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Seit mehr als dreißig Jahren macht der Begriff der "Islamophobie" jedes kritische Wort gegen den Islam zunichte. Er verbietet den Menschen im Westen den Mund und disqualifiziert die reformerischen Muslime.

Produktbeschreibung
Seit mehr als dreißig Jahren macht der Begriff der "Islamophobie" jedes kritische Wort gegen den Islam zunichte. Er verbietet den Menschen im Westen den Mund und disqualifiziert die reformerischen Muslime.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Günther Nonnenmacher empfiehlt Pascal Bruckners gesammelte Aufsätze und Artikel als Buch der Stunde, auch wenn die Texte bereits älter sind. Vor allem Bruckners Kritik an der Vernachlässigung der Banlieues scheint ihm gültig zu sein. Bruckners These von einer sich mit den "Verlierern" solidarisierenden intellektuellen französischen Linken, die "Religionskritik zum Rassismus umfunktioniert", findet Nonnenmacher allerdings recht steil bzw. zweifelhaft und eher an Houellebecqs Romanen orientiert als an der Wirklichkeit.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2020

Zusammenschluss der Ressentiments
Islamophobie als Generalvorwurf: Pascal Bruckner liest der französischen Linken die Leviten

Das Buch von Pascal Bruckner, einem renommierten französischen Intellektuellen, hat durch die islamistischen Terroranschläge der vergangenen Wochen eine bestürzende Aktualität gewonnen. Es ist in Frankreich zwar schon 2017 erschienen, die überarbeiteten Aufsätze und Zeitungsartikel, die der Autor darin versammelt hat, reichen zum Teil sogar ein Jahrzehnt zurück. Aber die terroristischen Attentate in Conflans-Sainte-Honorine bei Paris, in Nizza und anderswo haben die Politik wachgerüttelt und die Dringlichkeit befördert, entschiedener gegen islamistische Gefährder vorzugehen - was Bruckner schon geraume Zeit fordert.

Eine seiner Thesen ist, dass trotz starker Worte wechselnder Regierungen die Wirklichkeit - die Ausbreitung des Dschihadismus unter französischen Muslimen, vor allem in den heruntergekommenen Banlieues der Metropolen, aber auch durch illegale Einwanderung - immer wieder verkannt wurde. Es habe auch nicht geholfen, dass Wissenschaftler und hohe Beamte vielfach auf alarmierende Entwicklungen aufmerksam machten.

Die Unterschätzung der Gefahr liegt, wie Bruckner glaubt, unter anderem an einer radikalen Linken, die von den Trotzkisten bis zur im Parlament vertretenen Partei "La France insoumise" reicht. Diese Linken glaubten, in den "ausgegrenzten, rassistisch diskriminierten Muslimen ein neues ,revolutionäres Subjekt'" gefunden zu haben. Der Autor macht dabei vor allem den ehemaligen Chefredakteur von "Le Monde" und heutigen Chef des Internetportals "Mediapart", Edwy Plenel, namhaft.

Hinzu kommen medial sehr präsente Philosophen wie Michel Onfray oder Alain Badiou, die stereotyp auf die soziale Situation der Täter hinweisen und dem religiösen Hintergrund der Attentate kaum Beachtung schenken. Dass auch die deutsche Linke in dieser Sache Probleme hat, haben kürzlich zwei ihrer führenden Protagonisten bestätigt: Dietmar Bartsch sprach von mangelnder Eindeutigkeit in den Reaktionen, Kevin Kühnert von einem "unangenehm auffälligen Schweigen" angesichts islamistischer Morde. Einer der Gründe dafür ist die Befürchtung, Beifall von der falschen Seite, etwa von der AfD, zu bekommen; weniger plausibel ist, dass es sich, wie Bruckner für Frankreich konstatiert, um ideologische Verblendung handelt.

Dass in Frankreich diese Verblendung ausgerechnet bei der radikalen Linken grassiert, wo sich sonst lautstarke Verteidiger der "laizistischen Republik" versammeln, erstaunt in der Tat. Nach dem Massaker in der Redaktion des Satire-Blattes "Charlie Hebdo" gab es dort nach den ersten Verurteilungen der Bluttat auch verständnisvolle Worte für Muslime, die sich von Mohammed-Karikaturen oder blasphemischen Einlassungen über den Propheten in ihrem Glauben beleidigt fühlten - ein Verrat am historischen Erbe einer Linken, die sich einst durch respektlos-radikale Kritik an der Religion definiert hatte.

Kritik wird schnell als Rassismus angeprangert

Bruckner versucht zu ergründen, warum das so ist. Sein Ausgangspunkt ist die Entstehung des Wortes "Islamophobie" und dessen Gleichsetzung mit "Rassismus". Er untersucht in mehreren Anläufen, wie diese Umdeutung zustande gekommen ist. Da geht es nicht nur um die soziale Lage von Muslimen in Frankreich, von denen immerhin einige in höchste Positionen in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat aufgestiegen sind. Vielmehr wird auf der Linken etwa Israel als Inbegriff des Neokolonialismus in Palästina und Dépendance des "amerikanischen Imperialismus" angesehen. Das Elend der Palästinenser lässt dann die Umkehrung zu, dass die Juden vom Opfer- zum Tätervolk, dass die Muslime in Israel und Palästina zu Opfern geworden seien. Ohne die politischen Umstände zu berücksichtigen - neben der Härte der israelischen Besatzungspolitik gibt es auch ein eklatantes Versagen der korrupten palästinensischen Führungen -, wird dann gefolgert, dass unter dem Etikett der "Islamophobie" faktisch ein neuer Rassismus entstanden sei.

