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Die Oktoberrevolution 1917 galt vielen europäischen Intellektuellen als Fanal: Ob angsterfüllt beobachtet oder euphorisch begrüßt, sie war das Ereignis der Epoche, zu dem man sich intellektuell zu verhalten hatte. Angesichts der Fliehkräfte der Weimarer Republik und der von vielen empfundenen tiefen Krise der westlichen liberalen Zivilisation richtete auch Hugo Fischer den Blick nach Osten, um in der Politik Lenins und in den Räten Alternativen für eine Herrschaftsform jenseits von Parlamentarismus und Diktatur zu finden. Selbst aus der nationalen Rechten entstammend, betrachtet er Lenin ohne…mehr

Produktbeschreibung
Die Oktoberrevolution 1917 galt vielen europäischen Intellektuellen als Fanal: Ob angsterfüllt beobachtet oder euphorisch begrüßt, sie war das Ereignis der Epoche, zu dem man sich intellektuell zu verhalten hatte. Angesichts der Fliehkräfte der Weimarer Republik und der von vielen empfundenen tiefen Krise der westlichen liberalen Zivilisation richtete auch Hugo Fischer den Blick nach Osten, um in der Politik Lenins und in den Räten Alternativen für eine Herrschaftsform jenseits von Parlamentarismus und Diktatur zu finden. Selbst aus der nationalen Rechten entstammend, betrachtet er Lenin ohne ideologische Voreingenommenheit, er attestiert ihm sogar selbst eine ideologiefreie Politik, die - von rationalen Motiven getrieben - auf Machterringung und Machterhalt zielt : "Lenin ist ebensowenig ein 'Kommunist', wie Richelieu ein 'Monarchist' gewesen ist." Mit dieser visionären Analyse, der sich später immer wieder auch linke Dissidenten anschließen sollten, verfasst Fischer eine Studie, die den Vergleich mit Schriften von Carl Schmitt, Leo Strauss oder Max Weber nicht zu scheuen braucht. Lenin, der Machiavell des Ostens, das hier zum ersten Mal überhaupt erscheint, ist eine Dokument messerscharfen politischen Denkens, ein Zeugnis der deutschen Geistesgeschichte und wichtiger Beitrag zur Analyse des Bolschewismus an der Macht.
Autorenporträt
Ernst Hugo Fischer, geboren 1897 in Halle, war Philosoph und Soziologe. Zwischen 1926 und 1934 gab er die Blätter für deutsche Philosophie heraus. Nach der Machtergreifung beteiligte sich Fischer aktiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus, 1938 emigrierte er nach Norwegen, Großbritannien und Indien. 1956 kehrte er nach Deutschland zurück und trat eine Professur für Philosophie und Zivilisation an der Universität München an. 1975 starb Fischer in Ohlstadt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2018

Eben der menschlich normale totale Staat

Soll da ein Hausphilosoph der Neuen Rechten aufgebaut werden? Mit Hugo Fischer lässt sich von Lenin ein Weg zur konservativen Revolution finden.

Wenn sich am 30. Januar der Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten jährt, dann steht dieses Datum zugleich für das Verschwinden des schon gedruckten "Lenin" des Leipziger Philosophen Hugo Fischer. Die "Hanseatische Verlagsanstalt", die rechtskonservatives Schriftgut verlegte und unter anderem 1932 Ernst Jüngers "Der Arbeiter" herausgebracht hatte, stampfte die Auflage im Frühjahr 1933 ein, weil "das Thema schon rein als solches" zu heikel schien, obwohl doch die nationalsozialistische "Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums" ein günstiges Urteil abgegeben hatte.

Es ist nicht klar, wer den Rückzug in vorauseilendem Gehorsam initiierte, der Autor oder sein Verlag. Bis zum vorliegenden Neudruck existierten nur wenige übriggebliebene Buchblöcke. Einer davon gelangte über Carl Schmitt und Armin Mohler, den Vordenker der "Konservativen Revolution", an den Mitherausgeber Manfred Lauermann.

Fischer war seit Studientagen ein Freund Ernst Jüngers und zugleich mit dem Kreis um den Nationalkommunisten Ernst Niekisch verbunden. 1938 ging er nach Norwegen und arbeitete am Institut des Ökonomen Ewald Th. A. Bosse, der nach einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus suchte. Dass Fischer Deutschland verließ, lag vor allem an seinen akademischen Gutachtern, die ihn für einen guten Philosophen, aber unbrauchbaren Hochschullehrer hielten. Eine Professur bekam er nicht. Nach der Verhaftung Niekischs 1937 fühlte Fischer sich nicht ohne Grund bedroht. Dafür, dass er sich aktiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt habe, wie der Klappentext behauptet, gibt es keinerlei Beweis. Als Deutschland Norwegen besetzte, wich Fischer nach England aus. 1956 kehrte er aus Indien nach München zurück, für eine Professur für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Fischers Lenin-Buch besteht eigentlich aus zwei Teilen. Es empfiehlt sich, die sieben Kapitel über Lenin zuerst zu lesen, um sich dann der umfangreichen Einleitung zu widmen, die Fischers politische Philosophie enthält. Liest man das Buch in dieser Reihenfolge, dann ergeben sich drei Bedeutungsebenen: die Lenin-Analyse, Fischers politische Philosophie und beider Relevanz für die sogenannte Neue Rechte heute.

