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»Beim Anblick eines Mercedes die Tränen runterschlucken. In die silberne Zigarre des ICE steigen, Herbst im Herzen. Durch das Olympiastadion in Berlin spazieren und eine Zigeunermelodie aus Siebenbürgen vor sich hinsummen.« Der Erzähler des Bestsellers Dojczland, ein literarischer Gastarbeiter auf Lesereise kreuz und quer durch die Bundesrepublik, verbirgt nicht, daß er lieber auf dem Bukarester Gara de Nord als am Stuttgarter Hauptbahnhof angekommen wäre. So selbstironisch spielt Stasiuk mit Ängsten, Vorurteilen und Klischees, den eigenen, den fremden, daß ihn ein polnisches Skandalmagazin als »bezahlten Einflußagenten Berlins« anprangerte.…mehr

Produktbeschreibung
»Beim Anblick eines Mercedes die Tränen runterschlucken. In die silberne Zigarre des ICE steigen, Herbst im Herzen. Durch das Olympiastadion in Berlin spazieren und eine Zigeunermelodie aus Siebenbürgen vor sich hinsummen.« Der Erzähler des Bestsellers Dojczland, ein literarischer Gastarbeiter auf Lesereise kreuz und quer durch die Bundesrepublik, verbirgt nicht, daß er lieber auf dem Bukarester Gara de Nord als am Stuttgarter Hauptbahnhof angekommen wäre. So selbstironisch spielt Stasiuk mit Ängsten, Vorurteilen und Klischees, den eigenen, den fremden, daß ihn ein polnisches Skandalmagazin als »bezahlten Einflußagenten Berlins« anprangerte.
Autorenporträt
Andrzej Stasiuk, der in Polen als wichtigster jüngerer Gegenwartsautor gilt, wurde 1960 in Warschau geboren, debütierte 1992 mit dem Erzählband Mury Hebronu (Die Mauer von Hebron), in dem er über seine Gewalterfahrung im Gefängnis schreibt. Stasiuk wurde 1980 zur Armee eingezogen, desertierte nach neun Monaten und verbüßte seine Strafe in Militär- und Zivilgefängnissen. 1986 zog er nach Czarne, ein Bergdorf in den Beskiden. 1994 erschienen Wiersze milosne i nie (Nicht nur Liebesgedichte), 1995 Opowiesci Galicyjskie (Galizische Erzählungen) und Bialy Kruk (Der weiße Rabe; 1998 bei Rowohlt Berlin), 1996 der Erzählband Przez rzeke (Über den Fluss; diesem Band ist Die Reise entnommen) und 1997 Dukla. 2002 erhält er den von den Partnerstädten Thorn (Polen) und Göttingen gemeinsam gestifteten Samuel-Bogumil-Linde-Literaturpreis. Den literarischen Jahrespreis Nike erhielt Andrzej Stasiuk 2005 für sein Buch Unterwegs nach Babadag. Sein vielfach ausgezeichnetes Werk erscheint in 30 Ländern. 2016 wurde er mit dem Staatspreis für europäische Literatur 2016 ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Nach Deutschland zu fahren ist wie Psychoanalyse
Andrzej Stasiuks dichtender Landstreicher ist ein Hilfs-Bukowski und Ersatz-Kerouac / Von Konrad Schuller

Da fährt einer durchs Land. Verdammt cooler Typ. Kennt keinen, will keinen kennen. Hat seinen Jim Beam im Rucksack, schläft auf der Bank, hängt auf Bahnhöfen herum, und ob nun Bullen oder Skins die Nacht bevölkern, ist ihm gleich. Badezimmer sind ihm suspekt, und Wein, sagt er, schmeckt fast wie Whiskey. Kein netter Kerl, diese Ich-Figur, die der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk in seinem kleinen Road-Essay "Dojczland" über die Provinzbahnhöfe der Bundesrepublik stromern lässt. Einer von diesen Typen, die keine Gelegenheit auslassen zu versichern, wie sehr sie das alles langweilt. Er sei "nur wegen der Knete da", sagt er. Ignorant, überheblich, ein wenig schmierig. Natürlich Schriftsteller. Etwas zwischen Hilfs-Bukowski und Ersatz-Kerouac.

