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"Am Morgen des 20. November 1999 starb Musashimaru. Wenn ich Musashimaru sage, meine ich nicht den erfolg reichen Yokozuna Koyo Musashimaru, ich meine unser Haustier, ein Nashornkäfermännchen. Da ich ein Fan des Sumoringers Musashimaru bin, habe ich diesen Käfer, der im Kampfe sein stattliches Horn schwingt, Musashimaru getauft. Meine Frau nannte ihn zunächst 'Musashimaru chan', woraus - der Angewohnheit der Japaner, Eigenna men abzukürzen, geschuldet - bald 'Musashi chan' und schließlich 'Musa chan' wurde. Ich will kurz beschreiben, wie Musashimaru zu uns kam." Mit "uns" meint der Autor sich…mehr

Produktbeschreibung
"Am Morgen des 20. November 1999 starb Musashimaru. Wenn ich Musashimaru sage, meine ich nicht den erfolg reichen Yokozuna Koyo Musashimaru, ich meine unser Haustier, ein Nashornkäfermännchen. Da ich ein Fan des Sumoringers Musashimaru bin, habe ich diesen Käfer, der im Kampfe sein stattliches Horn schwingt, Musashimaru getauft. Meine Frau nannte ihn zunächst 'Musashimaru chan', woraus - der Angewohnheit der Japaner, Eigenna men abzukürzen, geschuldet - bald 'Musashi chan' und schließlich 'Musa chan' wurde. Ich will kurz beschreiben, wie Musashimaru zu uns kam."
Mit "uns" meint der Autor sich selbst, einen soeben mit einem Literaturpreis bedachten und zu Geld und Ruhm gekommenen Schriftsteller, und seine Frau, die Lyrikerin Junko Takahashi. Auf skurril charmante - und wohl in vie lem wahre - Weise erzählt er, wie die beiden von dem vie len neuen Geld ein verwinkeltes Haus erwerben und dort alsbald einen sehr ungewöhnlichen Mitbewohner bekom men: einen Nashornkäfer. Der will umhegt und gepflegt sein. Und nur das Beste ist für ihn gut genug.
Autorenporträt
Choukitsu Kurumatani (1945¿2015) studierte Germanistik und arbeitete bei einer Werbeagentur, ehe er 1993 für seine Erzählung Shiotsubo no saji (Der Löffel im Salzfass) den Mishima-Yukio-Preis und den Preis des Kultusministeriums für Nachwuchsschriftsteller erhielt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2017

Dieses so unzeitgemäße Insekt
Choukitsu Kurumatanis glücklich-kafkaeske japanische Käferballade

Der japanische Schriftsteller und Germanist Choukitsu Kurumatani (1945 bis 2015), der nach Anfängen in Werbung und Verlagswesen als Aussteiger, Vagabund und Hilfskoch lebte, wurde mit Küchenphilosophie und Sozialkritik berühmt. Werke wie "Der Löffel im Salzfass" (1992) oder "Versuchter Liebestod" (1998) beschwören das Gefangensein des Individuums in unglücklichen Verhältnissen und illusionäre Weltfluchten herauf. Die Winkelzüge, Trugbilder und Camouflagen seiner Prosa folgen westlichen und östlichen Leitsternen: Kafka und Buddha. Gregor Samsa sei Protagonist einer Fiktion, er selbst aber lebe in der Gegenwart als "unzeitgemäßes Insekt", schrieb Kuramatani in "Ein anachronistischer Geist".

Seine Kurzgeschichte "Musashimaru", 2001 mit dem Kawabata-Preis ausgezeichnet, ist denn auch eine unprätentiöse, lebenskluge Parabel über ein Insekt. Die vier Monate im Jahr 1999 umfassende Geschichte über Leben und Sterben eines Nashornkäfers schrieb Kurumatani aus Trauer über den Selbstmord seines Lehrers, des Literaturkritikers Jun Eto. Das dem biographischen Ich-Roman (Shishôsetsu) verpflichtete, die realen Namen des Autors und seiner Frau benutzende Werk schildert den Umzug des Ehepaars in ein verwinkeltes Haus "mit einer komplizierten Geschichte".

