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DIE ENTSTEHUNG DES CHRISTENTUMS - EINE HISTORISCHE SPURENSUCHE
Was wir über das frühe Christentum zu wissen meinen, ist bis heute stark von Glaubenstraditionen geprägt. Der preisgekrönte Historiker Johannes Fried befragt die biblischen und außerbiblischen Quellen neu und setzt sie zu einem neuen, kohärenten Bild zusammen: Demnach gab es im entstehenden Christentum einen Grundkonflikt zwischen Anhängern Jesu, die die Worte ihres Meisters und Rabbis im frühesten Kern des Thomas-Evangeliums festhielten, und dem Apostel Paulus, der die Botschaft vom Kreuzestod des Gottessohnes in der…mehr

Produktbeschreibung
DIE ENTSTEHUNG DES CHRISTENTUMS - EINE HISTORISCHE SPURENSUCHE

Was wir über das frühe Christentum zu wissen meinen, ist bis heute stark von Glaubenstraditionen geprägt. Der preisgekrönte Historiker Johannes Fried befragt die biblischen und außerbiblischen Quellen neu und setzt sie zu einem neuen, kohärenten Bild zusammen: Demnach gab es im entstehenden Christentum einen Grundkonflikt zwischen Anhängern Jesu, die die Worte ihres Meisters und Rabbis im frühesten Kern des Thomas-Evangeliums festhielten, und dem Apostel Paulus, der die Botschaft vom Kreuzestod des Gottessohnes in der heidnischen Welt verkündete. Die Lehre des Paulus setzte sich durch, während die Überlieferung der Jesus-Anhänger verketzert und vergessen wurde. Johannes Fried folgt ihren Spuren und zeigt, dass alles ganz anders gewesen sein könnte, als wir glauben.

«Jesus lebt!» Diese frohe Botschaft konnte nach Jesu Kreuzigung ganz unterschiedlich verstanden werden. Sein engstes Umfeld in Jerusalem wusste, dass er das Kreuz überlebt hatte, und bewahrte die Worte des geflohenen Meisters. Der Apostel Paulus dagegen, der dem Christus Jesus nur in einer Vision begegnet war, verkündete die wundersame Auferstehung des Gottessohnes von den Toten und hatte wenig Interesse am Leben des jüdischen Lehrers. Johannes Fried rekonstruiert den Konflikt auf der Grundlage der verfügbaren biblischen und außerbiblischen Quellen und zeigt, wie die Lehre des Apostels Paulus von Kreuzestod und Auferstehung die kanonischen Evangelien prägte und sich im Römischen Reich durchsetzte, während die Überlieferung der Jesus-Anhänger - festgehalten etwa im Thomas-Evangelium - in Gebiete außerhalb des Römischen Imperiums abgedrängt, verketzert und schließlich vergessen wurde. Johannes Fried folgt den wenigen erhaltenen Spuren mit dem Werkzeug des Historikers und zeigt, dass alles ganz anders gewesen sein könnte, als wir glauben.

Eine schonungslose Neubewertung der frühchristlichen Quellen
Die faszinierende Spurensuche eines renommierten Historikers
Was das Thomas-Evangelium über Jesu Lehre verrät und warum es ins Abseits geriet
Glänzend geschrieben
Autorenporträt
Johannes Fried ist Professor em. für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt am Main und Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Er war Vorsitzender des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands und wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Historikerpreis (1995) und dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa (2006).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für den Rezensenten Uwe Walter rennt Johannes Fried mit seinem Versuch, dem alten Konsens theologischer Forschung das Fundament zu entziehen, indem er etwa Jesus' Tod anzweifelt, offene Türen ein. Die Dogmen gegen die der Autor vorzugehen meint, kann Walter nicht erkennen. Frieds Entwurf der Figur eines ahnungslosen Paulus, der sich an seine eigene Vision des Auferstandenen hält, bleibt Walter zu uneindeutig, Frieds Suche nach der "historischen Wahrheit" hinter der Theologie hält er für "mephistophelische Dialektik".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2021

Er überlebt

Jesus starb nicht am Kreuz. Er zog nach Ägypten. Und Paulus blieb ohne Offenbarung. Der streitbare Johannes Fried reizt alle Deutungsmöglichkeiten des Historikers aus. Oder überreizt er sie?

