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Judith N. Shklar beschäftigte sich ihr Leben lang mit Hannah Arendt. In ihren Texten zeichnet sie ein ambivalentes Bild der 22 Jahre älteren Philosophin, kommt in ihrem Werk sowohl anerkennend als auch voller Witz und polemischer Schärfe immer wieder auf sie zurück. Shklar schätzt Arendt vor allem für ihre Gedanken zu Exil und Staatenlosigkeit und für ein Ethos, das das Versprechen der Politik und des jederzeit möglichen absoluten Neuanfangs hochhält. Zugleich aber kritisiert Shklar sie als hochtrabende Metaphysikerin und enttäuschte Marxistin mit einem Hang zu politischer Romantik. "Über die…mehr

Produktbeschreibung
Judith N. Shklar beschäftigte sich ihr Leben lang mit Hannah Arendt. In ihren Texten zeichnet sie ein ambivalentes Bild der 22 Jahre älteren Philosophin, kommt in ihrem Werk sowohl anerkennend als auch voller Witz und polemischer Schärfe immer wieder auf sie zurück. Shklar schätzt Arendt vor allem für ihre Gedanken zu Exil und Staatenlosigkeit und für ein Ethos, das das Versprechen der Politik und des jederzeit möglichen absoluten Neuanfangs hochhält. Zugleich aber kritisiert Shklar sie als hochtrabende Metaphysikerin und enttäuschte Marxistin mit einem Hang zu politischer Romantik. "Über die Revolution" ist für Shklar ein "blamables Buch", während "Arendt in Eichmann in Jerusalem" mit dem Hochmut des selbsterklärten Parias lediglich "epigonal und amateurhaft" über Politik zu reflektieren weiß. Gegen Arendts heldenhaftes Verständnis von Politik und ihre Blindheit für historische Ungerechtigkeiten stellt Shklar das Lob eines unpersönlichen Prozeduralismus und ihren eigenen Liberalismus der Furcht und der Rechte - so ist Shklars Werk nicht zuletzt gegen Arendts Denken entstanden. Mit den hier versammelten Texten ist es nun möglich, das Verhältnis zweier zentraler politischer Theoretikerinnen des 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen.
Autorenporträt
Judith N. Shklar, 1928 in Riga geboren, lehrte Politikwissenschaften an der Harvard University und starb 1992 in Cambridge, Massachusetts. Die Relevanz ihres Werks findet erst in den letzten Jahren Anerkennung. Ihr Essay Der Liberalismus der Furcht gilt inzwischen als Klassiker der jüngeren politischen Philosophie und als Schlüsseltext der Liberalismustheorie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.02.2020

In den Irrtum explodieren
Scharfzüngige Kritik: Ein Band versammelt Judith Shklars Texte über Hannah Arendt

Wenn Thomas Mann darin recht hätte, dass es einen "Adel des Geistes" gebe, dann wäre dieses Buch ein Stelldichein von Prinzessin und Königin. Es versammelt die Texte, die Judith Shklar über Hannah Arendt verfasst hat. Mit knapper Not entkamen beide den Nationalsozialisten, mit dickem Fell setzten sie sich in der akademischen Männerwelt durch, Hannah Arendt in Princeton, New York und Chicago, Judith Shklar in Harvard. Mit "umwerfender Intelligenz", wie ein Kollege sagte, verschafften sie der politischen Philosophie neuen Glanz und Substanz. Mit jäher Wucht raffte ein Herzinfarkt sie hinweg, Arendt 1975, Shklar 1992. Der Generationenunterschied - Arendt war gut zwanzig Jahre älter als Shklar - gab die Rangordnung zwischen ihnen vor.

Auch wenn Arendt - erst ungewollt, dann gewollt - Außenseiterin blieb, begann ihre geistige Thronbesteigung schon mit dem Buch über "Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft" von 1951. Als Doktorandin lernte Shklar sie in Seminaren über dieses Buch, das sie bewunderte, kennen. Beide waren umgetrieben von den Themen des Totalitarismus und des Exils, doch mit Shklars Aufstieg zum Ruhm, erst in jüngster Zeit auch in Deutschland, wurde der Abstand zu Arendt markant: Nicht die republikanische Feier der Selbstbestimmung, sondern die liberale Vermeidung des Leidens und der Furcht war für sie der Dreh- und Angelpunkt der Politik.

