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Von den hohen Idealen Alexander von Humboldts bis zum erbitterten Streit um das Humboldt Forum führt ein langer und verschlungener Pfad durch die deutsche Geschichte. Kaum etwas illustriert ihn besser als die ethnologische Sammlung des Berliner Museums - mit 500.000 Objekten eine der größten der Welt. H. Glenn Penny schildert in seinem erhellenden Buch, wie diese gigantische Sammlung entstanden ist, was für Motive dahinter standen und warum ihre ursprüngliche Idee bis heute kaum beachtet wird. Sein Buch ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Versachlichung der Debatte um das koloniale Erbe der…mehr

Produktbeschreibung
Von den hohen Idealen Alexander von Humboldts bis zum erbitterten Streit um das Humboldt Forum führt ein langer und verschlungener Pfad durch die deutsche Geschichte. Kaum etwas illustriert ihn besser als die ethnologische Sammlung des Berliner Museums - mit 500.000 Objekten eine der größten der Welt. H. Glenn Penny schildert in seinem erhellenden Buch, wie diese gigantische Sammlung entstanden ist, was für Motive dahinter standen und warum ihre ursprüngliche Idee bis heute kaum beachtet wird. Sein Buch ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Versachlichung der Debatte um das koloniale Erbe der deutschen Museen.

Es ist eine tragische Geschichte, und sie beginnt - wie so oft in Deutschland - mit großen Ambitionen: Auf den Spuren Humboldts tragen Ethnologen Objekte aus der ganzen Welt zusammen, um ein "Laboratorium" der Menschheitsgeschichte zu schaffen. Es soll das Erbe bedrohter Kulturen bewahren und den aufkommenden rassistischen Ideen Einhalt gebieten. Doch schon bald geraten die Sammler in den Sog des Kolonialzeitalters und schließen Teufelspakte, damit ihr Bestand schneller wächst. Auch die ursprüngliche Vision verändert sich: Wilhelm von Bode macht aus der Denkwerkstatt ein bloßes Schaumuseum. Und wie heute wieder wird das Museum schon bald zum Schauplatz politischer Instrumentalisierungen, bei denen es um Diskursmacht geht, aber nicht um die Bedeutung der Sammlung selbst.
Autorenporträt
H. Glenn Penny ist Professor of Modern European History an der Universität Iowa und Spezialist für die Beziehungen zwischen Deutschland und den nicht-europäischen Kulturen. 2002 hat er das Standardwerk "Objects of Culture: Ethnology and Ethnographic Museums in Imperial Germany" vorgelegt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2019

Lasten einer Sammelwut

Forscher im Zwielicht: H. Glenn Pennys Geschichte der deutschen Ethnologie zeigt, wie man das Geld für den Bau des Humboldt-Forums besser hätte verwenden können.

Durch die Raubkunst- und Restitutionsdebatte der letzten Jahre sind die Völkerkundemuseen im deutschsprachigen Raum in Misskredit geraten. Dass die meisten von ihnen schon lange ihre alten Namen gewechselt und sich neuen Konzeptionen verschrieben hatten, nutzte ihnen nur wenig. Die Vorwürfe richteten sich gegen den Kern der Institution: ihre Sammlungen. Die Museen hätten sich der Kolonialregime bedient, um sich das Kulturerbe außereuropäischer Völker widerrechtlich anzueignen, so las und liest man immer wieder. Der amerikanische Wissenschaftshistoriker H. Glenn Penny hat die sich zuspitzende Auseinandersetzung während seiner Zeit am Berliner Wissenschaftskolleg verfolgt. Absicht seines Buches ist es, diese und andere Behauptungen mit der historischen Realität abzugleichen. Und die sah nun tatsächlich etwas anders aus.

