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Mit der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg ging auch eine geteilte Rezeption Friedrich Nietzsches einher. In Ost und West hatte man auf je eigene Weise Probleme mit dem unbequemen Denker, der durch die nationalsozialistische Werkexegese zusätzlich gelitten hatte. Matthias Steinbach hat dem DDR-Verhältnis zu Nietzsche nachgespürt und entwirft so einerseits ein auch autobiografisch untersetztes zeithistorisches Panorama, andererseits gelingt ihm ein spannender Blick auf den Umgang mit Philosophie und ihren Protagonisten überhaupt.

Produktbeschreibung
Mit der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg ging auch eine geteilte Rezeption Friedrich Nietzsches einher. In Ost und West hatte man auf je eigene Weise Probleme mit dem unbequemen Denker, der durch die nationalsozialistische Werkexegese zusätzlich gelitten hatte. Matthias Steinbach hat dem DDR-Verhältnis zu Nietzsche nachgespürt und entwirft so einerseits ein auch autobiografisch untersetztes zeithistorisches Panorama, andererseits gelingt ihm ein spannender Blick auf den Umgang mit Philosophie und ihren Protagonisten überhaupt.
Autorenporträt
Steinbach, MatthiasProf. Dr. Matthias Steinbach, geb. 1966 in Jena, 1988 bis 1993 Studium der Geschichte, Sportwissenschaften, Erziehungswissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1998 Promotion bei Hans-Werner Hahn mit einer Studie über den Historiker Alexander Cartellieri, 2005 Habilitation zum Thema Pädagogik, Bildungsreform und soziale Frage als universitäre Herausforderung. 1998-2007 u.a. Mitarbeiter am Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit 2007 Professor für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Technischen Universität Braunschweig. Forschungsschwerpunkte: deutsche Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, insbesondere Universitäts- und Bildungsgeschichte, Militärgeschichte, politische Ideengeschichte und Geschichtsvermittlung.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Elmar Schenkel erfährt vom Historiker Matthias Steinbach, wie man in der DDR mit Nietzsche umsprang. Materialreich und "flott" der Chronologie der Ereignisse folgend nähert sich der Autor laut Schenkel der Beschäftigung mit dem Philosophen an Orten wie Naumburg, Leipzig, Weimar, durch Theologen (Schorlemmer), pilgernde Wessis (die Eheleute Jens), die Stasi und erbitterte Gegner (Wolfgang Harich). Das ist für Schenkel mitunter "mühsame Aktenlektüre", aufgelockert immerhin durch Interviews. Ein dennoch aufschlussreiches Buch, findet der Rezensent, das anhand seines Themas zudem den Ost-West-Konflikt abbildet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2021

Er war eben wirklich Dynamit

Diesseits von Gut und Böse: Der Historiker Matthias Steinbach zeichnet materialreich den Kampf um Friedrich Nietzsche in der DDR nach.

Die Überwachung von Intellektuellen führt oft zu Missverständnissen. So glaubten britische Spione in einem Entwurf für ein Gedicht des Romantikers Coleridge Invasionspläne von Napoleon zu entdecken. Der amerikanische Kritiker und Nietzsche-Advokat H. L. Mencken wurde während des Ersten Weltkriegs, als die Alliierten den deutschen Philosophen als geistigen Hauptfeind ausgemacht hatten, anonym beschuldigt, ein "Freund von Nitzky, dem deutschen Monster" zu sein. Auf solche analphabetische Verunglimpfung zielt sicherlich der Titel des Buchs von Martin Steinbach über Nietzsche in der DDR. Es wäre ein Leichtes, sich über ungebildete IMs lustig oder die vielen Falschschreibungen des Verdächtigen - von "Nütsche" bis "Niete" - lustig zu machen. Doch bei Steinbach geht es um Ernsteres, um den Umgang mit einem Autor, der einerseits als Vorläufer des deutschen Faschismus gesehen wurde, seit Georg Lukács ihn 1954 in "Die Zerstörung der Vernunft" wegweisend für die (orthodoxe) Linke in Ost und West so gezeichnet hatte, und andererseits ein Autor ist, der Generationen bei ihren Selbstfindungen gegen Dogmatismus und Unfreiheit beigestanden hat. So gilt immer noch Kurt Tucholskys Ausspruch: "Sage mir, was du brauchst, und ich will dir dafür ein Nietzsche-Zitat besorgen."

