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In Deutschland sind viele klischeehafte Vorstellungen über die Scharia verbreitet. Das gilt auch für die angebliche Unvereinbarkeit von Demokratie und Islam oder die vorgebliche Neigung des Islam zur Gewalt. Rudolf Steinberg unterzieht diese Annahmen einer kritischen Betrachtung und fragt nach der institutionellen Verortung eines deutschen Islam. Er führt in einer Tour d'Horizon informationsreich und kritisch durch die aktuellen juristischen und politischen Diskussionen. Das zwingt zu notwendigen Differenzierungen. Denn "die" Scharia gibt es ebenso wenig wie "den" Islam.

Produktbeschreibung
In Deutschland sind viele klischeehafte Vorstellungen über die Scharia verbreitet. Das gilt auch für die angebliche Unvereinbarkeit von Demokratie und Islam oder die vorgebliche Neigung des Islam zur Gewalt. Rudolf Steinberg unterzieht diese Annahmen einer kritischen Betrachtung und fragt nach der institutionellen Verortung eines deutschen Islam. Er führt in einer Tour d'Horizon informationsreich und kritisch durch die aktuellen juristischen und politischen Diskussionen. Das zwingt zu notwendigen Differenzierungen. Denn "die" Scharia gibt es ebenso wenig wie "den" Islam.
Autorenporträt
Rudolf Steinberg ist emeritierter Professor für öffentliches Recht an der Universität Frankfurt am Main und Universitätspräsident a.D.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2019

Arbeit im Wertehof
Rudolf Steinberg denkt über den Islam in Europa nach

Die Elementarteilchen, aus denen sich das öffentliche Bild des Islams in der Gegenwart zusammensetzt, sind in diesem Buch alle versammelt: Kopftücher, Niqabs, Burkas und Burkinis, Halal-Siegel, Ehrenmorde und Zwangsverheiratungen, Salafisten und Terroristen, aber auch die reformorientierten Vertreterinnen und Vertreter der noch jungen islamischen Theologie in Europa, denen die Rolle zukommt, erfreulich helle Lichteffekte am Horizont zu setzen. Modelle islamischer Finanzwirtschaft werden ebenso erörtert wie die zweifelhafte Vorbildlichkeit des österreichischen "Islamgesetzes" für andere Länder Europas oder die potentielle Signalwirkung, die von der Einführung eines die christlichen Feiertage flankierenden islamischen Feiertages in Deutschland ausgehen könnte.

Daneben werden allerlei Aspekte islamischer Lebensführung und Lebenserfahrung angesprochen. Dabei geht es durchaus auch um die Spannung "Zwischen Grundgesetz und Scharia", wie der Buchtitel verheißt. Eigentlich aber geht es um so ziemlich alles, was halbwegs aufmerksamen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen bei den Stichworten Islam, Recht, Menschenrechte, Politik, Kultur und so weiter einfällt. Auch geht es um weit mehr als um den im Untertitel angekündigten "langen Weg des Islam nach Deutschland". "Der lange Weg des Islam nach Westen", hätte es wohl heißen müssen, gibt doch der Autor Rudolf Steinberg - ausgewiesener Vertreter des öffentlichen Rechts sowie ehemals Frankfurter Universitätspräsident - den Entwicklungen in Frankreich und Großbritannien, aber auch in anderen Ländern Europas, in Kanada und darüber hinaus beinahe ebenso viel Raum wie der religionspolitischen und religionsrechtlichen Herausforderung, die in Deutschland in der nahen Zukunft zu bewältigen sein wird. Das alles liest man mit Interesse, aber doch auch angestrengt, weil es Steinberg kaum gelingt, eine Schneise zu schlagen durch die Unübersichtlichkeit historisch gewachsener Problemkonstellationen und ausufernder aktueller Debatten und Rechtskonflikte.

Dabei gibt sich der Autor, der sich in seinen Schlusssätzen für ein "Konzept der Integration durch Anerkennung und Zusammenarbeit" ausspricht, durch das ein "recht verstandenes Scharia-konnotiertes Verhalten seinen Platz in unserem Gemeinwesen finden" könne, immer wieder als Anhänger des bestehenden religionsverfassungsrechtlichen Systems zu erkennen. So mahnt er im Kontext seiner Überlegungen zur höchst kontrovers debattierten Frage der Selbstorganisation der Musliminnen und Muslime in Deutschland und deren institutioneller Gleichstellung offensiv ein bestimmtes Maß an "Anpassung" als "die andere Seite der Integration" an.

Und das ist auch der Tenor, wenn es um die prekäre Finanzierung der islamischen Religionsgemeinschaften geht, die bekanntlich nicht zuletzt deshalb vielfach aus dem Ausland (mit)finanziert werden, weil sie - anders als die durch Kirchensteuer und Staatsleistungen satt alimentierten Kirchen - nicht über hinreichende inländische Einnahmequellen verfügen.

Hier verweist Rudolf Steinberg zwar auf das alternative Modell einer allgemeinen "Kultursteuer", mit der verschiedene Religionsgemeinschaften (ebenso wie kulturelle und soziale Institutionen) gleichberechtigt finanziert werden könnten. Vertieft wird diese Idee (die an Modelle in Ungarn, Italien und Spanien angelehnt ist) aber nicht, sondern unter Verweis auf die Unwahrscheinlichkeit der dafür unerlässlichen Verfassungsänderung sogleich wieder verworfen und eher vage für eine Fortentwicklung des herkömmlichen Systems "in Richtung eines offeneren religionsverfassungsrechtlichen Finanzierungssystems" geworben. Wie das gehen soll, welche institutionellen Maßnahmen dafür zu ergreifen wären, hätte man gern konkreter erfahren.

In einem der Schlusskapitel wendet sich Steinberg der Frage zu, was denn die religionskulturell plurale Gesellschaft in ihrem Innersten zusammenhält. Leitkultur, antworten die einen. Verfassungspatriotismus, die anderen. Steinberg ist das eine zu konkret, das andere zu abstrakt. Und so setzt er überraschend unbefangen auf gemeinsame Werte. Ein aus der "traditionellen Identität" erwachsender "Wertekern" wird beschworen, um den sich ein flexibler "Wertehof" gruppiere, an dessen Entwicklung alle Bürgerinnen und Bürger fortwährend mitwirken und so aus dem Partikularen das Universale generieren könnten.

Ob nun dieser Rekurs auf die Werte als Fundament des Gemeinwesens tragfähig ist oder ob er, ganz im Gegenteil, "dem Subjektivismus und Positivismus der Tageswertungen das Feld (öffnet), die, je für sich objektive Geltung verlangend, die Freiheit eher zerstören als fundieren", wie der kürzlich verstorbene ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde schon vor mehr als einem halben Jahrhundert mahnte, dürfte eine der zukunftsentscheidenden Fragen nicht nur für den Staat des Grundgesetzes sein.

ASTRID REUTER

Rudolf Steinberg:

"Zwischen Grundgesetz und Scharia". Der lange Weg des Islam nach Deutschland.

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2018. 310 S., br., 39,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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