Wie oft habe er sich darüber aufgeregt, wenn "unwissende Laien" Afrikaner als "Wilde" bezeichneten, gäbe es auf dem Kontinent doch "keine anderen Wilden als einige tollgewordene Weiße", deren Einfluss auf das alte Afrika wie zersetzendes Gift gewirkt habe. Diese Äußerung stammt von Felix von Luschan, der seit 1880 am Berliner Völkerkundemuseum in leitender Position tätig war. In der gegenwärtigen Diskussion gilt er als Hehler, ließ er sich doch keine Gelegenheit entgehen, die auf dem freien Markt erhältlichen Bronzen und Elfenbeinarbeiten zu erwerben, die britische Truppen 1897 bei Einnahme des westafrikanischen Königreichs Benin erbeutet hatten. Schließlich besaß sein Museum fast doppelt so viele Benin-Bronzen, als in London verblieben waren. Als ausgebildeter Arzt und Pathologe hatte von Luschan sich überdies eine umfangreiche Schädel- und Knochensammlung aus den Kolonialgebieten zugelegt, die unter höchst fragwürdigen Umständen zustande gekommen war. Zum Teil handelte es sich um Grabräubereien, zum Teil um die sterblichen Überreste der während des Herero-Kriegs gefallenen Aufständischen.

Von Luschan nutzte sie jedoch zu einem auch im heutigen Sinn guten Zweck. Mit seinen anatomisch-anthropologischen Studien versuchte er die damals grassierenden Vorurteile über die angebliche "Minderwertigkeit" anderer "Rassen" zu widerlegen. Auch seine Leidenschaft für die Benin-Bronzen war nicht nur Ausdruck reiner Sammelgier. Sie entsprang vielmehr seiner Begeisterung für die Kunst des westafrikanischen Königreichs, die er als einer der Ersten in ihrer Bedeutung zu würdigen verstand. Anfangs waren die von den Offizieren und Soldaten als "Andenken" verschleppten Stücke billig zu haben. Doch je mehr der international angesehene Ethnologe von ihnen ersteigerte, desto höher stieg ihr Marktwert. Wahrscheinlich wären die meisten von ihnen für immer verlorengegangen, so bemerkt Penny, hätte er nicht die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt.

Von Luschans zwiespältiges Verhalten, das sich mit den moralischen Kategorien von heute nur schwer fassen lässt, ist nur eines der vielen Bespiele, die Penny gegen eine allzu einfache Sichtweise anführt. Auch der in Deutschland geborene Begründer des amerikanischen Kulturrelativismus Franz Boas, der sein Leben lang gegen Rassismus, biologischen Determinismus, und Antisemitismus kämpfte, setzte Schädelvermessungen ein, um seine Gegner mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Ebenso wie Felix von Luschan war auch er stark von den liberalen Ideen Adolf Bastians geprägt, einer charismatischen Persönlichkeit, in der Penny den eigentlichen Gründervater der deutschen Ethnologie sieht.

Bereits in jungen Jahren hatte Bastian als Schiffsarzt die ganze Welt bereist, und ein unermüdlicher Reisender und Sammler ist er bis ins hohe Alter geblieben. Auf seine Initiative ging das Dekret zur Gründung des aus den Sammlungen der Brandenburgisch-Preußischen Kunstkammer hervorgegangenen Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin zurück, zu dessen erstem Direktor er 1876 ernannt wurde. Doch sollten bis zur Fertigstellung eines eigenen Gebäudes noch zwanzig Jahre vergehen. Bastian nutzte die Zeit zu weiteren großen Sammelreisen, die ihn mehrfach um den Erdball führten.

Mit den materiellen Kulturgütern der seiner festen Überzeugung nach vom unmittelbaren Aussterben bedrohten schriftlosen Völker hoffte er seine ehrgeizige Idee eines Museums der ganzen Menschheitsgeschichte verwirklichen zu können. Mit ihrer Hilfe wollte er nachweisen, dass der Vielfalt kultureller Schöpfungen überall derselbe menschliche Geist zugrunde lag. Mit dieser Konzeption bezog Bastian nicht nur gegen die kolonialideologisch geprägten evolutionistischen Kulturtheorien der Zeit Stellung, sondern auch gegen alle jene, die behaupteten, man könne "höher"- und "minderwertige Rassen" voneinander unterscheiden. Doch scheiterte die museale Umsetzung seiner Vision paradoxerweise gerade an der Fülle der ethnographischen Objekte, zu deren Beschaffung er auch ein globales Netzwerks ihm gewogener lokaler Sammler hatte einrichten können. Das 1886 feierlich eröffnete neue Museumsgebäude vermochte sie schon wenige Jahre später kaum mehr zu fassen. Das hinderte die Leitung des Museums aber nicht daran, bereits wenige Jahre nach der Gründung der ersten deutschen Kolonien einen Regierungserlass zu erwirken, der die Kolonialverwaltungen dazu verpflichtete, ihr alle durch Krieg oder Handel erworbenen Artefakte zu überlassen. Eine der Folgen dieser von Penny zu Recht als "Teufelspakt" bezeichneten Maßnahme war es, dass die Sammlung nun wirklich aus allen Nähten platzte. Die Räume waren so vollgestellt, dass sich das Publikum durch die engen Gänge kaum mehr fortbewegen konnte. Die Baupolizei drohte wiederholt damit, sie zu schließen, während die Presse sich über das im Museum herrschende Chaos lustig machte.

