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Der Tod ist ins Sommerhaus eingekehrt. Krebs, Selbstmord, ein plötzliches Dahinscheiden. Sterbende Männer um eine Frau: Alice. Statt Müdigkeitsleben wie in den früheren Büchern, Lebensmüdigkeit.
»Die Planeten laufen langsam. Aber sie machen ihre Transite. Und dann ändert sich dein ganzes Leben.«
»Die Planeten laufen langsam. Aber sie machen ihre Transite. Und dann ändert sich dein ganzes Leben.« Wenn jemand geht, der dir nahe ist, ändert sich dein ganzes Leben, es ändert sich, ob du willst oder nicht. Alles wird anders. Alice ist die Heldin dieser fünf Geschichten, alle erzählen von ihr
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Produktbeschreibung
Der Tod ist ins Sommerhaus eingekehrt. Krebs, Selbstmord, ein plötzliches Dahinscheiden. Sterbende Männer um eine Frau: Alice. Statt Müdigkeitsleben wie in den früheren Büchern, Lebensmüdigkeit.

»Die Planeten laufen langsam. Aber sie machen ihre Transite. Und dann ändert sich dein ganzes Leben.«
»Die Planeten laufen langsam. Aber sie machen ihre Transite. Und dann ändert sich dein ganzes Leben.«
Wenn jemand geht, der dir nahe ist, ändert sich dein ganzes Leben, es ändert sich, ob du willst oder nicht. Alles wird anders. Alice ist die Heldin dieser fünf Geschichten, alle erzählen von ihr - und davon, wie das Leben ist und das Lieben, wenn Menschen nicht mehr da sind. Dinge bleiben zurück, Bücher, Briefe, Bilder, und ab und zu täuscht man sich in einem Gesicht. Lebenswege kreuzen sich, ändern die Richtung und werden unwiederbringlich auseinandergeführt.
Die Autorin von »Sommerhaus, später« und »Nichts als Gespenster« schreibt Geschichten von ungeheurer Kraft und großer literarischer Schönheit.
Autorenporträt
Judith Hermann wurde 1970 in Berlin geboren. Ihrem Debüt 'Sommerhaus, später' (1998) wurde eine außerordentliche Resonanz zuteil. 2003 folgte der Erzählungsband 'Nichts als Gespenster'. Einzelne dieser Geschichten wurden 2007 für das Kino verfilmt. 2009 erschien 'Alice', fünf Erzählungen, die international gefeiert wurden. 2014 veröffentlichte Judith Hermann ihren ersten Roman, 'Aller Liebe Anfang'. 2016 folgten die Erzählungen 'Lettipark', die mit dem dänischen Blixen-Preis für Kurzgeschichten ausgezeichnet wurden. Für ihr Werk wurde Judith Hermann mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter dem Kleist-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis. 2021 erschien der Roman 'Daheim', der für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde, und für den Judith Hermann mit dem Bremer Literaturpreis 2022 ausgezeichnet wurde. Zuletzt erschien 2023 bei S. FISCHER 'Wir hätten uns alles gesagt', basierend auf den Frankfurter Poetikvorlesungen, die Judith Hermann im Frühjahr 2022 hielt. Die Autorin lebt und schreibt in Berlin. Literaturpreise: Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2023Preis der LiteraTour Nord 2022Bremer Literaturpreis 2022Rheingau Literatur Preis 2021Blixenprisen 2018 für 'Lettipark'Erich-Fried-Preis 2014Friedrich-Hölderlin-Preis 2009Kleist-Preis 2001Hugo-Ball-Förderpreis 1999Förderpreis zum Bremer Literaturpreis 1999
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung Audio-Rezension

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2009

Ist Judith Hermann noch zeit gemäß?
Warum man sich wie in einer Filiale von "Blume 2000" fühlt

