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Ob sie ihn auf seiner Wahlkampftour begleiten dürfe, hat Yasmina Reza im Frühjahr 2006 den damaligen französischen Innenminister Nicolas Sarkozy gefragt, und er hat sofort zugestimmt: Ein Jahr lang ist sie ihm gefolgt, von Paris bis in die tiefste Provinz, nach New York, London und Berlin, in Stahlfabriken, Schulen und Krankenhäuser und zu internen Besprechungen, bei denen kein Journalist zugelassen war. Reza erlebt den heutigen Präsidenten von Frankreich hinter den Kulissen aus nächster Nähe. Scharfsichtig, distanziert und bisweilen ironisch erzählt sie vom Leben Sarkozys, vom Pathos des…mehr

Produktbeschreibung
Ob sie ihn auf seiner Wahlkampftour begleiten dürfe, hat Yasmina Reza im Frühjahr 2006 den damaligen französischen Innenminister Nicolas Sarkozy gefragt, und er hat sofort zugestimmt: Ein Jahr lang ist sie ihm gefolgt, von Paris bis in die tiefste Provinz, nach New York, London und Berlin, in Stahlfabriken, Schulen und Krankenhäuser und zu internen Besprechungen, bei denen kein Journalist zugelassen war. Reza erlebt den heutigen Präsidenten von Frankreich hinter den Kulissen aus nächster Nähe. Scharfsichtig, distanziert und bisweilen ironisch erzählt sie vom Leben Sarkozys, vom Pathos des politischen Alltags und seiner Monotonie. Zugleich beschreibt die meistgespielte Autorin des Gegenwartstheaters die Politik als suggestive Inszenierung. Rezas Wahlkampf-Tagebuch ist voller brillanter Beobachtungen und Details - eine Begegnung von Literatur und Politik auf höchstem Niveau.
Autorenporträt
Yasmina Reza, 1959 geboren, ist Schriftstellerin, Regisseurin und Schauspielerin und die meistgespielte zeitgenössische Theaterautorin. Bei Hanser erschienen u.a. Glücklich die Glücklichen (Roman, 2014), Babylon (Roman, 2017), für den sie mit dem Prix Renaudot 2016 ausgezeichnet wurde, Kunst (Schauspiel, 2018), Der Gott des Gemetzels (Schauspiel, 2018), Bella Figura (Schauspiel, 2019), Drei Mal Leben (Schauspiel, 2019), Anne-Marie die Schönheit (2019), Serge (Roman, 2022) und James Brown trug Lockenwickler (Schauspiel, 2023). Für ihr Werk wurde sie zuletzt mit dem Jonathan-Swift-Preis 2020, dem Premio Malaparte 2021 und dem Prix de l'Académie de Berlin 2022 ausgezeichnet. Das Theaterstück Der Gott des Gemetzels wurde 2011 sehr erfolgreich von Roman Polanski verfilmt, hochkarätig besetzt mit Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz und John C. Reilly.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.05.2008