Trotz des Verlustes der deutschen Kolonien hielt der Zustrom von ethnographischen Artefakten auch nach dem Ersten Weltkrieg weiter an. Vor allem in Mittel- und Südamerika, aber auch in anderen Teilen der Welt wurde von Ethnologen weiter in der Tradition Bastians geforscht und gesammelt. Doch nahm das Interesse der Öffentlichkeit an den völkerkundlichen Sammlungen allmählich ab. Dem suchte man dadurch zu begegnen, dass man weitere Maßnahmen ergriff, die Penny zufolge kaum im Sinne des 1905 verstorbenen Museumsgründers gewesen sein dürften. Dazu gehörte etwa die Aufteilung der Bestände in eine für die Öffentlichkeit bestimmte Schausammlung und die Verbannung der weniger attraktiven Stücke in das 1921 in Dahlem eingerichtete Depot. Entschieden verwerflicher waren freilich die Pakte, die einige Vertreter des Fachs nach 1933 mit damals "politisch korrekteren" Fächern wie der "Rassenbiologie" oder der sozialdarwinistisch ausgerichteten deutschen "Sozialanthropologie" eingingen.

Die Last der Riesenbestände, die bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sorgsam eingebunkert worden waren, zeigte sich erneut nach 1945. In Berlin war das im Stadtzentrum gelegene Völkerkundemuseum zerstört worden. In den beengten Räumen des Dahlemer Depots konnte bis zu seiner Erweiterung in den siebziger Jahre nur ein winziger Bruchteil der bald eine halbe Million zählenden Stücke öffentlich ausgestellt werden. Wie wenig die Museumskustoden selbst über ihre Sammlungsstücke wussten, deren wissenschaftliche Dokumentation durch den notorischen Mangel an Geld und Personal auch früher schon immer wieder aufgeschoben worden war, erwies sich, als etwa 50 000 Objekte, die von sowjetischen Truppen als Kriegsbeute nach Leningrad verbracht worden waren, zunächst an das Leipziger Grassi-Museum und nach der Wende an das Berliner Museum zurückgegeben wurden. Da Objektbeschriftungen und Inventarlisten zu einem großen Teil verlorengegangen sind, weiß man bis heute nicht genau, was sich in einigen der immer noch nicht vollständig ausgepackten Kisten befindet.

Wie wertvoll die von Generationen von Ethnologen oft unter fragwürdigen Umständen angehäuften, aber vor der Zerstörung bewahrten Dinge inzwischen geworden sind, beweist Penny zufolge die große Wertschätzung, die ihnen heute von ihren Herkunftsgesellschaften entgegengebracht wird. Rückforderungen würden von ihnen oft gar nicht erhoben, wenn ihr sachgemäßer Erhalt und die Kooperation mit den Museen sichergestellt seien. Umso wichtiger wäre es gewesen, hätte man in die Hebung, Dokumentation und wissenschaftliche Bearbeitung der Objekte auch nur einen Teil der mehr als eine halbe Milliarde Euro fließen lassen, den der Bau des Humboldt-Forums schon vor seiner Eröffnung verschlungen hat.

