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Nicholas Boyle stellt in seiner ebenso brillanten wie knapp gefaßten Geschichte der deutschsprachigen Literatur die wichtigsten Autoren und Werke vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart vor. Gleichzeitig zeigt er, wie die Literatur zu allen Zeiten auf politische und soziale, auf religiöse und philosophische Entwicklungen reagiert hat. So erzählt Boyle mit der Geschichte der Literatur auch die Geschichte der Gesellschaft, der die Autoren und die Leser entstammten. Dabei wird deutlich, wieso die Literatur in Deutschland, Österreich und der Schweiz oft ganz unterschiedliche Wege beschritt.…mehr

Produktbeschreibung
Nicholas Boyle stellt in seiner ebenso brillanten wie knapp gefaßten Geschichte der deutschsprachigen Literatur die wichtigsten Autoren und Werke vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart vor. Gleichzeitig zeigt er, wie die Literatur zu allen Zeiten auf politische und soziale, auf religiöse und philosophische Entwicklungen reagiert hat. So erzählt Boyle mit der Geschichte der Literatur auch die Geschichte der Gesellschaft, der die Autoren und die Leser entstammten. Dabei wird deutlich, wieso die Literatur in Deutschland, Österreich und der Schweiz oft ganz unterschiedliche Wege beschritt. Überall hat Boyle auch die übrige europäische Literatur im Blick, der die deutsche manchmal vorauseilte, manchmal hinterherhinkte. Der gepriesene Goethe-Biograph erweist sich in diesem Buch wieder als der souveräne Kenner, der pointierte Einsichten mit der Kunst der Erzählung zu verbinden versteht.
Autorenporträt
Nicholas Boyle, geb. 1946, ist Emeritus Schröder Professor of German an der Universität Cambridge. Er ist Mitglied der British Academy und international einer der angesehensten Germanisten aus der angelsächsischen Welt. 1994/95 war er Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin, 2000 erhielt er die Goethe-Medaille des Goethe-Instituts, 2009 den Friedrich-Gundolf-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2009

Kein Räsonieren ohne Gehorsam

An diesem gewaltigen Pensum sind schon viele gescheitert. Ausgerechnet dem Briten Nicholas Boyle gelingt jetzt das schier Unmögliche: Eine kleine und doch gerechte deutsche Literaturgeschichte.

Von Alexander Kosenina

Literaturgeschichten, zumal kleine, sind nicht frei von Budenzauber. Sie versprechen Lesern in kurzer Zeit einen Überblick, den eigentlich nur jahrelange Lektüre verschaffen kann. Und ihren Verfassern fordern sie eine derart verkürzende Auswahl ab, dass Ausblendung und Vereinfachung unvermeidlich sind. Kleine Literaturgeschichten gleichen also der Quadratur des Kreises - doch wir brauchen sie, vielleicht sogar dringender denn je. Der expandierende Lesehorizont und immer schlanker modularisierte Studiengänge machen sie unverzichtbar. Diesem Orientierungsbedürfnis entsprechen nur wenige Bücher. Obwohl immer wieder versucht, blieben sie oft belanglos oder scheiterten. Mit großem Aufsehen widerfuhr das zuletzt Heinz Schlaffers in jeder Hinsicht "Kurzen Geschichte der deutschen Literatur". Vor dem Horizont der europäischen Tradition macht sie kurzen Prozess und lässt außer der Goethe-Zeit und der Klassischen Moderne fast nichts gelten (F.A.Z. vom 19. März 2002).

