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Moses Mendelssohn: Deutscher Sokrates, Vorbild für den »Nathan« und umstrittener Bibelübersetzer.Der jüdische Philosoph und Aufklärer Moses Mendelssohn polarisierte weit über seinen Tod hinaus: Den einen galt er als Wegbereiter einer besseren Zukunft, für die anderen verursachte er den Niedergang des Judentums. Viele orthodoxe Juden fordern noch heute, dass sein Name »ausgelöscht« sei.Martina Steer liefert die erste umfassende Studie über die kollektiven Erinnerungen an Mendelssohn in Deutschland, Polen und den USA von seinem Tod 1786 bis zum Aufstieg des Nationalsozialismus. Anhand der…mehr

Produktbeschreibung
Moses Mendelssohn: Deutscher Sokrates, Vorbild für den »Nathan« und umstrittener Bibelübersetzer.Der jüdische Philosoph und Aufklärer Moses Mendelssohn polarisierte weit über seinen Tod hinaus: Den einen galt er als Wegbereiter einer besseren Zukunft, für die anderen verursachte er den Niedergang des Judentums. Viele orthodoxe Juden fordern noch heute, dass sein Name »ausgelöscht« sei.Martina Steer liefert die erste umfassende Studie über die kollektiven Erinnerungen an Mendelssohn in Deutschland, Polen und den USA von seinem Tod 1786 bis zum Aufstieg des Nationalsozialismus. Anhand der Jubiläumsfeiern zu seinen Ehren kann sie zeigen, dass Mendelssohn zu dem Symbol einer jüdischen Moderne stilisiert wurde. Vom aufgeklärten Berlin Friedrichs II. bis in das dreigeteilte Polen und in die USA verfolgt das Buch den Aufstieg Mendelssohns zu einem der wirkmächtigsten jüdischen Erinnerungsorte. Martina Steer analysiert, wie deutsch-jüdische Reformer, osteuropäische Chassidim, Zionisten und amerikanische Jiddischisten ihre Werte, Hoffnungen und Ängste auf Mendelssohn projizierten und wie diese Erinnerungsnarrative nationale und kulturelle Grenzen überschritten. Neben der faszinierenden Geschichte dieser Obsession erzählt Mendelssohns Nachwelt daher auch von den Verflechtungen der modernen jüdischen Kulturgeschichte.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2020

An ihm schieden sich von Anfang an die Geister
Deutsche Feierstunden sind humorlos: Martina Steer rekonstruiert das Gedenken an Moses Mendelssohn

Heutzutage jagen sich die Feiern zu runden Geburts- oder Todestagen. Doch seit wann wird so ritualisiert an große Persönlichkeiten erinnert? In ihrer Studie über "Moses Mendelssohn und seine Nachwelt" rekonstruiert Martina Steer das Gedenken an den Philosophen, beginnend mit seinem Tod im Januar 1786 und bis zur Feier seines zweihundertsten Geburtstags im September 1929, samt kurzen Ausblicken auf die Jahrestage 1936, 1979 und 1986.

Steer wählte eine "Persönlichkeit, welche die Geschichte des modernen Judentums seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als Erinnerungsort nicht nur begleitet, sondern überstrahlt". Mendelssohn, so die These, sei der erste und blieb der einzige deutsche Jude, dem eine solche Bedeutung zukam. Mit der Feier seines hundertsten Geburtstags habe alles begonnen. Vorher, so Steer, war es nicht üblich, solche Jubiläen zu begehen. Oder doch? In einem späteren Kapitel lesen wir, dass es Shakespeare war, dem 1769 "das erste auf eine bürgerliche Person bezogene Jubiläum" gewidmet worden war - zum zweihundertsten Geburtstag. Steht England da in einer anderen Tradition als die deutschen Länder? Die Frage wird im Buch leider nicht behandelt.

Mendelssohn war beides, ein naheliegender und gleichzeitig ein recht unwahrscheinlicher Kandidat für die beschriebenen Ehrungen. Von Anfang an schieden sich an ihm die Geister. Die einen lobten seine Übersetzung der Bibel ins Deutsche, gedruckt in hebräischer Schrift, so dass sie auch von denen gelesen werden konnte, die mit dem lateinischen Alphabet nicht vertraut waren. Für die anderen war dies ein frevlerischer Akt, bei dem die Heilige Schrift in eine profane Sprache übersetzt wurde. Die einen hielten Mendelssohn für einen guten Juden und wichtigen Philosophen, die anderen warfen ihm vor, dass vier seiner sechs Kinder - nach seinem Tod - konvertierten, die Söhne Abraham und Nathan Mendelssohn zum Protestantismus, die Töchter Dorothea Schlegel und Henriette Mendelssohn zum Katholizismus.

