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Über 600 000 Führungskader - von BMW über Aldi bis Thyssen-Krupp - durchliefen die Akademie für Führungskräfte, die der fanatische NS-Jurist Reinhard Höhn 1956 in Bad Harzburg begründete und über Jahrzehnte hinweg leitete. Höhns beispielhafter Aufstieg zum Marketing-Guru wirft die beunruhigende Frage auf: Wie stark ist unsere Arbeitswelt noch heute vom Geist der NS-Zeit geprägt? Die NS-Kriegswirtschaft zielte konsequent auf Leistungsfähigkeit: Der Mensch wurde zum Produktionsfaktor, die "Volksgemeinschaft" gehorchte dem "Führer". Dieses Menschenbild setzte sich in der Bundesrepublik fort: Aus…mehr

Produktbeschreibung
Über 600 000 Führungskader - von BMW über Aldi bis Thyssen-Krupp - durchliefen die Akademie für Führungskräfte, die der fanatische NS-Jurist Reinhard Höhn 1956 in Bad Harzburg begründete und über Jahrzehnte hinweg leitete. Höhns beispielhafter Aufstieg zum Marketing-Guru wirft die beunruhigende Frage auf: Wie stark ist unsere Arbeitswelt noch heute vom Geist der NS-Zeit geprägt?
Die NS-Kriegswirtschaft zielte konsequent auf Leistungsfähigkeit: Der Mensch wurde zum Produktionsfaktor, die "Volksgemeinschaft" gehorchte dem "Führer". Dieses Menschenbild setzte sich in der Bundesrepublik fort: Aus "Menschenführung" wurde "Management", auf die NS-Kriegsmaschinerie folgte die Massenproduktion der Konsumgesellschaft. Am Beispiel des Unternehmensberaters Reinhard Höhn legt Johann Chapoutot eine erschreckende Kontinuität im ökonomischen Denken vor und nach 1945 offen: Das Ziel unbedingter Leistungsbereitschaft zieht sich von den Vordenkern der NS-Kriegswirtschaft bis in die Handbücher der Unternehmensführung von heute.
Autorenporträt
Prof. Dr. Johann Chapoutot, geboren 1978, studierte Geschichte, Germanistik und Jura in Paris und promovierte an der Sorbonne und der TU Berlin. Er ist Professor an der Sorbonne und forscht auf dem Gebiet der politischen und kulturellen Geschichte, mit Schwerpunkt Deutschland und europäischer Moderne. 2015 erhielt er für sein Buch "Das Gesetz des Blutes" den Yad Vashem International Book Prize for Holocaust Studies. Auf Deutsch sind von ihm erschienen: "Das Gesetz des Blutes", "Der Nationalsozialismus und die Antike" und "Unsere Geschichte: Deutschland 1806 bis heute".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensent Martin Hubert lernt bei dem französischen Historiker Johann Chapoutot die Kontinuitäten zwischen dem Führungsdenken der Nationalsozialisten und der deutschen Nachkriegswirtschaft kennen. Dass Organisation und Mitarbeiterführung beider Epochen vergleichbar sind, weist der Autor laut Hubert überzeugend anhand des ehemaligen SS-Führers und NS-Staatsrechtlers Reinhard Höhn nach, der nach 1945 mit dem Modell Bad Harzburg ganze Managergenerationen prägte. Das Buch findet Hubert verständlich geschrieben, nur in seinen Überlegungen zu alternativen Management-Theorien und -Praktiken bleibt ihm der Autor etwas zu kursorisch.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2021

Führung braucht Freiraum
Von der Kriegstaktik zum Management: Johann Chapoutot über die Karrieren des Reinhard Höhn

Zu Beginn des Sommersemesters 1934 betrat der dreißigjährige, frisch habilitierte Privatdozent für Staatsrecht Reinhard Höhn die Heidelberger Universitätsbuchhandlung und verlangte eine angemessene Präsentation seiner Veröffentlichungen. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, hatte der Dozent, der seit zwei Jahren auch für Reinhard Heydrichs Sicherheitsdienst (SD) arbeitete, die SS-Uniform angelegt. Einem so ehrgeizigen und zugleich eitlen Mann kam man besser nicht in die Quere.