Stasiuks Tramp, der Deutschland gewissermaßen von den Bahnhofstoiletten her aufrollt, ist eine der doppelbödigsten Figuren, die das deutsch-polnische Drama in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. Nicht dass Stasiuk hier ein abschließendes Porträt des Polen in seinem Verhältnis zu Deutschland geliefert hätte; so ein abschließendes Porträt gibt es nicht. Er hat aber mit seinem dichtenden Landstreicher eine der ungezählten Schutzmasken beschrieben, die viele Polen bis heute brauchen, wenn sie Deutschland ertragen wollen, einen der vielen Tarn- und Sicherheitsanzüge, die notwendig sind, um diesen Nachbarn auszuhalten.

Deutschland ist diesem Reisenden zutiefst unerträglich; es ist das (demütigend hochwertige) "Auto des Onkels" und "die Erzählung meiner Großmutter: Sie sollte schon sterben, stand schon an der Wand, da hat der Offizier es sich aus irgendeinem Grunde anders überlegt, hat die Pistole eingesteckt und ist weggegangen." Nach Deutschland fahren, sagt er deshalb, ist anders als andere Reisen. "Nach Deutschland fahren, das ist Psychoanalyse."

Es ist eine von Stasiuks Hinterhältigkeiten, dass trotz dieses programmatischen Diktums sein Essay zuletzt nicht von Psychoanalyse handelt, sondern von ihrer Verweigerung. Sein Ich-Erzähler fährt durchs Land, und nichts scheint ihm dabei dringlicher zu sein als die Vermeidung jedes Kontakts. Nicht-Orte, Raststätten, Hotels, Check-ins sind sein Aufenthalt, Inder in Vorortzügen, Freaks, Verrückte seine Gesellschaft. Im ICE legt er Gepäck neben sich, damit sich keiner zu ihm setzt, und morgens beschäftigt ihn nichts so sehr wie die Frage, wie er schnell den nötigen Alkoholpegel bekommt. Deutschland könnte Psychoanalyse sein - für den, der es erträgt. Für alle anderen aber, vor allem für die mit polnischen Großmuttergeschichten, heißt es "last exit Verdrängung". Der Titel des Buches könnte das Motto dieser Reise gewesen sein: nur ja nicht die Orthographie dieses Landes zu nah heranlassen, nur nichts von Deutschland sehen. Bleiben wir lieber bei "Dojczland".

Kein Wunder, dass der verdrängte Albtraum dieser Figur - eines Schreibers auf Lesereise übrigens, nah an Stasiuks eigener Biographie gemalt - immer wieder durch die Ritzen dringt. Wenn alles unter Kontrolle wäre, wenn die coole Pose mehr wäre als verzweifelte Maske, könnte es ja bei dem Mantra bleiben, das er sich Tag und Nacht vorsagt: "Ja, innen drin war Deutschland kalt" - nach dem Frühstück und vor dem Schlafengehen hergebetet, das könnte reichen. Notfalls noch ergänzt durch sedierende Einsprengsel wie "alles grau. Die totale Anonymität".

