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Monika Marons Roman »Artur Lanz« entwirft ein ebenso provokantes wie differenziertes Stimmungsbild einer Gesellschaft, die sich dem Mainstream unterwirft. Artur Lanz, der seinen Namen der Schwärmerei seiner Mutter für die Artus-Legende verdankt, ist kein heldenhafter Mann. Erst durch die kühne Rettung seines Hundes entdeckt er das unbekannte Glück der Opferbereitschaft. Er fragt nach dem Ursprung dieses Glücks und sucht die Wiederholung. Charlotte Winter, die im Alter anfängt, Geschichten zu schreiben, lernt Artur Lanz zufällig kennen. Sie wird Zeugin seiner Bewährungsprobe, als er sich nach…mehr

Produktbeschreibung
Monika Marons Roman »Artur Lanz« entwirft ein ebenso provokantes wie differenziertes Stimmungsbild einer Gesellschaft, die sich dem Mainstream unterwirft.
Artur Lanz, der seinen Namen der Schwärmerei seiner Mutter für die Artus-Legende verdankt, ist kein heldenhafter Mann. Erst durch die kühne Rettung seines Hundes entdeckt er das unbekannte Glück der Opferbereitschaft. Er fragt nach dem Ursprung dieses Glücks und sucht die Wiederholung.
Charlotte Winter, die im Alter anfängt, Geschichten zu schreiben, lernt Artur Lanz zufällig kennen. Sie wird Zeugin seiner Bewährungsprobe, als er sich nach einer streitbaren politischen Äußerung seines Freundes zwischen Mut und Feigheit entscheiden muss.
Was darf gesagt werden und was nicht? Dieser Frage spürt Monika Maron mit ihren Geschichten, Figuren und ihrem unverwechselbaren Erzählton nach.
Autorenporträt
Maron, Monika§
Monika Maron ist 1941 in Berlin geboren, wuchs in der DDR auf, übersiedelte 1988 in die Bundesrepublik und lebt seit 1993 wieder in Berlin. Sie veröffentlichte zahlreiche Romane, darunter »Flugasche«, »Animal triste«, »Endmoränen«, »Ach Glück« und »Zwischenspiel«, außerdem mehrere Essaybände, darunter »Krähengekrächz«, und die Reportage »Bitterfelder Bogen«. Zuletzt erschienen die Romane »Munin oder Chaos im Kopf« (2018) und »Artur Lanz« (2020). Sie wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Kleist-Preis, der Carl-Zuckmayer-Medaille, dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg, dem Deutschen Nationalpreis und dem Lessing-Preis des Freistaats Sachsen.

Literaturpreise:

unter vielen anderen:
Kleist-Preis 1992
Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg 2003
Ida-Dehmel-Literaturpreis 2017
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2020

Im Exil
Monika Marons "Artur Lanz" fordert mehr Männlichkeit und lässt auch sonst viel Dampf ab

Vor drei Wochen gab die Schriftstellerin Monika Maron der "Berliner Zeitung" ein Interview, in dem sie gefragt wurde, warum sie ihre Essays im Frühjahr nicht wie sonst im Verlag S. Fischer veröffentlicht habe, sondern in der "Exil"-Reihe des Dresdner Buchhauses Loschwitz von Susanne Dagen. Dagen sammelte 2017 Unterschriften für einen offenen Brief, der dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels einen "Gesinnungskorridor" vorwarf und vor einer "Meinungsdiktatur" warnte. Die Buchhändlerin vertreibt diese eigene Buchreihe über den Antaios-Verlag des neurechten Götz Kubitschek, gegen dessen Institut laut Verfassungsschutz "Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" vorliegen. Mit Ellen Kositza, Kubitscheks Ehefrau, rief Dagen auf Youtube ein Literaturformat ins Leben: "Aufgeblättert. Zugeschlagen - Mit Rechten lesen". - "Wäre es nicht besser, sich von ihr abzugrenzen?", fragten die Journalistinnen.

