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Ein Roman über Kindheit, Krankheit und Kunst. Über die Wunden des Exils in Paris, die Ohnmacht des Buchstabens und die überwältigende Macht der Bilder.Chaim Soutine, der weißrussisch-jüdische Maler und Zeitgenosse von Chagall, Modigliani und Picasso, fährt am 6. August 1943 in einem Leichenwagen versteckt von der Stadt Chinon an der Loire ins besetzte Paris. Die Operation seines Magengeschwürs ist unaufschiebbar, aber die Fahrt dauert aufgrund der Umwege - um die Kontrollposten der Besatzungsmacht zu meiden - viel zu lange, nämlich 24 Stunden.In einem Strom bizarrer Bilder, die der verfolgte…mehr

Produktbeschreibung
Ein Roman über Kindheit, Krankheit und Kunst. Über die Wunden des Exils in Paris, die Ohnmacht des Buchstabens und die überwältigende Macht der Bilder.Chaim Soutine, der weißrussisch-jüdische Maler und Zeitgenosse von Chagall, Modigliani und Picasso, fährt am 6. August 1943 in einem Leichenwagen versteckt von der Stadt Chinon an der Loire ins besetzte Paris. Die Operation seines Magengeschwürs ist unaufschiebbar, aber die Fahrt dauert aufgrund der Umwege - um die Kontrollposten der Besatzungsmacht zu meiden - viel zu lange, nämlich 24 Stunden.In einem Strom bizarrer Bilder, die der verfolgte Maler im zeitweiligen Morphin-Delirium vor sich auftauchen sieht, erzählt der Roman halb historisch, halb fiktiv Episoden aus Soutines Kindheit in Smilowitschi bei Minsk, die ersten Malversuche in Wilna, den beharrlichen Traum von Paris, der Welthauptstadt der Malerei. Er beschwört die unwahrscheinliche Freundschaft mit Modigliani, den plötzlichen Erfolg und das Ende der goldenen Pariser Jahre.Der Maler, der an die Macht der Milch als einziges Heilmittel glaubt, fährt aber auch in ein »weißes Paradies«, eine Mischung von Klinik und Gefängnis, in der es zu merkwürdigen Begegnungen und Ereignissen kommt. Ein mysteriöser »Gott in Weiß« erklärt ihn für geheilt, verbietet ihm aber das Malen. Doch in einem Paradies ohne Malerei ist dem Künstler nicht zu helfen. Er beginnt heimlich wieder zu malen - und ist bereit, dafür den geforderten Preis zu zahlen ...Ausgezeichnet mit dem Düsseldorfer Literatur Preis 2014.Ausgezeichnet mit dem Preis der LiteraTour Nord 2014.Ausgezeichnet mit dem Rheingau Literatur Preis 2013.Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2013.Nominiert für den Schweizer Buchpreis 2013.»Ein sehr gelungener Roman über die nie versiegende Leidenschaft zur Malerei,« (Maria Panzer, Lesart 4/2013)
Autorenporträt
Ralph Dutli, geb. 1954 in Schaffhausen (Schweiz), studierte Romanistik und Russistik in Zürich und Paris (Sorbonne), lebt seit 1994 in Heidelberg. Er ist Romanautor, Lyriker, Essayist, Biograph, Übersetzer und Herausgeber. Im Wallstein Verlag erschienen seine Romane »Soutines letzte Fahrt« und »Die Liebenden von Mantua«, eine Trilogie französischer mittelalterlicher Poesie des 13. Jahrhunderts (»Fatrasien«; »Das Liebesbestiarium«; »Winterpech & Sommerpech«) sowie seine »Kleinen Kulturgeschichten« zu Olivenbaum (»Liebe Olive«), Honigbiene (»Das Lied vom Honig«) und Gold (»Das Gold der Träume«). Außerdem der Band »Mandelstam, Heidelberg« mit Jugendgedichten des russischen Dichters Ossip Mandelstam und der Band der Liebesgedichte von Marina Zwetajewa (»Lob der Aphrodite«). Für seine Vermittlung moderner russischer Lyrik erhielt Ralph Dutli den Johann-Heinrich-Voß-Preis 2006 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, für seinen Roman »Soutines letzte Fahrt«, der in mehrere europäische Sprachen übersetzt und für den Deutschen wie für den Schweizer Buchpreis nominiert war, den Rheingau Literaturpreis 2013 und den Preis der LiteraTour Nord 2014, sowie den Düsseldorfer Literaturpreis 2014 für sein literarisches Gesamtwerk, den Erich Fried Preis 2018, den Deutschen Sprachpreis 2021 der Henning-Kaufmann-Stiftung und den Übersetzerpreis Ginkgo-Biloba für Lyrik 2023.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ganz verzaubert ist Beate Tröger von diesem im Jahr 1943 in Paris spielenden Roman von Ralph Dutli. Dessen Einfühlung in Leben und Werk des jüdischen Malers Chaim Soutine findet sie nicht nur äußerst gelungen. Der komplex konstruierte Text zeigt ihr auch einen Virtuosen der Sprache am Werk, der sich nicht dazu verführen lässt, Leerstellen in dieser faszinierenden, an bizarren Einzelheiten reichen Biografie durch Fiktion zu tilgen, sondern Distanz und weitreichende Einfühlung einander abwechseln lässt. Das Glühen des Textes, von dem die Rezensentin spricht, scheint nicht zuletzt hier seinen Ursprung zu haben.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.05.2013

