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Theodor Mommsen (1817 - 1903) war Mitbegründer der deutschen Altertumswissenschaft und erhielt für sein Werk 'Römische Geschichte' 1902 den Nobelpreis für Literatur. Er nahm engagiert am Zeitgeschehen teil, war liberaler Reichstagsabgeordneter und stritt vehement mit Bismarck, auf den das Zitat im Titel des Buches abzielte und das Mommsen eine Beleidigungsklage eintrug. Eine ausführliche Einleitung schildert Leben, Werk und Zeit, jedem Text ist ein erklärender Vorspann beigegeben.

Produktbeschreibung
Theodor Mommsen (1817 - 1903) war Mitbegründer der deutschen Altertumswissenschaft und erhielt für sein Werk 'Römische Geschichte' 1902 den Nobelpreis für Literatur. Er nahm engagiert am Zeitgeschehen teil, war liberaler Reichstagsabgeordneter und stritt vehement mit Bismarck, auf den das Zitat im Titel des Buches abzielte und das Mommsen eine Beleidigungsklage eintrug. Eine ausführliche Einleitung schildert Leben, Werk und Zeit, jedem Text ist ein erklärender Vorspann beigegeben.
Autorenporträt
Mommsen, TheodorTheodor Mommsen, 1817-1903, war Jurist und Historiker. Er lehrte als Professor in Leipzig, Breslau und Berlin, engagierte sich als Liberaler in der Revolution von 1848, war Mitglied des preußischen Landtags und des Reichstags. Er zählt zu den bedeutendsten Gelehrten des 19. Jahrhunderts und ist Ahnherr der modernen Geschichtsforschung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2017

Zeitgenosse Professor
Theodor Mommsen zum 200. Geburtstag
in einer Anthologie und einer begriffsgeschichtlichen Aufnahme
VON GUSTAV SEIBT
Die Zeiten liegen noch nicht lange zurück, in denen ambitionierte Gymnasiasten ihre Lateinlehrer mit Zitaten aus Theodor Mommsens „Römischer Geschichte“ herausforderten. Cicero? „Ohne Einsicht, Ansicht und Absicht.“ Caesar? „Auch er hatte von dem Becher des Modelebens den Schaum wie die Hefen gekostet, hatte rezitiert und deklamiert, auf dem Faulbett Literatur getrieben und Verse gemacht, Liebeshändel jeder Gattung (!) abgespielt und sich einweihen lassen in alle Rasier-, Frisier- und Manschettenmysterien der damaligen Toilettenweisheit.“ Wer wäre da nicht gern miteingeweiht worden, auf dem Faulbett und bei Liebeshändeln jeder Gattung!
Vor allem war das ein toller langer Satz. Wer nicht nur schöne Stellen las, sondern die ganzen Bände (noch in den Siebziger Jahren gab es eine Taschenbuchkassette davon), der lernte nicht einfach Römer kennen, mit Patriziern, Plebejern, Consuln und Senatoren, sondern auch neuzeitliche Menschen: „Junker“, „Kapitalisten“, „Bürgermeister“ in einem „Gemeinderat“, ja „Ingenieure“ und „Generale“ – alles Wörter, die im Lateinwörterbuch nicht vorkamen, ebenso wenig wie die „Primadonnen“ und „Kurtisanen“, die sich beim Untergang der Republik bemerkbar machten.
Über diesen ebenso rhetorischen wie journalistischen Stil wird seit dem ersten Erscheinen der „Römischen Geschichte“ vor 160 Jahren debattiert. Nietzsche nannte die Beziehung auf „klägliche moderne Parteistandpunkte“ „ekelhaft“, Richard Wagner bestritt die Analogien, die Mommsens Sprache suggerierte: „Bei uns ist es ein Feuilletonist, dort ist es Cicero.“
Es gibt andere Urteile. Joachim Fest erkannte den „heißen Atem“ gegenwärtiger Leidenschaft: „Die Vergangenheit war, wie er sie sah, vom gleichen Stoff wie die Gegenwart, nur Kostüm und Kulisse hatten gewechselt, eine Art Katalaunisches Feld, auf dem die gleichen Widersacher ohne Ende aufeinandertrafen, er selber mitten unter ihnen, streitend, leidend, parteinehmend und mitunter sogar den Eindruck erweckend, er wolle, was als historisches Faktum doch unabänderlich war, zuletzt noch wenden.“
Schöner kann man nicht sagen, warum Mommsen eine so mitreißende Lektüre bleibt, und der Vergleich mit den Kämpfen der Toten über dem spätantiken Völkerschlachtfeld trifft das Pathos dieses Autors genau. Davon zehrte vor einem Vierteljahrhundert noch Heiner Müllers schwerblütiger Canto „Mommsens Block“ über den „Genossen Professor“, der es nicht über sich brachte, Caesars Tod darzustellen und der vor der römischen Kaiserzeit so zurückschreckte wie Müller vor dem Ende der Geschichte. Es gab Mommsen-Abende mit Müller, Alexander Demandt und Friedrich Kittler in der Kantine des Berliner Ensembles, die den Untergang des Sowjetunion mit der „Unschreibbarkeit von Imperien“ zu fassen versuchten.