Jetzt ist es also passiert: Jahre der Judith-Hermann-Kopierversuche unter jüngeren deutschen Schriftstellerinnen haben dazu geführt, dass jetzt auch Judith Hermann sich selbst kopiert. Vielleicht musste es so kommen. Der Erfolg war einfach zu groß, damals, 1998, als "Sommerhaus, später" erschien und dieser neue Ton in die Welt kam. Dieses wunderbare, reduzierte und stimmungsvolle Deutsch der Judith Hermann. Und ihre Geschichten aus dem neuen Berlin, aus dem Berlin der tausend Möglichkeiten, Mitte der neunziger Jahre, einer Welt im Umbruch, Geschichten aus dem Leben ihrer dreißigjährigen Bewohner, die sich von Leben zu Leben träumten, rauchten, die Frankfurter Allee herunterfuhren und hinauf. Man musste nur warten und leben und im Sommer an die Seen hinausfahren. Das Erscheinen Judith Hermanns auf der Bühne der deutschen Literatur war ein Ereignis. Alle Hoffnung auf das neue Berlin und die Möglichkeiten des gegenwärtigen Schreibens waren darin. Idioten schrieben ihren Erfolg ihrem Autorenfoto mit Pelzkragen zu. Aber es war ihre Sprache. Und ihre Sicht auf das Leben.

Der Erfolg des Buchs war ungeheuer, und mit ihm kamen auch all die jungen Epigoninnen in die Welt, die glaubten, man brauche nur etwas Nebel, Tee und Zigarettenrauch, und schon habe man einen schönen, kleinen Judith-Hermann-Erfolg sicher.

Judith Hermann selbst blieb von all dem zunächst scheinbar unbeeindruckt. Sie entzog sich dem Betrieb, schwieg lange und brachte 2003 einen neuen Erzählungsband "Nichts als Gespenster" heraus. Den Ton hatte sie über die Jahre wie in einem Kästchen gut verwahrt, fast unverändert kam er wieder heraus. Die Menschen in den Geschichten waren fünf Jahre älter geworden, sie lebten jetzt in einem Zwischenreich, waren in einem Alter, in dem das Leben Festlegungen zu fordern schien, doch sie waren dazu nicht bereit. Luftmenschen, mehr denn je. Doch die schöne, mondän genossene Traurigkeit von einst war schon bedrohlicher geworden, dunkler. Die Schönheit aber, die Schönheit der Sprache war die gleiche geblieben.

Und jetzt also: "Alice", ein Buch vom Sterben und vom Tod. Man kann das ja gar nicht fassen, wie schnell das ging, wenn man auf dieses "Werk", auf dieses Judith-Hermann-Jahrzehnt blickt, wie schnell, vom Alles-Möglichen, über das Widerständig-Flüchtende bis hin zum Tode. Schnelles Leben, schnelles Ende, die Hoffnungen sind verflogen, das Leben geht vorbei, ehe es so richtig angefangen hat. War es das? Schon?

Dieses Staunen steht am Anfang beim Lesen des neuen Judith-Hermann-Buches und dann schnell eine große Enttäuschung. Alles in diesem Buch deutet darauf hin, dass hier eine Autorin das Zutrauen in ihre Kunst, in ihre Sprache verloren hat. Zunächst denkt man noch, es liegt vielleicht an Zweibrücken, dem Schauplatz der ersten Geschichte. Alles ist eng, bedrängend, muffig und klein, eine Schönheit wird immer wieder tapfer behauptet, eine Schönheit wie einst: "Schöne Scheibenwischer, Musik aus dem Radio, Regional-Sender, unwichtiges Plappern, ein Gong, dann Schlager." Wer noch nie über die Schönheit von Scheibenwischern nachgedacht hat, fängt hier vielleicht damit an. Oder er wundert sich. Aber zunächst einmal geht es ja ums Sterben. "Aber Micha starb nicht", so fängt es an, doch Micha wird sterben, wie jede andere Titelfigur der fünf neuen Geschichten. Denn Alice ist gekommen, Alice ist ein Todesengel, wo sie auftaucht, wird das Sterben bald beginnen. Sie kündet es selbst an, schon nach wenigen Seiten: "Micha würde sterben, weil sie kam." Früher war Alice einmal mit Micha zusammen, in einem Urlaub vor langer Zeit hatten sie sich getrennt, ohne Grund, einfach so. Jetzt kommt sie an sein Sterbebett, seine Frau hatte sie gebeten zu kommen. Sie schweigen viel miteinander, Alice erinnert sich an den Zauberer, der der Sterbende einst war, der Atem wird dünner, der Tod kommt. Am Ende steigt Alice in ein schwarzes Taxi, "eine Limousine mit dunklen Scheiben", ein Hadesmobil. Es ist das erste Mal, dass Judith Hermann mit so einer billigen Symbolik arbeitet, überhaupt mit Symbolik. Der Zauber ihrer früheren Geschichten war das Einfach-so. Der neue Band hat ein Konzept. Nichts war den ersten zwei Büchern ferner. Das macht das neue Buch so eng, wie gefesselt liest es sich, in ein Korsett gepresst.