"Ich grenze mich grundsätzlich nicht von Freunden ab, nur weil wir vielleicht unterschiedlicher Meinung sind", antwortete Monika Maron. "Und warum von Susanne?" Die sei "eine Oppositionelle mit einem leidenschaftlichen Sinn für Gerechtigkeit", sitze für die Freien Wähler im Dresdner Stadtrat, sei mehrfach zur "Besten Buchhändlerin" gewählt worden. Und an ihrem Aufruf, die Stände rechter Verlage auf der Buchmesse nicht zu zerstören, könne sie nichts Falsches finden. "Offenbar gilt inzwischen jeder als rechts, der nicht links ist." Mit dem Titel "Exil", fügte sie hinzu, sei sie allerdings nicht glücklich. Sie sei ja nicht im Exil.

Auf der Buchpremiere in Dresden hatte das im März noch etwas anders geklungen. Es sei natürlich mitnichten so, dass die Autoren der Reihe (neben Maron sind das Uwe Tellkamp und Jörg Bernig) auf gepackten Koffern säßen, hatte Dagen an diesem Abend gesagt. Vielmehr gehe es ihr um eine Flucht in die Kunst in einem "Klima zunehmender politischer Anfeindungen". Dass sie mit dieser Interpretation gut leben könnte, äußerte Maron damals, auch wenn ihr der Begriff "Exil" zu hoch sei. Irgendwie scheint er ihr dann aber doch gefallen zu haben. Denn in ihrem neuen Buch "Artur Lanz", das eher eine Erzählung als ein Roman ist, gehen zwei Männer, die sich, ähnlich wie Dagen, Tellkamp, Bernig oder Maron, "einem Klima zunehmender politischer Anfeindungen" ausgesetzt glauben, am Ende aus Deutschland weg. Sie ziehen in die Schweiz. Das Wort "Exil" fällt nicht - und doch steht am Ende des Buches das Exil.

Für Maron werden sie so zu Helden. Denn darum geht es in "Artur Lanz". Monika Maron sehnt sich ganz offensichtlich nach Helden und will in einer "postheroischen Gesellschaft" nicht leben. Was sie vermisst, sind echte Männer, von denen es für sie kaum noch welche gebe. Also hat sie eine Schriftstellerin erfunden, Charlotte Winter, die einem frustrierten Mann um die fünfzig begegnet, gescheiterte Ehe, Mitarbeiter eines ökologischen Forschungsinstituts, der ihr Sohn sein könnte. Er heißt nicht zufällig Artur Lanz, sondern wurde von seiner heldenverliebten Mutter so genannt, weil diese die Geschichte vom Heiligen Gral beschwören wollte: König Artus und Lancelot in ihrem einzigen Sohn vereint. Nur fühlt sich Artur Lanz gar nicht wie ein Held, im Gegenteil. Er gehört zur besonders schwachen Männersorte, die der Zeitgeist angeblich neuerdings überall hervorbringt. Durch die Begegnung mit der Schriftstellerin Charlotte Winter aber hat er nun die einmalige Chance auf Erlösung. Durch sie schöpft er Mut zur Tat, ist bereit, etwas zu verteidigen, was er mehr liebt als seine Sicherheit: nämlich seinen Freund und Kollegen Gerald Hauschildt aus Thüringen, der wegen eines Facebook-Posts im Umwelt-Institut zur Rede gestellt und aufgefordert wird, sich von den Rechten zu distanzieren. Was er aber nicht will.

