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Nostalgia, das geniale Prosadebüt von Mircea Cartarescu, erzählt von Kindheit und Jugend im Bukarest der sechziger und siebziger Jahre. Im Licht der Erinnerung, die aus den Empfindungen aller Sinne aufersteht, gewinnen die Schauplätze eine überwältigende Präsenz. Da ist das zerklüftete, morastige Gelände hinter dem Wohnblock am Stefan-cel-Mare Boulevard, wo der geheimnisvolle Knabe Mendebilus eine ganze Kinderbande mit somnambuler Akrobatik und tiefsinnigen Geschichten in Bann schlägt. Oder der glitschige unterirdische Tunnel, durch den Gina und Andrei ins Naturhistorische Museum geraten, wo…mehr

Produktbeschreibung
Nostalgia, das geniale Prosadebüt von Mircea Cartarescu, erzählt von Kindheit und Jugend im Bukarest der sechziger und siebziger Jahre. Im Licht der Erinnerung, die aus den Empfindungen aller Sinne aufersteht, gewinnen die Schauplätze eine überwältigende Präsenz. Da ist das zerklüftete, morastige Gelände hinter dem Wohnblock am Stefan-cel-Mare Boulevard, wo der geheimnisvolle Knabe Mendebilus eine ganze Kinderbande mit somnambuler Akrobatik und tiefsinnigen Geschichten in Bann schlägt. Oder der glitschige unterirdische Tunnel, durch den Gina und Andrei ins Naturhistorische Museum geraten, wo sie ihre erste Liebesnacht erleben. Schließlich der bizarre, melancholische Turm am Stadtrand und seine riesenhaften Bewohner.
Zu Recht hat der Spiegel Mircea Cartarescu einen Proust des Plattenbaus genannt. Die unerhörte Intensität, mit der er die Dinge und Geschöpfe der äußeren Welt schildert, gibt ihnen die magische, mystische Aura zurück. Meisterhaft versteht er es, die aus dem Traum, dem Wahnsinn und der poetischen Ekstase geborenen Bilder auf die Bühne unserer vermeintlich festgefügten Wirklichkeit zu schieben.
Autorenporträt
Mircea C¿rt¿rescu, 1956 in Bukarest geboren, veröffentlicht seit 1978 Lyrik und Prosa. 1997 erschien Nostalgia, 2007 der erste Teil seiner Orbitor-Trilogie unter dem Titel Die Wissenden. Sein Werk wurde in viele Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2009

Sphärenklang der Autohupe
Psychedelischer Proust: Mircea Cartarescus "Nostalgia"

Manche Werke sind nicht zu denken ohne den Geist und den Geschmack gewisser Städte: Joyce und Dublin, Döblin und Berlin, Svevo und Triest. Auf die Landkarte der Weltliteratur gehört seit "Nostalgia" auch Mircea Cartarescus Bukarest. Gleich die erste Geschichte des im Original 1993 erschienenen Prosabandes - ein postmoderner Paukenschlag der rumänischen Literatur - führt hinein in die Katakomben-Unterwelt der Stadt, wo bei geheimen Treffen dem Russischen Roulette gefrönt wird.

Sehr atmosphärisch wird beschrieben, wie von oben die Straßenbahn dröhnt und riesige Schaben über den feuchten Boden wimmeln. Die Herren bestimmen die Einsätze und prüfen den Revolver, bevor ihn ein billig geworbener Bettler an seine Schläfe führt. "Der Roulettespieler" heißt diese Geschichte; sie berichtet von einem ewigen Verlierer, den plötzlich das Glück nicht mehr verlässt. Kugel um Kugel erhöht er das Risiko, bis er auch den sensationellen Schuss mit der voll geladenen Pistole übersteht. Ganz Bukarest gerät in den Sog der Rouletteleidenschaft - und das Unmögliche wird möglich, weil auch die Naturgewalten mitspielen.

Nach dem furiosen Einstieg wird das Tempo gedrosselt und das Breitwand-Erinnerungskino der "Nostalgia" eröffnet. Cartarescu ist ein psychedelischer Proust, ein literarischer Vorkoster der Apokalypse, der zugleich dem zarten Aroma von Kindheitsnachmittagen nachhängt. Die Vergangenheit der sechziger und siebziger Jahre wird dabei mehr erfunden als rekonstruiert, auch wenn es reale Versatzstücke gibt wie den gewaltigen Wohnblock am Stefan-cel-Mare-Boulevard, Mirceas Kindheitslabyrinth und Basisstation seiner jugendlichen Streifzüge.