Das ändert sich auch nicht nach der Flucht aus Zweibrücken. Auch in Italien, wo Alice einen siebzigjährigen Herrn namens Conrad trifft, den Hermann nach dem Vorbild des Kritikers Reinhard Baumgart erfunden haben soll, und dieser Conrad vor Aufregung über die Ankunft von Alice stirbt, auch da ist wenig Welt, wenig Luft, nur Menschen aus Papier. Als Conrad im Krankenhaus stirbt, liegt Alice in seinem Haus, auf seinem Bett, draußen scheint die Sonne hell, doch ihr Zimmer ist verdunkelt, durch die Läden fällt ein kleines Licht, dasselbe Licht, das einst Conrad sah. Alice sieht es und fasst es nicht: "Hinter dieser simplen Tatsache schien sich etwas Ungeheuerliches zu verbergen, und sie kam nicht gleich darauf, was das sein könnte."

Tränen und Marmelade.

Warum soll sich jetzt plötzlich hinter allem etwas verbergen? Warum traut die Autorin ihrer Kunst nicht mehr? Alle Leichtigkeit ist dahin. Es gibt auch kaum noch Musik im neuen Buch. Das war eines ihrer beliebtesten Mittel, um Stimmungen heraufzubeschwören. Im neuen Buch sind es: Blumen. Keine Ahnung, warum. Jede Stimmung eine Blume, oder drei, oder vier: "Die Halle war schattig, die Farben der Blumen dunkel, dunkles Weiß der Lilien, dunkles Rosa von Gerbera, dunkles Irislila, Kamille. Löwenmäulchen. Sonnenblumen." Da dämmert es dahin, das dunkle Weiß, und schon auf der nächsten Seite werden Pfingstrosen gekauft. Man fühlt sich wie in einer Filiale von "Blume 2000".

Es ist, als hätte jemand die Judith Hermann von einst gekapert und in eine Judith-Hermann-Maschine verwandelt, so routiniert lesen sich ihre Weltverzauberungsversuche heute. Wenn sie einen Kiosk beschreibt, soll alles leuchten, dabei ist es nur banal und alltäglich. "So wie es ist, ins Museum schaffen", sagt da einer, als kommentiere die Autorin ihre Kiosk-Verzauberung selbst. Die Welt von heute als künstliche Museumswelt: ein Horror! Bestellt einer ein Bier, geschieht Unglaubliches: "Die Kellnerin stellte das Bier vor Alice hin. Golden, im hohen Glas, auf einen Bierdeckel, den Alice wegschob, nachdem die Kellnerin wieder gegangen war."

Goldbier, dunkles Weiß und schöne Scheibenwischer. Am Ende will man nur eins: seine schöne, banale Welt wiederhaben, ohne Stimmungswahn und Blumenzauber, doch dann, drei Seiten vor Schluss der letzte schwere Schlag: "Alice aß die Brote, vorsichtig und bedächtig, ihr kam es vor, als äße sie zum ersten Mal ein Brot mit Kirschmarmelade, die Marmelade war so süß, drängte sich in ihrem Mund, Zucker und Früchte, ihr kamen die Tränen." Mir auch.