Matthias Steinbach, Historiker an der Universität Braunschweig, geht flott in diese kulturell schwierige Landschaft hinein, indem er nicht nur chronologisch den Umgang mit dem ungeliebten, aber genialen Sohn Ostdeutschlands nachzeichnet, sondern auch topographische und aktuelle Realitäten einbindet. Eingestreute Interviews machen die manchmal mühsame Aktenlektüre und die langen Zitate aus Briefen und Verlautbarungen erträglicher. Die Reise durch vierzig Jahre Sozialismus hat zudem autobiographische Züge. Man sieht, wie ein junger Student aus Jena gegen Ende der DDR allmählich sein Thema findet. Sichtbar wird, dass der Ost-West-Konflikt, der sich am Umgang mit Nietzsche widerspiegelt, noch bis in die neunziger Jahre nachwirkte. Im Kern lautet die Frage des Buches: "Wie lässt sich unliebsamer Geist töten?"

Naumburg, Weimar, Leipzig, Röcken - allesamt Nietzsche-Orte - erzählen von diesem Verdrängen und Verschweigen, aber auch von unterschwelligen Gegenreaktionen. Auf das Naumburger Haus, so erfährt man von Ralf Eichberg, dem Leiter des dortigen Nietzsche-Forschungszentrums, machte ein Schlosser die DDR-Behörden aufmerksam. Er bewohnte das Haus und nahm in einem Brief an den Bauminister wegen einer fälligen Dachreparatur auf Nietzsche Bezug, der hier von seiner Mutter gepflegt worden war. In der Saalestadt bildete sich bald ein Lesekreis um einen Buchhändler, in dem über Nietzsche debattiert wurde.

Interessanterweise waren es gerade kirchliche Gruppen, die Nietzsche faszinierte: Theologen wie Reiner Bohley oder Friedrich Schorlemmer (dessen Name im Buch fehlt) erwanderten sich mit ihren Studenten Nietzsche-Orte und lasen ihn gemeinsam. In Röcken, Nietzsches Geburts- und Begräbnisstätte, gerne von subversiven Kräften besucht, war die Stasi dabei, wenn der Dichter Rolf Schilling am Grab rezitierte. Der zuständige Hauptmann berichtete weisungsgemäß, schien aber bald unterschwellig mit Nietzsche zu sympathisieren. Jedenfalls durften das Grab und das Geburtshaus weiterhin Westbesuch erhalten, vom Tübinger Ehepaar Jens ebenso wie von dem Freiburger Politologen Wilhelm Hennis. Manchmal mussten Schulkinder die Autonummern notieren, aber wohl ohne Konsequenz. 1982 wurde die Anlage sogar unter Denkmalschutz gestellt. Dafür beseitigte in den neunziger Jahren eine Dorfbewohnerin wiederum eingekratzte Hakenkreuze.

Vielschichtig wie die Gedächtnistopographie ist die akademische Auseinandersetzung mit Nietzsche. Es gab eine ihm gewidmete Habilitation und ein oder zwei Dissertationen, allerdings zu Nebenschauplätzen wie Musik, Ästhetik und Wortbildung. Bei den Philosophen meldeten sich erste Stimmen, die trotz des Verdikts von Lukács in Nietzsche nicht oder zumindest nicht nur den Vorbereiter des Faschismus sahen, sondern auch den Kulturkritiker und Antinationalisten. Vor allem Ernst Bloch forderte weitere Zugänge und skizzierte Nietzsche als einen gefährdeten Denker utopischer Hoffnungen - der Versuch endete mit seiner Auswanderung 1961 nach Tübingen.

