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Im Juni 1923 wurde in Kassel im Rahmen des Tonkünstlerfests des Allgemeinen Deutschen Musikvereins die Zweite Symphonie des erst 22-jährigen Komponisten Ernst Krenek uraufgeführt. Im Publikum saß ein 19-jähriger Philosoph mit gerade begonnener Dissertation und ausgeprägten musikalischen Interessen, der diese Aufführung als Schock erlebte: Theodor W. Adorno. Ein Jahr später lernen die beiden sich in Frankfurt persönlich kennen und beginnen bald darauf einen Briefwechsel, der sich über mehr als drei Jahrzehnte erstreckt. Kompositorische und musiktheoretische Fragen werden darin ebenso diskutiert…mehr

Produktbeschreibung
Im Juni 1923 wurde in Kassel im Rahmen des Tonkünstlerfests des Allgemeinen Deutschen Musikvereins die Zweite Symphonie des erst 22-jährigen Komponisten Ernst Krenek uraufgeführt. Im Publikum saß ein 19-jähriger Philosoph mit gerade begonnener Dissertation und ausgeprägten musikalischen Interessen, der diese Aufführung als Schock erlebte: Theodor W. Adorno. Ein Jahr später lernen die beiden sich in Frankfurt persönlich kennen und beginnen bald darauf einen Briefwechsel, der sich über mehr als drei Jahrzehnte erstreckt. Kompositorische und musiktheoretische Fragen werden darin ebenso diskutiert wie philosophische, soziologische und politische Themen. Auch Privates kommt zur Sprache.

Diese Korrespondenz liegt nun in einer vollständig überarbeiteten, den aktuellen Forschungsstand reflektierenden Neuausgabe vor. Gegenüber der Erstedition aus dem Jahr 1974 um zahlreiche Briefe und Dokumente erweitert sowie ergänzt um sämtliche aufeinander Bezug nehmende Schriften Adornos und Kreneks, bietet sie den bislang umfassendsten Einblick in eine Beziehung, die für die Theorie und Geschichte der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts von herausragender Bedeutung ist.
Autorenporträt
Theodor W. Adorno wurde am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geboren und starb am 06. August 1969 während eines Ferienaufenthalts in Visp/Wallis an den Folgen eines Herzinfarkts. Von 1921 bis 1923 studierte er in Frankfurt Philosophie, Soziologie, Psychologie und Musikwissenschaft und promovierte 1924 über Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie. Bereits während seiner Schulzeit schloss er Freundschaft mit Siegfried Kracauer und während seines Studiums mit Max Horkheimer und Walter Benjamin. Mit ihnen zählt Adorno zu den wichtigsten Vertretern der 'Frankfurter Schule', die aus dem Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt hervorging. Sämtliche Werke Adornos sind im Suhrkamp Verlag erschienen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Wolfgang Hellmich entnimmt dem von Claudia Maurer Zenck herausgegebenen Briefwechsel zwischen Theodor W. Adorno und Ernst Krenek, dass fachlicher Austausch und Bewunderung noch keine Freundschaft macht. Wie sich das Verhältnis der Briefeschreiber nach fast vierzig Jahren schließlich abkühlt, kann Hellmich anhand der erweiterten und mit Erläuterungen versehenen Neuausgabe verfolgen. Die laut Hellmich vor allem um Musiktheoretisches kreisenden Briefe, die ohne Hinweise auf die Lebenssituation auskommen, sind für den Rezensenten in erster Linie ein "intellektuelles Vergnügen". Die der Briefauswahl beigegebenen Texte, etwa über Kreneks Verständnis von musikalischer Erziehung, findet der Rezensent bereichernd.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2020

Der Theoretiker und sein rätselhaftester aller Komponisten
Zwei Modernisten, verwurzelt im alten Wien: Eine vorzügliche Edition des Briefwechsels zwischen Theodor W. Adorno und Ernst Krenek

Im September 1932 fügt Ernst Krenek seinem Brief an den Freund und Kollegen Theodor Wiesengrund-Adorno eine persönliche Anmerkung hinzu: "Ganz privat, und wahrhaftig nicht aus Eitelkeit möchte ich Sie noch fragen, ob Ihnen meine Figur zu unerheblich schien, um in Ihre Typologie eingereiht zu werden oder welche anderen Gründe Sie zur Nichtnennung veranlassten." Adorno hatte Kreneks Werk in seinem großen Aufsatz "Zur gesellschaftlichen Lage der Musik" nicht erwähnt, und in seiner Antwort nennt er nun als eigentlichen Grund, "daß tatsächlich Ihre Erscheinung merkwürdig aus den Kategorien herausfällt". Wenn er hinzufügt: "Ich glaube nicht, daß das etwas gegen die Kategorien besagt", dann befindet man sich bereits mitten in dem Wechselspiel von Theorie und Praxis, das diese beiden Protagonisten der "Neuen Musik" über Jahrzehnte verband und immer wieder trennte.