Auf drei Länder konzentriert sich Martina Steer in ihrer Studie: Deutschland, Polen und die Vereinigten Staaten, wobei Letztere erst im zwanzigsten Jahrhundert eine wirklich bedeutende Rolle spielten. Im Spektrum der Gedenktage sind die Jahre 1829 und 1929 signifikant. Steer zeigt, dass 1829 nur Juden und jüdische Institutionen Mendelssohns gedachten, trotz der Tatsache, dass seine Schriften zum Kanon aufklärerischen Denkens in Deutschland gehörten. In Berlin, Hamburg, Frankfurt und Dresden wurden Feiern veranstaltet, wobei die in Berlin offenbar am besten dokumentiert ist.

Die Reden, die dort gehalten wurden, konnte Steer nicht finden, wohl aber umgeschriebene Texte zu bekannten Musikstücken. Gesungen wurde "Ernst in dieser Weihestunde / Klingt der tief empfundŽ ne Ton. / Denn der Becher in der Runde / Gilt dem edlen Mendelssohn" auf die Melodie von Beethovens Vertonung von Friedrich Schillers "Freude, schöner Götterfunken". Und zumindest in Berlin folgte der Feierstunde ein gemeinsames Diner mit Trinksprüchen und Liedern.

Interessant ein Fund aus Polen: Zum Geburtstag erschien eine Übersetzung des "Phaidon" ins Polnische; subskribiert wurde sie durchaus nicht nur von Juden. Die Liste der zweihundert Subskribenten verzeichnet zu zwei Dritteln "Adlige, höhere Beamte oder hochrangige Politiker der gebildeten polnischen Oberschicht", die die Haskala aktiv unterstützten - Mendelssohn als europäischer Aufklärer im damals dreigeteilten Polen.

Hundert Jahre später zeigen die Feiern zum runden Geburtstag andere Züge. Steer beschreibt sie als "staatstragend". Aus der "Vossischen Zeitung" zitiert sie Bertha Badt-Strauss, die aus Dessau, Mendelssohns Geburtsstadt, vom "dumpfen Glockenton der Feierlichkeit" berichtete, einer "Begräbnisstimmung, die über diesem groß gewollten Fest eines Staates und seiner Stadt drückend lag. Aber es scheint in Deutschland nun einmal so zu sein, dass das Feierliche zugleich traurig und humorlos sein muss, dass man das Pathetische übertreiben muss, weil man nicht die Courage hat, sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen."

In Berlin wurde in der Singakademie gefeiert, in der Mendelssohns Enkel Felix seinerzeit die Matthäuspassion von Bach wiederaufgeführt hatte. Organisiert wurde das Fest von der "jüdischen Gemeinde" (ein paar Seiten später ist von "verschiedenen jüdischen Institutionen" als Organisatoren die Rede). Eingeladen wurde sogar der Reichskanzler Hermann Müller, der aber absagen musste. Die Rednerliste war illuster. Für die Preußische Akademie der Wissenschaften sprach Albert Einstein. Die neugegründete Moses-Mendelssohn-Stiftung zur Förderung der Geisteswissenschaften legte die ersten Bände einer Jubiläumsausgabe der "Gesammelten Schriften" vor.

Blicke nach Osten und Westen zeigen die alte Spaltung. Während das Jüdische Wissenschaftliche Institut (YIVO) in Wilna, dem heutigen Vilnius, zu einer großen Gedenkveranstaltung einlud, war in einer chassidischen Publikation zu lesen, dass mit Moses Mendelssohn "ein böser Stern" über Deutschland aufgegangen sei. In den Vereinigten Staaten gedachte das Reformjudentum seiner, während orthodoxe Strömungen mit dem großen Aufklärer nichts zu tun haben wollten.

Leider ist Martina Steers Studie kein Lesevergnügen: Wenn etwa, um ein Beispiel zu nennen, die Kinder von Fromet und Moses Mendelssohn ein "numerischer Fortpflanzungserfolg" genannt werden, ist das schlicht fürchterlich. Und auch die durchgängige Rede von "Nichtjuden" - für Steer ist "Mensch" eine Summenformel aus Juden und allen anderen - nimmt nicht ein.

BARBARA HAHN

Martina Steer:

"Moses Mendelssohn und seine Nachwelt". Eine Kulturgeschichte der jüdischen Erinnerung.

Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 440 S., Abb., geb., 39,- [Euro].

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