Das hätte auch Carl Schmitt wissen müssen, auf dessen Empfehlung Höhn 1934 von Jena nach Heidelberg gewechselt war. Zwei Jahre später wurde Schmitt von seinem einstigen Protegé mit Hilfe des SD kaltgestellt: zu katholisch, zu zaghaft, zu stark auf den Staat als Souverän fixiert, so die Vorwürfe. Inzwischen arbeitete Höhn von Berlin aus an einer neuen deutschen Staatsrechtslehre, in der der herkömmliche Staatsbegriff abgeschafft und durch das Prinzip der "Volksgemeinschaft" ersetzt werden sollte. Kaum ein anderer Jurist war so erfolgreich wie er bei dem Versuch, politische Propaganda in die Sprache des Rechts zu übertragen.

Nach Ausbruch des Krieges begann Höhn, juristische Grundlagen für die Eroberung und Verwaltung des neuen "Lebensraums" auszuarbeiten. "Der Kampf um die Wiedergewinnung des deutschen Ostens" lautete der Titel seines Beitrags in der "Festgabe" für Heinrich Himmler im Frühjahr 1941. Als Experte für Wehr- und Polizeirecht befasste er sich jetzt zunehmend mit Fragen des totalen Kriegseinsatzes. Die Befreiungskriege gegen Napoleon dienten ihm dabei als historische Vorlage; nach der Niederlage Preußens 1806 habe General von Scharnhorst gezeigt, wie sich Kriegsbegeisterung dauerhaft durch alle Schichten etablieren lasse. Diesen Enthusiasmus wollte Höhn 1944 mit einem Werk zur preußischen Militärgeschichte wiederbeleben. Es war seine - vorerst - letzte Publikation.

Für den französischen Historiker Johann Chapoutot gehört Reinhard Höhn in die erste Reihe jener "kriminellen Nazis", die als intellektuelle Vordenker, Juristen und Verwaltungsfachleute "ganze Bevölkerungen umsiedelten, ganze Landstriche aushungerten und die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft bis zur völligen Erschöpfung befürworteten". Die Technokraten der Ideologie setzten auf Entschlusskraft und mahnten, man dürfe sich weder mit bürokratischen Vorschriften noch mit theoretischen Erwägungen allzu lange aufhalten. "Ihr seid vollkommen auf Euch gestellt, daher keine Beschwerden und Hilferufe nach oben", hatte einer von ihnen seinen Leuten pünktlich zum Überfall auf die Sowjetunion als Richtlinie mit auf den Weg gegeben.

Man folgte dem Subsidiaritätsprinzip: Probleme sind möglichst vor Ort zu lösen, bei der kleinsten Einheit, auf der untersten Ebene. Im preußischen Generalstab, der dieses Prinzip früh perfektioniert hatte, wurde diese Delegation von Verantwortung schlicht "Auftragstaktik" genannt. Hatte Höhn deren Grundsätze 1944 noch zu verallgemeinern und zu aktualisieren versucht, um die Fronten zu stabilisieren, so schaltete er sich nur wenige Jahre später mit einem Buch unter dem Titel "Scharnhorsts Vermächtnis" in die Debatte um den Aufbau der künftigen Bundeswehr ein. Das Manuskript war bei Kriegsende weitgehend abgeschlossen und musste für die Veröffentlichung 1952 nur sprachlich noch ein wenig den veränderten Verhältnissen angepasst werden.

