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In Deutschland zählen immer mehr Soldaten, Polizisten und Nachrichtendienstler zur rechten Szene. Menschen also, die per Amtseid geschworen haben, das Grundgesetz und die Bundesrepublik zu beschützen - und die in diesen Positionen besonders gefährlich sind: Die Todesdrohungen des "NSU 2.0" an eine Frankfurter Anwältin und die hessische Linken-Abgeordnete Wissler wurden mithilfe einer polizeilichen Datenabfrage übermittelt. Fürs Töten ausgebildete KSK-Soldaten und Elite-Polizisten horten zu Hause massenweise Waffen sowie Munition, ihre Komplizen legen "Feindeslisten" für den "Tag X" an. Dirk…mehr

Produktbeschreibung
In Deutschland zählen immer mehr Soldaten, Polizisten und Nachrichtendienstler zur rechten Szene. Menschen also, die per Amtseid geschworen haben, das Grundgesetz und die Bundesrepublik zu beschützen - und die in diesen Positionen besonders gefährlich sind: Die Todesdrohungen des "NSU 2.0" an eine Frankfurter Anwältin und die hessische Linken-Abgeordnete Wissler wurden mithilfe einer polizeilichen Datenabfrage übermittelt. Fürs Töten ausgebildete KSK-Soldaten und Elite-Polizisten horten zu Hause massenweise Waffen sowie Munition, ihre Komplizen legen "Feindeslisten" für den "Tag X" an. Dirk Laabs' Spurensuche zeigt: Die rechten Verschwörer profitieren von rechtsextremen Traditionen und Überzeugungen im Sicherheitsapparat. Und das Netz ist größer als gedacht: Rechtsradikale im Staatsapparat helfen ihren Gesinnungsgenossen, bauen gemeinsam mit ihnen Netzwerke auf. Das Bündnis zwischen den Verschwörern und AfD-Abgeordneten reicht längst bis in den Bundestag.
Autorenporträt
Der Autor Dirk Laabs recherchiert seit fast 20 Jahren zum Thema Terrorismus. Er hat unter anderem das Buch ¿Heimatschutz¿ (mit Stefan Aust) geschrieben, das demnächst von der Constantin verfilmt wird, außerdem hat er die Dokumentation ¿Der NSU-Komplex¿ (u.a. für Netflix) realisiert. Er hat diverse Beiträge über die rechte Szene für Fachpublikationen geschrieben. Laabs wurde zudem von mehreren NSU-Untersuchungsausschüssen als Gutachter geladen. Er hat zahlreiche Preise in Deutschland und im Ausland gewonnen. Darunter den Opus-Primus-Preis für das beste wissenschaftliche Buch eines Nachwuchsautoren (¿Der deutsche Goldrausch¿), sowie den Holtzbrinck-Preis für einen seiner Filme über die Deutsche Bank für das ZDF. Ebenfalls für das ZDF realisiert Laabs zudem aktuell eine Dokumentation über die rechte Bewegung, nachdem er im Sommer 2019 einen Film über ¿Staatsfeinde in Uniform¿ gedreht hatte.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Lena Kampf lernt mit dem Buch von Dirk Laabs, wo die Ursachen für rechtes Gedankengut bei der Bundeswehr und insbesondere beim Kommando Spezialkräfte liegen. Der Autor dokumentiert laut Kampf rassistische und rechtsextreme Vorkommnisse bei der Bundeswehr in den letzten 30 Jahren und ihre mangelhafte Aufarbeitung durch Justiz und Politik und arbeitet Muster und Netzwerke heraus. Laabs zieht außerdem eine Linie von Uwe Mundlos und seiner Bundeswehrzeit bis zu den NSU-Morden und kritisiert eine "mögliche Nähe" der Geheimdienste zu Rechtsextremen, so Kampf. Sie ahnt, dass der Schutz von Whistleblowern und weiteres Engagement der Politik unabdingbare Voraussetzungen dafür sind, rechte Strukturen in der Bundeswehr aufzubrechen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2021

Die Sucht nach dem Untergang
Wie Soldaten und Polizisten den Staat sabotieren wollen

Was braut sich da zusammen? Die Frage stellt sich angesichts der jüngsten Skandale bei Bundeswehr und Polizei. Im einen Fall geht es um rechtsextreme Chats von Angehörigen des Frankfurter Spezialeinsatzkommandos (SEK), das deshalb aufgelöst wurde; im anderen ließen Panzergrenadiere ihrer Gesinnung mit rechtsextremen und antisemitischen Liedern, mit Gewalt und einem sexuellen Übergriff offenbar freien Lauf; in Litauen wohlgemerkt, das die Nazis einst besetzten und zu dessen Schutz die deutschen Soldaten eigentlich kommandiert worden waren. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zog daraufhin vergangene Woche einen kompletten Panzergrenadierzug mit über 30 Soldaten aus dem NATO-Einsatz ab - ein einmaliger Vorgang. Einzelfälle aber sind die rechtsextremen Skandale beim SEK und in der Truppe keine mehr. Wie gefährlich sind solche Umtriebe für unsere Demokratie?