Doch ist das nur die eine Hälfte von Mommsens Riesenwerk, dessen wissenschaftlich haltbarere Teile aus den Tausenden Seiten seines „Römischen Staatsrechts“, aus Inschriftensammlungen und Quelleneditionen bestehen, aus Hunderten Beiträgen zu jener arbeitsteiligen Großforschung, die er in Deutschland erst begründete. Solche Forschungsleistungen erbringt man nicht mit Leitartikelbenzin. Hier aber lautet das Urteil über Mommsens Modernität oft ganz anders: Es fehle ihm an sozialgeschichtlichem Zugriff, er beschreibe die römische Gesellschaft mit statischen Rechtsbegriffen, vor alle fehle ihm der neuzeitliche, erst von Hegel entwickelte Begriff von „Gesellschaft“ als dem Gegenüber des „Staats“, aber auch als der wahren Wirklichkeit der Geschichte.
Diese Sicht revidiert nun auf beispiellos gründliche Weise die Dissertation von Simon Strauß, die vor allem Mommsens „Römisches Staatsrecht“ auf den sozialgeschichtlichen Gehalt durchleuchtet. Strauß zeigt , wie die antiken Begriffe von Gesellschaft Mommsens Blick sachgemäß leiten. Der antike „Staat“ war kein Gegenüber der Gesellschaft, kein Anstaltsstaat, sondern er war die verfasste Gemeinschaft der politikfähigen Familienväter, die bei sich zu Hause unumschränkt herrschten.
„Civitas“, „societas civilis“, „quirites“, „Patrizier“, „Klienten“, „Plebejer“ – das waren gesellschaftliche und politische Begriffe in einem. Ständischer Rang war nicht einfach eine Klassenlage, sondern eine Herkunftsbestimmung, das Kapital war nicht Besitz, sondern Ehre. Diese Ordnung der Gesellschaft visualisierte sich in Face-to-face-Zusammenhängen, auf Sichtweite, etwa in den Sitzordnungen der Theater.
All das systematisierte Mommsen mit unüberholter Akribie. Vor allem aber zeigt sein Staatsbegriff eine flexible Fülle von Aspekten, die der antiken Wirklichkeit näher ist als die moderne Dichotomie von Verfassungsstaat und ökonomisch definierter „bürgerlicher“ Gesellschaft. „Staat“ ist, so zeigt es Strauß, bei Mommsen dreierlei: ein „Reich“, ein von heterogen zusammengesetzter Bevölkerung bewohnter Großraum, das von Rom beherrschte Imperium; zweitens ein bürgerrechtlich definierter Personenverband, der römische „populus“; drittens ist er die Summe seiner Handlungsträger, die den Willen dieses Volkes artikulieren und umsetzen, also die Magistratur. Die drei „Sinndimensionen“ entsprechen, so Strauß, der wenig später entwickelten „Drei-Elemente-Lehre“ von Georg Jellinek, die den Staat aus den drei Komponenten Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt zusammengesetzt sah.
Diese begrifflichen Befunde und ihre Anwendung auf eine unermessliche Empirie zeigen, dass Theodor Mommsen nicht der aktualisierende Rhetoriker blieb, als der er mit seiner „Römischen Geschichte“ populär wurde. Er wurde zu einem Historiker, der der Begriffssprache seiner Quellen und damit der von ihnen erfassten Lebenswirklichkeit treuer blieb als moderne Sozialgeschichte, die von „Gesellschaft“, „Schichten“ oder „Klassen“ redet. Und so kann Strauß in einem zweiten Anlauf auch zeigen, dass Matthias Gelzers ein Jahrzehnt nach Mommsens Tod erschienenes Standardwerk zur römischen Nobilität dessen „Staatsrecht“ keineswegs überholt, sondern bestenfalls ergänzt und umschreibt.