Fischer geht es um die Deutung des russischen Revolutionärs als neuen Typus des Politikers. Nicht durch Ideologie geleitet, sondern mittels präziser machtpolitischer Analyse die Lage abzuwägen und den historischen Moment abzupassen, die Welt durch die Tat auf den Kopf zu stellen, so sieht er den "Machiavell des Ostens". Dabei gelingen Fischer scharfsinnige Einblicke wie etwa über den Zusammenhang von Weltkrieg und Revolution, aber auch starke Verzerrungen, die daher rühren, dass ihm nur wenige übersetzte Lenin- und Stalin-Texte zur Verfügung standen. Man kann Fischer lesen und mit der Wirklichkeit der Sowjetunion abgleichen. Dann erscheinen die meisten seiner Kapitel als empirisch obsolet. Schon damals hätte Fischer besser informiert sein können. Fischer ist jedoch nicht Historiker, sondern politischer Philosoph.

Seine Philosophie macht er an Lenin, dem "Weltwunder der Politik", transparent. So gerät die Lenin-Analyse zur Zeitdiagnose, welche die Übel der Moderne nicht durch schlichte Antimoderne tilgen, sondern - dafür steht Lenin - mit noch modernerer Politik überwinden möchte. Dazu sind revolutionäre Änderungen notwendig. Ohne Wenn und Aber befürwortet Fischer den "totalen Staat", in dem der "totale Politiker", wie "auf einen einzigen Energiepunkt zusammengezogen", den Staat verkörpert. Der Philosoph sucht im Tatmenschen und Führerkult die organische Verbindung von Staat und Volk. So finde sich der unterdrückte, durch die überholte Rechenhaftigkeit des Kapitalismus von der Arbeit entfremdete Mensch geborgen. "Dieser Staat ist weder reaktionär noch modern, er ist einfach der menschlich normale Staat."

Ebenso antikapitalistisch wie antiliberal und antiparlamentarisch sieht Fischer die bessere Moderne darin, den Staat in ein Reich zu überführen, das mehr sei als Staat, nämlich ein "Wesen", das säkulare Politik erlaube und "zugleich die religiöse Sehnsucht stillt". Technik spielt dabei eine zentrale Rolle, weil sie nicht nur Instrument ist, sondern Inhalt des Staates, der wiederum - die einzige, wenngleich gespenstische antijüdische Bemerkung in dem Buch - "ahasverische Naturen" aus der Maschinenlandschaft ausstoße. Fischer verliert kein Wort über den "jüdischen Bolschewismus" der antisemitischen Propaganda. Vielmehr passt er zu jenen italienischen Faschisten und deutschen Nationalkommunisten, die im Bolschewismus einen Bruder im Geiste des Modernismus zu erkennen glaubten.

Die durch den Kapitalismus heimatlos gewordenen Menschen werden im neuen Staat, der keine Gesellschaft kennt, sondern nur das Volk, mit sich versöhnt. Da es Fischer letztlich um "den Deutschen" geht, unterstellt er ihm eine für seine historische Erlösung mobilisierbare "vorökonomische Kulturtradition". Mit Hilfe kulturrassistischer Vergleichsperspektiven glaubt er, die metaphysischen Talente des Deutschen würden ihn auf den Weg bringen, den Fischer beschrieb.

Nun wird die Hufeisen-Philosophie Fischers deutlich, deren offene Enden des linken Antikapitalismus und des rechten Nationalkonservatismus er zusammenbiegt und die ins Schwarze der Konvergenz-Diskurse heute trifft. So wird verständlich, warum die Herausgeber in ihrem Nachwort die Arbeiterräte mit dem "deutschen Denken" verbinden, in Lenin das Prinzip der tugendhaften Revolution erkennen, Fischers Reichsidee und die europäische Vision seiner Philosophie betonen, die rechtskonservativen Hintergründe Fischers verbalisieren, aber Intoleranz, Autoritarismus und Machtvertikale seiner Philosophie nicht problematisieren. Fischers unbefangene, auf Orientierung angelegte Russland-Perspektive hat nichts vom stereotypem Antibolschewismus rechter Kreise. Damit könnte er zum Hausphilosophen der Neuen Rechten werden.

Die Frage ist, ob ein geschäftsführender Verkehrsminister aus dem Süden und ein grüner Landesminister aus dem Norden sich mit diesem Denken in Verbindung bringen wollen, wenn sie "konservative Revolution" und "Heimat" in die Sprache der Politik tragen. Außerdem wäre es an der Zeit, Schriften und Tätigkeiten Fischers gründlich aufzuarbeiten, bevor es andere tun, denen nicht an Analyse und Kontextualisierung, sondern an Orientierung gelegen ist.

STEFAN PLAGGENBORG

Hugo Fischer: "Lenin". Der Machiavell des Ostens". Hrsg. von Steffen Dietzsch und Manfred Lauermann.

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.

328 S., geb., 30,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Stefan Plaggenborg empfiehlt eine analytische und kontextualisierende Aufarbeitung der Schriften des Philosophen Hugo Fischer, ehe andere sich bei Fischer auf ideologische Weise bedienen. In Fischers Lenin-Buch liest der Rezensent zuerst die sieben Kapitel über Lenin, um sich dann der Einleitung mit Fischers politischer Philosophie anzunehmen. Auf die Weise entdeckt er drei Bedeutungsebenen. Neben der Lenin-Analyse und Fischers Philosophie noch die Relevanz beider für die neue Rechte. Wie der Autor Lenin als neuen Politiker-Typus deutet, scheint Plaggenborg stellenweise scharfsinnig, etwa wenn der Autor den Zusammenhang zwischen Weltkrieg und Revolution erkundet. Andererseits stößt der Rezensent auf Verzerrungen in Fischers Sicht, und beim Vergleich mit der Wirklichkeit der Sowjetunion empfindet er ihn "empirisch obsolet". Mit dem Antibolschewismus rechter Kreise, meint Plaggenborg, hat Fischers Russland aber auch nichts zu tun.

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