Adornos Bekenntnis, "daß Sie mir heute noch: wie zur Zeit der 2. Symphonie, der rätselhafteste aller Komponisten sind, den ich nicht auf die Formel bringen kann", ist ein für den scharfsinnigsten Musikphilosophen der Epoche bemerkenswertes Geständnis, das weit hinausreicht über den privaten Anstoß. Denn hier stellt sich zwangsläufig die Frage, was es für den Theoretiker heißt, wenn er zwar die überragende Bedeutung eines Komponisten erkennt, ihn aber trotzdem nicht erfassen kann mit dem eigenen theoretischen Instrumentarium.

Ernst Krenek, Jahrgang 1900, und der 1903 geborene Adorno hatten sich im Juni 1924 persönlich kennengelernt; schon ein Jahr zuvor war dieser unter den Zuhörern bei der Uraufführung von Kreneks 2. Symphonie, und das Ereignis versetzte ihm einen Schock. Die beiden jungen Männer gehörten zu den engagiertesten Vorkämpfern der Neuen Musik, Krenek als Komponist, der auch exzellent schrieb, Adorno als Theoretiker mit erheblichem Ehrgeiz auch als Komponist. Adorno propagierte von Anfang an die "zweite" Wiener Schule als Maßstab für alles Komponieren in der Gegenwart. Auch wenn er dem Übergang von der freien Atonalität zur Zwölftontechnik sehr kritisch gegenüberstand, entwickelt hatte er die Kriterien seiner Musiktheorie und -kritik an der Erfahrung der Werke von Arnold Schönberg, Anton von Webern und Alban Berg. Und Krenek, das bewies ihm bereits die 2. Symphonie, passte hier ganz und gar nicht hinein. Auch er war zwar stark beeinflusst von der Schönberg-Schule, aber eben nicht nur: Studiert hatte er bei dem Spätestromantiker Franz Schreker, doch er hörte ebenso genau hin bei Strawinsky und beim Jazz. Kaum ein anderer Komponist seiner Generation erlaubte sich eine so weitgehende ästhetische Freiheit im Umgang mit Stilen, Formen, Traditionen.

Trotz dieser großen Gegensätze fanden die beiden aneinander sofort Gefallen, und die Folge davon ist der bislang interessanteste Briefwechsel aus Adornos musikalischem Umkreis. Bei aller Sympathie für Adornos Theorie - aber auch für sein Komponieren! - zwingt Krenek den Briefpartner immer wieder, seine Ideen zu erklären, zu präzisieren, und Kritik wie Antwort führen dabei zu aufsatzlangen Texten. Erstaunlich, wie schnell Krenek die Angelpunkte von Adornos lebenslanger Musikphilosophie kritisch fixierte, vor allem die hegelianische Idee einer dem "musikalischen Material" immanenten Fortschrittstendenz. Ist der Begriff des Fortschritts überhaupt anwendbar auf Kunst? Krenek antizipiert hier mit seiner Frage eine Fundamentalkritik an Adornos musikphilosophischem Hauptwerk, denn die "Philosophie der neuen Musik" ist bekanntlich strukturiert durch den Dualismus "Schönberg und der Fortschritt" gegen "Strawinsky und die Reaktion".

"Der rätselhafteste aller Komponisten" sitzt als Stachel in Adornos Theorie, mit den Symphonien, mit der Jazz-Oper "Jonny spielt auf", mit Liedern, mit Klaviermusik, und dabei bleibt es dann auch in den späten Kranichsteiner Jahren, als Krenek und Adorno sich auf sehr unterschiedliche Weise mit den jüngsten Tendenzen der seriellen Musik plagen. Krenek, der sich früh als "Kulturbolschewist" tituliert sah, findet sich plötzlich wieder als sogenannter Reaktionär: ein Strukturwandel der musikalischen Öffentlichkeit, den er mit Ärger registriert, zum Glück aber auch mit altersweiser Ironie.