"Mendebilus" erzählt von den Spielen zwischen den unwirtlichen, noch halb in rostigen Baugerüsten steckenden Wohnmaschinen. Mit Gemeinheiten wie dem Katzenquälen ist es erst einmal vorbei, als Mendebilus auftaucht, ein ätherisches, sehr gelehrtes Bürschchen, das versponnene Theorien über die Entstehung der Welt vorträgt und mit seinen Offenbarungen alle in den Bann zieht. Bis im Heizungskeller die schwüle Triebnatur durchbricht - um die merkwürdige Idylle und die Aura des Anführers ist es geschehen.

Auch in der Liebesgeschichte "Die Zwillinge" ereignet sich die phantasmagorische Verwandlung der Welt. Die fatale Gina, die der "kleinen Schar" um Prousts Albertine entlaufen scheint, beherrscht das entnervende Wechselspiel von Annäherung und Abweisung und treibt ihren Verehrer, einen jungen Büchernarren, immer tiefer in die Qualen der Eifersucht. In seiner verliebten Wut wünscht er sich, "in ihr Hirn eindringen zu können, in ihre Nerven, um endlich zu begreifen, wer sie war". Der Wunsch geht in Erfüllung. Nach einer Liebesnacht im Naturkundemuseum, das durch einen Geheimgang mit Ginas Zimmer verbunden ist, finden sich die beiden in vertauschten Körpern wieder. Das Museum und sein zu panischem Leben erwachendes Getier werden zum Gegenstand einer wortmächtigen Beschreibungskaskade. Die hundert Seiten Vorlauf hätten allerdings ein paar Straffungen vertragen.

Cartarescu ist ein Beschreibungskünstler im emphatischen Sinn. Er verweigert sich dem Dialog, als wäre er eine Störfrequenz. Statt auf szenische Darstellung vertraut dieser Autor auf magische Bildfolgen. Die Welt ist meine Vorstellung, heißt es bei Schopenhauer, und Cartarescu spitzt den erkenntnistheoretischen Befund zu, indem er die Außenwelt zum ebenso betörenden wie erschreckenden Kopfkino seiner jugendlichen Helden macht. Bei den detailscharfen, oft ins Surreale kippenden Schilderungen von Panoramen, Straßen, Plätzen und Landschaften in und um Bukarest, meist im "rötlich goldenen Licht" der Nachmittage oder im "purpurnen Dunst" des frühen Abends, fühlt man sich an die - bisweilen sogar unverkennbar zitierte - Pittura metafisica Giorgio de Chiricos erinnert. Cartarescu betreibt metaphysische Malerei mit Worten, ohne dabei jedoch die realistische Erdung zu verlieren.

Und er leidet nicht an Einflussangst. "REM", mit über 170 Seiten eher schon ein Roman, ist eine Variation auf Borges' berühmte Erzählung vom "Aleph", jenem ominösen Punkt auf einer Kellertreppe, der die Beschränkungen von Raum und Zeit aufhebt und das große simultane Gesamt-Erleben ermöglicht. Aber wie simultan auch immer - wiederum werden die Dinge beleuchtet auf der Zeitachse, von der "violetten Stichflamme der Nostalgie". Eine junge Frau erzählt von ihrer Kindheit und den Stadtrandferien bei einer gewissen "Tante Aura", die zur Reise in eine bizarre Wunderwelt wurden. Merkwürdig sanftmütige Riesen, ein mysteriöser Turm mitten auf dem Feld und ständige traumhafte Metamorphosen der Menschen und Dinge - das gehört zu den magischen Zutaten dieser Erzählung, die sich wie ein Rausch liest. Bei aller Faszination ist allerdings auch die Gefahr zu erkennen, dass Cartarescus Literatur zum großen Kunstgewerbeladen für Surreales wird.

