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Die Wiedergutmachung gehört zu den zentralen Themen in der Auseinandersetzung der deutschen Nachkriegsgesellschaft mit dem "Dritten Reich". Ihre Leistungen und Mängel wirken bis heute nach. Tobias Winstel analysiert die administrative Praxis der Entschädigung und Rückerstattung, stellt Regelwerke, Institutionen und konkurrierende Ansprüche vor. Er macht die Erwartungen der ehemaligen Verfolgten und ihre Erfahrungen im Prozess der Wiedergutmachung sichtbar. Eingebunden werden Perspektiven der Politik-, Verwaltungs- und Rechtsgeschichte bis hin zur Wirkungs- und Erfahrungsgeschichte. Indem…mehr

Produktbeschreibung
Die Wiedergutmachung gehört zu den zentralen Themen in der Auseinandersetzung der deutschen Nachkriegsgesellschaft mit dem "Dritten Reich". Ihre Leistungen und Mängel wirken bis heute nach. Tobias Winstel analysiert die administrative Praxis der Entschädigung und Rückerstattung, stellt Regelwerke, Institutionen und konkurrierende Ansprüche vor. Er macht die Erwartungen der ehemaligen Verfolgten und ihre Erfahrungen im Prozess der Wiedergutmachung sichtbar. Eingebunden werden Perspektiven der Politik-, Verwaltungs- und Rechtsgeschichte bis hin zur Wirkungs- und Erfahrungsgeschichte. Indem Winstel die bundesdeutsche Entwicklung im internationalen Zusammenhang analysiert, leistet er auch einen grundsätzlichen Beitrag zur Frage nach Möglichkeiten und Grenzen "verhandelter Gerechtigkeit" beim Umgang mit historischer Schuld.
Autorenporträt
Tobias Winstel, geboren 1972, studierte Neuere und neueste Geschichte, Alte Geschichte, Germanistik und Romanistik in München und Paris; von 2001 bis 2005 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der LMU München und veröffentlichte zur Geschichte des Nationalsozialismus und zur Nachkriegszeit. Heute arbeitet er im Siedler und Pantheon Verlag, München.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gelungen findet Constantin Goschler Tobias Winstels "große Fallstudie" über die Entschädigungspraxis jüdischer NS-Opfer in Bayern. Goschler lobt das Moderate von Winstels Darstellung juristischer und administrativer Strukturen. "Kritische Töne" vernimmt er bei den subjektiven Auslegungen der Entschädigungen durch die Betroffenen. Insgesamt aber erscheint ihm die Arbeit nicht zu skandalisieren, sondern auf ein "freundliches Gesamtbild" hinauszulaufen. Die Frage, ob die bayerische Perspektive im aktuellen internationalen Diskurs besondere Berechtigung hat, muss Goschler allerdings verneinen. Die "Zukunft der Wiedergutmachung" sieht er jedenfalls in den transnationalen Gerichtssälen, vor der Weltöffentlichkeit.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.05.2007

