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Die Geschichte einer jüdischen Unternehmerfamilie in turbulenten Zeiten: zwischen Zwangsmigration und erfolgreichem Unternehmergeist.Die Geschicke der Kahans spiegeln ein dramatisches Jahrhundert europäischer Geschichte aus dem Blickwinkel einer jüdischen Unternehmerfamilie. In Konkurrenz zu Nobel und in Kooperation mit Rothschild machte Chaim Kahan (1850 -1916), der aus einem polnisch-litauischen Stetl stammte, sein Vermögen auf den Ölfeldern von Baku. Doch der Erste Weltkrieg zerriss die Familie, und die Herrschaft der Bolschewiki zerstörte das Milieu, das ihm zu Wohlstand verholfen hatte.…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte einer jüdischen Unternehmerfamilie in turbulenten Zeiten: zwischen Zwangsmigration und erfolgreichem Unternehmergeist.Die Geschicke der Kahans spiegeln ein dramatisches Jahrhundert europäischer Geschichte aus dem Blickwinkel einer jüdischen Unternehmerfamilie. In Konkurrenz zu Nobel und in Kooperation mit Rothschild machte Chaim Kahan (1850 -1916), der aus einem polnisch-litauischen Stetl stammte, sein Vermögen auf den Ölfeldern von Baku. Doch der Erste Weltkrieg zerriss die Familie, und die Herrschaft der Bolschewiki zerstörte das Milieu, das ihm zu Wohlstand verholfen hatte. In diesen unbeständigen Zeiten erbten die sieben Kinder seine Unternehmen. Sie flohen nach Berlin, gründeten erneut Firmen, wurden global player im Ölgeschäft und konterkarierten damit das Stereotyp vom armen Ostjuden. Sie betrieben Tankstellennetze und bewiesen Unternehmergeist in einer innovativen Branche von strategischer Bedeutung. Dazu waren sie philanthropisch tätig, halfen Flüchtlingen, retteten Verlage und engagierten sich für die jüdische Heimstatt in Palästina. Als die Nazis an die Macht kamen, floh die Familie, die transnational gut vernetzt war, noch einmal - von Berlin nach Paris, von dort nach Tel Aviv und New York. Abermals bewährten sich in der Not Traditionsbewusstsein und Familiensinn.Verena Dohrn erzählt die Geschichte der Kahans basierend auf Quellen aus privaten und staatlichen Archiven aus 14 Ländern, insbesondere aber anhand des Familienarchivs, das aus einigen Tausend Dokumenten besteht.
Autorenporträt
Verena Dohrn ist Historikerin und Autorin mit dem Schwerpunkt Jüdische Geschichte und Kultur im östlichen Europa.Veröffentlichungen u. a.:»Die Nacht hat uns verschluckt«. Poesie und Prosa jüdischer Migrant_innen im Berlin der 1920 /30er Jahre (Mithg., 2018); Jüdische Eliten im Russischen Reich (2008); Simon Dubnow »Buch des Lebens« (Hg., 2004 /05);Baltische Reise (1994); Reise nach Galizien (1991).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2018

Warum sich Öl und Bücher gleichen
Meilenstein der historischen Elitenforschung: Verena Dohrn ergründet das verzweigte Imperium der Familie Kahan

Die alltagshistorische Wende der internationalen Geschichtswissenschaft ist von deutschen Historikern enthusiastisch aufgenommen worden. Und auch die literarischen Familienrecherchen, die seit einiger Zeit auf den Buchmarkt drängen, haben den historiographischen Blick der letzten Jahrzehnte geprägt. So ist es konsequent, dass die Osteuropa-Historikerin Verena Dohrn, langjährige Koordinatorin des Projekts "Charlottengrad und Scheunenviertel" an der FU Berlin, in ihrer "Familienbiographie" über die jüdische Unternehmerdynastie Kahan die Ergebnisse ihrer tiefenscharfen alltagshistorischen Forschung in literarischen Formen organisiert - als Familiensaga.