Mit seinem Buch "Staatsfeinde in Uniform" liefert Dirk Laabs eine Antwort, die sich so beruhigend liest wie eine Krebsdiagnose. Militante Rechtsradikale suchen demnach die deutschen Behörden auszuhöhlen. Bei vielen handelt es sich um top ausgebildete Kämpfer, die nur darauf warten, das Deutschland am "Tag X" wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Dann wollen sie mit ihren politischen Gegnern abrechnen. Mit Politikern, Journalisten und all jenen, die Widerstand leisten. Begriffe fallen: "Lager", "Leichensäcke", "Löschkalk". Eine wirksame Verteidigung der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste gegen die Untergangssüchtigen? Fehlanzeige, so die Diagnose des Autors. Der Tumor wächst.

Laabs ist kein Arzt, aber er ist vom Fach. Seit knapp zwanzig Jahren verfolgt der Journalist die Umtriebe des Terrorismus, zunächst des islamistischen, dann auch immer stärker des rechtsextremen in Deutschland, der spätestens seit den Morden des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) aufs öffentliche Bewusstsein drückt. Sein Buch "Heimatschutz" über den NSU, das Laabs vor sieben Jahren gemeinsam mit Stefan Aust veröffentlichte, gilt als Standardwerk für alle, die sich mit der Terrorzelle beschäftigen. Sein Film "Der NSU-Komplex" lief sogar auf Netflix. Gefragt war Laabs auch in den NSU-Untersuchungsausschüssen, die ihn als Gutachter zu Sitzungen einluden. Kurz: Laabs ist, auch wenn man bei Journalisten sparsam mit dieser Zuschreibung sein sollte, ein Experte.

Seine Befürchtungen stützt der Autor auf umfangreiche Recherchen. Laabs wälzt Gerichtsakten und verschafft sich Zugang zu Ermittlungsunterlagen. Vor allem aber spricht er immer wieder mit Ermittlern, Insidern und Verdächtigen, die er mit Fakten und Widersprüchen konfrontiert. Die 19 Kapitel seines Buches sind durchzogen von Begegnungen mit ihnen. Auf diese Weise gelingt es Laabs, die verborgenen Beziehungsgeflechte Zug um Zug aufzudecken. Sie entstehen zwischen frustrierten Elitesoldaten des KSK, Mitgliedern von Spezialeinsatzkommandos und Straßenschlägern, bis hin zu einem früheren Personenschützer der Kanzlerin. Auch Unternehmer schließen sich an, ein Schießplatzbetreiber sowie Eigentümer von Firmen, die Sicherheitsdienste übernehmen. Dass Kontakte zur AfD gepflegt werden - geschenkt.

Laabs schildert, wie die Akteure Gruppen gründen, die Namen wie Uniter und Nordkreuz tragen. Kurznachrichten werden geschrieben, geheime Treffen abgehalten. Vorräte werden angelegt, Waffen sowie Munition zusammengerafft und Schießübungen abgehalten. Parallel dazu werden Strukturen anderer Organisationen unterwandert oder übernommen. Dazu gehören Freimaurerlogen oder auch Reservisteneinheiten, die im Katastrophenfall den Behörden im Inland eigentlich helfen sollen.

Ausführlich rekonstruiert Laabs die weltanschaulichen Wurzeln der Soldaten, die im Kern dieser Netzwerke die Strippen ziehen. Er benennt die rechtsextremen und die Wehrmacht verherrlichenden Blasen, aus denen ihre Vorgesetzten stammen und die sich - etwa bei den Fallschirmjägern - noch bis nach dem Ende des Kalten Krieges halten konnten. Dabei hat der Geist, der in jenen Einheiten wachsen konnte und heute so wild wuchert, mehrere Väter. Auch den Afghanistan-Einsatz zählt Laabs dazu, in dem sich Soldaten des von Skandalen gezeichneten Kommandos Spezialkräfte (KSK) "von der Politik ,verheizt'" fühlten und zu "besseren Kopfgeldjägern" wurden. Oder den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Er setzt lange Zeit darauf, rechtsextreme Soldaten im Dienst zu halten, um sie als V-Leute in der rechtsextremen Szene zu nutzen, statt sie an die Ermittlungsbehörden oder Staatsanwaltschaften zu übermitteln. Das Ganze entpuppt sich als faustischer Pakt. Am Ende sind einige MAD-Mitarbeiter selbst Teil des Netzwerks.