Pennys Abhandlung gerät so zu einer Ehrenrettung der Leistungen der deutschen Völkerkunde, die zwar durchaus kritisch ist, aber dennoch viele der historisch nicht haltbaren Urteile korrigiert, die in der jüngsten Debatte vorgebracht worden sind. Da sie zudem sehr lesbar geschrieben ist, bleibt nur zu hoffen, dass Pennys differenzierte Argumente auch bei jenen Kulturpolitikern Gehör finden, die sich bisher nur an den lautstärksten Stimmen und Forderungen orientiert haben.

KARL-HEINZ KOHL

H. Glenn Penny:

"Im Schatten Humboldts." Eine tragische Geschichte der deutschen Ethnologie.

Aus dem Englischen von Martin Richter.

C. H. Beck Verlag, München 2019. 287 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Karl-Heinz Kohl empfiehlt das Buch des amerikanischen Wissenschaftshistorikers H. Glenn Penny für einen besseren Blick auf die gescholtene deutsche Völkerkunde. Mit Pennys differenzierten, nie unkritischen Argumenten in lesbarer Form kommen Völkerkundler wie Felix von Luschan oder Adolf Bastian und ihr Einsatz für die Ethnologie zu ihrem Recht, findet Kohl. Indem der Autor die historische Realität mit den moralischen Urteilen von heute abgleicht, gelingt ihm laut Rezensent eine Ehrenrettung der Wissenschaftler.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.08.2019