Auch ein Verriss schafft Ruhm
Als Sarkozy noch kein Popstar, sondern Präsidentschaftskandidat war, begleitete ihn die Autorin Yasmina Reza
Einmal trifft der Kandidat für das Präsidentenamt 2007 Nicolas Sarkozy in Begleitung von Yasmina Reza auf den früheren Präsidenten der Republik und fragt ihn:
„ – Kennen Sie Yasmina Reza?”
Die kleine Posse, die auf diese Frage folgt, beschreibt Yasmina Reza so:
„Kurze Ratlosigkeit in Valéry Giscard d’Estaings Blick, dann: ‚Kunst?‘ Ich nicke.
– Oh, ,Kunst‘, das war großartig! Das haben Sie natürlich gesehen, Nicolas, oder?
Nicolas spricht freundliche Lobesworte über mich und fügt hinzu, sie schreibt gerade ein Porträt von mir.
– Ach! Sie schreiben ein. . .
– Ein Buch, Monsieur le Président, sagte ich.
– Ja, eine . . . eine Broschüre?”
So sieht das aus, wenn Macht und Geist aufeinandertreffen. Wenn überhaupt, kennt man sich nur von Ferne und ist schon froh, falls es gelingt, ein paar verständliche Höflichkeiten auszutauschen. Was den anderen aber antreibt, was er tut, bleibt einem rätselhaft und, wenn man ehrlich ist, nimmt man es nicht ganz ernst.
Das ungleiche Paar
Die Szene findet sich im letzten Viertel des Buches. Yasmina Reza nennt dort Sarkozy schon ganz selbstverständlich „Nicolas”, nachdem sie auf einer der ersten Seiten befand, es werde ihr unmöglich sein, ihn jemals zu duzen. Am Ende wird sie sogar „wir” sagen, als gehörten sie zusammen, wären sie ein Paar, was sie nicht sind, und, jedenfalls im geläufigen Sinn, niemals waren. Hat sie infolge dieses Distanzverlusts nicht mehr als eine Wahlkampf-Broschüre geschrieben?
Die Idee, Yasmina Reza während des Wahlkampfes als literarische Beobachterin auf Nicolas Sarkozy anzusetzen, stammte wohl von ihrem französischen Verleger, doch die eigentliche Überraschung war Sarkozys Zusage. „Selbst wenn Sie mich verreißen, wird es zu meinem Ruhm sein”, lautete angeblich seine cäsarische Antwort.
Yasmina Reza ist eine weltberühmte Theaterautorin – natürlich ist sie nicht einfach ein Jahr lang hinter Sarkozy hergelaufen, um aufzuschreiben, was sie sieht und hört. Sie hat ihre Begegnung mit dem künftigen Präsidenten als Gipfeltreffen inszeniert. Das Buch erzählt nicht weniger über sie selbst, ihre Beziehungen zu anderen Menschen, ihre Stücke, als über Sarkozy.
Dennoch, wir hatten doch gelernt, die Kunst überhaupt, also auch die Literatur, dürfe sich von der Politik nicht „vereinnahmen” lassen. Ist es aber nicht genau das, was hier geschieht? Yasmina Reza hat ihre Zweifel, sie bespricht sie mit Milan Kundera und dessen Frau, die sie darin bestätigen, sie bespricht sie mit einem geheimnisvollen „G.”, offenbar selbst Politiker, den sie sehr gut zu kennen scheint. Sie lässt die Antwort offen, ohne die Frage abzutun. Sie bleibt bis zum Schluss gestellt, aber es ist nicht die einzige, die die Autorin beschäftigt.
Sie begleitet Sarkozy beinahe Tag für Tag, und tagebuchartig sind auch die Notizen und Vignetten, aus denen sich das Buch zusammenfügt. Sie politisiert nicht, theoretisiert nicht, versucht sich weder in der Sprache der Politik noch in der des Journalismus. Sie betrachtet Sarkozy als Figur auf der Bühne, schreibt auf, was er tut und sagt, und verfasst so nachträglich das Textbuch für seine Rolle.
„Das ist wirklich eine Ihrer Figuren, sagt ein Freund, nachdem ich ihm einige Passagen aus diesem Text vorgelesen habe.”
