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Freiheit und Gleichheit waren lange gleichrangige Ziele. Trotz anderslautender Lamentos steht Freiheit weiterhin hoch im Kurs, während kaum eine Partei radikale Maßnahmen zur Reduzierung der materiellen Ungleichheit im Programm hat. Der kleinste gemeinsame Nenner ist Chancengleichheit: In der Konkurrenz um knappe Ressourcen sollen alle an derselben Startlinie loslaufen. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung übersetzt sich das in Begriffe wie »Chancenbudget« und »Kinderchancenportal«. Die Logik der Chancengleichheit ist die Ideologie einer Gesellschaft, die sich nur noch als Wettbewerb aller…mehr

Produktbeschreibung
Freiheit und Gleichheit waren lange gleichrangige Ziele. Trotz anderslautender Lamentos steht Freiheit weiterhin hoch im Kurs, während kaum eine Partei radikale Maßnahmen zur Reduzierung der materiellen Ungleichheit im Programm hat. Der kleinste gemeinsame Nenner ist Chancengleichheit: In der Konkurrenz um knappe Ressourcen sollen alle an derselben Startlinie loslaufen. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung übersetzt sich das in Begriffe wie »Chancenbudget« und »Kinderchancenportal«.
Die Logik der Chancengleichheit ist die Ideologie einer Gesellschaft, die sich nur noch als Wettbewerb aller gegen alle denken kann. Ihre Basis, so César Rendueles, ist die Zunahme der Ungleichheit seit den achtziger Jahren. Dabei sind wir Menschen, zeigt der spanische Soziologe, eine ausgesprochen egalitäre Spezies. Allerdings beruht Gleichheit auf einem entsprechenden Ethos und Institutionen wie dem Wohlfahrtsstaat. Wollen wir diese wiederherstellen, müssen wir begreifen, dass es um eine Gleichheit der Ergebnisse geht, dass dieser Kampf nie abgeschlossen sein wird - und dass wir ihn nur gemeinsam gewinnen können.
Autorenporträt
César Rendueles, geboren 1975 in Girona, lehrt Soziologie an der Universidad Complutense de Madrid.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Julia Werthmann hat dieses Buch sehr gern gelesen. César Rendueles, Soziologieprofessor und "Vordenker" der linkspopulistischen spanischen Partei Podemos, verficht in seinem gut lesbar geschriebenen Pamphlet, wie er es selbst nennt, die Idee, dass materielle Gleichheit eigentlich wichtiger ist als Freiheit, oder, wie er es sagt, echte Freiheit gibt es nur, wenn es allen materiell gut geht. Dass Chancengleichheit diesen Zustand nicht herstellen kann, ist für Rendueles klar, weil daran ein Wettbewerb anknüpft. Und die Idee der Leistung - nunja, selbst Steve Jobs hat von staatlichen Leistungen profitiert, lernt Werthmann. Rendueles' Traum ist der "Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit",  so die Rezensentin, mit augenwässernden Spitzensteuersätzen. Werthmann sagt nicht, wie plausibel sie das findet, aber sie findet Trost in der Vorstellung, das Zukunft immer noch gestaltet werden kann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2022

Parodie der Demokratie
César Rendueles schreibt gegen das Vergessen der materiellen Ungleichheit an – und erklärt, warum Chancengleichheit keine gute Antwort ist
Angenehm wärmend klingt in diesen kalten Zeiten die hegelianische Erzählung, dass die Geschichte, bewohnt von einem Weltgeist, sich von selbst in Richtung Freiheit entwickelt. Also einfach geduldig zurücklehnen, und alles wird gut? Bitte nicht, meint der spanische Soziologe César Rendueles. Zwar stimme es, dass Demokratien immer inklusiver würden. Doch das sei nicht Ergebnis eines Weltgeists, sondern Errungenschaft politischer Kämpfe der Sterblichen. Wo nicht gekämpft werde, da passiere nichts. Und in der Frage materieller Ungleichheit werde derzeit nicht gekämpft: „Der gemeinsame Kampf für materielle Gleichheit wurde an den Rand der Debatte verdrängt“, dabei habe sie „seit den späten Siebzigern stetig zugenommen“. Selbst sozialdemokratische Parteien gäben ihr keine ernst zu nehmende Stimme mehr. Gegen diese Vergesslichkeit schreibt der Spanier mit seiner Streitschrift „Gegen Chancengleichheit. Ein egalitarisches Pamphlet“ an.
Rendueles ist Professor für Soziologie in Madrid und einer der Vordenker der linkspopulistischen Partei Podemos, die derzeit Juniorpartner in der spanischen Regierungskoalition mit der sozialdemokratischen PSOE ist. Ziel seines Buches ist für ihn, ein „Pamphlet im eigentlichen Sinne des Wortes zu verfassen“.