Diese intellektuelle Kontinuität, der reibungslose Übergang von einem System in das andere, ist das Thema der Studie von Chapoutot. Es bedurfte weder besonderer Verwandlungskünste noch geheimer Netzwerke, dass Höhn Ende 1952 bei der "Volkswirtschaftlichen Gesellschaft" eingestellt wurde, einer Gründung Hamburger Unternehmer zur Weiterbildung von Mitarbeitern und Führungskräften. Vier Jahre später errichtete die Gesellschaft für ihn eine eigene Akademie in Bad Harzburg. Als "Harzburger Modell" verkaufte Höhn dort bis in die frühen achtziger Jahre den Spitzen der deutschen Wirtschaft die Grundsätze effizienter Führung, die er sich in seinen juristischen und militärhistorischen Studien angeeignet hatte. "Aldi, BMW, Hoechst, Bayer, Telefunken, Esso, Krupp, Thyssen . . . sie alle und über 2000 weitere Unternehmen schickten ihre Manager nach Bad Harzburg."

Weder seine Verurteilung zur Zahlung von 12 000 D-Mark am Ende eines langwierigen Spruchkammerverfahrens 1958 noch die einige Jahre später im DDR-"Braunbuch" veröffentlichten Enthüllungen konnten die Position des ehemaligen SS-Oberführers nachhaltig erschüttern. Zwar zogen sich einige Unternehmen zurück, und auch der Verteidigungsminister kündigte im Mai 1972 auf Druck von Bernt Engelmann die Zusammenarbeit mit Höhn. Der rapide Niedergang des Harzburger Modells in den siebziger Jahren hatte jedoch andere Ursachen. Die an Scharnhorst orientierte "elastische Kriegführung" mit Hilfe von "Stäben" galt in den Führungsetagen deutscher Konzerne als nicht mehr zeitgemäß; das Modell "Delegation von Verantwortung" wurde abgelöst durch das amerikanische Zielvereinbarungsmodell ("Management by Objectives").

Johann Chapoutot hat die ideologischen Kontinuitäten zwischen dem Nationalsozialismus und der Bundesrepublik essayistisch pointiert und damit in Frankreich einen außergewöhnlichen Erfolg erzielt. Ähnliche Aufmerksamkeit wünscht man dem Buch auch hierzulande, umso mehr, als bei uns neuerdings verstärkt statt der Kontinuitäten die Zäsuren der deutschen Geschichte betont werden.

Leider hat sich der deutsche Verlag bei der Titelformulierung vertan. Aus "Libres d'obéir" wurde, in offenkundiger Analogie zur berüchtigten Toraufschrift, "Gehorsam macht frei". Das mag griffig sein, wird dem Buch aber nicht gerecht. Es ist nämlich nicht der Gehorsam, der Loyalität herstellt und zu Leistungen anspornt. Vielmehr entsteht Effizienz erst in jenen von der Führung geschaffenen Freiräumen, in denen der Mitarbeiter auf eigenes Risiko agiert. Um die Herstellung solcher Handlungsspielräume geht es in Chapoutots Studie. Ließe sich Effizienz durch bloßen Befehlsgehorsam erreichen, hätten die Technokraten des "Dritten Reichs" über die Delegation von Verantwortung nicht so gründlich nachdenken müssen.

THOMAS KARLAUF

Johann Chapoutot: "Gehorsam macht frei". Eine kurze Geschichte des Managements - von Hitler bis heute.