Nicolas Sarkozy, gesehen von Yasmina Reza, ist eine anrührende Figur: einsam, beinahe zerbrechlich, aber immer auf der Suche nach Anerkennung, ehrgeizig, empfindlich für kleinste Rückschläge, voller Hoffnung, unfreiwillig komisch, erfolgsbesessen. Rezas Blick auf ihn ist nicht frei von der liebevollen Skepsis, die eine Mutter dem kleinen Sohn, auch gegen dessen Protest, die Hosen hochziehen und die Haare kämmen lässt.
Für Sarkozy ist das kein Problem, er nimmt das Ganze nicht sonderlich wichtig. Er soll das fertige Buch nicht gelesen haben. Das wäre noch nicht einmal als Beleidigung aufzufassen, denn Reza selbst beschreibt ihn als jemanden, der grundsätzlich nicht liest. Für ihn ist der Fall damit erledigt, dass eine berühmte Schriftstellerin über ihn geschrieben und ihn nicht verrissen hat. Schön, aber ohne besondere Bedeutung.
Eine monotone Raserei
Ist damit bewiesen, dass es falsch war, sich auf das Projekt einzulassen, wie manche Freunde Reza warnten? Wohl kaum. Dass Literatur gegen Ignoranten nichts auszurichten vermag, spricht nicht gegen die Literatur, sondern gegen die Ignoranten. Die Frage ist also vielmehr, was für diejenigen gewonnen ist, die dieses Buch lesen? Erfährt man etwas daraus, was man vorher noch nicht wusste? „Meine Notizen der letzten Tage. Lauter Wiederholungen. In meinem Büchlein zerfallen und verschwimmen die Tage, eine monotone Raserei, dabei wird hier doch Geschichte geschrieben. Die Tragödie kennt keine Orte. Und auch keine Zeiten. Nur frühmorgens, abends oder nachts.”
Ja, es ist eine Tragödie, die sich da abspielt, sie ist die „monotone Raserei” und ihr einsamer Held ist der Präsidentschaftskandidat.
Eine Reihe höchst unterschiedlicher europäischer Romane hat sich in den letzten Jahren daran versucht, moderne Politik im Medienzeitalter „von innen” zu beschreiben. Alan Hollinghursts „Die Schönheitslinie”, Robert Harris’ „Ghost” sind Beispiele, auch in Deutschland gibt es einige, und, daran anknüpfend, eine Diskussion um den politischen Roman. Es ist dabei erstaunlich, dass Robert Harris in „Ghost” mit scheinbar unterlegenen, höchst konventionellen Mitteln ein sehr ähnliches Politikerbild zeichnet, eine sehr ähnliche Wirkung erzeugt, wie Yasmina Reza mit ungleich feinerem Strich. Beide Male geht es um relativ junge Männer, die sich des Apparats, in dem sie sich befinden, perfekt zu bedienen wissen, deshalb auch Erfolg haben, gleichzeitig aber von einer beängstigenden Leere umgeben sind, und – das vor allem – selbst vollkommen leer erscheinen. Ist das wirklich etwas Neues oder nur die Bestätigung eines Klischees? Gleichviel, an Yasmina Rezas Buch besticht, dass sie weiß, es gibt keinen Standpunkt „außerhalb”. Die strikte Weisung einiger Freunde, den Hades der Politik nicht zu betreten, entspringt der merkwürdig naiven Vorstellung, man könne sie dadurch von sich fern halten. Dabei sind die Vorzüge ihrer Perspektive offenkundig: „Wieder im Flugzeug, auf dem Rückweg von Korsika, sagt er zu Charles Jaigu und Philippe Ridet (von Le Figaro und Le Monde): ‚Ihr könnt sagen, was ihr wollt, ich bin eine unerschöpfliche Quelle für eure Scheißartikel!‘ Wir schreiben das alle drei gleichzeitig auf, und so leid es ihnen tut, sie müssen zugeben, dass ich diesen Spruch als einzige bringen kann.”GEORG M. OSWALD
YASMINA REZA: Frühmorgens, abends oder nachts. Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Hanser Verlag, München 2008. 208 Seiten, 17,90 Euro.
Nicolas Sarkozy, gesehen von der Schriftstellerin Yasmina Reza (links, lachend), ist eine anrührende Figur: einsam, beinahe zerbrechlich, aber immer auf der Suche nach Anerkennung. Foto: Dominique Faget/AFP
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008