Über spitze Steine
Die Geschichte der „Wiedergutmachung” für NS-Verfolgte in Bayern
Zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft stehen über sechzig Jahre Nachwirkungen des Dritten Reiches gegenüber. Konkrete Bedeutung gewannen diese vor allem in der sogenannten Wiedergutmachung für NS-Verfolgte. Hier verlängerte sich die Geschichte des Nationalsozialismus gleichsam in die Geschichte der Bundesrepublik hinein.
Vor allem die Entschädigungspraxis wurde seit den achtziger Jahren mit scharfer Kritik belegt. Diese gipfelte im Vorwurf der Wiedergutmachung als einer „zweiten Verfolgung”. Tobias Winstel, der eine große Fallstudie zur Rückerstattung und Entschädigung für jüdische NS-Opfer in Bayern vorlegt, schlägt moderatere Töne an. Darin folgt er dem deutsch-jüdischen Juristen und Wiedergutmachungsexperten Walter Schwarz, dessen Geist in gewisser Weise über dieser Studie schwebt. Schwarz hatte in den achtziger Jahren mit dem Satz provoziert, ein Deutscher habe das Recht, „auf das Werk der Wiedergutmachung stolz zu sein”. Haben nun also zumindest die Bayern ein Recht auf solchen Stolz?
Winstel geht es weniger um die „vergessenen Opfer” – darunter Zwangsarbeiter, Sinti und Roma, „Asoziale” und Homosexuelle. Statt dessen konzentriert er sich auf die jüdischen Verfolgten, deren Ansprüche vergleichsweise unstrittig waren. Gleichwohl war auch ihr Weg zu Entschädigung oder Rückerstattung oft mit spitzen Steinen gepflastert. Die Antragsteller mussten umfangreiche Formularberge ausfüllen und dabei die sich häufig ändernde Gesetzeslage beachten.
Zwar wurde der Beweisnot durch mancherlei Erleichterungen Rechnung getragen. Als Folge wuchs jedoch die Bedeutung eidesstattlicher Erklärungen und medizinischer Gutachten, mit denen die „Wahrheit” der erlittenen Verfolgung und ihrer Auswirkungen festgestellt werden sollte. Bis es zu einer Entschädigung kam, dauerte es so meist viele Jahre. Sie wurde zu einem Aushandlungsprozess, innerhalb dessen die erlittene Verfolgung in Paragraphen übersetzt werden musste. Auf diesem Wege häuften sich Missverständnisse und Konflikte.
In seiner klugen Studie arbeitet sich Winstel von der Beschreibung juristischer und administrativer Strukturen vor bis zur Ebene der subjektiven Deutung der Wiedergutmachung durch die Betroffenen. Je weiter Winstel auf das Gebiet der Erfahrungsgeschichte der Antragsteller sowie der gesellschaftlichen Auseinandersetzung vordringt, umso stärker mischen sich auch kritische Töne zur bayerischen Rückerstattungs- und Entschädigungspraxis in seine Untersuchung. In der Summe bietet er aber keine chronique scandaleuse, sondern entwirft eher ein freundliches Gesamtbild mit einigen dunklen Flecken. Dazu gehört etwa der Antisemitismus, der sich im Gefolge der Affäre um Philipp Auerbach, den umstrittenen Präsidenten des Bayerischen Landesentschädigungsamts, Anfang der fünfziger Jahre manifestierte.
Winstel stellt seine gelungene Studie unter den Titel der „verhandelten Gerechtigkeit”. Damit steigt er in den Ring der internationalen Diskussion um die Entschädigung historischen Unrechts, die seit den neunziger Jahren zu einem weltumspannenden Unternehmen geworden ist. Was kann also die Welt von Bayern lernen? Winstel wählt den Vergleich der Wiedergutmachung mit einem Gerichtsverfahren, bei dem sich beide Seiten um einen Vergleich bemühen müssen. Keiner kann seinen Standpunkt vollkommen durchsetzen – Gerechtigkeit wird zum ausgehandelten Kompromiss.
Dieses Bild ist allzu harmonisch: Denn Richter und Beklagter waren insofern identisch, als sie maßgeblich sowohl den normativen Rahmen als auch die Verfahrensspielregeln bestimmten. Hier lag denn auch die Zäsur durch die Globalisierung der Wiedergutmachung in den neunziger Jahren: Nun wurden Fragen der Entschädigung und Rückerstattung auf einmal auch vor US-Gerichten verhandelt. Damit waren Ansätze der Entwicklung einer transnationalen Öffentlichkeit und Rechtssphäre verbunden. Es war nicht nur der Schock der Konfrontation mit einem andersgearteten Rechtssystem, sondern auch der Verlust der bisherigen Doppelfunktion als Beklagter und Richter, der in Deutschland so irritierend wirkte. So weist der Fall Bayern vielleicht doch mehr in die Vergangenheit als in die Zukunft der Wiedergutmachung. CONSTANTIN GOSCHLER
TOBIAS WINSTEL: Verhandelte Gerechtigkeit. Rückerstattung und Entschädigung für jüdische NS-Opfer in Bayern und Westdeutschland. Oldenbourg, München 2006. 426 Seiten, 59,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2006

Entrechtete als Berechtigte
Entschädigung für jüdische Opfer des Nationalsozialismus in Bayern

Tobias Winstels Beitrag zur "Erfahrungs-, Organisations- und Wirkungsgeschichte" von Rückerstattung und Entschädigung kann sich sehen lassen. Es geht dabei ausschließlich um die jüdischen Berechtigten, die ja bei weitem die Mehrheit ausmachen, und um die Erfahrungen in Bayern, wenn diese auch mit denen in der sonstigen Bundesrepublik in Beziehung gesetzt werden. Sie erwiesen sich in manchem als prägend, was nicht zuletzt am ersten Präsidenten des Landesentschädigungsamtes, Philipp Auerbach, lag, einem Auschwitz- und Buchenwald-Häftling.

