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Rechte Politiker sprechen von »Entsorgung«, von »Umvolkung«, von »Kopftuchmädchen und Messermännern«. Davon, dass die Hitlerzeit ein »Vogelschiss« gewesen sei. Und vor allem nehmen sie für sich in Anspruch, für »uns« und »unser Deutschland« zu sprechen. Doch was für ein »Wir« setzen sie da überhaupt voraus? Der Literaturwissenschaftler und Leibniz-Preisträger Heinrich Detering wirft einen unaufgeregten wie scharfen Blick auf die Rhetorik der parlamentarischen Rechten - und zeigt, wie ihr Anspruch, für »das Volk« zu sprechen, in totalitäre Ermächtigungsvorstellungen, Rache- und…mehr

Produktbeschreibung
Rechte Politiker sprechen von »Entsorgung«, von »Umvolkung«, von »Kopftuchmädchen und Messermännern«. Davon, dass die Hitlerzeit ein »Vogelschiss« gewesen sei. Und vor allem nehmen sie für sich in Anspruch, für »uns« und »unser Deutschland« zu sprechen. Doch was für ein »Wir« setzen sie da überhaupt voraus? Der Literaturwissenschaftler und Leibniz-Preisträger Heinrich Detering wirft einen unaufgeregten wie scharfen Blick auf die Rhetorik der parlamentarischen Rechten - und zeigt, wie ihr Anspruch, für »das Volk« zu sprechen, in totalitäre Ermächtigungsvorstellungen, Rache- und Vernichtungsphantasien führt. Er legt offen, wie diese Sprache der Gewalt sich selbst verharmlosend verkleidet. Und er macht vor, wie sich solche rhetorischen Strategien durchschauen lassen.
Autorenporträt
Heinrich Detering, geb. 1959, lehrt deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Göttingen, hat literaturwissenschaftliche Bücher und Aufsätze sowie Gedichtbände und Essays veröffentlicht, nahm Gastprofessuren und Poetikdozenturen in aller Welt wahr und erhielt zahlreiche wissenschaftliche und literarische Auszeichnungen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.06.2019