VOLKER WEIDERMANN

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.05.2009

Das Verfließen des Lebens
Überall Frosthauch, ob in Berlin oder am Gardasee: Judith Hermanns neuer Erzählband „Alice”
Das Autorenfoto zu ihrem neuen Buch „Alice” sieht aus, als habe Judith Hermann diesmal entschlossen der Möglichkeit vorbeugen wollen, dass man von ihrem Äußeren stärker fasziniert sein könnte als von ihrer schriftstellerischen Arbeit. Denn hartnäckig hält sich ja seit über einem Jahrzehnt das Gerücht, am Sensationserfolg ihres Debüts „Sommerhaus, später” (1998) sei die Anmut des seinerzeit mitgelieferten Bildnisses nicht ganz unbeteiligt gewesen.
Wie weit das schon zurückliegt – das literarische Fräuleinwunder, der Kniefall vor einem als unerhört neu bejubelten Prosasound, der Einspruch der Zweifler, die Debatten, die damals noch herrlich fiebrigen Erregungskurven des Betriebs. In den Reaktionen auf den Folgeband „Nichts als Gespenster”, ungeduldig herbeigesehnt und erst nach fünf Jahren erschienen, lebte das alles wieder auf, obwohl inzwischen ein neues Jahrtausend angebrochen war: Man staunt heute, mit welchen Erwartungen jener Zweitling befrachtet wurde, wie heftig er dann die eine Fraktion enthusiasmierte und die andere frustrierte, und zu welchen verbalen Höhenflügen manche Kritiker sich aufschwangen, um das Für oder Wider zu begründen. Doch schon zeichnet sich ab, dass auch auf der Rezeption des Drittwerks noch der Druck von Hoffnungen, Enttäuschungen und Projektionen lastet, die nichts sind als Mediengespenster, Symptome einer Blase, die sich aus eher literaturfernen Gründen um die Aktie „Judith Hermann” gebildet hat.
Vor dieser Kulisse kann man die Konsequenz der Autorin nur bewundern: Sie hat sich diesmal noch ein Jahr länger Zeit gelassen, sie hat ein ausgesucht unglamouröses Foto freigegeben, und sie hat keine Anstalten gemacht, ihre neuen Erzählungen als „Roman” zu deklarieren, obwohl sie nicht nur durch die Hauptfigur Alice und die Andeutung einer Chronologie miteinander verknüpft sind, sondern auch ein gemeinsames Sujet haben. Und zwar eines, das allem Anschein nach gerade zum Modethema avanciert – den Tod.
Von fünf Männern unterschiedlichen Alters, die Alice mehr oder weniger nahestehen, segnen vier das Zeitliche, und einer, der vor Jahrzehnten Selbstmord beging, wird ihr durch eine Begegnung ins Gedächtnis gerufen. Die junge Frau, eine der typischen, traumverloren sich durch den Tag tastenden Hermann-Heroinen, muss mithin, statt ziellos und verpflichtungslos in Berlin und dem Rest der Welt herumzustromern, wie es ihren Vorgängerinnen vergönnt war, einen Sterbefall nach dem anderen bewältigen.
Die Melodien der Mobiltelefone
Die Konstellation hat etwas Extremes. Sie wirkt wie die trotzige Antwort auf einen Vorwurf, der im Zusammenhang mit Judith Hermanns früheren Geschichten auftauchte: Ihren Figuren, so lautete der Tenor, mangele es an existentiellen Erfahrungen, an Grenzsituationen, an Realitätskontakt. Alice nun, die Verlustreiche, scheint vom trägen Treiben der Berliner Jungbohème geradewegs ins Erwachsenenleben katapultiert worden zu sein, dorthin, wo es am ernstesten ist. Während ihr Ex-Liebhaber auf der Krebsstation einer Provinzklinik dahinsiecht, steht sie seiner Frau und seinem Kind zur Seite.
Ihr Besuch bei einem befreundeten älteren Paar am Gardasee wird durch den plötzlichen Tod des Gastgebers (Insider erkannten flugs den Literaturkritiker Reinhard Baumgart) verdunkelt. Der Mann einer Freundin stirbt in Berlin an Krebs, und Alice leistet Beistand, so gut sie es vermag. Sie trifft sich mit dem einstigen Partner ihres schwulen Onkels, der sich mit Barbituraten umbrachte. Am Ende ist dann auch noch ihr Lebensgefährte gestorben, und sie muss seine Kleider entsorgen und ihre Erinnerungen sortieren.
