst am Gericht in Bamberg tätig und zuletzt in Coburg Generaldirektor der Herzoglichen Familienverwaltung Sachsen-Coburg-Gotha.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ein wenig ratlos scheint dieses Buch den Rezensenten Stephan Speicher gemacht zu haben. Denn ein "Beitrag zur Okkupationsgeschichte", wie es der Untertitel seiner Rezension verspricht, ist es eben gerade nicht, schreibt er. Und auch zum Thema, das heute am meisten interessieren würde, etwa die Deportation der Juden von den Kanalinseln - bis heute Kronbesitz, nicht britisches Staatsgebiet -, findet man hier wenig. Interessant seien die Aufzeichnungen nur, weil sie das "Selbstbild" eines gebildeten, nicht-fanatischen Deutschen zeigt, der die höchste Verwaltungsfunktion auf den Inseln ausübte. Es besteht offenbar vor allem im Bild eines Mannes, der ständig alle Deutschen - aber dann auch die Angehörigen aller anderen Nationen - mit herabsetzenden Urteilen bedenkt. Und ratlos macht es den Kritiker offenbar, weil dieser Mann doch gebildet und "zur Einsicht befähigt" gewesen sei.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.11.2020

Selbstbild eines Deutschen
Als die Nazis die Kanalinseln besetzten, diente Hans Max von Aufseß als
ihr Verwalter. Sein Tagebuch liefert ein Stück Okkupationsgeschichte
VON STEPHAN SPEICHER
Am Morgen des 4. Juni 1940 verließen die letzten Briten Dünkirchen, später an diesem Tag hielt Churchill im Unterhaus seine berühmte Rede „We shall fight on the beaches“. Sie war Ausdruck der unbeugsamen Kampfbereitschaft des Landes, doch stand ihm da noch ein Rückzug bevor. Der von den Kanalinseln Jersey, Guernsey, Sark und Alderney.
Diese Inseln waren und sind staatsrechtlich nicht Teil des United Kingdom, sondern Kronbesitz, Crown dependencies, gleichwohl wurden sie natürlich als britisch angesehen. Aber aufgrund ihrer Lage in oder vor dem Golf von St. Malo waren sie nicht zu verteidigen. Am 19. Juni wurden die letzten dort verbliebenen Soldaten nach England evakuiert, Zehntausende Inselbewohner flohen nach England, darunter fast vollständig die wehrfähigen jungen Männer. Die Insel war damit demilitarisiert, an einen Partisanenkampf nicht zu denken. Und so besetzten deutsche Truppen die Inseln und hielten sie bis zum 8. Mai 1945.
In Deutschland hat man sich für dieses Kapitel des Zweiten Weltkriegs nicht stark interessiert, es schien nur eine Episode. Doch für Briten war und ist das Leben ihrer Landsleute unter deutscher Besatzung von Bedeutung. Und deshalb erschien auch schon 1991 das Tagebuch des Hans Max Freiherr von Aufseß auf Englisch („Impressions of the Channel Islands“), das auf Deutsch jetzt erst vorliegt. Von Januar 1942 bis zum letzten Tag des Krieges war Aufseß Kriegsverwaltungsrat in der deutschen Feldkommandantur, seit Herbst 1943 als ihr Leiter.
Die Feldkommandantur lenkte die deutsche Zivilverwaltung der Inseln und fungierte als Verbindung zwischen dem deutschen Militär und den britischen Behörden der Inseln. Aufseß war Jurist, ein gebildeter, zivilisierter Mann von guten Sprachkenntnissen und Umgangsformen. Damit fügte er sich ideal in die besatzungspolitische Linie: Die Deutschen wollten (vermutlich sogar auf Anordnung Hitlers) gegenüber der ansässigen Bevölkerung zurückhaltend auftreten. Und das taten sie auch weitgehend, nicht allerdings gegenüber den jüdischen Bewohnern, die nicht rechtzeitig geflohen waren.
Von dem Tagebuch des Chefs der Zivilverwaltung in einer solch besonderen Lage wird man sich etwas erwarten, und in der Tat sind die Notizen des Freiherrn von Aufseß interessant – wenn auch auf eine andere Weise als womöglich vermutet. Als Quelle zur Okkupationsgeschichte sind sie nur von begrenztem Wert, wie auch der Herausgeber Tobias Arand in seinem Vorwort feststellt. Man weiß nicht genau, zu welchem Zweck Aufseß geschrieben hat (für seine Familie, als Selbstrechtfertigung gegenüber den Briten?) und auch nicht, wann die Notizen niedergelegt wurden – zu einem Teil womöglich erst nach Kriegsende, als der Autor in britische Kriegsgefangenschaft geriet.