Bei der Strafverfolgung hapert es ebenfalls. Verfahren ziehen sich in die Länge. Verurteilungen erfolgen nur wegen geringer oder unabweisbarer Vergehen, etwa eines Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Hinweise auf rechtsextreme Chat-Nachrichten oder potentielle Mitgliedschaften in einem rechtsextremen Terrornetzwerk werden entweder abgetan oder nicht konsequent zu Ende verfolgt; ein Umstand, der im Falle islamistischer Gefährder wohl für einen Aufschrei sorgen würde. Aber im Gegensatz zu ihnen, schreibt Laabs, bestehe in den Behörden kein Interesse an der Aufdeckung des gesamten Ausmaßes. Ein solches Fass mag niemand aufmachen angesichts der enormen politischen Sprengkraft und zahlreichen Verwicklungen der Behörden, die für Laabs das Potential bis hin zu einer "Staatskrise" haben.

So beschreibt der Autor, wie zentrale Figuren fleißig Interviews "am Gartenzaun", "in Hotelbars" oder "in der Küche" geben und die Harmlosen mimen. Ein Umstand, der sich aktuell beim Prozess gegen den offenbar rechtsextremen Bundeswehroffizier Franco A. verfolgen lässt; kein ranghoher, wie Laabs irrtümlich schreibt - aber ein Oberleutnant, der sich als Flüchtling ausgab und einen Anschlag geplant haben soll.

Laabs erliegt trotz seiner umfangreichen Recherchen nicht der Versuchung, die Gefahr zu überzeichnen. Auch wenn die rund 200 Mitglieder einer verfassungsfeindlichen Bewegung, die er ausgemacht habe, im Behördenapparat viele Unterstützer haben dürften, so sieht er in ihnen weder eine Schattenarmee noch eine Guerilla. Aber er beobachtet eine sich formierende Terrorbewegung; keine durchorganisierte Organisation wie einst die RAF, eher einzelne Zellen, die lose verbunden sind. Man könnten wohl von einer braunen Al-Qaida sprechen.

Immerhin: Der Druck auf die Szene in Deutschland, so Laabs, sei inzwischen groß geworden. Dem hielten viele Mitglieder nicht stand und arbeiteten mit der Polizei und den Nachrichtendiensten zusammen. Allerdings habe das seinen Preis. Das Risiko einer spontanen Tat, einer Verzweiflungstat, die sich entlade, wachse. "Sollte aus den Reihen der rechten Bewegung heraus in Zukunft kein einziger Terroranschlag begangen werden, käme das einem Wunder gleich", schreibt Laabs. Es bleibt zu wünschen, dass der Autor sich hier irrt.

LORENZ HEMICKER

Dirk Laabs: Staatsfeinde in Uniform. Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern.

Econ Verlag, Berlin 2021. 445 S., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.08.2021