Das erste Problem dieser durchaus ernst gemeinten Geschichte ist die Figur der Charlotte Winter. Als Monika Maron, die 1981 mit ihrem umwerfenden Bitterfeld-Roman "Flugasche" über die junge Wirtschaftsjournalistin Josefa Nadler berühmt wurde und durch "Stille Zeile Sechs", "Pawels Briefe" über ihren jüdischen Großvater mütterlicherseits oder "Endmoränen" zu einer großen deutschen Schriftstellerin wurde, vor zwei Jahren ihren Roman "Munin oder Chaos im Kopf" veröffentlichte, gab es auch schon mal dieses Figuren-Problem. Es ging in "Munin" um die Angststruktur einer Frau, die in der friedlichsten bürgerlichen Großstadtgegend wohnte und sich, umgetrieben vom vollen Programm gängiger Ressentiments, dennoch bedroht fühlte. Eine Figur, in der man die Stimme der Autorin zu erkennen glaubte. Doch wurde ihre Perspektive mit einem kunstvollen Erzähltrick gebrochen. Maron stellte ihr eine Krähe zur Seite, einen sprechenden Vogel, mit dem sie ironische philosophische Dialoge führte. Sie stellte auf diese Weise Distanz her und machte die Angstwelt ihrer Protagonistin als Fallgeschichte sichtbar.

In "Artur Lanz" dagegen - und das ist nicht nur das Enttäuschende, sondern in seiner Plattheit das eigentlich Schockierende an diesem "Roman" - gibt es keine Brechungen. Die Figuren, die sonst noch vorkommen (eine Freundin, mit der Charlotte Winter regelmäßig eine Cocktail-Bar besucht; ein besserwisserischer Germanist), sind mehr oder weniger einer Meinung, jedenfalls liegen sie sehr nahe beieinander. Eine homogene Truppe. Und Monika Maron nutzt die Gelegenheit, um mit ihnen allen ordentlich Dampf abzulassen.

Sie lässt Charlotte Winter gegen Gendersternchen und Karrierefrauen wettern: "Es sind nicht die klügsten und sympathischsten Frauen, die der Zeitgeist gerade nach oben spült, im Gegenteil, es sind zum Teil garstige Weiber, die es wagen, die intelligentesten und klügsten Männer zu beschimpfen." Die Männer dagegen bedauert sie: "Alles, was bis gestern an ihnen als rühmenswert galt, Mut, Entschlossenheit, war im Laufe der Jahre unter den Verdacht geraten, für das Böse in der Welt verantwortlich zu sein. Dabei waren es eigentlich die von Männern erfundenen Waschmaschinen, elektrischen Heizungen, Fahrstühle, Rolltreppen und alle möglichen anderen lebenserleichternden Geräte, die den Frauen plötzlich erlaubten, auf die männliche Kraft zu pfeifen und sie als Gefahr für den Fortbestand der Menschheit zu verdächtigen." "Die Männer sind entmachtet", jammert ihr Professorenfreund. Und die Freundin gefällt sich in kernigen Sprüchen: Manche Männer seien wohl "nur schwul geworden, weil sie sich nur noch bei Männern wie Männer fühlen durften".

Wie klein der Ausschnitt der Welt ist, den sie betrachten; dass all ihre Beobachtungen schon in der frauenlosen Führungsetage des nächsten Unternehmens nicht mehr gelten; oder vielleicht schon im Nebenhaus, wo Frauen der häuslichen Gewalt ihrer Männer ausgeliefert sind, interessiert hier niemanden und wird durch die Erzählung auch nicht reflektiert. Denn Monika Marons Charlotte Winter will zwar gerne sehr viel über die alte König-Artus-Sage, über Lancelot oder Fontanes "Stechlin" nachlesen, um ihrem Artur Lanz zu Mut und Männlichkeit zu verhelfen. Mit der Wirklichkeit um sich herum hat sie es aber nicht so. Da verlässt sie sich lieber auf ihre Meinungen und Ressentiments, etwa die über eingewanderte Männer.