Im Nachruf auf Arendt hält sich Shklar noch an die Regel, dass über Tote nur Gutes zu sagen sei, und feiert deren Werk als "großen geistigen Triumph - für sie persönlich, aber auch für die Tradition des offenen politischen Diskurses". Doch die Bewunderung hindert Shklar nicht an Kritik - im Gegenteil. Arendt scheint ihr der Kritik in besonderer Weise würdig, und diese wird zwischen den Jahren 1957 und 1984, in denen die Texte dieses Bandes entstanden sind, immer brüsker und brutaler. Den Kontext dieser Kritik erhellt der Herausgeber Hannes Bajohr in einem kundigen Nachwort.

Shklar schreibt, Arendt leide an "ahistorischen Hirngespinsten", "unerhörter Ignoranz" und "Arroganz", und wenn sie falsch liege, so "explodiere sie förmlich in ihren Irrtum hinein". Arendts Buch "Über die Revolution" hält Shklar für "blamabel", "Eichmann in Jerusalem" für "epigonal und amateurhaft" oder schlicht für "grauenhaft".

Die Linse, durch die Shklar auf Arendts Werk blickt, schleift sie zwei Jahre nach deren Tod, nämlich in dem Aufsatz "Das Vergangene neu denken" von 1977. Darin beruft sie sich auf Friedrich Nietzsches berühmte Unterscheidung zwischen einer antiquarischen, kritischen und monumentalischen Geschichtsschreibung. Als Vertreterin letzterer lässt sie Arendt auftreten, die voll von Bewunderung dafür sei, "dass hervorragende Menschen" in der Vergangenheit "große Taten vollbrachten", und deren Ideale nun der Gegenwart entgegenhalten wolle. Shklars Nutzung von Nietzsches Schema ist hintersinnig. Nietzsche hatte nämlich vor den fatalen Nebenwirkungen gewarnt, die mit der Fixierung aufs Monumentale einhergehen - und ebendiese Nebenwirkungen treten nach Shklar in Arendts Theorie auf.

Es sind deren zwei. Zum Ersten droht eine hemmungslose Idealisierung der Vergangenheit, nämlich in Arendts Fall der antiken Republik und der Gründerväter der amerikanischen Demokratie. "Niemand litt je an einem schlimmeren Fall von Hellasverehrung als Arendt", bemerkt Shklar, und das Lob für Jefferson & Co. unterschlage auf "exzentrische" Weise deren "Verfehlungen". Zum Zweiten droht eine pauschale und arrogante Abwertung der Gegenwart, welche mit vergangener Größe sowieso nicht mithalten könne. Arendts Denken sei "im Kern" von der Idee des "Niedergangs" bestimmt, schreibt Shklar, die einfachen Menschen der Neuzeit würden bei ihr zu einer "Masse" von "Spießern" oder seien zu "einem Leben vernunftloser Wildheit verdammt" .

Shklar wirft Arendt vor, dass sie im Eichmann-Buch diejenigen, die unter bedrückenden Umständen zu handeln hatten, an einem Ideal gemessen habe, das an den Haaren herbeigezogen war: "Warum, fragte sie, hatten sich die osteuropäischen Juden nicht wie homerische Helden verhalten?" In der berüchtigten Kritik an der Kollaboration der Judenräte deutete Arendt deren Verhalten als Tiefpunkt einer Anpassung, die zuvor eher in der Form des Erfolgsstrebens und der Selbstverleugnung aufgetreten sei: im Programm des "Parvenü". Shklar schilt Arendts Kritik am "Parvenü" als Snobismus und erkennt am Gegenmodell des "Paria", welcher am Außenseitertum festhält, eine "egozentrische" Feier der eigenen "Überlegenheit", mit der sich Arendt nicht nur von der "Mobmentalität" der Massengesellschaft, sondern auch "vom eigenen Volk" distanziert habe.

