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Wie könnte Widerstand heute aussehen? Auf der Suche nach einer Antwort zieht Enis Maci eine Linie von Jeanne D'Arc über Sophie Scholl zu den albanischen Schwurjungfrauen. Sie entlarvt die medialen Strategien der Identitären als Travestie, befragt Muttersprache und Herkunft, reist nach Walhalla und blickt dort auf die Büste der in Auschwitz ermordeten Nonne Edith Stein. Sie verweilt in den sozialen Randzonen und verwebt die losen Zipfel erzählens-notwendiger Dinge zu einem dichten Panorama europäischer Gegenwart. Das Außerordentliche überkreuzt sich in ihren Essays mit dem Alltäglichen, das Private mit dem Politischen. …mehr

Produktbeschreibung
Wie könnte Widerstand heute aussehen? Auf der Suche nach einer Antwort zieht Enis Maci eine Linie von Jeanne D'Arc über Sophie Scholl zu den albanischen Schwurjungfrauen. Sie entlarvt die medialen Strategien der Identitären als Travestie, befragt Muttersprache und Herkunft, reist nach Walhalla und blickt dort auf die Büste der in Auschwitz ermordeten Nonne Edith Stein. Sie verweilt in den sozialen Randzonen und verwebt die losen Zipfel erzählens-notwendiger Dinge zu einem dichten Panorama europäischer Gegenwart. Das Außerordentliche überkreuzt sich in ihren Essays mit dem Alltäglichen, das Private mit dem Politischen.
Autorenporträt
Enis Maci ist Autorin des Essaybands Eiscafé Europa und Karl May (zusammen mit Mazlum Nergiz) sowie einer Reihe von Theaterstücken, darunter Mitwisser, AUTOS und WUNDER. 2022 feierte Kamilo Beach (gemeinsam mit Pascal Richmann) Premiere an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Im selben Jahr wurde Lorbeer am Schauspiel Stuttgart uraufgeführt, und WÜST erfuhr seine finnische Erstaufführung am Kokoteatteri Helsinki. 2023 folgen die Premiere von WUNDER in einer Koproduktion der Sala Beckett in Barcelona und des Schauspielhaus Wien sowie die dänische Erstaufführung von WÜST am Theater Aarhus. Enis Maci ist außerdem Mitherausgeberin der Kollaboration Ein faszinierender Plan (Spector Books). Die Installation gleichen Namens wurde von den Ruhrfestspielen Recklinghausen und den Münchner Kammerspielen koproduziert. In Zusammenarbeit mit dem Lenbachhaus gab sie darüber hinaus den Band Filamentous Magic Carpets heraus. Diese Arbeit beschloss ihr Fellowship am Käthe-Hamburger-Kolleg global dis:connect der LMU München. Enis Macis Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, zuletzt etwa mit dem Max-Frisch-Preis der Stadt Zürich. 2022 war sie Stipendiatin der Villa Aurora in Los Angeles.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2018

Wildes
Riff
Was ist Post-Internet-Literatur?
Texte, für die das Netz eher
ein natürlicher Bewusstseinszustand ist
denn ein Thema.
Enis Maci ist eine große Essayistin
dieses Genres
VON MARIE SCHMIDT
Die ganze Welt mit ihrem Wissen und allem Wahrnehmbaren implodiert in unser Bewusstsein. Das hat sich, noch bevor das Internet entwickelt wurde, Marshall McLuhan so vorgestellt, der auch fand, die neuen Medien brächten nie etwas Neues. Sie würden als Krücke erfunden, als Prothese, um etwas, das der Mensch mit seinem Körper und Geist sowieso kann, schneller und besser zu erledigen. Im Falle des Internets das Hören, Sehen, Dinge Erfahren. In einem Zeitalter, meinte McLuhan 1964, und heute ist das fast trivial, „das unser Zentralnervensystem technisch so sehr ausgeweitet hat, dass es uns mit der ganzen Menschheit verflicht und die ganze Menschheit in uns vereinigt, müssen wir die Auswirkungen jeder unserer Handlungen tief miterleben.“
Das könnte fatale oder geniale Auswirkungen haben, besonders auf das Königsgenre des emanzipierten Subjekts, den literarischen Essay. Die wunderbare, aufklärerische Idee dieser Textart bestand darin, dass der Einzelne sich beim tiefen Erleben beobachten sollte, um das aufzuzeichnen und sich auch dabei wiederum zu beobachten. In solchem tastenden Erkennen sollte das Individuum gefeiert und von ihm auf den Menschen als solchen oder die ganze Welt rückgeschlossen werden.