Aus dem Französischen von Clemens Klünemann. Propyläen Verlag, Berlin

2021. 176 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.03.2021

Führen
auf Harzburger Art
Reinhard Höhn, Chefideologe des NS-Staats, bildete
nach dem Weltkrieg die Managerelite aus. Dennoch
geht Johann Chapoutots Kontinuitätsthese fehl
VON STEFAN KÜHL
Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es nur wenige Jahre, bis in der Bundesrepublik Deutschland führende Funktionäre des NS-Staates wieder an Schlüsselstellen in Ministerien, Verwaltungen, Armeen, Polizeien, Universitäten und Unternehmen saßen. Erst mit dem altersbedingten Ausscheiden dieser ehemaligen NS-Funktionäre in den 1960er- und 1970er-Jahren wurde es möglich, diese personale Kontinuität breit zu thematisieren. Eine junge Generation von Wissenschaftlern, Juristen, Medizinern und Journalisten konnte sich mit der NS-Vergangenheit ihrer Vorgänger auseinandersetzen, ohne negative Auswirkungen auf die eigene Karriere befürchten zu müssen. Der soziale Tod – also der mit der Pensionierung einhergehende Verlust von Einfluss und Kontakten – und erst recht der biologische Tod der ehemaligen NS-Funktionäre machte es möglich, erstmals offensiv Kontinuitätslinien zu thematisieren.
In dieser durch die Studentenbewegung angeheizten Phase der Aufdeckung wurde davon ausgegangen, dass die personelle Kontinuität auch zu einer inhaltlichen Kontinuität geführt hätte. Die NS-Funktionäre hätten, so die Einschätzung, ihre Verbundenheit mit der nationalsozialistischen Ideologie nur kaschiert und würden ihre im NS-Staat vertretenen Programme nun in einer lediglich verbal abgeschwächten Variante fortsetzen. Die Gegenwärtigkeit des Nationalsozialismus sei, so die Behauptung, in der Republik nicht nur personal, sondern auch inhaltlich unübersehbar.
Der französische Historiker Johann Chapoutot hat jetzt eine Arbeit vorgelegt, die in dieser Tradition der Kontinuitätserzählung steht. In seinem als Essay verfassten Büchlein versucht er nachzuweisen, dass die „nationalsozialistischen Vorstellungen von Management über das Jahr 1945 hinaus fortbestanden und in den Jahren des Wirtschaftswunders fröhliche Urstände feierten“ und auch jetzt noch wirken würden. Mit Blick auf neue Managementkonzepte sei es, so Chapoutot, erstaunlich, wie „modern manche Aspekte des Nationalsozialismus“ seien. Zwar hätte es damals in den Unternehmen noch keine „Tischkicker, Yoga-Kurse oder Chief Happiness Officers“ gegeben, aber das „Prinzip und der Geist“ seien in der Wirtschaft des NS-Staates die gleichen gewesen – „Wohlbefinden, wenn nicht gar Freude als Faktoren der Leistungsfähigkeit und Produktivitätssteigerung“.
Chapoutot schließt mit dieser These an vorige Arbeiten an, mit denen er gezeigt hat, wie stark das nationalsozialistische Denken in europäischen Traditionen verankert gewesen ist. Der NS-Staat, so die Quintessenz seiner Überlegungen, sei kein Unfall der Geschichte gewesen, sondern vielmehr die konsequente Umsetzung eines tief in der europäischen Kultur verankerten Denkens. Dementsprechend ließen sich auf so unterschiedlichen Feldern wie der Familienpolitik, der Militärführung und dem Unternehmensmanagement die Wurzeln der NS-Politik in der europäischen Kultur verorten und ihre Wirkungen bis in die heutige Zeit nachweisen.