Was hätte Arendt Shklar entgegengehalten? Sie hätte darauf verweisen können, dass Anpassung und Erfolg in der modernen Gesellschaft insgesamt ein ziemlich bösartiges Tandem bilden. Sie hätte wohl betont, dass ein "Paria" gar nicht selbstgefällig auftreten könne, weil ihn das Bewusstsein existentieller Prekarität keine Sekunde verlasse. Schließlich hätte sie ihren Rückgriff auf die Antike und die amerikanischen Gründerväter verteidigt, weil sie dort ein Ideal verortete, das den Menschen zum Ausbruch aus den Rollen des "Parvenü" oder des "Paria" verhelfen könne. Für dieses Ideal steht bei Arendt ein drittes "P", das bei Shklar leider zu kurz kommt, nämlich die "Partizipation". In einer Passage, die sich fast wie eine vorweggenommene Kritik an Shklars "Liberalismus der Furcht" liest, wendet sich Arendt dagegen, die Freiheit nur als "Befreiung" von "Hunger und Furcht" zu verstehen, und betont, der "eigentlich positive Gehalt" der Freiheit bestehe in der "aktiven Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten".

Dass Arendt dieses Ideal aufrief, sollte man ihr nicht verübeln - schon deshalb nicht, weil demokratische Teilhabe heutzutage ein bedrohtes Gut ist. 1951 schrieb sie: "Die Menschen haben sich in einer immer unverständlicher werdenden Welt darauf eingerichtet, jederzeit jegliches und gar nichts zu glauben, überzeugt, dass schlechterdings alles möglich sei und nichts wahr. (...) Die Massenpropaganda setzt mit außerordentlichem Erfolg ein Publikum voraus, das jederzeit bereit ist, leichtgläubig alles hinzunehmen, und sei es noch so unwahrscheinlich, und es doch nicht im mindesten verübelt, wenn der Betrug sich herausstellt, weil es offenbar jede Aussage ohnehin für eine Lüge hält." Diesem medialen Unglück, das in den Vereinigten Staaten aktuell grassiert, mit Hannah Arendt das "öffentliche Glück" entgegenzuhalten bleibt auch dann eine gute Idee, wenn dessen Erfinder, nämlich Thomas Jefferson, aus krummem Holz geschnitzt war.

DIETER THOMÄ

Judith N. Shklar: "Über Hannah Arendt".

Hrsg. und mit einem Nachwort von Hannes Bajohr. Aus dem Englischen von Hannes Bajohr und T. Reiß. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2020. 190 S., br., 14,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

In einer Doppelrezension denkt Rezensent Christian Thomas nach über die Aktualität von Hannah Arendts Reflexionen zu Flüchtlingen und Staatenlosigkeit.  Er folgt der Kategorie der "Überflüssigen", aus Arendts großer Arbeit "Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft", auf die sich auch die Autorin Judith Shklar besonders bezieht. Der Kritiker zieht umstandslos die  Situation der Flüchtlinge in Mora heran, dem abgebrannten Lager auf Lesbos, um darauf zu verweisen, dass mit ihnen auch heute umgegangen werde wie mit Menschen, die keiner braucht. Ihn beeindruckt die Kategorie des "tragischen Denkens", die Shklar Arendt zubilligt, eines Denkens, das von der Gemachtheit und Machbarbeit politischer Umstände ausgehe. Er fragt sich auch, ob Shklar mit ihrem Vorwurf an Arendt recht hat, dass nämlich deren Titulierung des massenhaften Durchschnittsmenschen als "Mob" und "Philister", arg "snobistisch" sei. Aber das Zugespitzte solcher Formulierung hat ihn am Ende wenig gestört und er hofft mit Shklar, die EU könne jene demokratische Institution sein, die man laut Arendt brauche, um aus Rechtlosen endlich Bürger zu machen, die Rechte besitzen.

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