Das Archiv der
Elementargedanken
Der amerikanische Historiker H. Glenn Penny schildert die
„tragische Geschichte der deutschen Ethnologie“
VON ULRICH VAN LOYEN
Als der ehemalige Schiffsarzt Adolf Bastian im Jahr 1873 mit einigen Verbündeten das Völkerkundemuseum in Berlin gründete, hatte er nichts Geringeres im Sinn, als ein „universales Archiv der Menschheit“ zu schaffen. Was immer darin zusammengetragen werde, sollte als materieller Ausdruck von „Elementargedanken“ wahrgenommen werden. Das Beispiel machte Schule. Adolf Bastian, unermüdlich reisend und stets mit allen entscheidenden Institutionen und Gelehrten in Verbindung, wurde zur prägenden Gestalt für eine ganze Reihe ethnologischer Museen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland entstanden: Nie sollten sie nur das Fremde darstellen, immer sollte das Gemeinsame sichtbar werden.
Im selben Sinn wandten sich seine Mitarbeiter und Nachfolger, vor allem Felix von Luschan und Karl von den Steinen, gegen die „wertlosen Curiositätenkabinette“ und „Schausammlungen“, die Bastians Gegenspieler, der mächtige Berliner Museumsdirektor Wilhelm von Bode, bevorzugte.
So erfolgreich war Adolf Bastians Idee, die bunte Vielfalt der Völker und Kulturen als Äußerungen eines sich diversifizierenden Weltgeistes darzustellen, dass die daraus entstehenden Sammlungen die jeweiligen Museumsbauten bald überforderten. Am Ende musste man sich mit der Teilung der Bestände in Publikumsschauen und Depots anfreunden, wobei letztere bald von der darin verwahrten materiellen Kultur überschwemmt wurden. Der Weltgeist war in seinen Emanationen nicht zu bändigen. Die Folgen reichen bis heute. Das Berliner Völkerkundemuseum wird nun im Humboldt-Forum, im Simulakrum des Preußenschlosses, seine dritte Heimat finden, nachdem es zuerst im Neuen Museum an der Stresemannstraße und dann im Dahlemer Ethnologischen Museum zu Hause gewesen war. Es wird über mehr Ausstellungsfläche und mehr Raum in den Depots verfügen. Doch gleichwohl: „Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“, diesen Vers werden Berliner Museumsethnologen vermutlich noch häufig anstimmen.
„Im Schatten Humboldts“ lautet der Titel einer „tragischen Geschichte der deutschen Ethnologie“, in der H. Glenn Penny, Historiker an der Universität von Iowa, von der Entstehung völkerkundlicher Sammlungen in Deutschland berichtet. Sie stellt sich ihm als eine lange Abfolge erzwungener Kompromisse und taktischer Kollaborationen dar, wobei Adolf Bastians Grundüberzeugungen indessen erhalten bleiben.
Diese Erkenntnis ist umso bedeutsamer, als die Überzeugung, bei der Ethnologie handele es sich um eine Art Kolonialwissenschaft, nicht nur beim allgemein gebildeten Publikum, sondern sogar an Universitäten verbreitet ist. Bei Glenn H. Penny erfahren wir hingegen nicht nur von einer Zeit, in der das Sammeln noch half, weil man etwa anhand der Benin-Bronzen die Gleichwertigkeit afrikanischen Kunstschaffens dokumentieren konnte. Oder weil in nichtkolonialen Kontexten Tauschen und Sammeln gegenseitige Anerkennung und damit eine gemeinsame, da geteilte Welt entstehen ließ (man studiere die liebenswürdige Korrespondenz zwischen Friedrich Wilhelm III. und dem hawaiianischen König Kamehameha III.). Vielmehr lernen wir auch, dass die Absage an eine Trennung zwischen Kultur- und Naturvölkern die Museumsdirektoren keineswegs davor bewahrte, kolonialistische Infrastrukturen für die eigene Sammlungstätigkeit auszunutzen.
H. Glenn Pennys Buch „Im Schatten Humboldts“ ist im engeren Sinn das Werk eines Historikers. Er bleibt seinen Protagonisten nah, er folgt den Wissenschaftlern aus ihren Monografien in ihre Briefe und Tagebücher. So wird auch deutlich, wie die Museumsleute dem sprichwörtlichen Herzen der Finsternis, also dem Umschlagen von Aufklärung in Barbarei, entgingen: Weil sie sich und ihre Arbeit mit einem kosmopolitischen Deutschland identifizierten und im Auftrag einer die Menschheit umfassenden Universalgeschichte zu handeln meinten. Im Kapitel über Franz Termer (1894 – 1968), den Mittelamerikaforscher und späteren Direktor des Hamburger Museums für Völkerkunde, ist ferner zu erkennen, wie der Glaube an die eigene Unkorrumpierbarkeit den deutschen Ethnologen gleichermaßen als Schutz diente, wie er ihnen zum Verhängnis wurde. Denn sie sprechen über ihre Zeit im Nationalsozialismus nicht anders, als es die Vertreter der Kirchen tun: Man machte mit, um das Gute des eigenen Auftrags nicht zu gefährden.
Die streng geschichtswissenschaftliche Anlage des Buchs sorgt indes auch für ein Problem. Im Vergleich etwa zu den Werken James Cliffords, eines anderen Historikers der Ethnologie, fällt auf, wie wenig sich Glenn H. Penny der historischen Einbildungskraft bedient. Diese aber ist notwendig, um nachzuvollziehen, wie die Überzeugung, dem Weltgeist zur Hand zu gehen, indem man die Zeugnisse der verstreuten Elementargedanken rettet, in die Gründung von riesigen Archiven übergeht.