Nicholas Boyle, Germanistikprofessor in Cambridge, geht ganz anders zu Werke - als werbender Liebhaber, nicht als giftender Polemiker. Besonnen und ausgewogen führt er durch die deutsche Literatur seit dem Mittelalter, er erzählt, statt zu belehren, pointiert, statt zu verwerfen, und drückt sich auch nicht vor Urteilen. Entscheidend ist, für wen er dieses gleichzeitig bei der Oxford University Press als "Very Short Introduction" erschienene, von Martin Pfeiffer ausgezeichnet übersetzte Buch geschrieben hat: für die englischsprachige Öffentlichkeit, die durch Literatur auch etwas über Deutschland erfahren möchte. Ebendas versteht Boyle unter Literatur, sie bestehe - so heißt es gleich zu Beginn - nicht nur aus Texten, "weil Texte nicht nur Texte sind", sondern sie ist Dokument einer Nation, ihrer Geschichte und Mentalität. Auch für deutsche Leser ist diese Außenperspektive vielversprechend und ergiebig. Ein wenig gilt hier, was Boyle an den beiden Wahlengländern Uwe Johnson und W. G. Sebald betont - die Freiheit und Reichweite ihrer Erinnerungsarbeit verdankt sich dem Abstand und zielt über die individuelle und nationale Identität hinaus auf ein "Streben nach Gerechtigkeit".

Nicholas Boyle wird seinem riesigen Gegenstand, den er mit Eleganz, Understatement und der gebotenen Knappheit fasst, erstaunlich gerecht. Diese Kunst essayistischer Kürze hätte ihm kaum jemand zugetraut, der die ersten zweitausend Seiten seiner höchst detaillierten Goethe-Biographie gelesen hat. Doch Boyle meistert die Kürze mit ähnlicher Bravour wie das so vielversprechend angefangene wissenschaftliche Standardwerk.

Den Erzähleingang bildet ein historisches Panorama, aus dem er eine Leitthese für seine Geschichte entwickelt. Den deutschen Sonderweg verortet er in einer über Jahrhunderte bestehenden Konfliktlinie zwischen dem liberalen, weltzugewandten, ästhetisch erzogenen Bürgertum nach französisch-englischem Muster und dem vernunftorientierten, staatstreuen Apparat der Beamten und Professoren. Kant bezeichnet jenen Zwiespalt zwischen der geistigen Freiheit schreibender Denker und der unbedingten Loyalität öffentlicher Personen schon in seiner frühen Bestimmung des aufgeklärten Absolutismus: "Räsoniert soviel ihr wollt, und worüber ihr wollt, aber gehorcht." Boyle verlängert diese Paradoxie der Aufklärung bis ins zwanzigste Jahrhundert: Noch die "Buddenbrooks" bringt er auf die Vermittlungsformel vom erzählerischen Realismus der europäischen Bourgeoisie und der philosophischen Innenschau der Beamtentradition, und selbst im "Doktor Faustus" sieht er in der heimlichen Hauptfigur Zeitblom die Wiederkehr jener zwiespältigen Illusion kritisiert, die in Hitler "ihr metaphysisches Schicksal und ihre Nemesis akzeptierte".

Doch das steht erst am Ende eines gewaltigen Pensums. Das Mittelalter und die Frühe Neuzeit treten bei Boyle vor allem als sprachlicher, philosophischer und poetologischer Auftakt in den Blick, zugleich natürlich als Wiege großer Literaturstoffe wie Parzival, Tristan, Faust oder Courage. Mit Aufklärung, Empfindsamkeit und Klassik ist der Autor dann ganz in seinem Element. Das "innere Heiligtum der vorgesellschaftlichen Identität", genannt Seele oder Monade, wird ausgeleuchtet, wenn auch ohne Karl Philipp Moritz und die neu aufkommende Psychologie. Lessing und Schiller regieren die Bühne, Klopstock und "Prophet" Hölderlin die Lyrik, Wieland und Goethe den Roman, dazwischen sudelt Lichtenberg Aphorismen. Kant und die Idealisten nehmen ebenso breiten Raum ein wie die Romantiker, schließlich sind sie es, die es auch sonst in englischsprachige Epochenbücher und Geschichten der europäischen Literatur schaffen. Außerdem interessieren sie Boyle als Katholiken, was er für alle betroffenen Autoren stets mit einer gewissen Obsession hervorhebt.

Das Streben nach kultureller und nationaler Identität im frühen neunzehnten Jahrhundert fügt sich, mit einem leider recht blassen Kleist, gut in das historisierende Literaturkonzept. Fast noch besser gelingt es für das "Zeitalter des Materialismus", vertreten nicht nur durch Heine oder Büchner, sondern auch dessen Bruder Ludwig. Der verwarf den Idealismus "als geschwollenen Unsinn" und sah als Arzt manche These Darwins voraus. Über Schopenhauer und Nietzsche, die eine Verbindung zur Jahrhundertwende herstellen, gerät auch die Überlegung zur Bourgeoisie und Beamtenschaft nicht völlig aus dem Blick: Die philologische und editorische Praxis von Professoren verleiht der Nationalliteratur einen ungeahnten Aufschwung, der das Bildungsbürgertum intellektuell befeuert.