So wird sie einmal Zeugin einer Demonstration von Frauen, die gegen die unterstellte zunehmende Unsicherheit auf den deutschen Straßen demonstrieren. Weil für diese Frauen die Gewalt "häufig von eingewanderten Männern ausging" und der Protest darum als rassistisch verdächtigt wurde, kommen Biker aus verschiedenen Teilen des Landes nach Berlin, um die demonstrierenden Frauen vor den Gegenprotestlern zu beschützen: "Ich wusste nichts über diese Männer, ich wusste wenig über die Bikerszene, hin und wieder war zu lesen, dass sie einen Hang zur Kriminalität hätte. Aber diese vom männlichen Ur-Instinkt getriebene Aktion gefiel mir", stellt sie fest. Die "tätowierten Bikerhorden" stehen als "letzte Verfechter der Ritterlichkeit" im Raum. Und die Autorin bringt für Charlotte Winter auch nichts weiter über sie in Erfahrung, sonst wäre das schöne Bild ja eventuell schon zerstört. Maron ist eine eigentlich exzellente Stilistin, die man für ihre präzisen Beobachtungen immer bewundern konnte. Die Eindimensionalität der kolportierten Meinungen macht das Buch aber auch erzählerisch fad und literarisch uninteressant.

Was interessiert Artur Lanz an der Schriftstellerin, die seine Mutter sein könnte? Sie kommt aus dem Osten und kennt sich aus mit Dissidententum. Er berichtet ihr von seinem Freund im Institut, besagtem Gerald aus Thüringen, der das Kohlendioxid als Ursache des Klimawandels leugnet und auf Facebook gepostet hat, dass wir "geradewegs ins Grüne Reich" marschieren. Als kurz darauf der Vizechef der "Rechten Partei" ebenfalls vom "Grünen Reich" spricht, wird Gerald im ökologischen Forschungsinstitut aufgefordert, sich von diesem zu distanzieren und seinen Post zurückzunehmen.

"Wer Ausgrenzung und Beschränkung der Meinungsfreiheit einmal erlebt hat, der reagiert seismographisch, wenn er das Gefühl hat, dass es wieder so weit ist. Und dann regt er sich auf und wehrt sich. Es ist komisch: Seit ein paar Jahren fühle ich mich so ostdeutsch, wie ich mich nicht mal gefühlt habe, als ich noch in der DDR gelebt habe", hat Monika Maron in ihrem Interview vor drei Wochen gesagt. Artur Lanz' Freund nimmt im Buch nichts zurück. Als Bürger habe er das Recht, seine Meinung immer und überall frei zu äußern, sagt er. Und es ist natürlich kein Zufall, dass Charlotte Winter ihren Artur dazu kriegen will, sich "ritterlich vor seinen Freund" zu stellen, wie einst ihre Freundin sich vor eine Kommilitonin stellte, "als die für das Abspielen der Biermann-Lieder fast exmatrikuliert werden sollte".

Wir leben in einem Land, so suggeriert es uns Maron allen Ernstes in ihrem toxischen Cocktail aus Selbstgerechtigkeit, Ressentiment und Machotum, in dem die Meinungsfreiheit wieder eingeschränkt wird wie in der DDR. Aber das ist nicht alles. So wie Charlotte Winter Artur Lanz lehrt, wie er, indem er seinem Freund beisteht, zum Helden werden kann, will auch Monika Maron uns darin unterweisen, auszuscheren und ins geistige Exil zu gehen. Wobei "uns" natürlich falsch ist. Nur die Männer. Die sollen wieder Helden werden und Männer sein dürfen. Am besten Biker-Typen. Die Frauen sind sowieso nur durchideologisierte Denunziantinnen im Genderwahn.

Monika Maron war mal eine große Schriftstellerin. Jetzt scheint sie nur noch von ihrer politischen Agenda getrieben zu sein - und das Interesse am Literarischen verloren zu haben.