Das zeitgeschichtliche Dekor bildet die Immobilienblase im Tokio der neunziger Jahre. Der Schuldenkreislauf wird zum kafkaesken Spiel, als ein Familienmitglied des vorigen Hausbesitzers eine Bürgschaft für einen Kredit übernimmt und die Abwärtsspirale einleitet. Die nur mit den Anfangsbuchstaben ihrer Namen genannten Wohnraumverwerter und Menschenverwalter wie Herr K., seines Zeichens Zinswucherer aus Shinjuku, oder Herr T. von der "Gesellschaft für Industrieabfälle AG" sind Endzeitboten einer gewinnmaximierenden Welt.

Das neuerworbene Haus lag neben einem anderen, in dem der berühmte Schriftsteller Natsume Sôseki seine Satire "Ich der Kater" geschrieben hatte, das dann aber in ein Freilichtmuseum verfrachtet wurde; nun erinnert nur noch ein Gedenkstein daran. Und als das Ehepaar, nachdem es Herrn T. den Kaufpreis bar bezahlen musste, aus Neugier die Adresse von dessen Gesellschaft für Industrieabfälle aufsucht, entpuppt die sich als Briefkastenfirma. Doch im dort angrenzenden Park, der als Sinnbild regenerativer Kräfte von Mutter Natur dient, liest der Erzähler den besagten Nashornkäfer auf und nimmt ihn mit in das Haus, das er mit einer schönen Kalligraphie als "Käferklause" tituliert hat.

In skurrilen Details schildert das Buch die gemeinsame Zeit mit dem gehörnten, brünstigen, triebhaften, nachtaktiven, schleckigen, selbstverliebten, aber in seiner Naivität, der Ignoranz um menschliche Machenschaften und dem Nichtwissen um sein eigenes Sterben - Nashornkäfer schlüpfen im Frühsommer und sterben bereits im Frühherbst - liebenswerten Insekt. Nach einem Sumo-Meister bekommt er den Namen Musashimaru, und der Leser erfährt einiges über Guerrillataktiken und Überlebenstechniken wie "Abtauchen, Ausschlagen, Mit-eingezogenem-Kopf-Angreifen" oder "Hornhakeln".

Typisch für Japans lyrische Tradition ist die Strukturierung eines Textes durch Jahreszeitentopoi und Zeitstempel wie das Allerseelenfest im August oder "den ersten Winterwind". Der Käfer als Maskottchen und "guter Hausgeist" symbolisiert die Crux und Sehnsüchte der kinderlosen Ehe. Sein mit Zuckermelonen als überteuertes Gnadenbrot palliativ begleitetes Ableben erinnert im überalterten Japan, wo die Pflege mechanisiert und in Heimen rationalisiert wird, an das alte Privileg, im häuslichen Tatami-Zimmer zu sterben: So lässt der Anblick der letzten Ruhestätte des Käfers auf Magnolienblättern den Erzähler an jenen Tag denken, als die eigene Großmutter nach einem erfüllten Leben "kalt in ihrem Futon" lag.

Die Meditationen über Metamorphosen, Einheit und Kausalität des Seins enden mit der Totenwache und einer feuchtfröhlichen Feier zum Eintritt des Käfers als Projektion der Träume vom naturgerechten Leben ins Nirwana. Die schwarzbraunen Flügel, die einst "wie eine Stradivari" glänzten, sind nun matt. Doch Kurumatanis Paar lebte vier Monate lang in einem Glückskokon.

STEFFEN GNAM

Choukitsu Kurumatani: "Musashimaru".

Aus dem Japanischen und mit einem Nachwort versehen von Katja Cassing. Cass Verlag, Löhne 2016. 64 S., 7 Abb., geb., 18,- [Euro].

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