Die ausgewogene Untersuchung von der Besatzungszeit bis zur ersten Bundesgesetzgebung Anfang der fünfziger Jahre stützt sich auf Einzelfallakten der zuständigen Ämter sowie der Generalakten zur Wiedergutmachung in Bayern. Im Kapitel "Begegnungen: Akteure und ihr Verhalten in der Praxis" beleuchtet die Studie die eigens geschaffenen staatlichen Instanzen und die öffentliche Meinung, vor allem aber die Opfer sowie die Rückerstattungspflichtigen. Bei diesen reichte das Spektrum vom skrupellosen Profitmacher bis hin zum gutgläubigen Zweitoder Dritterwerber, der für die ursprüngliche "Arisierung" nicht verantwortlich war, nach dem Gesetz freilich genauso behandelt wurde. Der Freistaat kaufte 1952 zwecks Milderung solcher persönlicher Härten der Jewish Restitution Successor Organization die noch offenen Rückerstattungsansprüche vorzeitig ab, die er dann selbst - ausgleichend - eintreiben konnte. Derartige Probleme trugen dazu bei, daß die Wiedergutmachung "bei uns nicht volkstümlich" war, wie es Franz Böhm von der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag 1955 feststellte, der indes mit einem darauf gerichteten Programm in Frankfurt am Main direkt gewählt worden war.

Gelegentlich gab es Mißbräuche. Wie in anderen massenhaften Versorgungsbereichen kam es vereinzelt zu Betrugsfällen. An ihnen wirkten nicht nur Antragsteller, sondern auch Sachbearbeiter, Rechtsbeistände und andere am Verfahren Beteiligte mit. Dabei gilt es jedoch zwischen verschiedenen Graustufen zu unterscheiden. Beim Großteil dessen, was in der Verwaltung unter "Mißbrauch" verbucht wurde, handelte es sich aber um das, was man aus heutiger Sicht als eine Form von moralisch gerechtfertigter Selbsthilfe bezeichnen würde. Zumeist ging es darum, die peniblen und teilweise unerfüllbaren Beweisanforderungen zu umgehen. An gewissen Stammtischen wurden entsprechende Skandalmeldungen genüßlich erörtert. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Antisemitismus nach wie vor Relevanz besaß. Er hat beim ungebührlich aufgebauschten Verfahren gegen Auerbach und dessen tragischen Freitod 1952 zweifellos eine Rolle gespielt.

Die Behauptung, die Behörden hätten die Anträge der Opfer grundsätzlich zu deren Nachteil entschieden, ist falsch. Mitunter engagierten sich die Bearbeiter zudem fürsorglich zu ihren Gunsten, etwa mittels zinsloser Kredite, die später auf die Leistungen angerechnet wurden, womit finanzielle Schwierigkeiten überbrückt werden konnten. In den Akten finden sich nicht nur bittere Beschwerden, sondern eben auch herzliche Dankschreiben. Die Entschädigungen brachten den Verfolgten in allen Lebensbereichen materielle Vorteile. Sie hatten zudem psychologische Auswirkungen - ernüchternde, belastende und sogar traumatische sowohl wie durchaus auch günstige, etwa dadurch, daß ihnen das Gefühl vermittelt wurde, von Entrechteten wieder zu Berechtigten zu werden.

Das ermöglichte es manchen Überlebenden der Schoah, sich in Deutschland niederzulassen. Zu ihnen gehörte der Berliner Anwalt Walter Schwarz, einer der besten Kenner des Entschädigungsrechts, der häufig zitiert wird. Er schrieb 1984, was ergänzend angeführt sei, in einem Leserbrief an die Wochenzeitung "Die Zeit", wenn er eine Bilanz seines Lebens zöge, würde er meinen, "daß ein Deutscher das Recht hätte, auf das Werk der Wiedergutmachung stolz zu sein". Die Befunde des Buches sind für eine solche pauschale Folgerung zwar viel zu differenziert, doch bestätigen sie, daß die Wiedergutmachung, wenn damit auch das Unfaßliche der schlimmen zwölf Jahre nicht wieder "gut" zu machen war, einen wichtigen, positiven Beitrag zur Auseinandersetzung mit der "Vergangenheit" zu leisten vermochte.

NIELS HANSEN.

Tobias Winstel: Verhandelte Gerechtigkeit. Rückerstattung und Entschädigung für jüdische NS-Opfer in Bayern und Westdeutschland. R. Oldenbourg Verlag, München 2006. 426 S., 59,80 [Euro].

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"Kluge und gelungene Studie" (Süddeutsche Zeitung, 2007)

"Winstels Studie öffnet Blickwinkel auf Facetten der bundesdeutschen Vergangengheit, die viel zu lange ignoriert worden sind." (Die Welt, 2006)