Die Entscheidung, die Literaturen Österreichs und der Schweiz als Spiegel anderer Gesellschaften in ein eigenes Kapitel auszulagern, ist nachvollziehbar, angesichts des winzigen Umfangs aber für das zwanzigste Jahrhundert besonders folgenschwer. Die Giganten Hofmannsthal, Kafka, Musil und Rilke teilen sich zehn Seiten, andere Wortführer der Moderne wie Broch oder Canetti tauchen erst gar nicht auf. Und für die Schweizer von Haller bis Frisch wird es noch enger. Auf den fünfzig Seiten zur deutschen Literatur nach 1914 bleibt neben dem stark dominierenden Brecht hingegen noch Platz für Seitenhiebe, etwa auf "ungehobelte und unpassende" Parallelen Horkheimers und Adornos zwischen amerikanischem Kapitalismus und deutschem Faschismus, auf das Enthüllungstheater Hochhuths oder die Anhängerin sozialistischer "Literaturbürokratie" Christa Wolf, die Boyle "relativ farblos" nennt.

Auch wenn man seine Geschichte hier und da abweichend besetzen und akzentuieren könnte, bietet sie doch eine kluge und schlüssige Synthese. Zuweilen funkelt daraus sogar britischer Humor hervor: Nach einer kurzen Würdigung des Nobelpreisträgers von 1972, Heinrich Böll, kommt Günter Grass an die Reihe, der auf die Auszeichnung "als größeres enfant terrible bis 1999 warten musste". Martin Walser als dritter Schulmeister der Nation bleibt hingegen völlig unerwähnt und darf sich lediglich auf einem Foto neben Ingeborg Bachmann zeigen.

Nicholas Boyle: "Kleine deutsche Literaturgeschichte". Aus dem Englischen übersetzt von Martin Pfeiffer. Verlag C. H. Beck, München 2009. 272 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.03.2009