Aus dem Kreis um Bloch erwuchs Nietzsche aber auch sein hartnäckigster Gegner: Wolfgang Harich. Harich, ein fortschrittlicher, antidogmatischer Marxist der frühen DDR, wurde durch acht Jahre Zuchthaus in Bautzen vom Paulus zum Saulus. Einer seiner größten Feinde hieß nun Nietzsche. In Briefen an Minister und Kulturbeamte machte er sich stark für eine Auslöschung der Erinnerung an diesen Autor, für ihn der böseste und inhumanste Denker, den die Welt je gesehen hatte. Nietzsches Texte, in denen von der Vernichtung der Schwachen und Kranken die Rede ist - zu denen er selbst gehörte -, ließen sich von den Nationalsozialisten verwenden. Für Harich steckte in ihnen der ganze Nietzsche. Auf keinen Fall durfte deshalb für ihn die DDR diesen Autor zum sozialistischen Erbe hinzunehmen, wie man es etwa mit Bismarck gemacht hatte. Stattdessen sollte man bis zu Nietzsches 150. Geburtstag im Jahre 1994 sein Grab in Röcken einebnen.

Harichs Einlassungen und seine Attacken auf Stefan Hermlin, der sich für Nietzsche starkgemacht hatte - jüngst in der Zeitschrift "Sinn und Form" dokumentiert (F.A.Z. vom 27. Mai 2020) -, führten zum wohl letzten öffentlichen Streit unter Intellektuellen in der DDR. Katastrophal für Harich war es zudem, dass man zwei Italienern Zutritt zum Weimarer Archiv gewährte. Giorgio Colli und Mazzino Montinari planten damals ihre Kritische Gesamtausgabe der Werke und Briefe, gereinigt von den Verfälschungen der Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche. Sie waren Sozialisten, aber lasen Nietzsche anders als Lukács oder Harich: als guten Europäer und Kulturkritiker. So gehörte Montinari, inzwischen mit einer Deutschen verheiratet, bald zum Weimarer Stadtbild. Ein IM berichtete zufrieden, dass der Italiener den Nationalsozialisten einen Nietzsche wegnahm, der "ihnen in den Streifen passte". Unliebsamer Geist, wie lässt er sich töten? In vierzig Jahren gelang es in der DDR jedenfalls nicht.

ELMAR SCHENKEL

Matthias Steinbach:

"Also sprach Sarah Tustra". Nietzsches sozialistische Irrfahrten.

Mitteldeutscher Verlag, Halle 2020. 286 S., br., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Es ist die Fülle des Materials, die Matthias Steinbachs Buch so anregend wirken lässt, es ist die Vielfalt der Methoden, die er kombiniert hat, und es ist vor allem die Spannung, die er erzeugt und der unterhaltsame, niemals belehrende Gestus seines Erzählens, die die Lektüre seines Buches zum Erlebnis werden lassen.« Dietmar Ebert, LiteraturLand Thüringen, 15. Februar 2021 »Matthias Steinbach gelingt das Kunststück, aus dem Kampf um Nietzsche ein anekdotisches und kluges Buch zugleich zu machen.« Torsten Unger, MDR Thüringen / Bücherkiste, 31. Januar 2021 »Diesseits von Gut und Böse: Der Historiker Matthias Steinbach zeichnet materialreich den Kampf um Friedrich Nietzsche in der DDR nach.« Elmar Schenkel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Januar 2021 »Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme des Verhältnisses der DDR zu Nietzsche und zugleich ein zeithistorisches und kulturgeschichtliches Dokument.« ekz-bibliotheksservice, November 2020 »Der TU-Geschichtsprofessor geht mit großer Kennerschaft und spürbarem Spaß an der vertrackten Materie zu Werke. Seine Studie ist wissenschaftlich fundiert, aber keinesfalls trocken geschrieben, streckenweise liest sie sich wie eine Reportage.« Florian Arnold, Braunschweiger Zeitung, 6. Oktober 2020