Ist das nicht ein Übermaß an Tragödienstoff und Krisenpotential? Keineswegs, wenn der Mehltau des Hermann-Tons darüber liegt, dieser zarte Frosthauch einer Grundmelancholie, die gegen veritable Erschütterungen resistent bleibt. Die dazugehörige Erzähltechnik besteht in einem wie beiläufigen, doch ostentativ empfindsamen Aufsammeln und Anordnen von Alltagspartikeln, Beobachtungen, Bildausschnitten, Gesprächsfragmenten. Das ist zuweilen banal und flach, dann wieder etwas unbeholfen mit Bedeutung aufgeladen, aber an manchen Stellen führt es zu atmosphärischen Verdichtungen von poetischer Kraft, wie in dieser Berliner Abendszene: „Noch immer – die Straße voller Menschen. Ununterbrochen redend, kein Ende absehbar, kein letztes Wort. Aber jetzt, mit Einbruch der Dunkelheit, klang alles gedämpfter. Windlichter auf den Tischen. Männer und Frauen, einander gegenübersitzend. Die schweren grünen Bäume. Fahrräder, am Rand des Trottoirs aneinandergeschlossen, über dem Park der Mond, das Schiff jetzt leer, ein leeres Schiff aus Holz mit durchbrochener Reling in einem Meer aus Sand. Verlassene Bänke drum herum. Pappbecher, Zeitungen, Flaschen. Aus den Büschen kamen die Sammler, höflich und leise, hoben die Flaschen auf, ließen einander den Vortritt. Fledermäuse zwischen den Bäumen. Mauersegler, ihre empörten, verrückten Schreie. Das Pingpong der Tischtennisbälle, die Melodien der Mobiltelefone, Sinfonien.”
Ein einziges Ablenkungsmanöver ist diese Schilderung, ein träumerisches Wegschieben der Tatsache, dass irgendwo, ein paar Straßen weiter, ein gewisser Richard im Sterben liegt. Und doch werden Assoziationen geweckt, die etwas damit zu tun haben: Vergänglichkeit, Frieden, das gleichmütige Weiterfließen des Lebens in unmittelbarer Nachbarschaft des Todes. Die Trauer um einen Menschen wirft Alice nicht aus der Bahn, denn traurig ist sie sowieso.
Auch im Angesicht der Finalität des individuellen Daseins bleibt die Welt für sie ein Wunderland, in dem alles immer wieder neu beginnt, wenn auch gedämpft und abgetönt durch die Glasscheibe der Schwermut, die sie wesensmäßig von ihrer Umgebung trennt. Droht das Gefühl des Verlusts übermächtig zu werden, sucht sie Zuflucht im Wasser, im Schwimmbadschlaf oder in dem, was getan werden muss, wenn jemand sich verabschiedet hat. Oder in wortkargen Freundschaften. Ist das noch spätpubertär, oder ist es schon weise?
Unübersehbar hat Judith Hermann an ihrer Sprache gefeilt, hat sich um Straffung und Reduktion bemüht und darum, ihren Sound in einen Stil zu verwandeln. Das geht so weit, dass man umgangssprachliche Formen wie „rein” und „raus”, „rauf” und „runter” außerhalb des Dialogs jetzt als störend empfindet. Segensreich wirkt sich hingegen aus, dass nun nicht mehr geraucht wird – nur eine flüchtige, fast selbstironische Reminiszenz vergegenwärtigt die endlosen, pseudocoolen Zigarettenrituale der früheren Geschichten.
Bleibt zu hoffen, dass die Tendenz zur Kurzatmigkeit keine Spätfolge des Nikotins ist, sondern nur eine heilbare Liebe zur Ellipse. Und dass der Sinn für Komik, der die Abgeklärtheit vom Ungerührtsein unterscheidet, noch Eingang in ihr Erzählen findet – in den nächsten fünf oder sechs Jahren.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
JUDITH HERMANN: Alice. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 192 Seiten, 18,95 Euro.
Wenn der Gastgeber stirbt: Der Gardasee, einer der Schauplätze in „Alice”, dem neuen Erzählband von Judith Hermann Foto: John Harper/Corbis
Es wird nicht mehr geraucht: Judith Hermann Foto: Jürgen Bauer/Ullstein
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Durchaus wohlwollend hat Ina Hartwig den neuen Erzählband von Judith Hermann gelesen. Gleichwohl fällt ihr Urteil verhalten aus. Die fünf Erzählungen, in deren Mittelpunkt Alice steht, kreisen um die Themen Verlust, Sterben und Tod. Jede Geschichte handelt dabei von einem Mann, der eine Bedeutung im Leben von Alice hat und stirbt oder schon gestorben ist und erinnert wird. Das wirkt auf Hartwig melancholisch, aber nicht wirklich bewegend. Bedauerlich scheint ihr, dass die Hermann-typischen "elegischen Sätze" seltener vorkommen. Oft schreibe die Autorin einen "handgestrickt wirkenden Protokollstil", so Hartwig, "der Alltagseindrücke zu Stillleben einer schönen Bedeutungslosigkeit bündeln will". Eine emotionale Dimension haben die Geschichten in ihren Augen nicht, dafür fehlen ihnen Vorgeschichte, Psychologie, seelische Tiefe, Zuspitzung und Konflikt. Wer Hermanns typischen Tonfall mag, wird nach Ansicht von Hartwig hier gut bedient -  "die anderen wird der Tod von Micha, Conrad, Richard, Malte und Raymond seltsam wenig berühren."

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