Von und für Beamte
Nicholas Boyles eigenwillige, aber höchst beschlagene „Kleine deutsche Literaturgeschichte”
In der englischen Originalfassung nennt Nicholas Boyle seine „Kleine deutsche Literaturgeschichte” „A very short Introduction”, doch ist sie nichts weniger als das: Sie führt nicht in die deutsche Literatur ein, sondern weit über sie hinaus. Dieses Büchlein, das auf eine eigenwillige Weise über Deutschland und seine Literatur spricht, braucht einen kompetenten Leser, der die vielen Urteile, die auf 270 Seiten gefällt werden, kritisch prüfen, zum Teil verwerfen, zum größeren Teil aber auch akzeptieren und genießen kann. Da Boyles Buch zunächst für englische Leser bestimmt ist, wird die Übersetzung für den deutschen Leser umso interessanter, weil er dadurch jene Perspektive kennen lernt, die das Ausland auf seine Literatur und Geistesgeschichte einnimmt.
In Deutschland ist Boyle längst durch die zwei Bände seiner Goethe-Biographie bekannt, ja berühmt geworden. Auch in diesem Werk kommt Boyle der Blick von außen zugute, der es ihm ermöglicht, wohlbekannte, manchmal abgegriffene Bilder aus Goethes Leben neu zu kolorieren. Seine Literaturgeschichte nun, die sich bescheiden „short” nennt, stellt den großen Anspruch, die deutsche Literatur vollständig aus der politischen Geschichte Deutschlands heraus zu entwickeln. Eine Sozialgeschichte der Literatur wäre eine Methode gewesen, die seit den siebziger Jahren auch hierzulande recht geläufig ist. Boyle jedoch bindet die sozialen Bedingungen der Literatur in den Kontext politischer Ereignisse ein. Der durch die deutsche Vergangenheit traumatisierte Leser ahnt bald, dass diese Geschichte auf den Nationalsozialismus zuläuft, und dieses historische Modell unterwirft die feinen Beobachtungen Boyles leider allzu oft einem etwas groben Denkschema.
Wachstumszone der Literatur
Boyles Literaturgeschichte beginnt mit einem historischen Abriss, der vom Heiligen Römischen Reich bis in die Gegenwart führt. Trotz der politischen Orientierung, die das Buch beabsichtigt, ließe sich auf diesen Abschnitt verzichten; die zusammengedrängten Daten aus tausend Jahren lassen kaum ein verstehbares und schon gar kein anschauliches Bild entstehen. Besser wäre es gewesen, die wichtigsten historischen Momente in die literaturgeschichtliche Darstellung selbst zu integrieren. Immerhin deutet bereits dieses einleitende Kapitel an, wie Boyle die politische mit der literarischen Entwicklung Deutschlands zu verflechten sucht. Das politische System Deutschlands habe sich seit dem späten Mittelalter auf die Beamtenschaft gestützt, die zugleich das Lesepublikum stelle.
Die Beamten „bildeten daher die Wachstumszone für die deutsche Nationalliteratur”. Nach dem Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches 1806 sei der Zusammenhalt Deutschland vor allem „durch den Fortbestand der Beamtenschicht und ihrer Ideologie apolitischer ,Bildung‘ garantiert” worden. Die deutsche Literaturgeschichte ist also eine für Beamte oder von Rebellen, die dem Beamtentum entfliehen wollten. Auch wenn sich in Deutschland im 19. Jahrhundert ein Markt für freie Schriftsteller entwickelte, blieb diese politische Organisation bestimmend für Dichten und Denken, bis endlich nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 „die Periode der größten und krebsartigsten Expansion des Beamtentums”, anbreche, „da in einer permanenten Revolution, die zu permanenten Revierkämpfen führte, neue Schichten uniformierter Bürokraten auf alte gehäuft wurden”.
Schulen und Universitäten seien seit Beginn der Neuzeit die Ausbildungsorte des Beamtentums gewesen, wie sie gleichzeitig auch die Bildungsstätten der Dichter waren. Der verblüffend große Anteil der Beamten unter den deutschen Dichtern, gerade in der Zeit der philisterfeindlichen Romantik, beschäftigte bereits vor 15 Jahren den amerikanischen Germanisten Theodore Ziolkowski. In seinem Buch „Das Amt des Poeten. Die deutsche Romantik und ihre Institutionen” demonstriert er, welche Erfahrungsbereiche gerade das Amt Dichtern wie Goethe, Novalis, Eichendorff, E. T. A. Hoffmann erschloss: das Bergwerk, das Recht, das Studium. Boyle jedoch will Einflüsse von Amt und Beruf auf die Poeten nicht sehen; er interpretiert vielmehr die romantische Literatur als Ausdruck eines frustrierten Beamtentums, das sich in eine „eskapistische Literatur” geflüchtet habe.