Gerade mit dem Blick auf die damals allerjüngsten Neutöner und ihre Theoretiker - Stockhausen, Metzger - zeigt dieses lebenslange Gespräch seine andauernde Bedeutung: Im Kern geht es nämlich immer wieder um das Verhältnis der künstlerischen Freiheit zu ästhetischen Regeln oder Konstruktionsprinzipien, sei es nun die Zwölftontechnik oder die noch rigidere Serialität. Dieses inhaltliche Gewicht macht es hocherfreulich, dass jetzt, 46 Jahre nach einer ersten Edition, der Briefwechsel noch einmal vollkommen neu erscheint. Claudia Maurer Zenck hat ihn nicht nur durch inzwischen aufgefundene Dokumente erweitert; der größte Gewinn liegt in einem so ausführlichen, kenntnisreichen Kommentar, wie man ihn nur wünschen kann. Daten, Publikationen, Aufführungen, alles findet sich aufgeschlüsselt ebenso wie die lebensgeschichtlichen Ereignisse zweier Künstler und Intellektueller, die durch die nationalsozialistische Diktatur ins amerikanische Exil gezwungen wurden - ein harter biographischer Einschnitt für zwei strikte Modernisten, die dennoch von ganzem Herzen verwurzelt waren im alten Wien.

Und zu Wien gab es noch ein gemeinsames Band, nämlich "unseren geliebten Freund Alban". Diese tiefe Zuneigung zu der gewinnenden, faszinierenden Person hat naturgemäß auch ihre musikalische Seite, war doch Alban Berg in der Trias mit Schönberg und Webern derjenige, der sich bei aller Konsequenz am weitesten hinauswagte in den Bereich des schönen Klanges, der großen Oper. Das Publikum hat es ihm gedankt und auch seine beiden Freunde. So bietet dieser Briefwechsel auch wieder einmal eine kleine Korrektur an dem Bild, das Adornos große Schriften häufig festschreiben. Er war durchaus nicht nur der Propagator des einen musikalischen Weges, wie er ihn dort vertrat; er hatte auch das Ohr für jene "rätselhaften" Komponisten, die sich der Theorie entzogen. Dass er trotzdem so wenige nachlesbare Konsequenzen zog für seine Theorie des musikalischen Fortschritts, bleibt ein noch zu erforschendes Kapitel. Der Briefwechsel mit Ernst Krenek ist dafür ein in seinem Reichtum unverzichtbares Dokument.

WOLFGANG MATZ

Theodor W. Adorno/ Ernst Krenek: "Briefwechsel 1929-1964".

Hrsg. von Claudia Maurer Zenck. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 484 S., geb., 44,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.12.2020