Ziemlich viele
Einzelfälle
Aiko Kempen und Dirk Laabs zeigen,
welche Strukturen rechtsextreme und rassistische
Vorfälle bei Bundeswehr und Polizei ermöglichen
VON LENA KAMPF
Es ist ein einzigartiger, ungeheuerlicher Prozess, der seit Ende Mai vor dem Oberlandesgericht Frankfurt geführt wird. Erstmals muss sich in Franco A. ein Offizier der Bundeswehr wegen Terrorismusverdacht und Anschlagsplänen gegen den eigenen Staat verantworten. Im Zuge der Ermittlungen stießen die Ermittler auf ein weitverzweigtes Geflecht aus Bundeswehrsoldaten und Polizisten, die sich auf einen Tag X vorbereiten, einen Tag, an dem das politische System der Bundesrepublik zusammenbrechen würde. Seitdem fragen sich viele: Wie verfassungsfeindlich sind diejenigen, die geschworen haben, die Verfassung zu beschützen?
Zwei jüngst erschienene Bücher leuchten diesen Komplex aus. Aiko Kempen befasst sich in „Auf dem rechten Weg“ mit der deutschen Polizei, Dirk Laabs legt in „Staatsfeinde in Uniform“ einen Schwerpunkt auf die Bundeswehr und insbesondere das Kommando Spezialkräfte (KSK).
Das entscheidende Wort lautet „Einzelfälle“: Aiko Kempen erinnert an einen Satz des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Reul (CDU), der in einem Interview sagte: Bedauerlicherweise hätten sie jetzt „sechzehn weitere Einzelfälle“. „Doch wie viele Einzelfälle ergeben eine Struktur?“, fragt Kempen. Denn diese zu erkennen oder gar anzuerkennen, weigern sich die Behörden weiterhin vehement. Dies wird besonders deutlich in den Rückblicken, die sowohl Kempen als auch Laabs leisten: Beide beleuchten zunächst rassistische und rechtsextreme Vorfälle in Polizei und Bundeswehr aus den vergangenen 30 Jahren – und deren ungenügende Aufklärung durch die betroffenen Institutionen, aber auch durch Politik und die Justiz. Sie zeigen, wie sich diese Vorkommnisse seit Jahren in bemerkenswerter Regelmäßigkeit wiederholen.
Dass sich dahinter ein Muster verbirgt, arbeiten die Autoren jeweils sehr sorgfältig heraus, zeigen Verbindungen und Netzwerke zwischen bekannten und weniger bekannten Fällen auf und belegen ein systematisches, institutionalisiertes Rassismus-Problem in deutschen Sicherheitsbehörden. Wohin das führt, zeigen beide Autoren vor der Folie der rechtsextremen Mordserie des NSU: Laabs, wenn er anhand des laxen Umgangs mit Uwe Mundlos bei der Bundeswehr an die möglichen, ultimativen Konsequenzen erinnert, die es haben kann, wenn ein als rechtsextrem aufgefallener Soldat weiter an der Waffe ausgebildet wird. Und Kempen, wenn er deutlich macht, dass tief verwurzelte Sichtweisen und Feindbilder in der Polizei und daraus resultierende Ermittlungshandlungen und blinde Flecken eben auch dazu beitragen, dass eine untergetauchte Gruppe von Neonazis jahrelang ungestört Migranten ermorden kann.
Dirk Laabs findet schon in den Vorgängerkommandos und in der Gründungszeit des KSK die Ursachen dafür, dass die Eliteeinheit immer wieder mit rechten Vorfällen auffällt. Für Laabs sind die fehlende Abgrenzung von Traditionen der Wehrmacht, Kommandeure, die mit asketischen „Übermännern“ und „heiliger Kameradschaft“ liebäugeln und eigenständige, unkontrollierbare Strukturen aufgebaut haben, das „ätzende Gift, das tief in das KSK einsickern konnte“. Der Afghanistan-Einsatz habe zudem eine enthemmende Wirkung auf die Truppe gehabt. Entsprechend sieht er in den Konsequenzen, die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) mit der Auflösung der 2. Kompanie des KSK gezogen hat ein „politisches Manöver, um Zeit zu gewinnen“. Die Reformen müssten aus seiner Sicht viel tiefgreifender sein.
Auch Aiko Kempen fragt nach rechtsterroristischen Ansätzen in der deutschen Polizei, seine Rechercheergebnisse sind ebenso alarmierend. Wo Laabs in den Geheimdiensten eine mögliche Nähe, zumindest aber fehlende Abgrenzung zu Rechtsextremisten sieht, sucht Kempen die Gründe in Polizeiausbildung, Alltag, und Führungskultur, sowie Umgang mit Fehlern. Die sogenannten Einzelfälle ziehen sich auch durch sein Buch. Abgesetzt, stenografisch und ohne Kontext werden rechtsextreme Äußerungen und rassistische Übergriffe von Polizisten aus den vergangenen Jahren dokumentiert. Das stört zwar den Lesefluss, die Sammlung macht aber deutlich: Es gibt viel zu viele davon.