Der Präsident des einundzwanzigsten Jahrhunderts
Versuch am lebenden Gesellschaftskörper: Yasmina Reza begegnet Nicolas Sarkozy / Von Jochen Hieber

Vor etwas mehr als einem Jahrhundert erschuf sich der damals achtzehnjährige österreichische Maschinenbaustudent Robert Musil für seine ersten literarischen Versuche ein anderes Ich. Der Name, den dieses Schreib-Ich erhielt, war ein bisschen martialisch, ein wenig geheimwissenschaftlich; vor allem jedoch klang er elegant und war deshalb nicht umsonst aus dem Französischen geborgt: monsieur le vivisecteur. Der Kunstname, fährt Musils Tagebuch fort, sei "natürlich eine Pose", aber er gebe ihm "Kraft, Lust, Streben". Die Vivisektion, notiert zur selben Zeit der siebzehnte Band von "Meyers Konversations-Lexikon", sei "ein Versuch am lebenden Tier, der mit einer Verwundung und Verstümmelung verbunden ist". Dieser Methode, so das Lexikon weiter, verdanke die Heilkunde eine Fülle an Fortschritten; allerdings habe sie auch nicht wenige "empfindsame Gemüter in Aufregung gebracht" und deshalb "zur Gründung von Antivivisektionsvereinen" geführt.

Die französische Autorin Yasmina Reza spielt - nicht unähnlich der 2006 fast hundertjährig verstorbenen deutschen Lyrikerin Hilde Domin - mit ihrem wahren Lebensalter gern Versteck. Vielleicht ist sie schon geraume Zeit, vielleicht wird sie aber auch erst in Kürze fünfzig. Ohne Zweifel aber ist sie derzeit die weltweit meistgespielte Theaterautorin - mit dem Stück "Kunst" eroberte sie Mitte der Neunziger die Bühnen, ihr gegenwärtiger Globalhit heißt "Der Gott des Gemetzels" (F.A.Z. vom 28. Januar). Etwas im Windschatten dieses enormen Erfolgs segelten bisher ihre Prosaarbeiten, der Geschichtenband "Hammerklavier" (1998) etwa und der Roman "Adam Haberland" von 2005.

Zumindest in Frankreich hat sich dies seit dem vergangenen Sommer geändert. Dort erschien damals, keine drei Monate nach der Amtseinführung des neuen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, die Prosa "L'aube le soir ou la nuit". Sie enthält die Aufzeichnungen und Reflexionen, die Yasmina Reza fast ein Jahr lang, von Ende Juni 2006 bis Anfang Juni 2007, über ihre ebenfalls fast täglichen Begegnungen mit dem Politiker zu Papier gebracht hat. Zunächst noch den Innenminister, dann den offiziellen Kandidaten der konservativ-gaullistischen UMP und schließlich den neuen Präsidenten ihres Landes hat sie bei dessen In- und Auslandsreisen begleitet, sie hat an Besprechungen des engsten Beraterkreises teilgenommen, aber auch unter vier Augen mit Sarkozy geredet und diskutiert, sie war 2006 bei der privaten Silvesterfeier der Familie ebenso zu Gast wie bei den Massenveranstaltungen des Wahlkampfs, sie war ins politische Gefolge eingebettet und gleichwohl darauf bedacht, unabhängige Beobachterin zu bleiben - und dies, obwohl Sarkozy und Reza im Lauf der Monate von der Höflichkeitsform der Anrede zu einem so kumpelhaften wie auch auf wechselseitigem Vertrauen beruhenden Duzen übergingen.

Allein schon die Prominenz beider bescherte dem Buch im Nachbarland erwartungsgemäß eine zumindest passable Bestsellerauflage von etwa 250 000 verkauften Exemplaren. Neugierfördernd kam die unmittelbare Aktualität des Stoffes hinzu. Umstände mithin, die jetzt, da das Buch unter dem Titel "Frühmorgens abends oder nachts" auch auf Deutsch veröffentlicht wird, nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt gelten. So hat das turbulente Privatleben, das Sarkozy seit dem vergangenen Sommer auf eine für Staatsoberhäupter singuläre - und singulär boulevardeske - Weise öffentlich ausstellte, auch hierzulande die Wahrnehmung seiner Person so sehr geprägt und verändert, dass alles vorher Geschehene - und von Yasmina Reza Geschilderte - nur noch wie das schattenhafte Vorspiel einer Staatskomödie, gar einer schrillen Politikerfarce erscheint.