Die Geschichte der ersten Christen ist voller Rätsel. Eines der größten ist auch nach 2000 Jahren Forschung immer noch die Rolle des Apostels Paulus. Ein Jude aus Tarsus in Kleinasien, ein gesetzestreuer Pharisäer, von dem es heißt, dass er sich schon kurz nach dem Tod von Jesus gegen dessen Anhänger wandte, also zu einem Zeitpunkt, an dem von einer neuen Religion noch kaum die Rede sein konnte. Paulus hieß damals noch Saulus - oder auf Hebräisch Scha'ul -, und bis heute kennen auch viele Menschen, für die Ostern kein religiöses Fest ist, die Geschichte von der Vision vor Damaskus: "Ich bin Jesus, den du verfolgst", war da aus dem Himmel zu vernehmen, und Saulus verlor daraufhin erst einmal für eine Weile seinen Sehsinn.

In einem Brief an die christliche Gemeinde in Galatien beschrieb Paulus seine Bekehrung später deutlich lakonischer: Es "gefiel" Gott, "in mir seinen Sohn zu offenbaren". Wie er tatsächlich zu einem Jünger Jesu und zu dem wichtigsten Verkünder der Auferstehung wurde, verliert sich im Dunkel der Geschichte. Verblüffend aber bleibt vor allem ein Umstand, für den es bis heute keine wirklich plausible Erklärung gibt. Paulus sprach zwar häufig von den Ereignissen, an die sich die Christen an Ostern erinnern. Er zeigte aber nicht das geringste Interesse an Jesus selbst, also an dem Mann aus Galiläa, dem Propheten, von dem später die Evangelien berichteten. Dabei traf er doch auf viele Menschen, die Jesus noch selbst gekannt haben mussten, die Geschichten über ihn kannten, die ihn predigen gehört hatten. Was immer Paulus davon mitbekam, es schien ihn nicht zu interessieren. Der "historische Jesus", wie er seit der neuzeitlichen Bibelkritik genannt wird, kommt beim Völkerapostel nicht vor. Keine Bergpredigt, kein Heilungswunder, keine Sabbat-Provokation, kein Gastmahl mit Sündern.

Auch der Historiker Johannes Fried hat für dieses Problem nur eine negative Lösung. Er kappt einfach die Verbindung, die für das frühe Christentum doch so konstitutiv war. "Jesus oder Paulus" heißt sein neues Buch, und der Untertitel macht die Sache noch deutlicher: "Der Ursprung des Christentums im Konflikt". Vor zwei Jahren trat Fried, den man davor in erster Linie als Fachmann für das Mittelalter kannte, mit einer Behauptung über Jesus an die Öffentlichkeit: "Kein Tod auf Golgatha. Auf der Suche nach dem überlebenden Jesus" hieß das Buch, in dem er zuerst medizinische Gründe dafür geltend machte, dass Jesus die Kreuzigung überlebt hatte. Und dann verfolgte Fried die Spuren des aus dem Grab nicht auferstandenen, sondern nur "weggegangenen" Jesus so weit ins Spekulative und "nach Osten", dass er am Ende sogar noch den Propheten Mohammed als historische Gründerfigur des Islams in Zweifel ziehen konnte. Das Buch ist inzwischen in der dritten Auflage erschienen. Es lässt sich als Beispiel für eine Quellenkritik und Indiziensuche lesen, die schließlich in eine umso offenere Synthese umschlägt.

Es ist auch die Geschichte einer persönlichen Emanzipation. In einem telefonischen Gespräch mit dieser Zeitung legt Johannes Fried offen, dass er aus eigener Erfahrung weiß, was es heißt, an die Auferstehung zu glauben. "Ich war tief christlich geprägt und auch lange Zeit sehr gläubig und habe mich dann durch verschiedene Erfahrungen immer weiter davon entfernt. Das Interesse am frühen Christentum kam durch meine persönliche Herkunft und durch Weiterentwicklung. Relativ frühzeitig an der Universität habe ich zu Kommilitonen gesagt: Wenn man unser Studium ernst nimmt, dann wird man Atheist. Weil man die Herkunft aller Religionen voneinander ableiten kann. Man kann das Christentum aus dem Judentum, aber auch aus römischem oder ägyptischem Heidentum herleiten, wobei ich es gar nicht mehr so gern habe, wenn man von Heidentum redet. Das sind nichtchristliche Religionen, aber es sind echte Religionen, die haben genau dieselben psychischen Effekte und dieselbe Bedeutung besessen wie das Christentum auch."

