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Diplomatie ist zu einem Schüsselbegriff des internationalen Tagesgeschäfts geworden. Die deutsch-vatikanischen Beziehungen hatten seit ihrer Aufnahme 1920 einen ganz besonderen politischen Wert, nicht nur weil es zahlreiche Krisenjahre zu bestehen galt, sondern weil die ersten Jahrzehnte von Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII. mitgestaltet wurden, der aus der Geschichte der ersten deutschen Republik nicht wegzudenken ist. Er hat bis heute Grundlegendes für das Verhältnis von Katholischer Kirche und deutschem Staat geschaffen, Krisenmanagement betrieben und in Berlin auch mit der…mehr

Produktbeschreibung
Diplomatie ist zu einem Schüsselbegriff des internationalen Tagesgeschäfts geworden. Die deutsch-vatikanischen Beziehungen hatten seit ihrer Aufnahme 1920 einen ganz besonderen politischen Wert, nicht nur weil es zahlreiche Krisenjahre zu bestehen galt, sondern weil die ersten Jahrzehnte von Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII. mitgestaltet wurden, der aus der Geschichte der ersten deutschen Republik nicht wegzudenken ist. Er hat bis heute Grundlegendes für das Verhältnis von Katholischer Kirche und deutschem Staat geschaffen, Krisenmanagement betrieben und in Berlin auch mit der jungen Sowjetunion verhandelt. Hier liegen entscheidende Wurzeln für die Haltung des Vatikans zu Hitler-Deutschland und dem Weltkrieg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2020

An Weimar ließ sich wieder anknüpfen
Im Licht der Quellen: Stefan Samerski über die Diplomatie zwischen Deutschland und dem Vatikan

Für altgediente Diplomaten und Politiker bildet die Ernennung zum deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl den ehrenvollen Abschluss einer Laufbahn als Staatsdiener. Das gilt auch in umgekehrter Richtung für den vatikanischen Nuntius in Berlin, der traditionell Doyen des Diplomatischen Korps ist. Dass die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl einmal eine hohe politische Brisanz hatten, daran erinnert das Buch von Stefan Samerski.

Bereits 1920 kam es zur Errichtung einer vatikanischen Nuntiatur in Berlin und einer deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl. Beide Partner wurden dadurch aufgewertet: das Deutsche Reich, das nach dem Ersten Weltkrieg diplomatisch isoliert war, und der Vatikan, der erst neun Jahre später durch die Lateranverträge die volle Souveränität zurückerlangen sollte. Diego von Bergen residierte als Botschafter in der noblen Villa Bonaparte, bis er 1943 durch Ernst von Weizsäcker abgelöst wurde. In Berlin wurde der germanophile Eugenio Pacelli erster Nuntius. Seine profunde Kenntnis der deutschen Situation kam ihm zugute, als er 1929 Kardinalstaatssekretär und zehn Jahre später unter dem Namen Pius XII. Papst wurde.

Samerski führt die Aufnahme diplomatischer Beziehungen auf das gestiegene Prestige des Papsttums im Zuge des Ersten Weltkriegs zurück, in dessen Verlauf der Vatikan strenge Unparteilichkeit gewahrt, humanitäre Aktivitäten organisiert und Friedensgespräche anzustoßen versucht hatte. Sicher könnte man noch weiter ausholen: Die Beziehungen zwischen Rom und Berlin waren nach dem Kulturkampf nicht schlecht gewesen: Bismarck trug dem Papst die Vermittlung im Konflikt mit Spanien um die Karolineninseln an. Wilhelm II. stattete Leo XIII. drei pompöse Staatsbesuche ab. Auch aus Sorge um das Schicksal Deutschlands sondierte Pacelli 1917 auf päpstliche Weisung die deutschen Friedensbedingungen.

