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Vom grundlegenden Umbruch der Bundesrepublik in den 1960er Jahren vom Wandel der politischen Kultur über die Bildung der Großen Koalition aus SPD und CDU/CSU bis zur neuen, steuerungsorientierten Wirtschaftspolitik war der Deutsche Gewerkschaftsbund vielfach betroffen. Wie umfassend der DGB in dieser Zeit seinen Gestaltungsanspruch für Wirtschaft und Gesellschaft wahrnahm, belegen die Dokumente und Materialien dieses Quellenbandes; sie zeigen aber auch die Grenzen seines politischen Einflusses. In den Debatten und Entscheidungen des DGB spiegelten sich die zentralen politischen Konflikte der…mehr

Produktbeschreibung
Vom grundlegenden Umbruch der Bundesrepublik in den 1960er Jahren vom Wandel der politischen Kultur über die Bildung der Großen Koalition aus SPD und CDU/CSU bis zur neuen, steuerungsorientierten Wirtschaftspolitik war der Deutsche Gewerkschaftsbund vielfach betroffen. Wie umfassend der DGB in dieser Zeit seinen Gestaltungsanspruch für Wirtschaft und Gesellschaft wahrnahm, belegen die Dokumente und Materialien dieses Quellenbandes; sie zeigen aber auch die Grenzen seines politischen Einflusses. In den Debatten und Entscheidungen des DGB spiegelten sich die zentralen politischen Konflikte der 1960er Jahre: Dies galt für den Widerstan dder Gewerkschaften gegen die Notstandsgesetzgebung, für die Diskussion einer neuen Deutschland- und Ostpolitik, für die Eindämmung des wachsenden Rechtsextremismus oder auch die sozialen und wirtschaftsdemokratischen Forderungen des DGB nach betrieblicher Mitbestimmung, Vermögensbildung und Lohnfortzahlung. Das gesellschaftspolitischeSpannungsfeld, in dem sich der DGB während der Regierungen Erhardund Kiesinger befand, wurde auch von der Außerparlamentarischen Opposition geprägt, die bis in die Gewerkschaftsjugend reichte. Die wirtschaftspolitische Konzeption der Großen Koalition löste im DGB eine kontroverse Diskussion aus; erstmalig abgedruckte Aufzeichnungen aus den Gesprächsrunden der »Konzertierten Aktion« vermitteln einen Eindruck der schwierigen Zusammenarbeit von Regierung, Gewerkschaften und Unternehmern in diesen Runden. Innerhalb seiner Organisation sah sich der DGB mit dem Wandel der Mitgliedschaft, finanziellen Sorgen und Spannungen zwischen dem Dachverband und den Einzelgewerkschaften konfrontiert, die in eine heftige Reformdebatte mündeten.
Autorenporträt
Klaus Schönhoven, geb. 1942, Dr. phil., ist seit 1984 Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Mannheim.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2006

Ohne Not sich selbst im Weg stehen
Protokolle der Führungsgremien des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1964 bis 1969

Der knallrote Einband dieser Quellenreihe macht sie zu einem unübersehbaren Blickfang in jeder Bücherwand. Der 1985 erschienene erste Band galt der Zeit des Ersten Weltkriegs, der jüngste dokumentiert die DGB-Politik in den Jahren 1964 bis 1969, in denen der glücklose Bundeskanzler Ludwig Erhard Anfang Dezember 1966 von einer Regierung der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger abgelöst wurde. Dieses Jahrfünft war eine Zeit des Umbruchs der Wertorientierungen und Lebensformen wie eines Wechsels der Generationen und des Politikstils. Erhards Formel vom "Ende der Nachkriegszeit" vom November 1965 wurde durch die Chiffre "1968" abgelöst. Die Gewerkschaften rückten näher an das Zentrum der Politik, sahen sich dadurch aber auch zu Kompromissen genötigt.

