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Dem wachsamsten Tier der Welt verfällt Joachim Sartorius schon als Kind in Tunis, die Eidechse wird für ihn zur Chiffre für den Süden. Im Bann ihres starren, unverwandten Blicks, ihres Züngelns, des rasiermesserscharfen Eizahns, ihrer bekrallten Zehen und ihrer schillernden Färbung, berührt ihn der Hauch einer von Dinosauriern und Drachen bewohnten Urwelt.Indem er von der herrlichen Vielfalt der Eidechsen als Naturwesen und symbolische Geschöpfe erzählt, entfacht er für das undurchdringlich fremde Wesen mit dem kalten Blut ein wahres Echsenfieber. Mit seinem leidenschaftlichen Plädoyer für…mehr

Produktbeschreibung
Dem wachsamsten Tier der Welt verfällt Joachim Sartorius schon als Kind in Tunis, die Eidechse wird für ihn zur Chiffre für den Süden. Im Bann ihres starren, unverwandten Blicks, ihres Züngelns, des rasiermesserscharfen Eizahns, ihrer bekrallten Zehen und ihrer schillernden Färbung, berührt ihn der Hauch einer von Dinosauriern und Drachen bewohnten Urwelt.Indem er von der herrlichen Vielfalt der Eidechsen als Naturwesen und symbolische Geschöpfe erzählt, entfacht er für das undurchdringlich fremde Wesen mit dem kalten Blut ein wahres Echsenfieber. Mit seinem leidenschaftlichen Plädoyer für Schutzzonen für die Reptilien geleitet er letztendlich die Eidechse auf die Arche Noah, auf der sie dereinst keinen Platz gefunden hatte.»Je länger ich die Eidechse betrachte, umso mehr verliere ich mein eigenes Zeitgefühl und versinke selbst in eine Art von Echsentum. Die Eidechse ist unvermittelte Gegenwart, sie wird für mich, in ihrem gebannten, angespannten Hiersein, das heftig klopfende Herz der Erde.« - Joachim Sartorius
Autorenporträt
Joachim Sartorius, geboren 1946 in Fürth, wuchs in Tunis auf und lebt heute, nach langen Aufenthalten in New York, Istanbul und Nicosia, in Berlin und Syrakus. Er veröffentlichte acht Gedichtbände, die sich immer wieder mit der Levante und ihren Kulturen befassen, zuletzt Für nichts und wieder alles (2016), zahlreiche in Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern entstandene Bücher und die poetischen Reiseerzählungen Die Prinzeninseln (2009) und Mein Zypern (2013). Er ist Herausgeber der Werkausgaben von Malcolm Lowry und William Carlos Williams sowie der Anthologien Atlas der neuen Poesie (1995), Minima Poetica (1999) und Niemals eine Atempause. Handbuch der politischen Poesie im 20.Jahrhundert (2014). Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 2019 erhielt Sartorius den August Graf von Platen Literaturpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2020

Wer kauert denn da im Tischtuch?
Es war einmal und wird auch immer sein ein rätselhaftes Tier: Joachim Sartorius huldigt der Eidechse

Nein, es ist kein Sachbuch, auch wenn es in der Reihe "Naturkunden", herausgegeben von Judith Schalansky bei Matthes & Seitz, mit der Nummer 55 herausgekommen ist. Es ist eine Liebeserklärung. Die eines Lyrikers an eines der ältesten Wesen der Welt: die Eidechse. Wie in den Reiseerzählungen "Die Prinzeninseln" (2009) und "Mein Zypern oder die Geckos von Bellapais" (2013), die beide ihren Reiz in der subjektiven Deutung des Dokumentarischen haben und einer feinen, lyrischen Sprache, geht es auch hier nicht um ein Objekt, das betrachtet und vorgeführt werden soll, sondern um eine Gefühls- und Geistesbeziehung. Nicht der kalte, pragmatische Blick des Zoologen, sondern der mitreißend warme eines Menschen auf ein Geschöpf, so klein, dass man es schnell übersieht, führt hier in den Text und macht ihn zur Literatur.

Gleich die ersten Sätze des Prologs legen das Zentralmotiv fest: "Meine Kindheit in Tunesien war eine Eidechsenkindheit. In den Ritzen der Steinmauern, die die Terrassen des zur Uferstraße abfallenden Gartens säumten, wohnten mehrere Eidechsenfamilien, und im Haus huschten, wenn in der Dämmerung die Lichter angemacht wurden, Geckos über die Wände, bis sie schließlich reglos am Rande eines Lichtkegels verharrten." Das ist nicht nur schön erzählt, sondern es zeigt, mit welcher sensiblen Offenheit diese Kreatur wahrgenommen und, man kann es so sagen, auf Augenhöhe angeschaut wird. Jede arrogante Pose der Überlegenheit, wie sie unserer Spezies anderen Geschöpfen gegenüber oft eigen ist, um sie auf fatale Weise auszubeuten, geht hier in Demut und Zuneigung über. Die Szene etwa, in der die Töchter ein Exemplar namens Billy im Haus halten wollen und es dann doch wieder verlieren, wie die Familie trauert und es beerdigt, ist so anrührend, wie man es sonst nur in Verbindung mit attraktiveren Tieren kennt, Pferden, Hunden oder Katzen.