Atonale Freundschaft
Ernst Krenek, Theodor W. Adorno und ihr Briefwechsel über das Schicksal der Musik im 20. Jahrhundert
Noch als alter Mann erinnerte sich der österreichische Komponist Ernst Krenek, einer der Großen der Musik des 20. Jahrhunderts, an die erste Begegnung mit Theodor W. Adorno. In Frankfurt wurde 1924 die Uraufführung von Kreneks Oper „Der Sprung über den Schatten“ vorbereitet. Ein etwas überartikulierter Jüngling, wie er sich ausdrückte, versuchte, die Aufmerksamkeit des drei Jahre älteren Komponisten (Adorno war damals 20 Jahre alt) auf sich zu lenken. Schon damals gab es also einen Moment des Vorbehalts bei Krenek, der dennoch sofort gefesselt war vom Scharfsinn und der Formulierungsoriginalität des jungen Mannes.
Adorno war gerade dabei, an der Universität seiner Heimatstadt in Philosophie mit einer Arbeit über Edmund Husserl zu promovieren. Quasi nebenbei hatte er am Konservatorium Komposition studiert. Der ehrgeizige, intellektuell überragend und frühreif talentierte Adorno wollte Krenek dringend kennenlernen, der auf seine Art ebenfalls ein Phänomen der Frühreife war.
Im Gegensatz zu Adorno hatte er als Komponist schon erhebliche erste Erfolge zu verzeichnen, zu denen vor allem die Uraufführung der Zweiten Symphonie 1923 in Kassel zählte, ein einstündiges Orchesterwerk mit den Dimensionen einer Mahler-Symphonie. Adorno war auch in Kassel dabei gewesen, war von diesem Werk enorm beeindruckt und blieb es sein Leben lang. Seinerseits hatte er bereits seine Freundschaften mit Siegfried Kracauer, Max Horkheimer und Walter Benjamin initiiert.
Fast gleichzeitig mit Krenek lernte er ebenfalls in Frankfurt Alban Berg kennen; auch der war zu einer Uraufführung eines Orchesterstückes nach Frankfurt gekommen. Schnell entschloss sich Adorno, Berg zu fragen, ob er nach Wien kommen und bei ihm Komposition studieren dürfe, was dann auch 1925 für ein halbes Jahr in die Tat umgesetzt wurde. In Wien lernte Adorno dann natürlich auch Arnold Schönberg und dessen weiteren Kreis kennen.
Dem Kontext Berg und Schönberg blieb Adorno sein Leben lang verhaftet. Die Beziehung zu Krenek zeichnet ein anderer Akzent aus. Der Briefwechsel zwischen diesen beiden Musik-Menschen ist schon einmal veröffentlicht worden, 1974 von Wolfgang Rogge. Was jetzt, herausgegeben von Claudia Maurer Zenck, neu erscheint, ist keineswegs eine nur leicht überarbeitete Neuauflage. Sondern eine neue Edition, die, bei allen Verdiensten der alten, die Beziehung zwischen Krenek und Adorno in ein noch klareres Licht rückt. Einige wichtige Briefe sind seither entdeckt worden, die Beschäftigung mit dem einen wie dem anderen ist inzwischen auf einem deutlich höheren Niveau angelangt. Der Umfang der neuen Edition ist fast doppelt so groß wie der der früheren.
Es ist eine spannungsvolle Beziehung zwischen diesen beiden Männern. Adorno war von Krenek fasziniert, weil er ihn als eine Erscheinung ansah, die auf merkwürdige Weise aus den Kategorien des Musikbetriebes herausfiel. Das ließ ihn sehr früh die Schwierigkeiten der Komponistenkarriere Kreneks voraussehen. Es reizte ihn gerade, dass er es nicht vermochte, ihn auf eine Formel zu bringen, dass er für ihn rätselhaft blieb. Krenek war von Adorno fasziniert, weil er als Musikschriftsteller und Musikphilosoph früh das meiste überragte, was zu der Zeit über Musik zu Papier gebracht wurde.
Eine Zeit lang gingen die beiden jungen Männer in ihrer Beurteilung der zeitgenössischen Musik fast konform, zumindest so lange, wie Krenek sich kompositorisch im Bereich der sogenannten freien Atonalität bewegte, repräsentiert etwa in der Oper „Wozzeck“ des gemeinsam bewunderten Alban Berg. Adorno blieb bis zuletzt diesem Idiom, dieser Welt treu, während der geradezu unheimlich wandlungsfähige Krenek, wie es in einem Lexikon formuliert worden ist, sich tonaler, freitonaler, dodekaphoner, serieller und aleatorischer Techniken bediente. Trotz seiner Bewunderung für Schönberg hielt Adorno die sogenannte Zwölftontechnik in ihrer rigiden Form für nicht den richtigen Weg, weil sie einer von allen Zwängen befreiten und dennoch nicht auf Form verzichtenden Musik – seinem Ideal – zu viele Regeln in den Weg stellte. Er hat dies dann später in seiner „Philosophie der neuen Musik“ wirkungsvoll formuliert.