Aiko Kempen thematisiert allerdings auch die Schwierigkeiten, den Gegenstand tatsächlich empirisch zu fassen. Wie groß das Problem von Rassismus und Rechtsextremismus in der deutschen Polizei ist, bleibt demnach bis heute unklar. Zu groß ist das Dunkelfeld, zu ungenügend sind die Lagebilder, auch weil die Behörden wissenschaftliche Studien verweigern oder verwässern, wie etwa Bundesinnenminister Horst Seehofer im vergangenen Jahr. Weil grundlegende Kritik geradezu reflexhaft abgewehrt und unabhängige Forschung als Generalverdacht gegen die Polizei diskreditiert wird. So hat man sich auch nach den neuesten Fällen mit der Zählung von rechtsextremistischen Verdachtsfällen in den Sicherheitsbehörden zufriedengegeben. Dabei geht es Aiko Kempen in seinem Buch gerade nicht nur um hartgesottene Rechtsextremisten oder Sympathisanten, sondern vielmehr um unbemerkte, oft ungewollte rassistische Praktiken und internalisierte Vorurteile, die in der deutschen Gesellschaft vorhanden sind, sich aber unter Polizisten besonders ausprägen können. Auch weil die Polizei selbst meist noch darüber entscheidet, ob das Fehlverhalten eines Polizisten als rechtsextrem oder rassistisch eingestuft und entsprechend gemeldet und geahndet wird.
Kempen gelingt eine Annäherung an das Dunkelfeld. Besonders interessant wird das Buch da, wo er erklärt, wie der Polizeialltag Beamte zu Rassisten machen kann. Es gebe Kollegen, die sich im Dienst radikalisieren, wird ein Polizist von Kempen zitiert. Polizistinnen und Polizisten erleben in ihrer Arbeit alltäglich einen sehr ungünstigen Ausschnitt der Bevölkerung unter anderem mit Migrationshintergrund. Daraus wird „polizeiliches Erfahrungswissen“, das ganz selbstverständlich immer wieder angewendet und schließlich zu „Racial Profiling“ wird; eine gerichtlich untersagte, aber weiterhin gängige Polizeipraxis.
Dass Polizistinnen und Polizisten diese Handlungen oft selbst nicht als rassistisch erkennen oder hinterfragen, verwundert nicht: Kempen hat abwertende Zuschreibungen in Ausbildungsmaterialien gefunden, etwa einen Leitfaden „Türken und Araber verstehen und vernehmen“, in dem die Rede von „stark gestikulierenden“ Beschuldigten ist, oder polizeiinterne Formulare, auf denen Tatverdächtige bis vor wenigen Jahren noch ganz selbstverständlich als „Zigeuner“ vermerkt wurden. Mitgliederzeitschriften von Polizeigewerkschaften, in denen der Feind der Polizei klar links steht. Und interne Chats, in denen Polizeibeamte den antisemitischen Attentäter von Halle als „Idiot“ und Neonazis als mögliche Verbündete im Kampf gegen „linke Zecken“ beschreiben.
Die Polizei sei eben immer noch kein Spiegelbild der Gesellschaft, so Kempen: Es fehlen Frauen und Migranten in Uniform, stattdessen zieht die Polizei eher autoritäre Charaktere an. Auch weil sich angehende Polizistinnen bereits mit Beginn der Ausbildung in eine abgeschottete „Polizeifamilie“ hineinbegeben, die ein hohes Identifikationspotenzial hat und durch den Schichtdienst schnell zur einzigen Bezugsgruppe der Anwärter werden kann. Der Zusammenhalt, der in Einsätzen wichtig ist, hat einen hohen Preis: ein strategisches Nichtwissen, Nicht-Anzeigen der Kollegen, das zusammenschmiedet – aber Repressalien für diejenigen bedeutet, die diese „Omertà“ brechen. Auch deswegen zitiert der Autor, der zahlreiche Gespräche mit aktiven und ehemaligen Polizistinnen geführt hat, fast ausschließlich unter Wahrung absoluter Anonymität.
Beide Autoren illustrieren auf ihre Weise die Beharrlichkeit von Institutionen und die falsch verstandene Solidarität von Politikern mit Uniformträgern, deren ritualisierte Abwehr kaum Raum für differenzierte Kritik lässt und Aufklärung verhindert. Ohne Schutz für interne Whistleblower, ohne ein unmissverständliches Signal der Führung und der Justiz, rechtem Gedankengut und Umsturzplänen klare Grenzen aufzuzeigen, würden Polizei und Bundeswehr weiterhin Rassismus und Rechtsextremismus produzieren.
Um welche Zahlen geht es?
Zu groß ist das Dunkelfeld, zu
ungenügend sind die Lagebilder
Falsch verstandene Solidarität
der Politik mit Uniformträgern
verhindert Aufklärung
Aiko Kempen:
Auf dem rechten Weg?
Rassisten und Neonazis in der deutschen Polizei. Europaverlag, Berlin 2021. 240 Seiten, 20 Euro.
Dirk Laabs:
Staatsfeinde in Uniform.
Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern. Ullstein-Verlag, Berlin 2021. 448 Seiten, 24 Euro.
E-Book: 20,99 Euro.
Sonderfall oder Symptom rechtsextremer Umtriebe in Uniform? Franco A. vor Gericht in Frankfurt.
Boris Roesseler/AFP
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