LITERATUR
Sie verwechseln sich mit Deutschland
„Vogelschiss“, „Entsorgung“, „Umvolkung“, „Messermänner“ – Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering
untersucht, wie die parlamentarische Rechte den politischen Diskurs verhext: „Was heißt hier ‚wir‘?“
VON JENS BISKY
Es spricht viel für die Vermutung, dass Alexander Gauland kein Freund der deutschen Sprache ist. Nachdem die Sozialdemokratin Aydan Özoğuz im Mai 2017 deren große, durch nichts zu ersetzende Bedeutung hervorhob, polterte der AfD-Politiker vor Anhängern im Eichsfeld los: „Ladet sie mal ins Eichsfeld ein, und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“
Aydan Özoğuz, damals Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, hatte in einem Artikel für den Tagesspiegel darauf hingewiesen, dass die Versuche, „Leitkultur“ inhaltlich zu füllen, gern ins Lächerliche abgleiten, „die Vorschläge verkommen zu Klischees des Deutschseins. Kein Wunder, denn eine spezifische deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar“. Für diese Auffassung sprechen viele Beobachtungen. Die Deutschen in Rendsburg und München, in Köln und Cottbus, Weimar, Bochum, Berlin verbindet bekanntlich weder eine gemeinsame Religion noch eine einheitliche Lebensweise. Selbst die Würste sind sehr verschieden. Dass die Sprache den Geist der Völker ausmache, ihre Weltansicht präge und ausdrücke, glaubte Wilhelm von Humboldt.
Gauland wollte sich auf Vielfalt und Schönheit der deutschen Sprache nicht einlassen. Er forderte vielmehr seine Anhänger auf, „spezifisch deutsche Kultur“ zu demonstrieren. Deren Besonderes bestünde nach seiner Formulierung darin, Furcht auszulösen, „Entsorgung“ zu ermöglichen. Die Verwendung des Eliminierungsvokabulars hat damals zu Recht viel Empörung hervorgerufen. Gauland relativierte nachträglich seine Formulierung, stand aber „inhaltlich“ zu seiner Aussage. Mehrere Fragen blieben unbeantwortet. Eine davon wäre, warum die Partei, die behauptet, sie stehe für Meinungsfreiheit, auf einen Zeitungsartikel mit Drohungen reagiert.
Andere Fragen, die Gauland nicht beantwortete, stellt der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering in seiner Schrift über die „Rhetorik der parlamentarischen Rechten“: „Warum wird Frau Özoğuz, wenn ihr von den Bewohnern des Eichsfelds gezeigt worden ist, ‚was spezifisch deutsche Kultur ist‘, anschließend ‚nie wieder herkommen‘? Welches Spezifikum der spezifischen deutschen Kultur sollte hier Frau Özoğuz vermittelt werden? Welcher Art ist diese Vermittlung, wenn die Adressatin anschließend ‚entsorgt‘ werden muss? Und zweitens: Wer ist das ‚Wir‘, das Frau Özoğuz ‚in Anatolien entsorgen‘ will?“ In der Logik der Gauland-Rede gleichen, so Heinrich Detering, die Vertreter der spezifischen deutschen Kultur „zum Verwechseln Bandenmitgliedern, die es ihren Opfern erst mal so richtig zeigen, sie dann erledigen und schließlich entsorgen“.
Heinrich Detering lehrt in Göttingen Neuere deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft, er veröffentlichte Bände mit eigenen Gedichten und Bücher über Goethe, Nietzsche, Thomas Mann, Bob Dylan, Wilhelm Raabe, Theodor Storm, übersetzte Bob Dylan und Hans Christian Andersen. Sein Reclam-Band „Was heißt hier ‚wir‘?“ geht auf einen Text zurück, den er auf Einladung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken verfasste. Einen Teil trug er im November 2018 öffentlich vor, über die negativen Reaktionen – meist vulgär, roh, kenntnisarm, in erbärmlichem Deutsch verfasst – informiert eine Nachbemerkung.
Die Schrift ist ein Muster der Sprachkritik, sie zeigt, wie man öffentlich mit Rechten redet. Detering analysiert Äußerungen von Gauland, Beatrix von Storch, Alice Weidel, Björn Höcke und verliert dabei seine Frage, welches „Wir“ sie voraussetzen, nie aus dem Blick. Unfreiwillig komisch erscheint ihm, wie Alexander Gauland im Deutschen Bundestag am 21. März 2018 sein „Wir“ erklärte: „Das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes umfasst natürlich auch das Recht zu bestimmen, mit wem ich zusammenleben will und wen ich in meine Gemeinschaft aufnehme. Es gibt keine Pflicht zur Vielfalt und Buntheit. Es gibt auch keine Pflicht, meinen Staatsraum mit fremden Menschen zu teilen.“
Die Verwechslung der Personalpronomen ist kein Versprecher. Sie ermöglicht den Kurzschluss zwischen den „Rechten des Kollektivsubjekts ‚Volk‘“ und den Wünschen der empirischen Person Gauland, der allein entscheiden will, wer in „meinen Staatsraum“ aufgenommen wird. Diese undemokratische Anmaßung kommentiert Detering mit Sätzen aus einem offenen Brief Thomas Manns, geschrieben, nachdem die Bonner Universität ihm 1936 die Ehrendoktorwürde entzogen hatte: „Das Reich, Deutschland, soll ich beschimpft haben, indem ich mich gegen sie bekannte! Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit Deutschland zu verwechseln!“
Das Spezifische der deutschen Kultur hat Herr Gauland bei anderer Gelegenheit näher bestimmt. Sie habe im Kyffhäuserdenkmal ihren Ausdruck gefunden, in der Bismarckzeit ihre Vollendung erlebt, das, so Gauland, „hatte Luther begonnen, hatte Lessing fortgesetzt und hatte die goethesche Sprache vollendet“. Ja, was? „Es war die Dominanz deutscher Kultur und deutscher Sprache in Europa.“ Anders als aufzählend verhält sich der Deutschtumsbewahrer nicht zur Kultur. Literatur, Philosophie, Theologie begreift er, so fasst Detering zusammen „als Instrumente im Kampf um die Vorherrschaft. Und als sonst nichts.“
Nur ihre Gesinnungsgenossen zählen Gauland und Höcke zum Volk, zum „Wir“. Höcke lamentiert gern über Verlorenes. Dazu gehören: „unsere Männlichkeit“, „unser einst intakter Staat“, „unsere einst schöne Heimat“, „unsere einst stolzen Städte“, „unsere einst geachtete Armee“. Detering fragt, wann dieses Einst war und wann das gedemütigte Jetzt begann. Die von Björn Höcke vorausgesetzte „Zeitenwende“ lässt sich datieren, wenn man den Herrn beim Wort nimmt: Gut und richtig waren für Höcke die Zustände vor dem 8. Mai 1945.
Die genaue Lektüre der Reizwörter und Provokationen führender AfD-Leute erhellt deren Geschichtsverständnis und ihr dürftiges Identitäts-Gerede. Den Zweideutigkeiten und Ermächtigungsfantasien der „Vogelschiss“-Partei setzt Heinrich Detering die Tradition der deutschen Literatur und das Handwerkszeug des Wissenschaftlers entgegen, Vernunft also.
Heinrich Detering: Was heißt hier ‚wir‘? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten. Reclam Verlag, Stuttgart 2019. 60 Seiten, 6 Euro.
Dies Büchlein ist ein Muster der
Sprachkritik, es zeigt, wie man
öffentlich mit Rechten reden kann
Höckes Deutschland: „unser einst
intakter Staat“, „unsere einst
schöne Heimat“. – Wann war das?
Abgeordnete der AfD, darunter Alice Weidel und Alexander Gauland, in der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages am 24.10.2017.
Foto: Regina Schmeken
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"Glücklicherweise gibt es Menschen, die genauer hinhören als ich. Heinrich Detering ist einer der besten Literaturwissenschaftler des Landes und hat jetzt Reden von Gauland und anderen AfD-Scharfmachern nach den Regeln seiner Kunst untersucht in dem kleinen Buch 'Was heißt hier 'wir'?'"
Uwe Wittstock, Focus, 11.05.2019

"Dies Büchlein ist ein Muster der Sprachkritik, es zeigt, wie man öffentlich mit Rechten reden kann"
Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung, 28.06.2019
"Dies Büchlein ist ein Muster der Sprachkritik, es zeigt, wie man öffentlich mit Rechten reden kann"
Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung, 28.06.2019

"Glücklicherweise gibt es Menschen, die genauer hinhören als ich. Heinrich Detering ist einer der besten Literaturwissenschaftler des Landes und hat jetzt Reden von Gauland und anderen AfD-Scharfmachern nach den Regeln seiner Kunst untersucht in dem kleinen Buch 'Was heißt hier 'wir'?'"
Uwe Wittstock, Focus, 11.05.2019