Boyles beamtliche Literaturgeschichte beginnt denn auch mit dem Ministerialen Hartmann von Aue und endet segensreich mit dem freien Schriftsteller W. G. Sebald, der, ausgewandert nach England, endlich die Suche nach der wahren „historischen Identität wieder aufgenommen” habe. In ihm sei die deutsche Klassik auferstanden, indem seine Bücher „ungemein ruhige, statuarische und kunstvolle Sätze pflegen, die von Goethe geschrieben sein könnten”. Mit einer gewissen sentimentalen Sprachgeste lässt Boyle seine deutsche Literaturgeschichte, die eine tragische ist, mit der angeblich gelungen Aufarbeitung des politischen „Traumas”, ja mit dem Segen des geglückten Erinnerns enden.
Literatur, wird sie, wie hier, politisch begründet, reicht über die literarischen Gattungen hinaus. Literatur heißt für Boyle nicht mehr nur Drama, Roman, Gedicht. Auch philosophische Texte zählt er zur Literatur, so dass neben Schiller Kant steht, neben Heine Hegel und Marx, oder neben Hofmannsthal und Kraus ebenso Wittgenstein oder Freud als Repräsentanten der österreichischen Literatur gelten können. Die Leistungen der Philosophie stehen für politische Taten, waren es doch im 18. Jahrhundert gerade jene Intellektuellen, „die auf eine Karriere als Staatsdiener hofften, die die philosophische Revolution Kants als Deutschlands moralische Alternative zur französischen politischen Revolution” durchsetzen wollten.
Boyles politische Perspektive deutet auch die Stellung der Juden in der deutschen Literatur neu. Der offensichtliche Antisemitismus in Gustav Freytags „Soll und Haben” belegt das Dilemma der Juden in der Gesellschaft: „In der kollektiven Psyche verkörperten sie in Reinform die Kräfte, die sich zusammentaten, um die Vorherrschaft des Beamtentums im politischen und kulturellen Leben Deutschlands in Frage zu stellen.” Der Ausschluss der Juden von öffentlichen Ämtern und Berufen war daher unausweichlich, denn „in dem großen Umbruch des 19. Jahrhunderts brachte die Judenfeindschaft die Furcht der deutschen Bourgeoisie vor sich selbst zum Ausdruck, vor ihrer DER JUDEN]Macht, den autokratischen und bürokratischen Staat zu zerstören”.
Das höfische Wien
Die political correctness, derer sich Boyle befleißigt, erfordert eine gesonderte Betrachtung der Literatur Österreichs und der Schweiz als eigenständiger Systeme. Mit einem Kapitel über diese Länder schließt die deutsche Übersetzung des Buches. Österreich sei, so meint Boyle, gegenüber dem provinziellen Deutschland begünstigt gewesen durch die Metropole Wien, die die literarische Entwicklung den anderen europäischen Monarchien angenähert habe; die schweizerische Literatur kennzeichnete „von Anfang an eine Kritik am absolutistischen Denken und eine Betonung der staatsbürgerlichen Funktion der Literatur”.
Boyles Literaturgeschichte leistet dem deutschen Leser manchen Widerstand, doch belohnt es ihn dann doch mit vielen aphoristischen Beobachtungen, die dem Kenner eine neue, über die politische Deutung hinausgehende Sicht eröffnen, so etwa wenn er einen Unterschied zwischen Mörikes Verhältnis zur Natur, einer „erfahrbaren Quelle des inneren Geheimnisses, das sich nicht erkennen oder darstellen lässt” von jener unnahbaren Natur Stifters unterscheidet, die zu bändigen dem Menschen nur „anfällige Kommunikationssysteme” zur Verfügung stehen, „Rauchsignale, Flaggen, Ferngläser”. Im Zeitalter des Buches kann Boyle immerhin mit anderen als mit Rauchsignalen kommunizieren, um die englische Sicht auf die deutsche Geschichte und Literatur dem Nachbarn verständlich zu machen. HANNELORE SCHLAFFER
NICHOLAS BOYLE: Kleine deutsche Literaturgeschichte. Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. Beck Verlag, München 2008. 272 Seiten, 17,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für eine ganz bravouröse Leistung hält der Rezensent Alexander Kosenina diese komprimierte, für den englischen Markt geschriebene Geschichte der deutschen Literatur. Nicht nur war, findet er, dem in Cambridge lehrenden Germanisten Nicholas Boyle, der bisher vor allem mit dem ersten Band einer sehr umfangreichen Goethe-Biografie hervorgetreten ist, ein so prägnantes und konzises Werk nicht unbedingt zuzutrauen; es sei überhaupt fast ein Wunder, wie hier auf zweihundert Seiten fast alles Wesentliche gesagt werde und nichts Entscheidendes fehle. Als zentrale Dichotomie macht Boyle, so Kosenina, die Kluft zwischen deutschem Bürger- und Beamtentum aus. Wie er diese Differenz auf weiter Strecke durchhält, scheint dem Rezensenten durchaus plausibel. Ein paar Probleme des Bandes werden dann aber auch benannt: Vor allem die nicht-deutsche deutschsprachige Literatur des 20. Jahrhunderts komme, ausgelagert in knappe Kapitel, arg kurz. Am insgesamt höchst positiven Eindruck ändert das aber offenkundig recht wenig.

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