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»Erkenntnis ist nach wie vor möglich.« Das ist keine verzagte Hoffnung, sondern Ethos, Haltung und Bekenntnis. Denn: »Siehe: Die Sprache balanciert auf hochgespanntem Seil« - ja, beides trifft zu: hoch und gespannt! Und es ist jedes Mal wieder ein Abenteuer, Ursula Krechel auf ihren Gängen über dieses Seil zu folgen. Ihre Gedichte sind dynamische Gegenwart. Sie sind wach, hellwach, selbst dort, wo man nur mit geschlossenen Augen sieht: ins Dunkle, ins Ungewisse, in Abgründe, in Schichten persönlicher wie kollektiver Erinnerung. In vielfältigen Formen und in einem breiten Register der Stimmen,…mehr

Produktbeschreibung
»Erkenntnis ist nach wie vor möglich.« Das ist keine verzagte Hoffnung, sondern Ethos, Haltung und Bekenntnis. Denn: »Siehe: Die Sprache balanciert auf hochgespanntem Seil« - ja, beides trifft zu: hoch und gespannt! Und es ist jedes Mal wieder ein Abenteuer, Ursula Krechel auf ihren Gängen über dieses Seil zu folgen. Ihre Gedichte sind dynamische Gegenwart. Sie sind wach, hellwach, selbst dort, wo man nur mit geschlossenen Augen sieht: ins Dunkle, ins Ungewisse, in Abgründe, in Schichten persönlicher wie kollektiver Erinnerung. In vielfältigen Formen und in einem breiten Register der Stimmen, Rhythmen und Töne untersuchen diese Gedichte Wirklichkeit, ohne sich darauf einen Reim machen zu wollen. Es sind Erkundungen mit offenem Eingang und offenem Ausgang, eigenwillig, voller Wagemut und Spielfreude. Sie zeigen Zeile für Zeile die Meisterschaft und Souveränität einer großen Autorin.
Autorenporträt
geboren 1947 in Trier, seit 1974 zahlreiche Veröffentlichungen - Theaterstücke, Gedichte, Hörspiele, Romane, Essays. Für ihre Romane Shanghai fern von wo (2008), Landgericht (2012) und Geisterbahn (2018) wurde sie vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Joseph-Breitbach-Preis, dem Deutschen Buchpreis und dem Jean-Paul-Preis. Ursula Krechel lebt in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Christian Metz lässt sich von den neuen Gedichten von Ursula Krechel neue Denk- und Gefühlsräume eröffnen. Von wegen Schönheit! Für Metz ist das nur ein Thema unter vielen, wenngleich ein wichtiges der 58 Einzelgedichte und drei Zyklen im Band. Wie Krechel es angeht aber, systematisch ästhetische Erfahrung und das Verhältnis zwischen Ding und Wort erkundend, findet Metz hörenswert. Wortspiele, Verfremdung, zum Letterntanz ladende Melodien und genaue Beobachtungen (etwa beim Arzt) machen Metz Spaß.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2021

Im Hirn ein Zittern, Gewittern
Wortspiel und Bildlust: Ursula Krechels neue Gedichte entwerfen einen poetischen Denkstil

So viel Schönheit war noch nie. Zumindest noch nicht in der seit 45 Jahren andauernden Publikationsgeschichte Ursula Krechels. Die "Widerstandslinie der Schönheit", "Das mag schön und gut sein" oder "Was Schönheit ist zu was" lauten die Titel ihres aktuellen Gedichtbandes "beileibe und zumute". Ihre Gedichte setzen mit Versen ein wie "Schön ist die Schriftlichkeit, Fragwürdigkeit / nur ein Augenzwinkern". Und sie münden in erinnerungsumgarnende Sprüche wie "Schönheit kommt und geht vor dem Fall". Noch nie ging Ursula Krechel so systematisch ästhetischen Fragen nach. Trotz der vielumjubelten Hochkonjunktur der Neurowissenschaften und empirischen Ästhetik verfügen wir weiterhin nur über eine rudimentäre Wahrnehmungslehre des Schönen. Oder wie Krechel diesen Befund wendet: "genau genommen wissen wir wenig / oder nur was zum einen Ohr reingeht / und durch die Dunstabzugshaube raus." Diese Wissenslücke eröffnet der Lyrikerin den Möglichkeitsraum, um mit Hilfe ausdifferenzierter, kognitiver Spekulationen eindrücklich vor Augen zu stellen, wie komplexe Wahrnehmungen zur Erfahrung des Schönen verarbeitet werden. Krechel schließt hierzu an die Tradition des poetischen Denkens an. Bereits in ihrem Band "Technik des Erwachens" stellte sie 1992 Francis Ponge' Satz "Der Dichter ist ein ehemaliger Denker, der zum Arbeiter geworden ist" voraus. Jetzt geht sie selbst der poesietypischen Denkarbeit nach.