JULIA ENCKE

Monika Maron: "Artur Lanz". Roman, Verlag S. Fischer, 224 Seiten, 19,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension

Rezensentin Julia Encke, die Leiterin des FAS-Feuilletons, nennt diesen Roman zwar "erzählerisch fad und literarisch uninteressant", aber schon dieser Pleonasmus macht - neben dem schieren Umfang der Kritik - deutlich, dass sie sich hier an etwas abarbeiten muss. Denn eine exzellente Stilistin bleibt Monika Maron für sie, und als eine große Schriftstellerin ist sie durch frühere Bücher ausgewiesen. Was Encke stört, ist, dass sich Maron - zumindest Enckes Meinung nach - der neuen Rechten zugeordnet hat, was sie durch die ausführliche Einleitung ihrer Kritik belegt, in dem es um Marons Freundschaft mit der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen geht, die auch Uwe Tellkamp verlegt und mit dem rechten Verlag Antaios zusammenarbeitet. Rechte Muster erkennt Encke dann auch in  Marons neuem Roman und arbeitet sie heraus: Maron habe ganz offenbar eine Sehnsucht nach echten Helden, sie nutze Rollendialoge um "ordentlich Dampf" abzulassen, sie schaffe keine Kontrastfiguren, sondern lasse den Roman in einem mit sich einigen Milieu spielen. Kurz: Maron ist "rechts", und darum kann ihr Roman nicht gut sein. Wer anderen aber vorwirft, dass sie sich auf ihre Meinungen und Ressentiments verlässt, sollte sicherstellen, dass sie selbst die Wirklichkeit auf ihrer Seite hat.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.08.2020