Der Briefwechsel bildet, obwohl er einige Lücken und Pausen aufweist, das frühe Zusammenkommen und spätere Auseinanderstreben der befreundeten Männer präzise ab. Immer wieder schreibt Adorno sehr lange, für seine Musikanschauung fundamentale Briefe an Krenek, um etwa seine Bedenken gegen die Zwölftontechnik des großen Opernprojekts „Karl V.“, komponiert in den frühen Dreißigerjahren, zu formulieren. Es ist merkwürdig zu beobachten, dass Krenek, ein Mann von überragender musikalischer und auch literarischer Bildung, auf die ausführlichen und präzise vorgebrachten Problematisierungen Adornos eigentlich nie adäquat antwortet, zumindest nicht in den überlieferten Briefen. Auch politisch gibt es Unterschiede, nicht nur in Nuancen. So warnt Adorno Krenek davor, allzu große Hoffnung in den sogenannten christlichen Ständestaat von Dollfuß und Schuschnigg zu setzen.
Im amerikanischen Exil treffen sie sich wieder. Danach trennen sich ihre Wege: Adorno kehrt nach Frankfurt zurück, Krenek bleibt, trotz vieler Kontakte nach Europa, in den USA. Die Differenzen werden größer. Krenek mag die „Philosophie der neuen Musik“ nicht wirklich, findet die Kritik an der Zwölftontechnik zu rigide und sieht zu viel Weltuntergangsperspektive in dem Buch, ja konstatiert sogar eine Nähe zu Oswald Spengler. Das konnte Adorno nun wirklich nicht gefallen.
Und dann gibt es da noch einen offenen Brief Kreneks für die Festschrift zu Adornos 60. Geburtstag, die dem zu Ehrenden wiederum auf den Magen schlagen musste. Krenek wusste doch, dass eine der großen Lebenswunden von Adorno seine Unproduktivität als Komponist war. Für die hatte Ernst Krenek wenig Verständnis, der Mann der über 240 Opusnummern, bei Adorno waren es eben gerade mal acht. Dass in einem Festschriftbeitrag darauf Bezug genommen wurde, das goutierte der Geehrte nicht sehr, spielte dem Gratulanten gegenüber jedoch gute Miene vor.
Aber gerade das macht den Reiz dieses Briefwechsels aus. Hier korrespondieren nicht zwei, die Arm in Arm das Jahrhundert in die Schranken fordern, sondern die immer wieder divergierende Standpunkte einnahmen – bei einem grundsätzlichen Konsens über die gesellschaftliche Rolle der Musik, die bei Krenek schwächer, bei Adorno stärker betont wurde.
Adorno hat mal schön formuliert, dass Arnold Schönberg Alban Bergs Erfolge beneidete, während Berg Schönbergs Misserfolge beneidete. Adorno beneidete Kreneks enorme schöpferische Produktivität. Aber was beneidete Krenek, der selbst ein fruchtbarer Schriftsteller war, nicht zuletzt mit einer tausendseitigen fesselnden Autobiografie, bei Adorno? Als Philosoph, Gesellschaftskritiker und Musikdenker war dieser ihm deutlich überlegen, aber in diesen Feldern hatte Krenek keinen ausgeprägten Ehrgeiz.
Es gibt auch noch andere Unterschiede. Man vergleiche nur die Reaktion auf den Tod des von beiden geliebten Alban Berg. Adorno findet Worte der Empathie und der tiefen Erschütterung. Krenek bleibt nüchtern. Genauso nüchtern blieb er, als er 1969 von Gretel Adorno vom Tod ihres Mannes erfuhr. Der Brief an die Witwe ist zusammen mit einer Fülle von zusätzlichen Dokumenten hier abgedruckt. Claudia Maurer Zenck hat einen Briefwechsel (mit vielen hilfreichen Anmerkungen) umfassend und vorbildlich neu ediert, der für die Physiognomie der beiden Briefschreiber wie für die Entwicklung bedeutender Musik im 20. Jahrhundert eine so farbige wie perspektivenreiche Quellensammlung darstellt.
JENS MALTE FISCHER
Theodor W. Adorno, Ernst Krenek: Briefwechsel 1929 – 1964. Herausgegeben von Claudia Maurer Zenck. Suhrkamp, Berlin 2020. 483 Seiten, 44 Euro.
Im Exil treffen sie sich wieder. Als
Adorno nach Frankfurt zurück
geht, wachsen die Differenzen
Briefpartner: links der Komponist Ernst Krenek (1900 – 1991), rechts Theodor W. Adorno (1903 - 1969).
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»... ein intellektuelles Vergnügen.« Wolfgang Hellmich Neue Zürcher Zeitung 20210216
»Durch diesen nahen, kaum je unterbrochenen Austausch ist der umfangreiche Briefwechsel, der jetzt in einer großartigen Edition von Claudia Maurer Zenck erscheint, ein fast unerschöpfliches, so ernsthaftes wie unterhaltsames Dokument im Sachlichen wie im Privaten.« Wolfgang Matz Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230728