Als Anschauungsfall für seine These einer Kontinuität im Management dient Chapoutot das Harzburger Modell, das in den 1960er-Jahren von Reinhard Höhn, einem ehemaligen SS-Sturmführer und engen Vertrauten Heinrich Himmlers, entwickelt wurde. Die Faszination für die Person Reinhard Höhn ist verständlich, weil man an seinem Beispiel Brüche und Kontinuitäten von der Weimarer Republik über den NS-Staat bis zur Bundesrepublik Deutschland nachvollziehen kann. Nachdem Reinhard Höhn in der Weimarer Republik als Student eine steile Karriere im nationalliberalen und antisemitischen Jungdeutschen Orden gemacht hatte, wurde er einer der führenden Staatsrechtler im NS-Staat, bevor er dann zum einflussreichsten Managementvordenker in der frühen BRD wurde, in dessen Führungsmethode über drei Jahrzehnte hinweg Hunderttausende von Managementkräften geschult wurden.
Chapoutot präsentiert Reinhard Höhn in seinem Buch als „eine Art Josef Mengele des Rechts“, der nach dem Zweiten Weltkrieg ungehemmt weiterwirken konnte. Während der eine seine Fähigkeit dazu nutzte, „bestialische Experimente an Zwillingen vorzunehmen“, hätte der andere juristische Konzepte erdacht, „um die Gemeinschaft zu erneuern und Europa neu zu ordnen“. Auch wenn man sich angesichts der Karriere von Reinhard Höhn eher an Mengeles Doktorvater Otmar von Verschuer erinnert fühlt, der als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik von den Möglichkeiten zu Menschenexperimenten in Auschwitz profitierte und in der Bundesrepublik Professor an der Universität Münster werden konnte, besteht an der Bedeutung Höhns als einer der Chefideologen des NS-Staates kein Zweifel.
Aber folgt daraus, dass es zwischen dem, was „Höhn in seinen Reden und Schriften vor 1945 vertreten hatte, und dem, was er nach 1956 lehrte, keinerlei Bruch zu erkennen ist“, sondern „vielmehr eine beeindruckende Kontinuität“ seiner Ideen? Der Erfolg des Harzburger Modells basierte auf einer vergleichsweise einfachen Idee: Statt dass Vorgesetzte ihren Mitarbeitern im Detail vorgeben, was sie zu tun haben, und jeden einzelnen Arbeitsschritt überwachen, sollten sie mit den Mitarbeitern Ziele vereinbaren und lediglich die Erreichung dieser Ziele überwachen. In der Wahl der Mittel zur Erreichung dieser Ziele sollten die Mitarbeiter frei sein, weil sie selbst am besten wüssten, welche Entscheidung in einer konkreten Situation die richtige ist.
Doch das Führen durch die Vorgabe von Zielen war keine Erfindung von Reinhard Höhn. Schon im frühen zwanzigsten Jahrhundert wurde die Idee propagiert, dass sich Arbeiter im Rahmen von Zielvorgaben ihre Arbeit selbst organisieren könnten. So wurde ein Kontrastpunkt zu den Vorstellungen des Rationalisierungsexperten Frederick Taylor gesetzt, der im Rahmen seiner wissenschaftlichen Betriebsführung den ausführenden Arbeitern jeden Arbeitsschritt im Detail vorschreiben wollte. In Armeen wurde – wie auch von Reinhard Höhn immer wieder herausgestellt – mit Verweis auf preußische Militärstrategen wie Scharnhorst die strikte Befehlstaktik, in der Vorgesetzte ihren Untergebenen jeden einzelnen Schritt vorgeben, durch eine Auftragstaktik ersetzt, in der die Untergebenen selbst entscheiden konnten, wie sie einen Auftrag genau ausführen.
Bei Chapoutot ist dieses Führen über Ziele jedoch ein Indiz dafür, wie stark die von Nationalsozialisten ersonnenen Modelle im Management bis heute nachwirken. Aber spätestens an einer Stelle hat die Kontinuitätserzählung von Reinhard Höhns Volksgemeinschaftsmodell im Nationalsozialismus zum Führen im Mitarbeiterverhältnis in der Bundesrepublik ein grundlegendes Problem. Das Grundprinzip des Harzburger Modells – das „Führen der Mitarbeiter über Ziele“ – wurde parallel in den USA unter dem Begriff des „Management by Objectives“ propagiert. Während das Konzept in Deutschland von einem ehemaligen Vordenker des NS-Staates entwickelt wurde, wurde das Konzept des „Management by Objectives“ in den USA von Peter F. Drucker, einem aus einer ursprünglich jüdischen, dann zum Protestantismus konvertierten Familie stammenden Managementberater, vertreten, der vor den Nazis zuerst nach Großbritannien und dann in die USA geflohen war.
