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Jodel arbeitet als Toningenieur bei der Polizei, wo er Aufnahmen analysiert, um zur Aufklärung von Verbrechen beizutragen. Als er die elfjährige Jeanne kennenlernt, begreift er schnell, dass sie an derselben Gabe "leidet" wie er: an Hyperakusis, einem extremen Hörvermögen. Die beiden freunden sich an: Jodel will Jeanne das zielgerichtete Hören beibringen, damit sie nicht im Lärm der Welt ertrinkt. Und er trifft Jeannes Mutter, Jaumette, eine Komponistin, und verliebt sich in sie.Belinda Cannone zieht die Leser in den Sog von Jodels Nachdenken über die Welt und die Sonderlinge in ihr: Wie…mehr

Produktbeschreibung
Jodel arbeitet als Toningenieur bei der Polizei, wo er Aufnahmen analysiert, um zur Aufklärung von Verbrechen beizutragen. Als er die elfjährige Jeanne kennenlernt, begreift er schnell, dass sie an derselben Gabe "leidet" wie er: an Hyperakusis, einem extremen Hörvermögen. Die beiden freunden sich an: Jodel will Jeanne das zielgerichtete Hören beibringen, damit sie nicht im Lärm der Welt ertrinkt. Und er trifft Jeannes Mutter, Jaumette, eine Komponistin, und verliebt sich in sie.Belinda Cannone zieht die Leser in den Sog von Jodels Nachdenken über die Welt und die Sonderlinge in ihr: Wie gelingt es uns, inmitten von Chaos und Gewalt nicht die Ohren zu verschließen, sondern unseren moralischen Kompass zu bewahren? Wie bleiben wir empfänglich für den Lärm des Lebens, und wie können wir daraus Musik gewinnen? Die französische Autorin entfaltet ein Netz aus Begegnungen, und ein erotisches Szenario, dessen Fäden sie in die Hände der Komponistin legt. Ein hochaktueller, sinnlicher Roman, der dem Schrecklichen und dem Schönen gleichermaßen nachlauscht und beim Zuhören Widerstandskräfte entwickelt.
Autorenporträt
Belinda Cannone, Essayistin und Musiktheoretikerin, von sizilianisch-korsischen Eltern in Tunesien geboren, als französische Autorin zum "Chevalier de la Légion d'Honneur" ernannt, hat zahlreiche Romane, darunter "L'Homme qui jeûne", "Nu intérieur" verfasst. Sie ist eine gewichtige Stimme in der internationalen Feminismusdebatte; ihre Essays "L'Ecriture du désir"; "Le Sentiment d'imposture" wurden mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.06.2020

Macht die
Ohren auf!
Belinda Cannone lauscht dem Lärm und Leid der Welt
Jodel leidet an Hyperakusie. Er hört besser als unsereins, viel besser, jeden Spaziergang in der vermeintlich stillen Natur erlebt er als hochkomplexen Klangwirrwarr, die Vögel ja eh, aber darunter das Brummen in den Ameisenhaufen, der langsame Gang eines Skarabäuskäfers und das tausendfache Blattgefächel.
Jodel lebt lange schon in einem winzigen Weiler, fernab von allem Alltagslärm. Leider muss er in der Stadt arbeiten, als „Ingenieur für Geräuschphysik“, bei der Polizei: Stets fährt er im Morgengrauen los, um dem Ohrenmassaker namens Berufsverkehr zu entgehen, und analysiert dann in einem schalldichten Raum Telefonanrufe und andere Aufnahmen, die Stimmen genauso wie die Nebengeräusche: Der Kindsentführer, der auf dem heimlichen Tonmitschnitt zu hören ist, raucht mit Sicherheit seit Jahrzehnten. Im Hintergrund kräht ein Hahn – aber welche Rasse? Und von exakt welchem Motorenmodell stammt das Baumaschinengeräusch an der Peripherie der Aufnahme?