„Eigentlich denkt der Denkende gar nicht, sondern macht sich zum Schauplatz geistiger Erfahrung“, resümierte Adorno die Genretheorie. Aber der war auch noch nicht im Internet. Nimmt sich noch jemand selbst wahr, während dank technisch verlängerten Nervensystems der Stream der ganzen Welt über die Innenseite der Lider rauscht? Gibt es individuelles Erleben, wenn die Welt immer schon im Ich und das Ich in der Welt stattfindet? Ist das ein Zustand kompletter Überforderung? Oder gerade der Himmel für Essayisten? Enis Maci sieht es so: „Und zwischen respektabel und verrucht, kommunizierbar und wirr flimmert ein aufregender Text, so wie die ganze Welt ja an ihrer instabilen Wahrnehmung, an ihren permanenten Bildwechseln nicht krankt, sie auch nicht bloß verkraftet, sondern, zwangsweise, an ihnen wächst wie ein Korallenriff.“
Enis Maci wurde 1993 geboren, sie hat unter anderem Literarisches Schreiben in Leipzig studiert und Theaterstücke verfasst. Ihr Essayband „Eiscafé Europa“ ist ein wildes Riff, an dem sich alles Mögliche anlagert: Die Artikeldiskussionen der Wikipedia, Sprache und Mythen ihrer albanischen Familie, die Auftritte junger Identitärer, die eigene Jugend in Gelsenkirchen, bemerkenswert unbekannte Dichter, besonders Carlfriedrich Claus, ein versehentlich gelöschter iCloud-Account „und mit ihm, unwiderruflich, ungefähr 4000 der insgesamt über 5000 Notizen, die ich in den vergangenen drei Jahren angesammelt hatte“, die merkwürdige Sprache des Make-ups, Fragen im Angesicht der Büste von Edith Stein in der Walhalla. An allem schwimmt und schreibt Maci gewandt entlang. Es kommt eben nicht so sehr auf die Dinge selbst an, sondern darauf, woran sich die Essayistin abstößt und anstößt.
Nur mit der treuherzig ausgeführten Argumentation hat sie es nicht so, mit der „Ideologie des reinen Erzählens“. Sie zitiert Ilse Aichinger: „Niemand kann von mir verlangen, daß ich Zusammenhänge herstelle, solange sie vermeidbar sind“. Macis Essays bestehen aus Konstellationen von Zitaten, Anekdoten, Überlegungen. Sie bilden einen Text, den man unmöglich überfliegen kann, weil seine Bedeutung sich aus dem Material ergibt, ohne ausgesprochen zu werden. Man muss schon selber denken. Der Geisteszustand der konzentrierten Digression, den Enis Maci pflegt, ist der des vernetzten Menschen. In Anlehnung an einen in der bildenden Kunst gebräuchlichen Begriff kann man sagen: Ihre Essays sind Post-Internet-Literatur.
Das bedeutet eben nicht Literatur nach dem Internet, sondern Literatur, die so selbstverständlich mit dem Netz entsteht, dass dieser Umstand nicht mehr ihr Thema sein kann. Die Verselbständigung eines Medienwandels führt übrigens zu dem, was Marshall McLuhan „Narzissmus als Narkose“ nannte: Die Menschen verknallen sich in ihre neuen Möglichkeiten und vergessen dabei, dass nicht sie selbst plötzlich schneller und besser sind. Die Prothesen werden unsichtbar. „Ich fliege nach Amerika“, sagt man, und von der Ingenieurskunst, den Tonnen Kerosin und dem Luftfahrtkonzernen, die es dazu braucht, ist keine Rede mehr. Die Gefahr der Narkose dräut auch im Hochmut des Web-trainierten Denkens gegenüber der Würde des ordentlichen Arguments.