Von zahlreichen Abbildungen flankiert - herrliche Zeichnungen, Kupferstiche und Gemälde -, folgen wir der faszinierenden Natur dieser Tiere, erfahren, dass ihnen die Schwänze nachwachsen, wenn sie gebrochen sind, lesen von der Vielzahl der Arten, die auf 2700 geschätzt wird, um dann immer wieder einen Abzweig zu nehmen in das unendliche Reich der metaphysischen Deutung. Die Spuren sind es, die Eidechsen hinterlassen, tatsächlich oder im allegorischen Sinn, und die sich zu einer Geschichte verweben - das ist das Buch hinter dem Buch, das sich selbst auf den Urgrund der Mythen begibt, wenn es im Märchenton anhebt: "Es war einmal . . ."

Die Verweisung der kleinen, huschenden Echsen auf eine Vorzeit der menschlichen Kultur, ihre subkutane Zeugenschaft, mit den Elementen des Ursprungs in einer Verbindung zu stehen, macht sie so rätselhaft und interessant, für die Geistes- und Naturgeschichte wie für die Kunst und Literatur. Wie stolz erscheint sie auf einer Buchillumination von 512 aus Konstantinopel, wie ornamental in den Illustrationen des Frühmittelalters, wie symbolisch auf Gemälden der Renaissance und wie detailgenau in den Kupferstichen der Enzyklopädisten des neunzehnten Jahrhunderts. Bis zur Gegenwartskunst eines Max Neumann, der einen roten Gecko auf einem Glas auf und davon flitzen lässt, auf das der Künstler von der anderen Seite her schaut, über Joan Miró und Jean Cocteau, Gertrud Kolmar und Jim Morrison: Die Eidechse verzaubert sie alle.

Wunderbar das "Porträt eines jungen Edelmannes in seinem Studierzimmer" von Lorenzo Lotto aus dem Jahre 1527. Da sitzt dieser schöne junge Mann vor einem aufgeschlagenen Folianten, dessen linke Buchseiten von seiner zierlichen Hand leicht angehoben sind, so als wolle er sich gleich wieder seinen Studien zuwenden und schaue nur für den Moment dieser Skizze, den der Maler ihm abverlangt hat, zum Betrachter - da kauert doch tatsächlich, kaum zu sehen in den Falten des blauen Tischtuchs, ein Salamander, hebt leicht den Kopf und blickt in die Richtung des Mannes, der seinerseits uns sieht. Was für eine Dramatik der Blicke, was für eine Architektur des Begehrens nach Wissen und Nähe zugleich, umgeben von einem Interieur der Melancholie wie den verwelkten Rosenblättern und einem gefalteten Brief, der vielleicht von einem Abschied berichtet.

Es ist gerade diese versteckte und damit zur Nebensächlichkeit erklärte Position, in der uns das Wesen auf dem Gemälde erscheint, die dem Porträtierten seine Größe und seine Bedeutsamkeit sichert; es ist die Differenz, die hier subtil aufgebaut wird und ihre Wirkung entfaltet. Expressiver bei Caravaggios "Knabe, der von einer Eidechse gebissen wird", um 1595. Hier verschwindet der Körper des Tieres in einem Arrangement aus Blütenblättern und Obst, und allein der schmerzverzerrte Gesichtsausdruck des Knaben deutet auf eine Eidechse hin, die seinen Finger erwischt hat. Ohne Hinweis im Titel wäre sie kaum zu erkennen, so sehr treibt sie ein Spiel mit unserer Wahrnehmung, die im Zwischenreich von sichtbarer und unsichtbarer Welt irritiert wird. Bei allem sachlichen und ästhetischen Reichtum, den dieses Buch bietet, zieht es noch einen Metatext neben sich her, der explizit nicht mehr geschrieben steht: den des Bewahrenswerten im drohenden Verlust - seien es nun Arten in der Natur, die am Aussterben sind, oder so herrliche Bücher wie dieses, denen man ein langes editorisches Weiterleben wünscht.

KURT DRAWERT.

Joachim Sartorius: "Eidechsen". Ein Portrait.

Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2019. 135 S., Abb., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Kurt Drawert schwelgt in Joachim Sartorius' Liebeserklärung an die Eidechse. Dass der Autor kein nüchternes Sachbuch vorlegt, sondern eine "mitreißend warme" und sensible Erzählung, garniert mit Zeichnungen, Kupferstichen und Gemälden, die den Leser entführt auf allerhand Nebenpfade bis hin zu "metaphysischen Deutungen" und Mythen, scheint Drawert zu begeistern. Sartorius wird damit nicht nur der Rästelhaftigkeit der Eidechse gerecht, findet Drawert, sondern erinnert dezent auch an das Bewahrenswerte in der Natur.

© Perlentaucher Medien GmbH