Das zentrale Formproblem des Großfamilienromans, die Unübersichtlichkeit, löst sie - ähnlich wie die "Buddenbrooks", "Der Herr der Ringe" oder "Dallas" - durch eine verengte Erzählperspektive aus der Sicht besonders typischer Figuren, die als narrative "Medien" fungieren: "Im Fokus der Biographie stehen drei Generationen, ein Sample von etwa dreißig Personen, sie wird jedoch aus der Perspektive von nur wenigen Protagonisten erzählt. Die historischen Hauptakteure sind der Firmengründer Chaim Kahan und seine Söhne Aron und David als Unternehmer in der Ölwirtschaft, sowie Bendet als Verleger. Die Schwiegertochter Sina, geborene Golodetz, spielt eine Rolle, da sie nach dem Tod ihres Mannes die beiden Schwäger - Aron und David - im Wettbewerb um ihre Zuneigung jahrelang gegeneinander aufbrachte." Ökonomischer Erfolg, kultureller Ruhm und erotisch-familiäre Intrige - dreieinig sind die Ursprünge und Bestandteile des Familienromans.

Die Kahans erwarben ihr Vermögen im aserbeidschanischen Ölförderungsgebiet des russischen Zarenreichs und verloren es in den totalitären Umwälzungen, Verfolgungen, und Misswirtschaftsorgien nach 1917 wieder, machten diesen Verlust im Exil zunächst in Berlin, dann in Paris, Lissabon und schließlich in New York und Tel Aviv auf vielfältige Weise wieder wett.

Die Kahans sind eine der bedeutendsten und eine sehr typische der zahlreichen Familien gewesen, die in der Zwischenkriegszeit, aus dem sowjetisch gewordenen Russland kommend, in "Charlottengrad" ein gutes Jahrzehnt lang zu Hause waren, bevor sie durch die Nationalsozialisten noch einmal vertrieben wurden und ihre wirtschaftliche und kulturelle Erfolgsgeschichte in glücklicheren Ländern neu begründeten und fortsetzten.

Das zaristische Baku ist allerdings nur das lange Zeit einträglichste Operationsgebiet dieser weitverzweigten Unternehmerfamilie gewesen, deren Ursprung im jüdischen Ansiedlungsrayon des Zarenreichs liegt, im heutigen Belarus zwischen Brest und Grodno. Die Biographien und Geschäfte der Kahans entfalteten sich schon im neunzehnten Jahrhundert über mehrere Kontinente. Und einer der zahlreichen Einblicke ins neunzehnte und frühe zwanzigste Jahrhundert, den Dohrns Buch bietet, besteht in der erstaunlichen Homogenität und Anschlussfähigkeit des vorrevolutionären bürgerlichen Lebensstils über nationale Grenzen und kontinentweite Entfernungen hinweg.

Ob St. Petersburg oder Berlin, Grodno oder Baku, Bad Neuenahr oder Karlsbad - wohin immer die zahlreichen Mitglieder der Familie Kahan auf ihren Geschäftsreisen, mit ihren Filialgründungen, für ihre Sommerfrischen und Bildungsaufenthalte gekommen sind, überall fanden sie einen einheitlich standesgemäßen Hintergrund aus geschäftlicher Solidität, vielfältigen Sprachkenntnissen, luxuriösen Hotels, geteilten Bildungsstandards und gemeineuropäischen Manieren vor. Firmen in Baku wurden von Charkow aus per Telegraph dirigiert. Die Eisenbahn fuhr auf die Minute genau nicht nur zwischen Paris und Istanbul, sondern auch zwischen Batumi und Krakau. Man konnte überall wieder neu ansetzen und anfangen - und auch Revolution und Bürgerkrieg in Russland haben dieses gesellschaftliche Sicherheitsnetz nicht, oder jedenfalls nicht gleich, ganz zerreißen können.

Im Kontext der Wirtschaftsgeschichte bringt das Buch insofern Neues, als Verena Dohrn nachweist, dass die Ölförderung im südlichen Zarenreich nicht nur in der Hand der großen Trusts und Bankhäuser, jener bekannten Nobels und Rothschilds gewesen ist. Sie weist nach, dass sich dynamische Familienbetriebe in den brachialkapitalistischen Konkurrenzverhältnissen der Boom-Metropole am Kaspischen Meer ebenfalls erfolgreich durchsetzten und wirtschaftliche Freiräume fanden - gleichsam zwischen den Nobels und Rothschilds einerseits und andererseits den Spießgesellen von Joseph Dschugaschwili-Stalin, der seine ersten Agitationserfolge damals unter anderem in Baku feierte.