Dass dieser Autor auch über eine Klaviatur des Komischen verfügt, beweist "Der Architekt", die Abschlussgeschichte des Bandes. Es ist eine demiurgische Groteske, die so harmlos wie nur möglich beginnt und sich kurios ins Unglaubliche auswächst. Nach all den optischen Eindrücken wird der Leser von Tönen überwältigt: Erzählt wird die Geschichte des musikalischen Genies und Weltklang-Schöpfers Emil Popescu, der seinen rumänischen Kleinwagen nicht zum Fahren, sondern als Instrument benutzt. Was mit einer besonders wohlklingenden und mit kreativem Furor ins Orgelartige erweiterten Autohupe beginnt, führt zur Errichtung einer globalen Melokratie und schließlich zur Sphärenmusik kollabierender Galaxien. Das Kriterium für gute Phantastik wird locker erfüllt: Dergleichen hat man noch nicht gelesen.

Ein Großteil der Erzählungen entstand noch unter dem Regime Ceausescus; eine zensierte Ausgabe erschien bereits 1989. Cartarescus internationale Belesenheit und Zitierfreude, die Verweise auf westliche Popkultur und die postmodernen Kapriolen, die er vielleicht ein paar Mal zu oft schlägt, waren vor zwanzig Jahren ein Signum der Weltoffenheit und ein Triumph über die unzumutbaren Beschränktheiten des Lebens in Rumänien. Man verzeiht dem Autor, der sich selbst gern als geschichtensaugende Riesenspinne imaginiert, deshalb ein paar klappernde Manierismen, die über die gekonnte Manier hinausgehen.

Im Rückblick erscheint "Nostalgia" als erzählerischer Anlauf zu dem gewaltigen Luftsprung, den Cartarescu dann mit seiner apokalyptischen Trilogie "Orbitor" gewagt hat. Der erste Band ist unter dem Titel "Die Wissenden" bereits auf Deutsch erschienen, in der vorzüglichen Übersetzung Gerhardt Csejkas, der auch die deutsche Fassung von "Nostalgia" besorgt und für diese Ausgabe noch einmal überarbeitet hat.

WOLFGANG SCHNEIDER

Mircea Cartarescu: "Nostalgia". Aus dem Rumänischen von Gerhardt Csejka. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 415 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.08.2009