Es spricht wenig dafür, dass das Harzburger Modell, wie Chapoutot schreibt, illiberaler war als das Konzept des Management by Objectives. Eher im Gegenteil – während Reinhard Höhn im Harzburger Modell jede Verbindung mit dem von ihm während der Weimarer Republik und der NS-Zeit noch zentralen Gemeinschaftsgedanken vermied, stellte Drucker Gemeinschaft als eines der zentralen Prinzipien erfolgreichen Managements dar. Für ihn war die Gemeinschaftsbildung nicht nur eine Überlebensbedingung für Unternehmen, sondern auch für Gesellschaften insgesamt.
Durch seine Fixierung auf eine inhaltliche Kontinuitätsgeschichte von der NS-Zeit bis hin zur Bundesrepublik übersieht Chapoutot, dass der Niedergang des Harzburger Modells maßgeblich damit zusammenhing, dass es nicht elastisch genug gewesen ist, um sich veränderten Trends im Management anzupassen. Es war – nicht zuletzt durch die vorsichtige Vermeidung jeder Assoziation mit dem Gemeinschaftsgedanken – so stark durchformalisiert und verrechtlicht, dass in vielen Unternehmen der Vorwurf einer Überbürokratisierung aufkam. Es stellte also genau das Gegenteil von dem dar, was heute unter dem Begriff der Agilität in großen Teilen des Managementdiskurses en vogue ist.
Chapoutot unterschätzt die inhaltliche Wandlungsfähigkeit ehemaliger NS-Funktionäre. Gerade weil eine Tätigkeit für den NS-Staat in der Nachkriegszeit weitgehend tabuisiert war, waren ehemalige NS-Funktionäre nicht an ihre Selbstdarstellungen als Nationalsozialisten gebunden und konnten sich inhaltlich neu orientieren. Irgendwann sahen sich viele von ihnen so stark an ihre neuen Selbstdarstellungen in der Republik gebunden, dass sie sich vermutlich selbst als Demokraten begriffen.
Man macht es sich zu einfach, wenn man faschistische Tendenzen in demokratischen Staaten vorrangig anhand der Karrieren ehemaliger nationalsozialistischer Überzeugungstäter beobachtet. Für ein derartiges Vorgehen muss man lediglich in den in der Regel leicht zugänglichen Mitgliederverzeichnissen nationalsozialistischer Organisationen nachschauen und die Mitgliedschaft zum Ausgangspunkt einer Kontinuitätserzählung machen. Politisch viel gefährlicher – und wissenschaftlich interessanter – ist, dass sich aus der Mitte der Gesellschaft heraus faschistische Tendenzen ausbilden, ohne dass die beteiligten Personen jemals eine Karriere in einer nationalsozialistischen Organisation durchlaufen haben.
Stefan Kühl ist Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld. Zuletzt erschien von ihm „Brauchbare Illegalität. Vom Nutzen des Regelbruchs in Organisationen“ (Campus, 2020). Er leitet ein Forschungsprojekt zum Harzburger Modell.
Das Grundprinzip von Höhn
wurde zur gleichen Zeit
auch in den USA propagiert
Chapoutot unterschätzt
die Wandlungsfähigkeit
ehemaliger NS-Funktionäre
Johann Chapoutot:
Gehorsam macht frei.
Eine kurze Geschichte des Managements – von Hitler bis heute. Aus dem
Französischen von Clemens Klünemann. Propyläen-
Verlag. Berlin 2021.
176 Seiten, 22 Euro.
E-Book: 18,99 Euro.
Immer vorn dabei: Reinhard Höhn (stehend, oben) bei einer Tagung in der Akademie
für deutsches Recht 1936, rechts Heinrich Himmler. Unten Höhn 1965 in Bad Harzburg im
„Chefseminar“ als Manager-Guru.
Fotos: Scherl / SZ Photo, Bad-Harzburg-Stiftung
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»Johann Chapoutot hat die ideologischen Kontinuitäten zwischen dem Nationalsozialismus und der Bundesrepublik essayistisch pointiert und damit in Frankreich einen außerordentlichen Erfolg erzielt. Ähnliche Aufmerksamkeit wünscht man dem Buch auch hierzulande.« Thomas Karlauf Frankfurter Allgemeine Zeitung 20210327