Der neue Quellenband schließt zeitlich an seinen Vorgänger für die Jahre 1956 bis 1963 an (F.A.Z. vom 24. Februar 2006). Er enthält insgesamt 144 Protokolle von Sitzungen der DGB-Führungsgremien, und zwar des Bundesvorstandes, der im Kern aus den Vorsitzenden der sechzehn Einzelgewerkschaften bestand und monatlich zusammentrat, sowie des über sechzig Mitglieder umfassenden Bundesausschusses, der vierteljährlich tagte, ergänzt um wenige zugehörige Aktenstücke. Beide Gremien exekutierten und interpretierten die Beschlüsse der Bundeskongresse, die alle drei Jahre stattfanden, und bereiteten das jeweils nächste Bundestreffen vor. Das galt für den Außerordentlichen Kongreß im November 1963 in Düsseldorf und für zwei reguläre Tagungen, 1966 in Berlin und 1969 in München. Dabei stellte die IG Metall jeweils, entsprechend ihrer Mitgliederstärke von 2,2 Millionen, etwa 30 Prozent der Delegierten.

Auch in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre verblieben die Gewerkschaften in ihrer traditionellen Nähe zur Sozialdemokratie, allerdings nicht mehr als deren "Transmissionsriemen". Die bisherige "Gesinnungsgemeinschaft" wurde in der Großen Koalition, in der mit Georg Leber auch ein bisheriger Gewerkschaftsvorsitzender dem Kabinett angehörte, erheblichen Spannungen ausgesetzt. Dazu trug ein Mitgliederschwund bei, der eingreifende Sparmaßnahmen ("nicht frohen Herzens") - auch im eigenen Apparat - erzwang. Von ihnen blieb jedoch die weiterhin wachsende IG Metall unter dem selbstbewußten Otto Brenner verschont, der mit diesem Rückhalt Konfrontationskurs steuerte und dem DGB-Vorsitzenden Ludwig Rosenberg, der auf Ausgleich bedacht war, manchen Knüppel zwischen die Beine warf. Den Funktionären entging nicht, daß die eigene Presse die Mitglieder nicht erreichte, wohl aber Springers "Bild".

Die Führungselite der Gewerkschaften tat sich schwer mit ihrer aufmüpfigen "bis-21-Jugend", deren eigenwillige Aktionen als "bedrohliche Radikalisierung" empfunden wurden. Das galt auch für das Verhalten in der Notstandsgesetzgebung, die der DGB ebenso wie eine Teilnahme an "Ostermärschen" ablehnte - diese Haltung aber nicht durch außerparlamentarische Maßnahmen, und erst recht nicht im Sinne der APO, unterstützt sehen wollte. Die Entscheidung, die seit Jahren überfällige Notstandsverfassung im laufenden Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen (Rosenberg) oder sich zu verweigern (Brenner) - und damit die alliierten Vorbehaltsrechte in Kraft zu belassen -, führte bis an den Rand einer Zerreißprobe. Um so erstaunlicher war die schlagartige Beruhigung, nachdem die Notstandsverfassung im März 1968 den Bundestag passiert hatte.

Der DGB fand kein Mittel gegen das Desinteresse seiner Mitglieder an den jährlichen Maifeiern. Er geriet mit seinen wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen - Vollbeschäftigung, Arbeitszeitverkürzung, längere Urlaubszeiten, "gerechte" Einkommens- und Vermögensverteilung - in Konflikt mit den Auswirkungen der von Karl Schiller favorisierten "Globalsteuerung" und "Konzertierten Aktion". In deren Umsetzung drängte der Bundeswirtschaftsminister den DGB, der für "soziale Symmetrie" durch stärkere Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen eintrat, in die Defensive. Denn einzelne Gewerkschaftsvorsitzende waren nicht bereit, sich vorab auf "produktivitätsorientierte Lohnpolitik" festzulegen. Um so wichtiger wurde der geschlossene Einsatz des DGB zugunsten einer erweiterten Mitbestimmung in Großbetrieben, auch in der neuen Einheitsgesellschaft Ruhrkohle AG, sowie für eine Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall, der zum Erfolg führte. Wiederholte Unruhe schuf der ÖTV-Vorsitzende Heinz Kluncker mit seinen ostpolitischen Alleingängen und Kontakten mit den Staatsgewerkschaften im Ostblock, die der Internationale Gewerkschaftsbund weiterhin ablehnte.