Kleiner Mann unter der Schädeldecke
Mircea Cartarescu erzählt von der Jugend im Plattenbau
Man kann verstehen, dass der Zensor damals den „Roulettespieler” strich, gleich die erste Geschichte von „Nostalgia”. Sie ist überhaupt nicht vergangenheitsverfallen und damit doch auch etwas versöhnlich, wie die anderen Teile dieses Romans aus Erzählungen, des außergewöhnlichen Prosadebüts, mit dem der 1956 in Bukarest geborene Mircea Cartarescu in Rumänien 1993 auf einen Schlag zum wichtigsten Schriftsteller seiner Generation avancierte. Der „Roulettespieler" irritiert allein schon durch die tiefschwarze Weltsicht, vor deren Hintergrund das Publikum mit dem Schrecken hoffnungslosen, nicht mehr verstehbaren Lebens konfrontiert wird. Wird die Existenz der Jungs in den schäbigen Vorstädten in den anderen Teilen des Buchs durch Cartarescus in metaphernreiche Sprachkunst verwandelte Sehnsucht noch in irgendeiner Weise geadelt, geht es im „Roulettespieler” um die Vermittlung der Atmosphäre offener Panik.
Auch dieser Erzähler, ein älterer Schriftsteller, erinnert sich an seine Kindheit, doch der Mann, dessen Geschichte er dabei vorträgt, war nie ein Grund zur Wehmut. Als der Erzähler ihn wieder trifft, treibt sich der Junge aus seinen Häuserblocks, der inzwischen wegen Vergewaltigung und Raubüberfall im Gefängnis war, im Spieler-Milieu herum, offensichtlich ohne Erfolg. Er bettelt um Bier, das ihm versprochen wird, wenn er Dinge tut, wie von zwei Zündhölzchen das längere ziehen, was ihm nicht gelingen kann. Er ist, so scheint es, ein jämmerlicher Narr.
Immer wieder schaltet sich der Schriftsteller kommentierend in die Geschichten ein, aber nicht als Stilübung, sondern als dramaturgisches Mittel, das auf die Figur gespannt macht, die eines Tages als Roulettespieler für Aufsehen sorgen wird – in einem tiefen Kellergewölbe, in dem Sardinenfässer als Tische dienen. Ein Raum, der dem Ich-Erzähler damals als „blutrünstiges Paradies” erschien, in seiner Erinnerung aber zur „Hölle” wird. Der Einsatz, den die anwesenden „Geschäftsleute” oder auch „Aktionäre” verspielen, ist das Leben des Jugendfreunds. Dieser spielt Roulette nicht am Spieltisch, sondern mit sich – zuerst mit einer Kugel, dann mit zwei, drei. Jedes- mal, wenn er sich die Pistole an die Stirn setzt, „stand in seinem gequälten, fast stirnlosen Gesicht ungeheures Entsetzen, tierische Angst geschrieben, ein kaum zu ertragender Anblick.”
Auf Bukarests Schuttplätzen
Cartarescus Sprachmacht zeigt sich im „Roulettespieler” noch nicht derart überschwänglich frei wie in den „Wissenden”, dem ersten Teil von Cartarescus großer Romantrilogie, nach dessen Erfolg der vom deutschen Publikum damals übersehene Prosa-Erstling „Nostalgia” in einer überarbeiteten Übersetzung aufgelegt wird. Es ist eine kontrollierte, an Dostojewski erinnernde Kunst, mit der Cartarescu seinen Helden hier in den Wahnsinn schickt.
Das wuchernde Erzählen beginnt in der zweiten Geschichte des Bandes, die auf den Hauptschauplatz des Geschehens führt. Die Gegend um den Bukarester Boulevard Stefan-cul-Mare, in der Cartarescu wie viele seiner Ich-Erzähler und Helden aufwuchs. Was Cartarescus Melancholie von der Erinnerungsseligkeit in Teilen der neueren deutschsprachigen Literatur unterscheidet, ist die sinnliche Dichte der Darstellung realistischen Erlebens und die aus ihr entwickelte metaphysisch-groteske Dimension bei der Schilderung seiner Welten auf Bukarester Schuttplätzen.
Cartarescu kann es sich leisten, Proust und seine Madeleine im Text selbst zu nennen, ohne dass man vom Gedanken abkommt, ihn als Erneuerer von Prousts Erinnerungskunst zu sehen. Eine Verwandtschaft, die in „Nostalgia” noch viel deutlicher ist als in den „Wissenden”. Halluzinativ und detailliert beschwört er die Jugend im rumänischen Plattenbau. Und immer wieder geht Cartarescu auf seine Weise über schwärmerischen Detailrealismus hinaus: Der erste Punkt der Theorie, die Mendebilus, Held der zweiten Geschichte, zum Besten gibt, erzählt von einem kleinen Mann, der unter seiner Schädeldecke lebt und ihn lenkt, „er hat die gleichen Züge, trägt die gleiche Kleidung. Was er macht, mache auch ich”. Der Mann im Kopf „ist mein Puppenspieler”.
Das Himmelsgewölbe aber „ist nichts anderes als die Schädeldecke eines riesigen Kindes, das mir ebenfalls aufs Haar gleicht”. Ein Bild für die Struktur dieses Buchs, das behauptet, Anfang und Ende seiner Welt seien nicht zu bestimmen. Jede Erzählung geht in eine andere über.
HANS-PETER KUNISCH
MIRCEA CARTARESCU: Nostalgia. Aus dem Rumänischen von Gerhardt Csejka. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2009. 416 Seiten. 24,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eingenommen ist Hans-Peter Kunisch von diesem aus ineinander übergehenden Erzählungen bestehenden Roman über die Jugend im rumänischen Plattenbau, mit dem Mircea Cartarescu 1993 zum bedeutendsten Schriftsteller seiner Generation in Rumänien avancierte. Schon die erste Erzählung "Roulettespieler" hat ihm mit ihrer "Atmosphäre offener Panik" den Atem verschlagen, aber auch die weiteren Geschichten des Bandes, in denen sich die wuchernde "metaphernreiche Sprachkunst" des Autors zunehmend entfaltet, haben ihn tief beeindruckt. Er fühlt sich bei der Lektüre, wenn der Autor seine Protagonisten in den Wahnsinn schickt, an Dostojewski erinnert. Aber auch an Proust: durch einen Reichtum an Details und eine "sinnliche Dichte", durch die sich die Melancholie des Werks von der "Erinnerungsseligkeit" in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur unterscheidet.

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