Dass es an der Oberfläche reichlich inaktuell geworden ist, hat diesem Brevier über einen Wahlkämpfer indes eine neue und letztlich viel wichtigere Chance eröffnet. Und diese Chance weiß es zu nutzen. Warum? Ganz einfach: weil es einen doppelten Boden besitzt, aus einer Chronik jüngstvergangener Geschehnisse also zur Literatur wird - und als Literatur zum stilsicheren Protokoll einer staunenswerten Vivisektion. Ganz im Sinne des jungen Musil sind hier Kraft, Lust und Streben im Spiel. Und im übertragenen Sinne des alten Meyer werden hier Versuche am lebenden Gesellschaftskörper angestellt, die durchaus nicht ohne Verletzungen abgehen, der Menschen- wie der Machtkunde aber Erkenntnisse aus erster Hand hinzufügen, die allein vom Schreibtisch aus niemals zu gewinnen sind.

Glänzend verdichtet sich das überall spürbare Beobachtungs- und Sprachvermögen der Autorin und Ich-Erzählerin zur Mitte des Buches hin. Auf gut vierzig Seiten beschreibt sie dort den Canossagang des Kandidaten zur eitlen Elite der französischen Atomwissenschaft, schildert beiläufig, wie ihn eine einfache Frau in Marseille mal eben so anpöbelt - "Was willst du hier bei uns, du Wichser?" -, lässt Sarkozy seinerseits fast pubertär von der Schauspielerin Jodie Foster und dem Film "Das Schweigen der Lämmer" schwärmen und folgt dem "unaufhörlich durchs Leben" Rasenden an den "Niemandsort" eines Frauengefängnisses in Rennes.

In England rennt er "buchstäblich" auch durchs Churchill-Museum - "Du hast keine Ader für Churchill, sage ich". "Nein" -, um fünf Uhr früh am nächsten Morgen steht er "im weißen Skianorak" in einer Fischhalle irgendwo in der französischen Provinz: "Küsschen rechts, Küsschen links." Der Besuch in Berlin - die Stadt ist für ihn "der Horror" - enthält als "absurde Zwischenstation" auch das Holocaust-Mahnmal: "erstickt von Kameras, Mikros, der vulgären Meute". In der Neurochirurgie von Créteil macht sich Sarkozy dann eifrig Notizen: "Er schreibt umso mehr mit, als er nicht zuhört." Einzig die Beisetzung der jungen Ehefrau eines seiner engsten Vertrauten bringt für Augenblicke so etwas wie "Ruhe". Yasmina Reza muss einmal lachen über den Anspruch des Kandidaten, er wolle "der Präsident des 21. Jahrhunderts" sein. Aber so, wie sie ihn und die Welt beschreibt, in der er wirkt und die auf ihn einwirkt, entspricht Sarkozy dem Anforderungsprofil ziemlich exakt.

Zwanzig Jahre nachdem Robert Musil sein Schreib-Ich zum monsieur le vivisecteur ernannt hatte, begann er mit der Arbeit am Jahrhundertroman "Der Mann ohne Eigenschaften". Eine der Schlüsselfiguren darin ist der Industrielle Arnheim, dessen reales Vorbild der Politiker Walther Rathenau war, 1922 für wenige Monate Außenminister der Weimarer Republik. Auch die Auftritte und den Charakter Arnheims schildert Musil so, wie er es stets von sich und seinem Schreiben verlangte: mit "Genauigkeit und Seele". Nichts anderes hat Yasmina Reza mit ihrem ganz uncamouflierten Porträt des Nicolas Sarkozy zuwege gebracht. Nennen wir sie deshalb madame la vivisectrice und verzichten auf jeden Antivivisektionsverein.