Damit gilt wiederum jede Kritik am real existierenden Islam, nicht nur an religiösen Inhalten, sondern auch an seinen sozialen Praktiken (Rolle der Frau, Regeln der Scharia und so fort), als "islamophob" und rassistisch. Unter der Hand wird so die gerade auf der Linken in Europa verbreitete Religionskritik zum Rassismus umfunktioniert - jedenfalls was den Islam angeht, jedoch nicht, wenn es um das Christentum geht. So wird kein Wort darüber verloren, dass es in vielen arabischen Ländern die Christen sind, die unterdrückt, verfolgt, vertrieben oder ermordet werden (etwa die Kopten in Ägypten); jedenfalls sind sie öfter Opfer eines vermeintlichen "Rassismus" als die in Europa lebenden Muslime.

Bruckner erklärt sich das mit einer steilen historischen These: "Wenn die Linke totalitäre Theokratien so umwirbt, wie sie es auch mit Einparteiendiktaturen gemacht hat, dann tut sie dies auch aus Solidarität mit den Verlierern. Sie rächt sich für ihre Niederlagen und Rückschläge und verbündet sich mit der einzigen Macht, die die westliche Welt in Bedrängnis bringen kann, dem islamischen Fundamentalismus. Es ist ein Zusammenschluss der Ressentiments im Milieu der großen Verlierer." Man mag an dieser schlichten "Umbesetzung" zweifeln, in der Muslime an die Stelle des Proletariats treten. Auch andere Passagen erscheinen weniger von der Realität gedeckt und erinnern mehr an die Dystopie eines vom Islam eroberten Frankreichs, wie sie Michel Houellebecq in seinem Roman "Unterwerfung" beschrieben hat. Aber im Großen und Ganzen zeigt Bruckner, wie wichtig es ist, die dramatische Lage in den Banlieues vieler Städte nicht nur als Polizeiproblem zu behandeln. Es geht auch um die Rolle der Religion, denn die Attentäter sind keine "einsamen Wölfe", sie bewegen sich in Netzwerken und finden Unterstützung im In- und Ausland.

Aus Muslimen in Frankreich sollen französische Muslime werden

In Frankreich gibt es keine Statistiken, welche die Bewohner des Landes nach religiösen oder ethnischen Kriterien erfassen. Aber zweifellos beherbergt es die größte muslimische Gemeinde in Europa. Im abschließenden Teil seines Buches macht Bruckner Vorschläge, wie es mit gläubigen Muslimen ein gedeihliches Auskommen in der laizistischen Republik geben kann. Wenn die ersten Teile seines Buches manchmal alarmistisch klingen und Thesen der extremen Rechten anklingen (etwa die Idee einer willentlichen "Überflutung" des Landes mit muslimischen Einwanderern), wird sein Tonfall in diesem Zusammenhang geradezu liberal. Es geht ihm um die Freiheit der Religionsausübung in den von der laizistischen Republik gezogenen rechtlichen Grenzen.

Dazu gehört die Idee, die Entstehung eines gemäßigten "Euro-Islams" zu fördern. Das fordern in Frankreich muslimische Schriftsteller und Intellektuelle, in Deutschland ist es von Bassam Tibi schon vor Jahrzehnten propagiert worden. Die Idee stößt trotz einiger Ansätze (zum Beispiel der Ausbildung von Imamen an staatlichen Hochschulen) in den muslimischen Moschee-Gemeinden, die in der großen Mehrheit traditionalistisch orientiert sind, bisher auf wenig Gegenliebe. Bruckners Vorschläge kreisen um den Gedanken, "vermittels einer Stiftung, einer Charta, eines Konkordats und klarer Regeln, aus Muslimen in Frankreich französische Muslime zu machen, damit die Staatsbürgerschaft und die nationale Zugehörigkeit den Vorrang vor der religiösen Überzeugung haben": Das ist leicht gesagt, aber keine Antwort auf die Frage, ob es dazu führen kann, den Islam mit der laizistischen Republik zu versöhnen. Wenn nicht, was dann, zumal, wie der französische Innenminister gerade sagte, achtzig Prozent der Attentäter die französische Staatsbürgerschaft besitzen?

Eine andere Voraussetzung wäre für Bruckner, dass der Westen einen von historischen Schuldkomplexen (Sklaverei, Kolonialismus, Faschismus, Stalinismus) genährten "Selbsthass" ablegt; schließlich hat er diese Monster in seiner Geschichte, teils unter schweren Opfern, selbst besiegt. Das ist ein weites Feld, gerade wenn es um die Deutschen und ihre Geschichte geht.

Es führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus vor allem ein Anliegen jener moderaten Muslime sein müsste, die mehr oder weniger gut integriert bei uns leben; viele von ihnen inzwischen als französische oder deutsche Staatsbürger. Sie dürfen den Terror nicht nur als "unislamisch" verdammen und von fehlgeleiteten Einzelnen sprechen, weil das nicht (mehr) stimmt. Es genügt auch nicht, die eigene Gesetzestreue zu beschwören. Damit es bei uns nicht so weit kommt wie in Frankreich, müssten sie aufstehen und sich gegen jene Glaubensgenossen erheben, die unser aller Freiheit und Leben bedrohen. Dazu gehört es auch, eng mit den staatlichen Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten.

GÜNTHER NONNENMACHER

Pascal Bruckner: "Der eingebildete Rassismus". Islamophobie und Schuld.

Aus dem Französischen von A. Carstiuc, M. Feldon und Ch. Hesse. Edition Tiamat, Berlin 2020. 240 S., br., 24,- [Euro].

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