Die meisten Bibelkundler betreiben ihr Fach bis heute als Glaubenswissenschaft. Sie sind kirchlich bestellte Historiker, und sie versuchen, den Osterglauben mit den neuesten Funden aus Textkritik, Editionsphilologie oder Archäologie in Einklang zu bringen. Im Lauf der Zeit ist dabei ein komplexes Bild von Jesus entstanden.

Dass ein Prophet dieses Namens gar nie gelebt hätte, ist heute selbst unter Verächtern des christlichen Glaubens allenfalls eine Außenseitermeinung. Alles andere aber ist kontrovers, denn die Zeugnisse aus der frühen Kirche sehen alles schon unter der Voraussetzung, dass sich der Glaube an den auferstandenen Jesus zu einer Religion weiterentwickelte. Diese Religion trennte sich vom Judentum, aber auch von vielen "Häretikern", die unorthodoxe Meinungen über Sterben und Weiterleben Jesu hatten. Dass er am Kreuz nur zum Schein gelitten habe, war dabei eine der ältesten Ideen. Da hielt man Jesus schon für den Sohn Gottes, und mit göttlicher Vollkommenheit vertrug sich der Schmerzensmann auf Golgatha nicht.

Johannes Frieds Hypothese hat allerdings mit diesem Doketismus - der Lehre, dass Jesus nur einen Scheinleib gehabt und infolgedessen nur zum Schein gelitten habe und gestorben sei - nichts zu tun: Seiner Ansicht nach hatte Jesus am Kreuz schwer zu leiden. Er starb aber nicht, sondern erlitt eine CO2-Narkose, die durch den Lanzenstich in seinen Oberkörper aufgehoben wurde. Von einer "todesähnlichen Betäubung" sprach schon Schleiermacher, der damit ein klassisches Motiv der vernunftgeleiteten Bibellektüre festhielt. Jesus "erwachte im Grab", schreibt nun Fried und hat damit das, was die Christen Auferstehung nennen, mit einem Kniff erklärt. Alles danach aber, die Entstehung der Gemeinden, die in Jesu Namen zusammenkamen, bedarf auch weiterhin einer Erklärung.

Für Fried wird seine Hypothese von der Grabflucht Jesu allerdings zu einem Universalschlüssel, der zu jedem Rätsel der frühen Kirchengeschichte eine Lösung eröffnet. "Ich gehe davon aus: Jesus hat überlebt. Ein engerer Kreis seiner Jüngerschaft wusste das und wirkte entsprechend weiter. Irgendwann und irgendwo starb er dann. Man könnte an Ägypten denken. Wir haben viele Hinweise auf Jesus in Ägypten, da dürfte irgendwas dahintergesteckt haben, aber was, bleibt offen. Die Jünger in Jerusalem stehen für eine Jesus-Tradition, die mit der Christologie des Paulus nichts zu tun hat. Ihr Jesus ist ein Mensch, ein gottbegnadeter Mensch. Es gibt tatsächlich eine Überlieferung, die nicht christologisch geprägt ist, die ich messianisch nenne. Jesus war danach nicht der Sohn Gottes, sondern er war für die Jünger und deren Schüler der Messias."

Mit seinem neuen Buch schlägt Fried eine kühne Schneise durch die Forschungslandschaft. Paulus hatte für ihn keine Offenbarung, sondern "eine private spirituelle Erschütterung". Jesus sieht er unter einem sehr speziellen Akzent: Für Fried ist der Verkünder des Reiches Gottes ein früher Gnostiker. Die "wahre Botschaft des Nazoräers" finde man demnach nicht in den Evangelien von Markus, Matthäus, Lukas und Johannes, sondern in den Manuskripten, die 1945 im ägyptischen Nag Hammadi entdeckt wurden. Bis heute wirkt die Erschütterung dieses Fundes nach, der das Überlieferungsmaterial zu Jesus um zahlreiche Zeugnisse bereicherte. Darunter auch das Thomas-Evangelium, das zwar nur in einer Version auf Koptisch aus dem 4. Jahrhundert vorliegt, in dem aber Spuren aus der Mitte des 1. Jahrhunderts erkennbar sind. Also aus der Zeit, in der Paulus seine Briefe schrieb. Und in der die Traditionskonkurrenz schon in vollem Gange war.