Die Abgründigkeit poetischen Denkens führt schon der erste Doppelvers des Bandes vor: "Der Denkende kommt zu spät, wenn er sagt: ich denke, / dachte ich, oder das Denken hat ihm einen Streich gespielt." Die Entstehung der Gedanken beim Denken bringt notwendig eine Verzögerung mit sich. Der Gedanke ist beim Denken schon ums Eck. Und bis die Aussage "ich denke" folgt, hat er sich längst in Luft aufgelöst. Exakt in dieser Rückständigkeit, so behauptet das Denkprotokoll ("denke ich"), nistet das Poetische. Hier ist es aufgehoben, und zwar im doppelten Wortsinne von Sammeln und Hochheben: "hoffnungslose Rückständigkeit / der Sinne, die Kunstgenuss ermöglichen", eröffnet den poetischen Denkraum. "War / das ein Machen oder etwas Liegengebliebenes, aufgehoben / von wem (und sorgsam verwahrt)? Erinnerungsverlängerung / Dialektik des Aufhebens: Etwas existiert, wo es nicht war." Was für eine feine, bis in die atomistische Sprachnuance ausbalancierte Eröffnung.

Immer neue Facetten solcher Denkbilder arbeitet Krechel in ihrem Band heraus. Im Sinne der letztgenannten Gleichgewichtsschönheit etwa heißt es an späterer Stelle: "Siehe. Die Sprache balanciert auf hochgespanntem Seil, stürzt ab / wenn sie herunterblickt auf den Gegenstand, über den sie spricht." Zwischen Denken und Sprachen wie zwischen Sprache und Dingen balanciert Krechels Poesie. Deren Balance kommt und geht vor dem Fall. Auf den Sturz aber folgt das abermalige Aufheben. Wechselerhöhung und -erniedrigung - dieses einst von der Frühromantik gepriesene Doppel führt Krechels Lyrik unserer Zeit gemäß ins Kognitive über. Geistige Erhöhung kann da schon mal per Terrasse ausgebaut und per Aufzug geliftet werden: "Hier kommt der blaugeäderte Prämissenliebling / der mit der Denkterrasse, mit Aufzug in den Cortex."

Nicht nur Krechels kognitionspsychologische Aisthesis gewinnt einen ganz eigenen Charakter. Sondern auch die Art, wie sie ihren poetischen Denkstil entwirft. Die ersten Funken schlagen ihre Verse aus Wortspielen, in erster Linie aus Paronomasien: Plötzlich interagieren "Kompass und Kompromiss". Während man "im Hirn ein Zittern, Gewittern" vernimmt. Oder staunt, wie unter dem kreditwürdigen Titel "Darlehen, Darling" mehrere "krumme Zaunlatten grüßen, büßen". Die Änderung eines Details am Wortkörper löst enorme Verfremdungseffekte aus, die - so das Ziel - zum Staunen bringen sollen. Wie sagte schon Jean Paul? "Der wahre Reiz des Wortspiels ist das Erstaunen über den Zufall, der durch die Welt zieht."

Krechels poetisches Denken besticht diesen Zufall. So entstehen ihre Wortmelodien, zu denen Buchstaben, Klänge und Gedanken tanzen. Diese Wortspiele führt Krechel - zweitens - mit metaphorischen Verfahren eng. Wenn sich "ein Canyon des Denkens, der sich auftut / nie mehr schließt", dann entstehen wohl Klischees, die sich tief in das Denken eingravieren. Mitunter kommt in den Versen geradzu tropische Euphorie auf, etwa wenn "die Wörter zu glänzen begannen, Sternschuppenwörter / da fehlte nur eine Aufhängevorrichtung im Kosmos". Skepsis gegenüber Sprachbildern sieht anders aus. Doch Wortspiel und Bildlust finden ihr Gegengewicht - drittens - in einem prosaischen Duktus: "wann haben wir zuletzt ein Gespräch über Syntax geführt". Nüchterner geht es kaum. Zumal Krechel zudem eine Vorliebe für sperrige Wörter pflegt: "Dunstabzugshaube", "überqualifiziert", "Untersuchungsergebnis" oder "Übertragungsobjekt". Sie lässt den Klang solcher Wortungetümer in ihre charakteristischen Langverse sanft ausschwingen.