Es ist die Welt des romantischen Romans "Ali und Nino" von Kurban Said (auf den Dohrn häufig Bezug nimmt), aber betrachtet nicht aus der Innerlichkeitsperspektive junger Liebender und gerührter Leser, sondern detailreich rekonstruiert aufgrund von Familien- und Geschäftskorrespondenz, Zeitungsberichten und anderen Archivmaterialien. Bildung, Geschäftstüchtigkeit und Familiensinn der jüdischen Familien jener "Welt von Gestern" (Stefan Zweig) brauchten freilich einen intellektuellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Resonanzraum, um Erfolg zu haben oder auch nur überleben zu können.

Dohrns Buch ist auch eine Erzählung über das langsame Verschwinden dieser Voraussetzungen. Die Kahans aus Baku wurden in ihrer eigenen Zeit, sozusagen bei lebendigem Leib, historische Figuren. Zwar gelang es, die Verluste der Oktoberrevolution im Berliner Exil noch einmal aufzufangen - als "Außenseiter in der Zwischenkriegszeit" wie eine der Kapitelüberschriften lautet. Im prekären Schutzraum der deutschen zwanziger Jahre wurde aus Resten des russischen Vermögens die "Nitag" aufgebaut, eine erfolgreiche Ölhandels- und Transportfirma. Der Familiensitz in der Berliner Schlüterstraße 36 wurde noch einmal die Zentrale eines weitverzweigten familiären Netzwerks.

Die Gründung verschiedener Verlage und Buchhandlungen im Berlin der Weimarer Republik belegt, dass für die Kahans wirtschaftliches und kulturelles Kapital wechselseitig konvertierbare Wertformen gewesen sind. "Öl und Bücher gleichen sich, weil beide Licht in die Welt bringen", war ein Familien-Ondit. In Israel würden sie an der Gründung verschiedener Zeitungen, unter anderem der heute noch maßgeblichen "Haaretz" finanziell und personell beteiligt sein. Es spricht für den Weitblick der Familienoberhäupter, dass sie mit der Auswanderung schon 1933 begannen. Über Paris und Lissabon haben es alle Zweige der Großfamilie nach Israel, Kanada oder die Vereinigten Staaten geschafft und sind der nationalsozialistischen Mordmaschinerie entgangen.

In der Ausstellung "Berlin Transit" des Jüdischen Museums Berlin wurden Dohrns Forschungsergebnisse bereits 2012 museologisch aufbereitet und gezeigt. "Vieles, was hier gezeigt wird, stammt aus dem Erbe unserer Großmutter. Die Briefe sind auf Jiddisch oder Althebräisch geschrieben, was von uns keiner lesen kann", sagten kanadische Nachkommen der Dynastiegründer damals. "Es ist toll, dass sich jemand darum kümmert. Wenn mir die Briefe nach dem Tod meiner Eltern in die Hände gefallen wären - ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, vielleicht hätte ich sie einfach weggeworfen und gesagt: Das ist Vergangenheit - und tschüs!"

Verena Dohrns Buch ist ein Meilenstein der historischen Elitenforschung - das nebenbei übrigens auch das Klischee des zurückgebliebenen "Ostjuden" eindrucksvoll relativiert. Vor allem aber ist es für zeitgenössische Leser wertvoll, weil es ihnen einen vergessenen Teil der deutschen und internationalen Geschichte in familiärer Intimität vor Augen führt.

STEPHAN WACKWITZ

Verena Dohrn: "Die Kahans aus Baku". Eine Familienbiographie.

Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 519 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

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»Verena Dohrns Buch ist ein Meilenstein der historischen Elitenforschung.« (Stephan Wackwitz, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.11.2018) »ein ausgreifendes, archivalisch beeindruckend recherchiertes, gut lesbares Buch« (Alexander Kluy, Wina - Das jüdische Stadtmagazin, Dezember 2018) »Ihr Leben stellt einen Teil der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts dar. (...) faktenreich und lebendig, unter Ausschöpfung zahlreicher Quellen erzählt.« (Angela Bachmair, Augsburger Allgemeine, 17.04.2019) »Sehr interessante Einblicke für geschichtlich Interessierte!« (Inge Hagen, www.borromaeusverein.de, 12.02.2019) »Verena Dohrn hat ein beeindruckende recherchiertes und fesselnd zu lesendes Buch geschrieben.« (Hans-Christian Petersen, Medaon, 13 (2019), 25)