Wenn man Johannes Fried fragt, wie er überhaupt dazu gekommen sei, dass er sich im Ruhestand - seit 2009 ist er von seinem Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt emeritiert - auf eine Epoche verlegt habe, auf die er nicht spezialisiert ist, hebt er einen Moment aus seiner Karriere hervor: 2004 machte er die Erfahrung, "dass naturwissenschaftliche Argumente in den Geisteswissenschaften nicht gern gesehen werden". Damals veröffentlichte er das Buch "Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik", einen neurowissenschaftlich informierten Versuch über die Rolle des Erinnerns in der Geschichte.

Eines seiner Beispiele war Benedikt von Nursia, der Begründer des Benediktinerordens, eine "ideale Mönchs- und Abtsgestalt", deren "Fiktionalität" irgendwann vergessen wurde. Seither gilt Benedikt als eine historische Figur. Nicht jedoch für Fried, der sich im Gespräch an einen Vortrag erinnert, mit dem er damals diese Position vertrat: "In dem Auditorium saßen drei Bischöfe und fünf Äbte. Ich habe seitdem den Eindruck, dass ich von bestimmten Zeitungen keine Rezensionsanfragen mehr bekomme. Es gibt offenbar nationale Publikationszentren, die religiöse Überlieferungen nicht diskutiert sehen wollen. Wenn man an sie rührt, ist man unten durch. Damit habe ich gerechnet, insofern erschüttert es mich nicht."

Man geht wohl nicht zu weit, wenn man in dieser Episode eine gewisse Lust an der Dissidenz erkennt. In Fall von Jesus aber sind es vor allem die weitreichenden Schlüsse, mit denen Fried seine medizinische Hypothese auf die ganze Geschichte der späteren Antike projiziert. In der Frage, welche Rolle die Gnosis, eine alles andere als klar erkennbare, zeitgenössische Einweihungsreligion, für das junge Christentum spielte, spiegelte sich ja in den wissenschaftlichen Debatten auch die Frage nach den Beziehungen zwischen Christen und Juden wider. Paulus war deswegen so bedeutend für die Kirche, weil er die jüdische "Sekte" auf das ganze Römische Reich hin öffnete. Erst im 20. Jahrhundert wurde dann Jesus wieder deutlicher als Jude erkennbar, und die Gnosis-Debatten wurden zum Teil stillschweigend beendet.

Fried hätte mit seinem Antipaulinismus auch auf dieser Seite landen können: bei dem jungen Mann aus Galiläa, der vermutlich nicht einmal Griechisch sprach und der eine Botschaft von einer "Königsherrschaft Gottes" mit einem sehr originellen Ethos und einer anstößigen Kritik am Jerusalemer Tempel-Establishment verband. Doch weil Paulus einen starken Affekt gegen "Irrlehrer" erkennen lässt und weil sich mit dem Thomas-Evangelium eine entsprechende Spur anbietet, geht es Jesus bei Fried nun vor allem um "Erkenntnis". In den Debatten um das Proprium Jesu, um den Kern seiner erschließbaren Botschaft, ist das gewagt einseitig. Und Johannes Fried kommt, in einer Überdehnung der Möglichkeiten des Historikers, bei einem Szenario an, das über die rationalistische Religionskritik deutlich hinausgeht. Da passt dann plötzlich eben auch, dass der jüdische Historiker Flavius Josephus im Jahr 52 in Jerusalem einen "Ägypter" auftreten lässt, den Fried dann - immerhin mit Fragezeichen - mit dem weiterlebenden Jesus gleichsetzt. Verschwörungstheorien zeichnen sich dadurch aus, dass sie solche Unwahrscheinlichkeiten akkumulieren. Für Fried beruht das Christentum nicht ausdrücklich auf einer Konspiration, aber seine Rekonstruktion hat Aspekte eines paranoiden Texts dort, wo sich eben wirklich alles höchst spekulativ auf eine zentrale Tatsache zurückbezieht.

Paulus hatte vor diesem Hintergrund dann einfach das Pech (oder das Glück), dass er Jesus nur in einer Vision traf. Eine Reise nach Arabien, von der die Bibel recht einsilbig berichtet, hätte demnach der Suche nach dem "Auferstandenen" östlich des Jordan gegolten. Doch da war Jesus schon in Ägypten, jedenfalls für Fried. Ein Gipfeltreffen von allerhöchstem Rang scheiterte an mangelnder Absprache. Immerhin steht es nun im welthistorischen Kalender, wenngleich nicht als verbürgt, sondern als Grenzfall einer Hypothese.

BERT REBHANDL

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