Hör sie lachen
In Monika Marons Roman „Artur Lanz“ geht es mal wieder um angebliche
Denkverbote. Das härteste erlegt sich ihre Hauptfigur aber selber auf
VON MARIE SCHMIDT
Dieses Buch hat zwei implizite Leser, die sich nicht leiden können. Dass literarische Texte ihre idealtypischen Leser mit entwerfen, hat die Erzähltheorie schlau festgestellt: Leser für die eine bestimmte Sprachebene und rhetorische Tricks gedacht sind, denen man manche Aspekte einer Geschichte erklären muss, während anderes sich von selbst versteht. „Artur Lanz“, der neue Roman von Monika Maron, rechnet mit mindestens zwei verschiedenen Leserfiguren: Die eine empört sich. Über die Frage der Erzählung „was mit den Männern unserer Hemisphäre geschehen war, dass man sie sich als Helden nicht einmal mehr vorstellen konnte“, oder über blöde Sprüche wie: „Sie befürchtete, dass manche Männer nur schwul geworden seien, weil sie sich nur noch bei Männern wie Männer fühlen durften.“ Die andere lacht verschwörerisch mit der Erzählerin über die Empörung der ersten.
Für den ersten Typus ist „Artur Lanz“ kein Roman, sondern eine Falle. Der Plot des Buches ist nämlich umständlich aufgebaut, um zu zeigen, was Monika Maron auch in Interviews und Zeitungsartikeln sagt: Dass in der deutschen Gesellschaft heute bestimmte Meinungen und Charaktere durch eine gezielte Empörungsbereitschaft zum Schweigen gebracht werden sollen. Dieses Argument wird in letzter Zeit nicht nur von ihr häufig bemüht, im Zusammenhang mit dem Begriff „Cancel Culture“ etwa. Was da dran ist, kann man nur schwer herausfinden, weil die Vorstellung selbst keiner Überprüfung zugänglich ist. Von Einwänden oder Gegenintuitionen fühlt sie sich immer nur bestätigt: Man soll wohl dazu gebracht werden, umzudenken, man darf also nicht mehr denken und sagen, was man will. „Ach, du lieber Gott!“, lässt Monika Maron eine Nebenfigur, eine Stellvertreterin der empörten Leserin in der Handlung, zu dem Heldenthema ausrufen. Eine andere meint: „Wenn schon, dann Heldinnen“. Die Erzählerin sieht sich bestärkt: „Wir hatten kein Bild mehr von einem Helden, schon das Wort war verdorben“. Und Monika Maron schmückt diesen ganzen Roman mit dem angeblich unmöglichen, eigentlich aber doch reichlich ausgelutschten Heldenmotiv aus.
Darin trifft also die Ich-Erzählerin Charlotte Winter, etwa im Alter der 1941 geborenen Maron, einen Mann in seinen Fünfzigern namens Artur Lanz. Sie kommen ins Gespräch, und es stellt sich heraus, dass er so heißt, weil „meine heldenverliebte Mutter mit der Verbindung von Artur und Lanz die Geschichte vom Heiligen Gral beschwören wollte. König Artus und Lancelot in ihrem einzigen Sohn vereint“. Charlotte Winter regt das zu allerlei Recherchen darüber an, warum Heldentum zum Leben zeitgenössischer Männer wie Artur Lanz so gar nicht zu passen scheint.
Dann kommt es doch noch zum Schwur. Dieser Lanz arbeitet nämlich in einem Institut, das Kunststoffbeschichtungen entwickelt, um Vögel und Insekten von den Rotorblättern von Windkraftanlagen fernzuhalten. Ein Freund und Kollege dort pflegt ein obsessives Verhältnis zur Klimapolitik und postet auf Facebook: „Wir marschieren geradewegs ins Grüne Reich, diesmal nicht über die Autobahn, sondern über Stromtrassen!“ Für die Geschmacklosigkeit muss er sich vor seinen Kollegen rechtfertigen, eine Kollegin regt sich besonders auf, „von der manche behaupten, in ihren Adern fließe grünes Blut“. Die schaltet die Vorgesetzten ein, und den Testfall für den Heldenmut des heutigen Mannes sieht der Roman in der Frage, ob Lanz zu seinem Freund halten wird, auch wenn er findet, dass er Blödsinn redet.
Es muss die seit frühen Romanen wie „Flugasche“ (1981) oder „Stille Zeile Sechs“ (1991) bis zu „Munin oder Chaos im Kopf“ (2018) so gepriesene stilistische Leichtigkeit der Schriftstellerin Monika Maron sein, die aus einer dermaßen papierenen Konstruktion überhaupt eine Geschichte werden lässt. Weniger liegt es an den Pappnasen der alternden Kulturbourgeoisie, deren Abende Maron aufzeichnet, mit Ochsenschwanz, Himbeertarte und phrasenhaften Wortwechseln. Auch ihre Erzählerin schont sie nicht, lässt sie ihre nicht minder stereotypen Beobachtungen (Männer können nicht alleine sein und leisten sich jüngere Frauen, Leute mit inopportunen Meinungen werden zu Rechten gestempelt) mit ihrer Umwelt abgleichen und immer wieder in Gelächter ausbrechen, „weil das Erwartbare ... sich selbst übertroffen hatte.“