Der Text ist tatsächlich alles andere als eine skrupulöse Bilanz der akademischen Ungleichheitsdebatte, wenngleich eine profunde Theoriekenntnis herauszuhören ist. Rendueles zeigt sich in vielen persönlichen Anekdoten, überraschenden Details und historischen Vergleichen eher als gewandter Erzähler. Eine streng strukturierte Argumentation gibt es nicht, ein klares Bild der grassierenden Ungleichheit und der Erzählungen, die sie verschleiern, entsteht eher nach und nach.
Eben solch eine Erzählung, so die Hauptthese, ist die viel beschworene und titelgebende Chancengleichheit (ein zentrales Ziel der Ampelkoalition). Wie auch die moralische Empörung über extreme Formen der Armut stellt sie Ungleichheit als „unkontrollierbare, gesellschaftlich amorphe Erscheinung“, als „Störung in einem ansonsten einwandfrei funktionierenden System“ dar. Genau dieses System jedoch – die Leistungsgesellschaft als „Parodie der Demokratie“ –, ist für Rendueles das Problem. An die Stelle eines guten Lebens für alle tritt die traurige Idee von Gesellschaft als einem Wettbewerb, bei dem vergleichsweise wenige nur gewinnen, weil viele verlieren. Anstrengung wiederum ist dabei alles andere als eine Garantie für Erfolg. Einerseits, weil die reine Marktlogik mitnichten anstrengende oder sozial wertvolle Tätigkeiten wie Kindererziehung oder Pflege belohnt, sondern sozial eher bedenkliche wie die am Finanzmarkt. Andererseits, weil Erfolg immer auf der „Unterstützung“ anderer beruht: sei es durch die richtige Herkunft, unternehmerische Gewinnabschöpfung oder die Inanspruchnahme staatlicher Hilfen. So halfen staatliche Subventionen maßgeblich beim Erfolg des Apple-Gründer Steve Jobs – ein Detail, das dieser in seiner Autobiografie unerwähnt lässt.
Mit alldem möchte Rendueles nicht nur zeigen, dass Leistung nicht der entscheidende Faktor für Erfolg ist. Es sei vielmehr vor allem so, dass die meritokratische Architektur unserer ganzen Ordnung von vornherein ein gutes Leben für alle ausschließe. Gleichheit ist darin bloß für einen fairen Start in den Wettlauf des Lebens nötig. Danach herrscht das Gesetz der Freiheit, sodass etwaige Ungleichheit tragisch, aber eben eigenes Versagen sei.
Das jedoch ist für Rendueles ein fundamentaler Irrtum, weil Freiheit dabei mit Egoismus verwechselt werde. Wahre Freiheit könne jedoch nur gemeinsam, in Gleichheit erreicht werden. Um zu betonen, dass sie einander bedingen, hat der französische Philosoph Etienne Balibar den Neologismus „Égaliberté“ geprägt. Gemeinsam seien sie nicht, wie das Konzept Chancengleichheit suggeriere, Ausgangsbedingungen, sondern stets immer wieder herzustellendes, „kollektives Ziel, das fest zur Anatomie der Demokratie“ gehöre. Anders gesagt: Rendueles will eine radikal ernst gemeinte Sozialdemokratie. Dazu müsse sich allerdings die gesamte „politische Architektur“ ändern. Die von ihm vorgeschlagenen Strategien zielen zum einen darauf, die im Konkurrenzkampf verarmten Sozialbeziehungen wiederzubeleben. Während gegenwärtige Debatten wie ein „politischer Supermarkt“ funktionieren (man geht mit dem Wissen rein, was man möchte), soll das Erstrebenswerte erst gemeinsam ausgehandelt werden.
Zum anderen plädiert Rendueles dafür, in einem entfesselten Kapitalismus die „Notbremse“ zu ziehen. Inspiration findet er beim Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit. Die damaligen Reformen hätten die Ungleichheit auf historisch einzigartige Weise verringert. Etwa mit Spitzensteuersätzen von bis zu 90 Prozent – heute unvorstellbar. Doch Rendueles möchte gar nicht zurück in die Vergangenheit. Er plädiert lediglich dafür, die Erinnerung daran wachzuhalten, dass eine andere Gesellschaft möglich ist. Obwohl Rendueles seiner Leserschaft also den schmutzigen Spiegel ihrer Gegenwart vorhält, verzagt man nicht, denn er schafft es, ein Gefühl für das demokratische Versprechen heraufzubeschwören, dass die Zukunft trotz viel beschworener „Sachzwänge“ gestaltet werden kann.
JULIA WERTHMAN
Wahre Freiheit
kann nur gemeinsam,
in Gleichheit
erreicht werden
César Rendueles: Gegen Chancengleichheit -
Ein egalitaristisches Pamphlet.
Suhrkamp, Berlin 2022. 329 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Zu den Glanzstücken in Rendueles' Argumentation gehört seine polemische, aber soziologisch fundierte und analytisch scharfsinnige, Auseinandersetzung mit der Ideologie zur Rechtfertigung dieser Ungleichheit.« Moritz Klein Deutschlandfunk 20221102