Yasmina Reza: "Frühmorgens, abends oder nachts". Aus dem Französischen übersetzt

von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel.

Carl Hanser Verlag, München 2008. 208 S.,

geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Schwer zu sagen, wie Rezensentin Gabrielle Killert Yasmina Rezas Sarkozy-Buch wirklich findet. So richtig rückt sie nicht damit raus. Man spürt allerdings, dass ihr weder das Ansinnen der Autorin, einen wie Nicolas Sarkozy zu porträtieren, noch die Autorin und Sarkozy selbst so ganz geheuer sind. Ein wenig zu distanzlos und unkritisch scheint ihr Rezas Buch auch zu sein, jedenfalls was Person und Politik des späteren französischen Präsidenten betrifft. Auch scheinen sich der Ansicht der Rezensentin nach mit Reza und Sarkozy zwei vergleichbare Kaliber gegenüberzustehen: Spezialisten nämlich für "Glanz, Glamour und große Worte". Zumindest eins aber macht die Rezensentin dann doch unmissverständlich klar: Nicolas Sarkozy ist keine typische Reza-Figur.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Eine minutiöse, faszinierend zu lesende Schilderung, wie es einem ehrgeizigen, selbstverliebten und hochbegabten politischen Schauspieler gelang, die Mehrheit seiner Landsleute für sich einzunehmen und den Wahlsieg und die Macht in der Republik zu erlangen." Jochen Hehn, Die Welt, 27.08.07

"Yasmina Reza hat Nicolas Sarkozy ein Jahr lang begleitet und ein grandioses Buch über ihn und männlichen Selbstbetrug geschrieben." Nils Minkmar, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26.08.07

"Reza hat nicht versucht, ein abgerundetes Porträt des Präsidentschaftskandidaten zu zeichnen. Was sie abliefert, ist eine Art Tagebuch, manchmal mit Datum, meistens ohne, ein lockerer gefügtes Mosaik aus Beobachtungen, Zitaten, Gesprächsfetzen, gelegentlich untermischt mit persönlichen Reflexionen oder literarischen Reminiszenzen." Jörg von Uthmann, Die Welt, 09.02.08

"Die mit einem Gespür für Inszenierungen ausgestattete Schriftstellerin ist eine scharfe Beobachterin des talentierten politischen Selbstdarstellers. Ein außergewöhnliches Psychogramm des neuen französischen Präsidenten." Cicero, 10/2007

"Rezas Buch ist in intimes Porträt des Präsidenten. Aber es ist viel mehr als das. Ein Buch über die Gegenwart, über das leere Geschäft der Politik." Martina Meister, Frankfurter Rundschau, 06.03.08

"Reza hat ein außergewöhnliches Buch geschrieben, schonungslos, aber nicht ungerecht." Martina Meister, Frankfurter Rundschau, 06.03.08

"Glänzend verdichtet sich das überall spürbare Beobachtungs- und Sprachvermögen der Autorin und Ich-Erzählerin." Jochen Hieber, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.03.08

"Yasmina Reza hat ein neues Genre erfunden. Ein Buch, das die Perspektive verändert, weil es einen zwingt, ganz genau hinzusehen." Martina Meister, Literaturen, 04/08

"Diese essayistische Machtwerdungs- und Machtdämmerungsreportage lebt von ihrer Kunst der Beobachtung. ... Wer das Buch als Fallstudie über den Typus eines modernenPolitikers liest, der wird belohnt, durch viele Einsichten hinter die Kulissen. Belohnt und oft witzig, melanchonisch, manchmal auch naiv unverblümt unterhalten." Peter von Becker, Tagesspiegel, 28.03.08
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