Für die Zeit der Weimarer Republik kann sich der Autor auf eine doppelte Überlieferung stützen: zum einen auf die mittlerweile edierten Akten des Nuntius Pacelli, zum anderen auf das Archiv des Auswärtigen Amtes. Im Licht dieser Quellen zeigt sich, dass Deutschland für den Vatikan als Türöffner bei den Sowjets diente. Der vatikanischen Seite, die ein eigenes Hilfswerk für die von Hungersnöten geplagte junge Sowjetunion unterhielt, ging es vor allem um ein Ende der dortigen Christenverfolgungen. Pacellis Erfahrungen waren allerdings ernüchternd, die Kontakte mit den Russen mussten schließlich abgebrochen werden. Die späteren päpstlichen Verurteilungen des Kommunismus mögen hier ihre tiefere Wurzel haben.

Auch die deutsche Seite profitierte von den Beziehungen. Schon 1922 intervenierte der Vatikan bei den Siegermächten des Ersten Weltkriegs, um eine Milderung der Reparationszahlungen zu erreichen. Während der Ruhrkrise im Folgejahr setzten sich die Kirchenvertreter wiederum für die Deutschen ein. Neues Licht fällt auch auf die Verhandlungen über ein Reichskonkordat. Sie wurden unmittelbar nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen begonnen und in der Weimarer Zeit weit vorangetrieben. Hitler konnte sich also auf umfassende Vorarbeiten stützen, als er im Frühjahr 1933 auf eine baldige Unterzeichnung drang.

Deutlich schwächer ist die Quellenbasis für die Jahre des Zweiten Weltkriegs. Für diesen Zeitraum sind zwar die deutschen Archive zugänglich, nicht aber die vatikanischen. Samerskis Ausführungen behalten von daher etwas Vorläufiges. Dass die für dieses Jahr angekündigte Öffnung des Archivs Pius' XII. für seine Fragestellung "kaum grundstürzende Auskünfte hervorbringen" werde, da der Vatikan 1965 "fast das gesamte relevante diplomatische Material aus der Kriegszeit publiziert" habe, wie er unter Berufung auf eine ältere vatikanische Teiledition behauptet, erscheint wenig plausibel. Man vermag sich kaum vorzustellen, dass eine Auswahl von elf Bänden für einen Aktenbestand von über 80 Kilometer Regallänge erschöpfend oder auch nur repräsentativ sein kann.

Dennoch ist ihm beizupflichten, dass ein Überblick jetzt schon sinnvoll ist. Wenngleich er die wichtigsten Studien zum Thema heranzieht, ist die Bibliographie selektiv (muss es angesichts der dichten Forschungslage vielleicht auch sein). Für die nationalsozialistische Zeit bietet der Band daher zwar manches unbekannte Detail, aber keine umwälzenden neuen Erkenntnisse. Obgleich die diplomatischen Beziehungen nicht aufgekündigt wurden, verloren sie doch allmählich ihre praktische Relevanz, da die deutsche Seite an einem Einvernehmen mit der Kurie nicht interessiert war. Päpstliche Versuche, den Ausbruch des Krieges auf dem Verhandlungsweg zu verhindern, ließ man ins Leere laufen, humanitäre Initiativen wurden behindert. Wichtig ist der Hinweis, dass die Unparteilichkeit Pius' XII. und seine Weigerung, die Angriffe der Deutschen zu verurteilen, ihr Muster in der Haltung Benedikts XV. im Ersten Weltkrieg finden. Pacelli sprach sich auch gegen die Forderung einer bedingungslosen Kapitulation aus und lehnte eine Friedensordnung ab, die den Verlierern auf der Basis der Kriegsschuld abermals untragbare Reparationslasten auferlegen würde.

Überaus interessant sind schließlich die Linien, die der Autor bis in die Zeit der jungen Bundesrepublik auszieht. Damals wurde in diplomatischer Hinsicht an die Weimarer Zeit angeknüpft und die alte staatskirchenrechtliche Situation wiederhergestellt. Wenn man das heutige Verhältnis von Kirche und Staat verstehen will, muss man also auf die geschilderte Epoche blicken.

JÖRG ERNESTI

Stefan Samerski:

"Deutschland und

der Heilige Stuhl".

Diplomatische Beziehungen 1920-1945.

Aschendorff Verlag, Münster 2019. 270 S., geb., 24,80 [Euro].

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