Patrick Süßkind hatte die Idee, seinen Lesern die Welt völlig neu zu zeigen, indem er diese explizit nicht über den Sehsinn beschrieb, sondern sie mithilfe seines monströs monomanischen Geruchsgenies Grenouille immer streng der Nase nach erkundete (Grenouille nimmt seine Augen überhaupt zum ersten Mal im Alter von 14 Jahren „zuhilfe“, elektrisiert vom Geruch seines ersten Opfers – und auch dann nur, „um zu glauben, was er roch“).
Die Französin Belinda Cannone hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, die Welt zu erhören. Ihr Held Jodel hat einen ähnlich überentwickelten Sinn wie Grenouille. Beiden gemeinsam ist ein großer Ekel vor der ignorant brutalistischen Trampelhaftigkeit der Welt. Während Grenouille aber in autistischem Furor zum Mörder wird, ist Jodel ein sanfter Melancholiker, der versucht, sich einfach möglichst weit an die Ränder, in die Stille zurückzuziehen. Bis er Jeanne trifft, ein Mädchen, das, ohne es zu wissen, ein noch komplexeres Hörvermögen zu haben scheint als er selbst. Jodel wird zu ihrem Lehrer und hilft ihr, das Ohr wie eine akustische Lupe zu gebrauchen, indem sie es immer genauer auf einzelne Geräusche fokussiert, Laute, so fein, dass sie nur noch von der sie umgebenden Stille herauspräpariert zu werden scheinen.
Allein diese sprachlichen Aufmerksamkeitsexerzitien sind bereits die Lektüre wert – noch Tage später horcht man selbst genauer in die Umgebung und kann sich eigentlich nur darüber wundern, wie wenig man meist die Ohren aufmacht (die Definition der Novelle als „unerhörte Begebenheit“ bekommt hier eine neue Bedeutung).
Durch die Begegnung mit Jeanne öffnet sich Jodel aber auch selbst wieder der Welt. Er lernt zum einen Jeannes Mutter kennen, eine Komponistin – Sex, beschrieben von einem Hyperakusiker, ist ein wirklich interessanter Lesegenuss … Vor allem aber trifft er einen seltsamen Außenseiter namens Ulan, einen Mongolen, der am Rand der Stadt in einem Rohbau haust, wo verschiedene Outlaws ein bizarres Soziotop bilden und, wie sich nach und nach herausstellt, einen Rachefeldzug planen.
Streckenweise wirkt das Personal aus Komponistin, Sonderbegabten und ominösen Weltenwanderern recht orchideenhaft-sonderlingös. Man kann dem kleinen Verlag Edition Converso trotzdem nur danken, dass er die in Tunesien geborene Französin Belinda Cannone mit diesem Buch endlich erstmals nach Deutschland holt. Und man merkt geradezu, welchen Spaß Claudia Steinitz und Tobias Scheffel daran hatten, diesen so eigenen Text im Deutschen nachzubilden.
„Vom Rauschen und Rumoren der Welt“ (der französische Titel „Entre les bruits“ ist deutlich passender) stammt aus dem Jahr 2009, und die akuten politischen Konflikte sind eindeutig andere als heute. Aber das Gefühl einer sich rapide auflösenden Welt und vor allem das Unbehagen darüber, selbst mehr und mehr in die innere Emigration abzutauchen, sich einfach taubzustellen gegenüber all den permanent einprasselnden Hiobsbotschaften, diese Grundthemen des schmalen Romans wirken sehr aktuell – und geben dem Buch dann seine zweite Bedeutung: „Vom Rauschen und Rumoren der Welt“ ist in seiner originellen Form ein angenehm unaufdringliches Plädoyer dafür, die Ohren nicht zu verschließen vor all dem Leid und Lärm oder besser noch: sie so zu öffnen, dass man den infernalischen Krach ummünzt, in Musik, Texte oder, vielleicht am schönsten, in Freundschaftsgesten.
ALEX RÜHLE
Belinda Cannone: Vom Rauschen und Rumoren der Welt. Roman. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz und Tobias Scheffel. Edition Converso, Bad Herrenalb 2020. 256 Seiten, 22 Euro.
Das Buch ist von 2009.
Sein Plädoyer fürs Zuhören und
Mitfühlen aber ist aktuell
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