Vom Leben der ansässigen Bevölkerung und was die deutsche Herrschaft für sie bedeutet habe mag, erfährt man nicht sehr viel. Das ändert sich erst mit der Landung der Alliierten in der Normandie. Jetzt können die Inseln nicht mehr vom französischen Festland aus versorgt werden, sie müssen sich selbst und die deutschen Truppen ernähren, aber das ist nicht möglich. Die Konflikte angesichts des Hungers (zuletzt lindern Lieferungen des Internationalen Roten Kreuzes die Not) beschreibt Aufseß genauer, hier scheint er eine günstige Rolle gespielt zu haben, wie er nach Kriegsende von manchen Briten für seine Amtsführung gerühmt wurde. Aber was heutige Leser besonders beschäftigt, die Deportation der Juden und Behandlung der Zwangsarbeiter – 16 000 von ihnen waren auf die Inseln gebracht worden, um dort Befestigungsanlagen als Teil des „Atlantikwalls“ zu bauen –, das kommt allenfalls in Spuren zur Sprache.
Was ist es dann, was die Lektüre lohnt? Es ist das Selbstbild eines Deutschen im Dritten Reich, eines Deutschen in herausgehobener Stellung, das nicht ganz untypisch sein dürfte. Aufseß war kein Tyrann, er besaß Gerechtigkeitssinn und auch Verständnis für die ansässige Bevölkerung; das ist nicht wenig. War er Nationalsozialist? Er war NSDAP-Mitglied seit dem 1. Mai 1933, das mag er für ein beruflich notwendiges Zugeständnis gehalten haben. Für einen fanatischen Glauben an die „Bewegung“ gibt es keine Belege. Andererseits war die Feldkommandantur nicht eine Allerweltsache, gibt der Herausgeber zu bedenken; für deren Leitung wird man sich eines Mannes bedient haben, den man als zuverlässig ansah.
Im Tagebuch nennt Aufseß den Nationalsozialismus gelegentlich eine gute Idee, die böse realisiert werde. Was er gut fand, erfährt man nicht, wohl aber, was ihn störte: die furchtbare „Sturheit“, Ungelenkigkeit, Maßlosigkeit; über Hitler denkt er schlecht: „plump, ungeistig, einseitig ausgerichtet“. Stark scheint Aufseß der Nationalsozialismus nicht beschäftigt zu haben. Interessanter ist sein Urteil über die Deutschen, das er in Varianten immer wieder notiert: „grob, spießig, übertüchtig und ungeniert selbstbewusst und ohne Takt- und Umgebungsgefühl (…). Der Durchschnittsdeutsche hat einen trägen Geist, aber ein starkes Gemüt, weshalb er sich denn auch gern überall in gehorsam anschließt (…) Diese kritiklose Gefolgschaftswilligkeit aus Denkfaulheit hat der Nationalsozialismus zum ersten Mal gleichsam in Monokultur gezüchtet und ausgebeutet“. Zur Weltherrschaft schienen ihm die Deutschen offenbar weniger berufen als irgendein anderes Volk.
Aufseß hat einen scharfen Blick auf die deutschen Miserabilitäten, aber er erfüllt seine Aufgaben, und dies nicht bloß unwillig. Das eigene Land weckt immer wieder Loyalitätsgefühle, und mit den vernichtenden Gedanken über die deutsche Unfähigkeit zu Form, Selbstdisziplin und Gesellschaftlichkeit kreuzen sich abfällige Urteile über Engländer, Franzosen oder Italiener – da zielt der Einwand wieder regelmäßig auf einen Mangel an Tiefe. Das alles bei einem Mann, der nach Bildungsgang und Persönlichkeit zur Einsicht befähigt war.
Hans Max von Aufseß: Tagebuch aus der Okkupationszeit der britischen Kanalinseln 1933 – 1945. Geleitwort von John Nettles. Herausgegeben und kommentiert von Tobias Arand. Osburg Verlag, Hamburg 2020. 383 Seiten, 26 Euro.
Aufseß hat einen scharfen Blick
auf den deutschen Ungeist, aber er
erfüllt eben doch seine Aufgaben
Besatzungssoldaten der Wehrmacht auf der Insel Jersey im Ärmelkanal am 27. Juli 1940.
Foto: AP
Nach dem Krieg war Hans Max von Aufseß zwei Jahre Kriegsgefangener in England. Dann kehrte er auf Schloss Oberaufseß in Oberfranken zurück und publizierte zur fränkischen Regionalgeschichte. Er starb 1993. Foto: privat
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