Es braucht sie ferner, um die Idee zu verstehen, dass sich die so gesammelten Gegenstände im Museum gleichsam gegenseitig anschauen sollten – wodurch, so glaubte man, dann im Betrachter so etwas wie Erkenntnis entstehe. Tatsächlich war das Deutsche Reich auch ein riesiges Konglomerat von Archiven. Nirgendwo sonst gab es eine solche Anzahl und Fülle ethnologischer Museen. Und selbstverständlich bereitete die Idee von Selbstfindung durch Weltrettung (und Welteroberung) nicht nur die spezifisch deutsche Mischung aus Heroismus und Verbrechen vor. Vielmehr sorgte sie auch dafür, dass man sich von den Folgen entlastet sah – man hatte ja mit bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Wenn man heute die Diskussion um die Rückgabe von Gegenständen verfolgt, die durch Kolonialbeziehungen in die Museen gekommen sind, bemerkt man, wie sehr dieses Motiv weiterwirkt.
H. Glenn Penny glaubt, dass ethnologische Museen ihr ursprüngliches Versprechen nach wie vor einlösen können: Dann nämlich, wenn an die Stelle der Rückgabe, die historische Verstrickungen bereinigen soll und es doch nicht kann, tatsächlich eine Zusammenarbeit von Indigenen, Kuratoren und Ethnologen träte. Wissenschaft, Ritual und Politik sollen also zusammenfinden. Aber werden Museen nicht überfordert, wenn sie eine Rolle als globale Friedensmacht spielen sollen?
In dieser Idealisierung des Museumswesens erscheint das zweite Problem dieses Buches. Es verengt die Geschichte der deutschen Ethnologie auf die Sammlungs- und Museumsgeschichte, auf das Motiv vom verlorenen und wiedergefundenen Schatz. Es träumt einen ahistorischen Traum. Dem wäre der Autor vermutlich entgangen, hätte er die „Völkerpsychologie“ in seine Betrachtungen einbezogen. Denn sie stellte, etwa in Gestalt der Werke von Heymann Steinthal und Moritz Lazarus, gleichsam das philologische Seitenstück zu Adolf Bastians Vorhaben dar.
Ebenso wenig geht H. Glenn Penny auf Leo Frobenius ein. Dieser hatte um das Jahr 1900 die „Kulturmorphologie“ erfunden, von der die antikoloniale Bewegung der Négritude inspiriert wurde. Trotzdem hat Frobenius mit dem Kriegskaiser Wilhelm II. in dessen Exil im niederländischen Doorn Holz gehackt. Und schließlich gab es im Westberlin der 1970er-Jahre eine postkoloniale Ethnologie, die auch das Ausstellungswesen revolutionierte.
Da solche Referenzen fehlen, mangelt es H. Glenn Pennys Buch an einem Raum, in den die Ambivalenzen Adolf Bastians und seiner Nachfolger einzuordnen wären. Stattdessen wird, wie so oft, Alexander von Humboldt angerufen, der inzwischen zu einem deutschen Warenzeichen für Weltoffenheit und internationale wissenschaftliche Kooperation geworden zu sein scheint – derselbe Alexander von Humboldt, der die Chaymas im heutigen Venezuela mit Hunden verglich und andere „Ureinwohner (…) auf der tiefsten Stufe tierischer Rohheit“ ansiedelte. Vielleicht war das aus verlegerischen Gründen unabdingbar, damit sich die Geschichte der deutschen Ethnologie in die Feierlichkeit zum 250. Geburtstag Humboldts fügte. Dadurch aber entsteht eine Belastung für das Buch H. Glenn Pennys. Tatsächlich hat er ein aufschlussreiches Kapitel innerhalb der Geschichte dieser Ethnologie geschrieben – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
H. Glenn Penny: Im Schatten Humboldts. Eine tragische Geschichte der deutschen Ethnologie. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Martin Richter. Verlag C. H. Beck, München 2019. 287 Seiten, 26,95 Euro.
Sie glaubten, im Auftrag einer
die Menschheit umfassenden
Universalgeschichte zu handeln
Alexander von Humboldt wird
auch hier als Warenzeichen der
Weltoffenheit bemüht
Vor dem Umzug ins Humboldt-Forum: Masken, Tierfiguren und Ahnenpfähle aus Ozeanien im Depot des Berliner Ethnologischen Museums.
Foto: picture alliance / dpa
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"Ein wichtiger Beitrag zur Debatte."
Damals, Heike Talkenberger

"Erstaunlich viel und Vergnügliches über die Geschichte der Berliner Sammlungen und der deutschen Ethnologie."
Die Tageszeitung, Sabine Seifert

"Mit Im Schatten Humboldts beweist Penny sein erzählerisches Können: Die deskriptiven Passagen sind spannend geschrieben, der Zugriff über Objektbiographien und wichtige Akteure lassen die Inhalte greifbar werden."
h-soz-kult, Anna Valeska Strugella

"Die packend erzählte Geschichte der ethnologischen Frühzeit spart nicht mit Kritik an den gegenwärtigen Berliner Museumsverhältnissen. Den Stand der Diskussion um das Humboldt-Forum skizzierend, bemängelt Penny die allzu durchsichtigen Intentionen der Planer."
Falter, Matthias Dusini

"Liefert Denkanstöße zum Umgang mit dem vergifteten Erbe vieler Museen."
P.M. History

"Ein Plädoyer, sich wieder auf den wissenschaftlichen Anspruch der Ethnologie zu besinnen."
ZEIT Geschichte