Dieses Gelächter im Ohr, mag man sich gar nicht erst mit den Triggern aufhalten, die Maron für ihre Erwartung an links-grüne Empörung im Roman ausgelegt hat: die Oswald-Spengler-Zitate, die misogynen Ausfälle, die Kautelen, wenn es um Rassismus geht. Das alles ist so sehr rhetorischer Selbstzweck, wie die Behauptung, es dürfe über alles mögliche nicht gesprochen werden, während unablässig darüber geredet wird. Aber einen schräg interessanten Ton hört man eben doch aus Charlotte Winters abgeklärtem Lachen heraus.
Monika Maron hat es in einem Essay für die NZZ einmal „Unser galliges Gelächter“ genannt. Der Text steht jetzt übrigens auch in einem Band, den sie in einer Reihe der Buchhändlerin Susanne Dagen herausgebracht hat. Um deren „Buchhaus Loschwitz“ hat sich ein Netzwerk nationalistisch und xenophob argumentierender und gegen eine gefühlte „Gesinnungsdiktatur“ wetternder Autoren gebildet, zu denen Uwe Tellkamp, Jörg Bernig oder Ellen Kositza gehören. Marons Essayband ist der Name der Buchreihe „Exil“ aufgeprägt, was prätentiös und anmaßend wirkt. Sie sei damit „nicht glücklich, ich bin ja nicht im Exil“, sagte Maron kürzlich der Berliner Zeitung im Interview, aber unter dem Stempel stehen ihre Texte jetzt nun mal.
Maron, deren Debütroman über die Umweltverschmutzung im Braunkohlegebiet Bitterfeld in der DDR nicht erscheinen durfte, ist 1988 in die BRD gegangen. Nicht viel vermisse sie an der DDR, schreibt sie in dem Essay, nur das Lachen, das gallige, mit dem man sich die Absurdität des sozialistischen Alltags vom Hals geschafft habe. Jetzt sei es wieder da, auch wenn es sich nicht mehr gegen Staat und Partei richte. Angesichts einer „Deutungsmacht, die blindlings mit Verdächtigungen und Diffamierungen um sich werfen darf“, könnten einen „alte Gefühle eben überkommen“.
Worin diese „Deutungsmacht“ konkret bestehen soll, sagt sie nicht, dafür ist der Text voller Grobheiten gegen „genderisierte Sprachverstümmelung“ und „schlecht ausgebildete, fremde junge Männer“. Das Irritierende daran ist, dass das Geschimpfe nicht nur schlechte Gefühle transportiert. Maron schreibt: „Die Erinnerung an unser galliges Gelächter habe ich bewahrt wie die Erinnerung an alles, das schön war in dieser Zeit: die Jugend, Liebe, Freundschaft.“ Da gibt es ein Heimweh nach Bitternis, eine Sehnsucht nach etwas, das man sich eigentlich nicht zurückwünschen kann. Mit dieser widersprüchlichen Sentimentalität im Kopf liest sich „Artur Lanz“ noch einmal anders. Unter dem Gerede über angebliche Tabus fällt plötzlich auf, worüber Charlotte Winter wirklich nicht reden will, nämlich warum sie sich so für diesen Artur entzündet. „Mitleid“ empfinde sie für Männer, heißt es, seit sie „vor zwanzig Jahren, mit meiner letzten Scheidung“ alles erotische Interesse abgeschafft habe. Das betont sie so oft, dass man sich fragt, ob sie sich da nicht selbst ein fieses Denkverbot auferlegt hat, und warum sie unter all den Aspekten altmodischer Männlichkeit ausgerechnet das langweilige Heldentum wiederbeleben will, und nicht zum Beispiel die Gabe, sich auch im hohen Alter seines Begehrens nicht zu schämen.
Wo „Jugend, Liebe, Freundschaft“ war, spürt diese Frau jetzt, wie „man allmählich aus der Welt rauswächst“, ein Zustand der „zunehmenden Müdigkeit und nachlassenden Neugier“. In ihrem Roman „Munin oder Chaos im Kopf“ hat Monika Maron 2018 beschrieben, wie eine ältere Frau ihre politisierten Ängste in die komisch-unheimliche Figur einer sprechenden Krähe abspaltet. In „Artur Lanz“ erzählt sie von einer Altersdepression. An der Stelle, an der ihr der innere Antrieb fehlt, pflanzt Charlotte Winter das phallische Heldenmotiv auf. Es fordert eine merkwürdig erkaltete Form von Treue und Kampfeslust. Was immer man davon ideologisch halten mag, ist das eine erstaunliche Figurenpsychologie des rechten Spektrums.
Monika Maron: Artur Lanz. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2020. 224 Seiten, 24 Euro.
Testfall für Heldenmut heute: ob
einer zu seinem Freund hält, auch
wenn er Blödsinn redet
Da ist ein Heimweh nach der
Bitterkeit, Sehnsucht nach etwas,
das man sich nicht zurückwünscht
Der Hund kommt auch vor im neuen Roman der Schriftstellerin Monika Maron.
Foto: Jonas Maron
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Mit ihrem Lebenshintergrund der jugendlichen DDR-Dissidentin [...] bietet Monika Maron hier auf brillante Weise ein Lehrstück zur heutigen Lage der Meinungsfreiheit Walter Klier Wiener Zeitung 20201003