Die Schönheit der Verzweiflung
Der Übersetzer Ralph Dutli hat seinen ersten Roman geschrieben: Die Prosa in „Soutines letzte Fahrt“ ist so farbstark wie der Maler, dem sie huldigt
Marc Chagall hört die Angstschreie der Tiere von den Pariser Schlachthöfen, verzaubert die Kühe und schickt sie als Fluggefährte in den Himmel. Auch der sechs Jahre jüngere Chaim Soutine, aus einem anderen Winkel Weißrusslands, zieht ins schäbig paradieshafte Künstlerhaus La Ruche, aber die Kühe des Landsmanns kann er nicht ausstehen. Er will zeigen, wie das Leben innen aussieht, schlachtet die Tiere auf seinen Stillleben mit Eingeweiden ein zweites Mal.
  Dafür wurde Soutine oft mit Unverständnis bestraft. Was für ein Tier! entsetzten sich Galeristen und Publikum lange. Diese Reaktion musste dem 1893 im schäbigen 400-Einwohner-Schtetl Smilowitschi bei Minsk geborenen Maler vertraut vorkommen. Schon, dass er überhaupt mit Kunst begonnen hatte, hatte dem zehnten von elf Kindern eines Flickschneiders wenig Lob eingetragen. Die Schöpfung will nicht gemalt werden, Gott hat sie geschaffen, war das Credo des Rabbis, bei dem der Vater sich Rat holte. Soutine setzte sich durch, gelangte über die Akademie in Vilnius nach Paris, doch während Malerkollegen wie Krémègne oder Soutines Jugendfreund Kikoine den guten Ruf der Seele Russlands geschickt für sich verwendeten, blieb der unüblich direkte Soutine ein Außenseiter. Er hatte den überlieferten Fotos zufolge dicke Lippen und buschige Augenbrauen, volles Haar und ausdrucksstarke Augen. Dass er vielen Zeitgenossen als „hässlich“ galt, zielte wohl eher auf das Ungehobelte, Ungepflegte seines Auftretens, das gegenüber seinem besten Pariser Freund – es war ausgerechnet der dandyhafte Modigliani – deutlich abfiel. Soutine soll kaum den Mund aufgemacht haben, war wohl auch gegenüber seinen Modellen fordernd und barsch.
  Ralph Dutli, 1954 geboren, Lyriker und einer der bekanntesten Übersetzer aus dem Russischen, hat jetzt dem Leben und Werk des Malers seinen ersten Roman gewidmet. Zentrales Handlungsgerüst ist die 24-stündige Fahrt, die Soutine kurz vor seinem Tod nach einem Magendurchbruch unternehmen musste. Er hatte das Magengeschwür, an dem er seit Jahren litt, nicht rechtzeitig behandeln lassen können. Marie-Berthe Aurenche, Soutines damalige Geliebte, die zuvor neun Jahre lang die Frau Max Ernsts gewesen war, wollte ihn am 6. August 1943 aus Chinon an der Loire nach Paris zum Arzt bringen, getarnt in einem schwarzen Leichenwagen, doch die vielen Kontrollposten zwangen zu immer neuen Umwegen. Die Gefahr war schon lange da. Soutines ehemalige Gefährtin, Gerda Groth, eine Deutsche, war als feindliche Ausländerin ins Lager Gurs deportiert worden. Soutine selbst war, dank Fürsprache von Freunden, wieder frei. Umso mehr lebte er in Angst, fühlte sich von der Pogrom-Atmosphäre seiner Jugend verfolgt.