Enis Maci unterlaufen dabei auch Selbstwidersprüche. In ihrem zentralen Essay über Strategien und Frauen der Identitären erhebt sie zum Beispiel die üblichen Vorwürfe gegen die Medien („Und noch eine Homestory“), deren Faszination für die sogenannte Neue Rechte „in keinem Verhältnis zur Zahl ihrer Unterstützer“ stehe. Dann aber schreibt sie selbst seitenlang die Postings zweier mehr oder weniger bekannter Identitärenheroinen ab, verewigt sie.
Sogar die kritische Betrachterin fesselt die Einsicht, dass auch die ideologisch Rückwärtsgewandten längst „an Fernsehwerbung und You-Tube-Clips geschult“ und „bei aller strebsamen Unbeholfenheit, durch das Stahlbad der Gegenwart gegangen“ sind. Bei der Betrachtung der Onlineprofile rechter Postergirls entwickelt Maci eine Semantik des Make-ups und liest in den hell geschminkten Augen einer Aktivistin „die Sprache der Drogerien... der Badezimmer ohne Tageslicht“. Die Camouflage reaktionärer Ideen in „coolem“ Auftreten bringt sie mit Techniken des gegenwärtig in Mädchenkreisen sehr gefragten, maskenhaften Schminkens in Verbindung: „Blending ist notwendig, wenn man verschiedene Töne sehr hellen und sehr dunklen Make-ups aufgetragen hat, um die Konturen des eigenen Gesichts mithilfe optischer Täuschungen umzuformen“. Und zurück zu populistischen Reden: „Die Travestie besteht in jenem Sprechakt, der die Realität beim Sprechen ihr selbst zum Trotz herstellt. Dahinter steht eine klingende Gedankenkette: Was ich sage, ist legitim. Was legitim ist, ist wahr.“
Mit dieser Mechanik des Behauptens hat Macis Schreiben nichts gemein. Ihre Erzählungen, Aphorismen und Zitate bilden Analogien, aber sie kennt keine Hierarchien, lässt die verschiedensten Wissensbereiche, Erlebtes und Angelesenes und ihre Sprachen, Albanisch, Deutsch, Englisch, grenzenlos ineinander fließen. Da ist ein poetische Liberalität am Werke, die womöglich die Antwort auf die zentrale Frage ihres Essaybandes sind: „Wie kann eine folgenreiche Weigerung aussehen?“
Wappenfiguren der Verweigerung sind bei Maci Frauen, die Geschlechtergrenzen missachten. Allen voran Jeanne d’Arc, deren „Jungfräulichkeit“ der Feministin Andrea Dworkin zufolge „mit den Grundwerten des Widerstands gegen jeden politischen Despotismus“ harmoniere. Oder albanische Schwurjungfrauen, die die Rolle der Männer einnahmen, wenn Krieg und Krankheiten keine übrig gelassen hatten. Dazu mussten sie Sex und der Mutterrolle abschwören. Der „Verzicht auf die vorgesehene Verantwortung“ scheint ein Befreiungsschlag nach Macis Geschmack zu sein. Dazu kommt die Zeile „I’m not a girl, not yet a woman“, ausgerechnet von Britney Spears, die singt: „Alles was ich brauche, ist ein Moment nur für mich allein“.
Enis Maci selbst verweigert sich nicht nur wohlsortierten Zusammenhängen. Bei einer Lesung formulierte die Autorin neulich die Machtfrage der heutigen Öffentlichkeit: „Bei wem reicht ein Argument, und wer muss eine große Heulstory drumherum machen?“. Als Künstlerin muss sie nichts. Obwohl sie „ich“ schreibt, beglaubig sie ihre Ideen nicht mit ihrer Identität. Enis Maci muss nicht recht behalten, sie benötigt nicht einmal eine Meinung. Ihr Weg auf den einsamen Pfaden ihrer Assoziationsketten spricht für sie.
Die Menschen verknallen sich
in ihre neuen Möglichkeiten.
Die Prothesen werden unsichtbar
„Die Travestie besteht
in jenem Sprechakt,
der die Realität
beim Sprechen ihr selbst
zum Trotz herstellt.“
Enis Maci:
Eiscafé Europa. Essays. Suhrkamp, Berlin 2018.
239 Seiten, 16 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Enis Maci ist eine fabelhafte Essayistin.« Juli Katz DIE ZEIT 20190506