Zweimal kam beiläufig die politische Vergangenheit von Funktionären zur Sprache, in denunziatorischer Absicht. 1969 konnte der 2. Vorsitzende der IG Bergbau, Heinz Oskar Vetter, der die Nachfolge des ausscheidenden DGB-Vorsitzenden Rosenberg anstrebte und erreichte, rasch das "Gerücht" widerlegen, hauptamtlicher HJ-Führer gewesen zu sein: "lediglich Fähnleinführer beim Jungvolk". Gefährlicher war der Vorwurf "ehemaliger SS-Offizier" gegen einen Landesbezirksvorsitzenden, Jan Sierks, den allerdings der Vorsitzende der Gewerkschaft Chemie-Papier-Keramik, Wilhelm Gefeller, rasch neutralisierte: Sierks habe das "Pech" gehabt, mit 17 Jahren zur Waffen-SS einberufen worden zu sein, weil er, "wie auch andere Kollegen, groß, schlank, blond und blauäugig" gewesen sei.

Die Protokolle lassen die Arbeitsweise von Gremien erkennen, deren Mitglieder infolge unterschiedlicher Stärke und Finanzmittel ihrer Einzelgewerkschaften alles andere als gleichberechtigt waren und oft divergierende, teilweise sogar gegensätzliche Zielsetzungen vertraten. Sie stritten in zeitaufwendigen und ermüdenden Sitzungen, vertagten selbst drängende Entscheidungen und bildeten ständig neue Kommissionen, ohne dann jedoch deren Ergebnisse zu akzeptieren. Die bis zur Selbstverleugnung gehenden Bemühungen des Vorsitzenden Rosenberg ("heute steht uns niemand so im Wege wie wir selbst"), dem DGB durch eine Strukturreform eine effizientere Organisation und mehr Kompetenzen zu verschaffen, scheiterten an den mächtigen Einzelgewerkschaften. Die auf fünfzig Seiten komprimierte Einleitung des Bearbeiters informiert zuverlässig über den Inhalt und politischen Stellenwert der streckenweise wenig kurzweiligen Quellentexte. Die Frage bleibt, ob der Reihentitel der Edition mit seiner Bezugnahme auf die deutsche Gewerkschaftsbewegung nicht auf die Bundesrepublik Deutschland eingegrenzt werden müßte - und nicht nur, weil einzelne DGB-Funktionäre bereits für Kontakte mit der ",Bruder'-Gewerkschaft" FDGB im anderen deutschen Staat eintraten.

RUDOLF MORSEY

Der Deutsche Gewerkschaftsbund 1964- 1969. Bearbeitet von Wolther von Kieseritzky. Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert. Begründet von Erich Matthias. Herausgegeben von Klaus Schönhoven und Hermann Weber, Bd. 13. Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2006. 914 S., 78,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wenig unterhaltsam und zeitweilig ein wenig zäh sind für Rezensent Rudolf Morsey die insgesamt 144 hier versammelten Quellentexte. Sie alle kunden vom erfolglosen Bemühen, die Struktur des Gewerkschaftsbundes effizienter und handlungsstärker zu machen. Statt dessen hätten die unterschiedlich starken Einzelgewerkschaften notorisch unterschiedliche Ziele verfolgt, bis an den Rand der "Selbstverleugnung" des Vorsitzenden Rosenberg. Insgesamt, referiert der Rezensent, seien die fünf Jahre des dokumentierten Zeitraumes eine Umbruchszeit gewesen, sowohl in Hinblick auf allgemeine gesellschaftliche Orientierungen als auch auf einen Generationenwechsel. Dazu habe auch eine gewisse Distanz zur SPD gehört, besonders zur Zeit der Großen Koalition. Die Einleitung des Bandes, lobt der Rezensent, sei so kompakt wie kompetent geschrieben. Lediglich beim Reihentitel stellt er die Frage, ob dieser nicht auf die Bundesrepublik eingeschränkt werden muss.

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