  Aus der Perspektive der Bedrohung und des nahen Todes geschrieben – Soutine überlebte die strapaziöse Reise nur knapp und starb bei der Operation – ist „Soutines letzte Fahrt“ ein durchgehend aufgewühltes Buch geworden, spätexpressionistisch, passend zum Stil der Gemälde mit ihren aufgerissenen Tierkadavern und Porträts, auf denen die Porträtierten um Jahre gealtert zu sein scheinen. Soutines Bilder aus dem Pyrenäenort Céret, dem Kollegen Idyllen abgewannen, haben am ehesten mit van Gogh zu tun, nicht selten wirken die Farbwogen seiner Bilder noch rauer.
  Obwohl Soutine-Kenner Geschichten und Gestalten aus dem Leben des Malers wiedererkennen werden, geht es bei Dutli um kraftvoll pathetische Einfühlung statt um Biografie oder Bericht. Dutli versetzt sich in Soutine und Marie-Berthe, lässt sie, mitten zwischen den Besatzern, im langen schwarzen Wagen, fiebernd, morphiumgetränkt und ängstlich, Szenen aus ihrem Schicksal noch einmal durchleben. „Jetzt saß sie ihm gegenüber im Café, sie log, sie sei fünfundzwanzig, (. . .) aber ihre Lüge war schön und voller Verzweiflung. Bleiches Wrack einer gebrochenen, kaputten Muse. Max hatte sie gezwungen, ihr Kind abzutreiben, gestand sie ihm später, es war die reine Metzgerei, une boucherie, die die Abtreiberin für ein paar Francs mit Stricknadeln auf dem Küchentisch anrichtete.“ Das Verletzte an Marie-Berthe zieht Soutine an. „Dem Maler gefiel ihr schluchzender Hass auf jene, die sie betrogen hatten, in ihrer Wut erkannte er seine.“
  Eine leidenschaftliche, schwierige Liebesgeschichte. Dutli schafft es, nicht nur Soutine zu feiern, sondern auch die nicht minder launisch-problematische Marie-Berthe zu ihrem Recht kommen zu lassen.
  Wie Soutines Malerei ist Dutlis expressiv-poetischer Stil kaum jedermanns Sache, doch statt einen außergewöhnlichen Charakter auf das Gefühlsniveau eines friedlichen Museumsspaziergangs herunterzubrechen, geht Dutli auf bewundernswerte Weise aufs Ganze und versucht, den Rhythmus eines Menschen einzufangen, der exzessiv für seine Malerei lebte, seine Bilder wütend zerstörte, wenn sie ihm nicht mehr gefielen. Dabei, so Dutli, meinte Soutine immer sich selbst. „Es war seine Haut, die er abrieb, ritzte, quälte. Rau und schorfig.“
  Ähnlich obsessiv wie Soutine in seine Sujets, bohrt sich Dutli mit den Stilmitteln von Wiederholung und Variation in dessen Existenz. Das bringt Emphase und Durchhänger zugleich, auch die mysteriöse Figur des Geheimagenten, der Soutine überwachte und gegen Ende des Texts dem Ich-Erzähler auf mysteriöse Weise begegnet, ist nicht in allen Zügen gelungen, aber als Ganzes besticht diese eigenwillige Wiederbelebung des klassischen Künstlerromans für die Gegenwart durch das wagemutige Evozieren und Ausloten eines verfahrenen, bis an sein Ende eigenständigen Lebens. Unter den wenigen Trauergästen auf dem Friedhof von Montparnasse waren Max Jacob, Picasso und Jean Cocteau.
HANS-PETER KUNISCH
  