Aber es reicht nicht. Deutschland kann nicht "kalt" sein für diesen Reisenden. Für diesen fahrenden Polen ist es bis heute so heiß, dass selbst ein so hartgesottener Teufelsbraten wie Stasiuks lässiger Vagant in Berlin-Mitte die Sadomaso-Dämonen nicht abwehren kann. Steht eine Polizistin da, hat gerade ein paar arme Freaks in Ketten gelegt: in Helm und Stiefeln und natürlich "breitbeinig". Steht eine blonde Frau vorm Brandenburger Tor: Schon hat die Imagination sie umgekleidet, schon trägt sie SS-Mütze, Stahlhelm. Nähe? Psychoanalyse? "Außer meinen Lesern habe ich niemand kennengelernt", bekennt der Reisende. Was tun zur Rettung? "Gut gezügelte Melancholie und Alkohol in vernünftigen Dosen", nur so geht das. Am Stuttgarter Hauptbahnhof an die Bukarester Gara de Nord denken, und wenn man dann doch den Einheimischen nicht ausweichen kann, einfach vergessen, dass sie Deutsche sind. Der Berliner Hauptbahnhof bis oben geflutet, so schießt es dem Vagabunden durch den Kopf, das wäre doch schön - oder noch besser: Deutschland ganz ohne Deutsche. Es ist eine traurige, wahre Geschichte, die Stasiuk hier erzählt. Es ist die Geschichte der Zwillinge Kaczynski, die mit dem Horror vor Deutschland bis vor kurzem noch Wahlen gewannen, es ist die Geschichte unzähliger Freundschaftsversuche, die auf Sand liefen, weil spätabends mit einem Mal der erschossene Großvater in der Stube stand und man sich zuletzt doch nur in den alten, bösen Chiffren lesen konnte. Dann lieber Distanz. Dojczland ist kalt.

Auf den letzten Seiten ist übrigens dann noch ein Mirakel eingetreten. Auf einem Flughafen ist Stasiuks fahrendem Spötter von irgendeinem Monitor ein Bild in die Seele gelaufen, und alles wurde neu. Der deutsche Papst Joseph Ratzinger war da zu sehen, betend in Auschwitz - und siehe da, der alte Tunichtgut mit seinem Beam im Rucksack, der selbst einmal "weiche Knie" bekommen hatte, als er Auschwitz besuchen sollte, spürte Rührung. Der Papst kniete da "als Deutscher und capo de tutti capi religii", und der Reisende war ihm "dankbar dafür, dass er an der Stelle kniete, an der ich einfach den Rückwärtsgang eingelegt und gekniffen hatte". Zuletzt hebt sich dann das Flugzeug in den Abendhimmel. Durch die Finsternis zwischen Himmel und Erde erstrahlt "im Westen eine lange, horizontale, gleißend helle Spalte". "Goldenes Feuer, purpurnes Blut" - so schön können Wunder sein.

Andrzej Stasiuk: "Dojczland". Eine Reise. Aus dem Polnischen übersetzt von Olaf Kühl. Edition Suhrkamp. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 93 S., br., 9,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensent Jörg Magenau ist ausgesprochen froh, dass Deutschland "oder vielmehr Dojczland" zur literarischen Topografie dieses Schriftstellers gehört. Denn den Reportagen, die Andrzej Stasiuk über das Land geschrieben hat, wann immer er dort auf Lesereise unterwegs gewesen ist, konnte er viel abgewinnen. Was Stasiuk über Deutschland schreibt, klingt für ihn nach einer "fortgesetzen Psychoanalyse" und "Trauma-Erneuerung", aber auch nach viel Sinn fürs Lesen von Absonderlichkeiten, von Landschaften und Gegenden im Um- oder Aufbruch. Aber auch hintergründige Parallelen zwischen scheinbar so Unvergleichbarem wie Bukarest und Stuttgart arbeitet Stasiuk dem hochinspirierten Rezensenten zufolge subtil heraus, der von ihm schließlich das Prädikat "humorbegabter Melancholiker" erhält.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein gutes Buch zeigt sich auch darin, dass alle möglichen Leute ihm die widersprüchlichsten Absichten unterstellen. Ich halte Dojczland für eine verkappte Liebeserklärung , in ihrer Selbstironie und gespielten Oberflächlichkeit großartig und sehr witzig.« Mathias Schnitzler Berliner Zeitung