Diese Klarstellung wird nun vor allem in der Fachwelt auf Interesse stoßen. Und so mag man es bedauern, dass die Doktorväter von Simon Strauß diesen nicht ermunterten, noch eingehender auf das Widerspiel von konservativer Staatsbegrifflichkeit und rhetorisch-erzählerischer Aktualisierung bei Mommsen einzugehen. Denn schon die „Römische Geschichte“ macht ja trotz ihrer feuilletonistischen Außenseite klar, dass in Rom Verfassungsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte so gut wie zusammenfallen. Es ist daher eine kluge Entscheidung der jetzt zum 200. Geburtstag erschienenen Anthologie Wilfried Nippels, den Übergang von der frühen Königsherrschaft zur Republik unmittelbar neben die Errichtung der neuen Monarchie durch Caesar zu stellen.
Damit wird der große verfassungsgeschichtliche Bogen der „Römischen Geschichte“ auf engem Raum sichtbar. Wer Mommsen-Anfänger ist, findet hier dessen Lebenswerk in einer Nussschale. Nippel stellt zum ersten Mal seit Jahrzehnten auch einen Querschnitt aus Mommsens politischer Publizistik und aus seinen öffentlichen Reden zusammen. Der kernige Liberale, den die Nachwelt vor allem aus seiner berühmten Testamentsklausel („Ich wünschte ein Bürger zu sein“) in Erinnerung behält, war tagespolitisch oft ein Irrlicht. Vor ein paar Jahren hat Alexander Demandt Mommsens tagespolitische Stellungnahmen einmal chronologisch aufgeschrieben – die Wirkung des Durcheinanders ist erschütternd. Nippel bemerkt kühl, dass Mommsen seine Urteile oft „ohne ausreichende Sachkenntnis fällte“.
Theodor Mommsens größte Stunde blieb der Kampf gegen die Zumutungen, mit denen sein Kollege Heinrich von Treitschke sich 1879 an die deutschen Juden wandte. „Auch ein Wort über unser Judentum“ bleibt ein klassischer Text mit divinatorischen Ausblicken. Denn Mommsen erkannte sofort die Weiterungen, die sich aus Treitschkes Appellen zur Assimilation ergeben mussten – wenn Gesetzestreue nicht ausreichte, dann war Bürgerschaft „zweiter Klasse“, ja ein „Bürgerkrieg“ nicht mehr auszuschließen.
Man kann diese glasklaren Seiten nur mit angehaltenem Atem lesen. Als Patrick Bahners, wie heute auch Strauß Feuilleton-Redakteur der FAZ, 2012 die Sarrazin-Debatte in seinem Buch „Die Panikmacher“ durchleuchtete, konnte er auf passgenaue Sätze aus Mommsens Treitschke-Polemik zurückgreifen. So ist es eine fast schmerzliche Ironie, wenn Simon Strauß aufzeigt, dass Mommsens Begriff von Gesellschaft sich mit einer frühen Polemik Treitschkes gegen „die Lehre der Trennung von Staat und Gesellschaft“ überschneidet.
Theodor Mommsen: Wenn Toren aus der Geschichte falsche Schlüsse ziehen. Ein Lesebuch, herausgegeben von Wilfried Nippel. Deutscher Taschenbuchverlag, München 2017. 350 Seiten, 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.
Simon Strauß: Von Mommsen zu Gelzer? Die Konzeption römisch-republikanischer Gesellschaft in „Staatsrecht“ und „Nobilität“. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017. 262 Seiten, 57 Euro.
Sein „Römisches Staatsrecht“
gehört zu den haltbarsten
Seiten seines Werks
Mommsens größte Stunde blieb
sein Kampf gegen die Judenschrift
seines Kollegen Treitschke
Er schrieb von Plebejern und Senatoren in seiner „Römischen Geschichte“, aber auch von Kapitalisten und Kurtisanen: Theodor Mommsen, auf einem Gemälde von Ludwig Knaus, 1881.
Foto: Nationalgalerie Berlin
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Jetzt liegt erstmals ein kluges, informatives und kommentiertes Mommsen-Lesebuch vor. Mitteldeutsche Zeitung 20171125