Ralph Dutli : Soutines letzte Fahrt. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 270 S., 19,90 Euro.
„Dem Maler gefiel ihr Hass
auf jene, die sie betrogen hatten,
in ihrer Wut erkannte er seine.“
Vorbesichtigung: Am 9. Mai 2013 wurde bei Christie’s in New York Chaim Soutines Bild „Le petit Pâtissier“ für 18 Mio. Dollar versteigert.
FOTO: REUTERS
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2013

Hunger, der anderen keinen Krümel lässt

Die Faszination springt über, aber das Geheimnis des Zaubers bleibt: Ralph Dutli nähert sich in seinem ersten Roman dem rätselhaften Werk von Chaim Soutine.

Der Anblick traf ihn wie ein Blitz. In Paris, wo Ralph Dutli von 1982 bis 1994 lebte, stieß er 1989 in den Schächten der Metro auf ein Ausstellungsplakat, das ein Gemälde der Kathedrale von Chartres zeigte. Das Bild von der "taumelnden Kathedrale" stammte von dem weißrussisch-jüdischen Maler Chaim Soutine, der, 1883 oder 1894 geboren, 1943 in Paris starb. Fünfundzwanzig Jahre nach dieser ersten Begegnung wird gegen Ende von Dutlis Romanerstling "Soutines letzte Fahrt" dieses Schlüsselerlebnis geschildert: "Es ist die Fixierung des einzigen Bildes, des alles entscheidenden Augenblicks. Die unermessliche Scham, die anwachsende Befremdung, auf der Welt zu sein. Die Verwaistheit aller Figuren, das Taumeln der Dinge in einer heillosen Welt."

Spürbar wird die Faszination des Autors für Soutines Werk schon in den ersten Sätzen dieses komplex gebauten Romans. Lange Jahre hat der 1954 in Schaffhausen geborene, heute in Heidelberg lebende Slawist und Romanist das Werk des russischen Dichters Ossip Mandelstam ins Deutsche übersetzt. Er hat als Biograph desselben, als Essayist und Lyriker Sprachen in ihren feinsten Facetten ergründet. "Soutines letzte Fahrt" führt Dutlis Kunst des Übersetzens, des Sich-Eindenkens und -fühlens in ein fremdes Werk, in gewissem Sinne weiter. Das Buch übersetzt mit profunder Kenntnis von Werk und Leben des Malers in Worte, was der Autor in den expressiven Gemälden sieht. Dabei ist sein Blick auf feinste Nuancen gerichtet: "Wenn im Französischen couleur und douleur, Farbe und Schmerz, so nah beieinanderliegen, was meinen Sie dann zur merkwürdigen Nachbarschaft von Farben und Narben im Deutschen? Sind die farbigen Wunden in der einen Sprache schmerzhaft, offenbar, gegenwärtig, durchpulsen die Haut und das sprachliche Gewebe, so zeugen sie in der andern von gewesenen Verletzungen, von geschlossenen Wunden, von der späten Erinnerung an den Schmerz."

Hier ist ein akribischer Sprachvirtuose am Werk. Dennoch verliert Dutli die Konzeption nie aus dem Blick. Sie könnte inspiriert sein von "Cherry Brandy", einer Erzählung Warlam Schalamows aus dem Jahr 1958 über den für Dutli so bedeutsamen, in einem sibirischen Arbeitslager internierten Mandelstam und dessen Gedanken in den Stunden vor seinem Tod. Auch "Soutines letzte Fahrt" wird von den letzten Lebensstunden her erzählt. Man schreibt das Jahr 1943, Frankreich ist unter deutschem Besatzungsregime. Der seit 1913 in Paris lebende Soutine wird gesucht, er hat die Stadt verlassen. Doch sein Magengeschwür macht eine Operation erforderlich. Versteckt in einem Leichenwagen wird er von Chinon an der Loire in eine Pariser Klinik transportiert. Mit ihm im Wagen ist seine Geliebte Marie-Berthe Aurenche, die frühere Frau von Max Ernst. Auf einer abenteuerlichen Fahrt voller Umwege erinnert sich der im Morphiumrausch delirierende Maler an sein Leben. Oft bruchstückhaft-verzerrt tauchen Menschen, Orte und Szenen vor dem inneren Auge auf.

Die Lebensgeschichte beginnt im Schtetl Smilavichy nahe Minsk. Als "der Vorletzte auf der Skala des Elends", als zehntes von elf Kindern, wird Soutine in eine bettelarme jüdische Schneiderfamilie hineingeboren. Früh beginnt er zu zeichnen, gegen den Willen der religiösen Eltern, die den Sohn an das Bilderverbot erinnern: "Malen soll nicht sein. Es ist für die Götzenanbeter, die sich berauschen an den bunten Statuen Baals und deren schmutzigen Farben. Es beleidigt das Auge, was schmierst du uns Farben ins Gesicht. ER hat uns aus bloßem Lehm gemacht, nur er, und uns das Leben eingehaucht." Doch Soutines Wunsch, Maler zu werden, ist stärker. Er studiert an der Akademie in Wilna, geht nach Paris, wo er in der von Gustave Eiffel erbauten, unter anderen auch von Marc Chagall und Ossip Zadkine bewohnten Künstlerkolonie "La Ruche" unterkommt. Ein Gefühl der Schuld wird ihn dennoch sein Leben lang begleiten.

Soutines Zeit in der Pariser Bohème, seine Liebesbeziehungen zu Gerda Groth-Michaelis, zu Jeanne Hébuterne, die später Selbstmord beging, und zu Marie-Berthe Aurenche, seine Freundschaft mit Amedeo Modigliani, die ersten Erfolge als Künstler nach Jahren in Armut, die Aufenthalte in Ceret und Cagnes-sur-Mer, in denen zahlreiche Bilder entstanden, sind allein schon großartiges Material für einen Roman, ebenso wie die bizarren Details, etwa die abenteuerliche Praxis, Stillleben im Atelier nachzustellen, Rinderhälften dort aufzuhängen, mit Eimern voll Blut und Formaldehyd zu arbeiten. Dutli schildert assoziativ die Entstehung mehrerer Gemälde von Menschen, Stillleben und Landschaften, die später Maler wie Willem de Kooning oder Francis Bacon beeinflusst haben, und denkt sich tief in die Fragmente und Artefakte dieses Lebens hinein.

Indem Dutli aber die schmerzverzerrte, todesnahe Perspektive wählt, bleibt ein Gran Zweifel an der Verlässlichkeit des Erzählten. Das ermöglicht bei aller Einfühlung Distanz. Wiederholt heißt es: "Niemand kennt den Weg. Keiner wird ihn je erfahren. Niemand kann wissen, wer der Mann im Leichenwagen ist. Es gibt nur die Bilder und nur jene, die er nicht zerfetzt und zu Asche verbrannt hat. Niemand kennt ihn. Den Heißhungrigen, der den anderen keinen Krümel lässt". Der Roman widersteht der Versuchung, Bruchstücke eines Lebens mit dem Faden der Fiktion zu einem geschlossenen Text zusammenzuheften. Leerstellen bleiben. Wenn Soutine in der Phantasie dem rätselhaften Doktor Bog in einer weißen Welt, die Krankenhaus und Gefängnis zugleich ist, begegnet und mit ihm streitet, gleitet er in einen anderen Bewusstseinszustand. In dieser Welt wäre er geheilt, würde ihm aber das Verbot auferlegt, je wieder zu malen. Sein Verlangen nach Farbe wird über den Wunsch nach Heilung siegen. Betrachtet man nach der Lektüre dieses glühenden Romans Soutines Werk, begreift man, wie präzise, subtil und phantasievoll Dutli dessen Geheimnisse erkundet, sie verwandelt, ohne sie preiszugeben. Die Faszination ist übergesprungen. Der Zauber bleibt.

BEATE TRÖGER

Ralph Dutli: "Soutines letzte Fahrt". Roman.

Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 272 S., geb., 19,90 [Euro].

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»Eine wunderbar komponierte Zeitreise durch die erste Hälfte des 20.Jahrhunderts.«(Eberhard Reuß, SWR2 Kultur, 7. März 2013)»Ein kühnes Romanunternehmen! Ralph Dutli wagt es und gewinnt.«(Beatrice von Matt, Neue Zürcher Zeitung, 09.03.2013)
»das traurigste und das poetischste Buch des Jahres« (Kurt Flasch, Süddeutsche Zeitung, 10.12.2013) »ein großartiger Roman« (Marie Louise Knott, Deutschlandfunk, 30.07.2013) »ein glühender Roman« (Beate Tröger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.06.2013) »Dutli est un conteur hors pair.« (Florence Noiville, Le Monde Literatur-Beilage, 26.08.16) »Ein kraftvolles literarisches Portrait des immer noch unterschätzten Malers Soutine, das durchaus zur wiederholten Lektüre einlädt.« (Ludwig Petry, Deutsche Lehrer im Ausland, September 2018)