Welche Zusammenhänge und Gegenstände Krechel unter diesen denkerischen und sprachlichen Bedingungen in den Blick nimmt! Die thematische Palette ist weit. 58 Gedichte umfasst der Band. Hinzu kommen drei eigenständige Gedichtzyklen: die heitere Mobilitätsstudie "Fahrbereitschaft", der man im besten Sinne Fahrlässigkeit bescheinigen kann. Die eindringliche "Fuga" (Flucht), die unter anderem im rhythmischen Pattern von Hölderlins "Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch" postuliert: "Wo Denken war, war auch Nebel und Notwendigkeit." Und die brillant beobachteten "Krankenblätter", die in großer Genauigkeit Ängste und Komik einer "beileibe und zumute" unangenehmen Situation ausstellen: "Wie geht's dem Sprunggelenk, dem Hasenfuß / es geht doch, geht", eröffnet der Arzt. Und man spürt sogleich, dass es doch auch für den Hasenfüßigen weitergehen muss, obwohl er in den Fängen der Ärzte steckt.

Krechels Gedichte leisten mehr, als einfach nur bestehende Sprachmuster zu irritieren. Sie eröffnen neue Denk- und Gefühlsräume. Vers für Vers leiten sie ihre Leser mit großer Umsicht und gedanklicher Klarheit durch diese Räume. Wer mit diesen Versen denkt, richtet seine Welt neu ein.

CHRISTIAN METZ

Ursula Krechel: "beileibe und zumute". Gedichte.

Jung und Jung, Salzburg 2021.

112 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Im Hirn ein Zittern, Gewittern
Wortspiel und Bildlust: Ursula Krechels neue Gedichte entwerfen einen poetischen Denkstil

So viel Schönheit war noch nie. Zumindest noch nicht in der seit 45 Jahren andauernden Publikationsgeschichte Ursula Krechels. Die "Widerstandslinie der Schönheit", "Das mag schön und gut sein" oder "Was Schönheit ist zu was" lauten die Titel ihres aktuellen Gedichtbandes "beileibe und zumute". Ihre Gedichte setzen mit Versen ein wie "Schön ist die Schriftlichkeit, Fragwürdigkeit / nur ein Augenzwinkern". Und sie münden in erinnerungsumgarnende Sprüche wie "Schönheit kommt und geht vor dem Fall". Noch nie ging Ursula Krechel so systematisch ästhetischen Fragen nach. Trotz der vielumjubelten Hochkonjunktur der Neurowissenschaften und empirischen Ästhetik verfügen wir weiterhin nur über eine rudimentäre Wahrnehmungslehre des Schönen. Oder wie Krechel diesen Befund wendet: "genau genommen wissen wir wenig / oder nur was zum einen Ohr reingeht / und durch die Dunstabzugshaube raus." Diese Wissenslücke eröffnet der Lyrikerin den Möglichkeitsraum, um mit Hilfe ausdifferenzierter, kognitiver Spekulationen eindrücklich vor Augen zu stellen, wie komplexe Wahrnehmungen zur Erfahrung des Schönen verarbeitet werden. Krechel schließt hierzu an die Tradition des poetischen Denkens an. Bereits in ihrem Band "Technik des Erwachens" stellte sie 1992 Francis Ponge' Satz "Der Dichter ist ein ehemaliger Denker, der zum Arbeiter geworden ist" voraus. Jetzt geht sie selbst der poesietypischen Denkarbeit nach.

Die Abgründigkeit poetischen Denkens führt schon der erste Doppelvers des Bandes vor: "Der Denkende kommt zu spät, wenn er sagt: ich denke, / dachte ich, oder das Denken hat ihm einen Streich gespielt." Die Entstehung der Gedanken beim Denken bringt notwendig eine Verzögerung mit sich. Der Gedanke ist beim Denken schon ums Eck. Und bis die Aussage "ich denke" folgt, hat er sich längst in Luft aufgelöst. Exakt in dieser Rückständigkeit, so behauptet das Denkprotokoll ("denke ich"), nistet das Poetische. Hier ist es aufgehoben, und zwar im doppelten Wortsinne von Sammeln und Hochheben: "hoffnungslose Rückständigkeit / der Sinne, die Kunstgenuss ermöglichen", eröffnet den poetischen Denkraum. "War / das ein Machen oder etwas Liegengebliebenes, aufgehoben / von wem (und sorgsam verwahrt)? Erinnerungsverlängerung / Dialektik des Aufhebens: Etwas existiert, wo es nicht war." Was für eine feine, bis in die atomistische Sprachnuance ausbalancierte Eröffnung.

Immer neue Facetten solcher Denkbilder arbeitet Krechel in ihrem Band heraus. Im Sinne der letztgenannten Gleichgewichtsschönheit etwa heißt es an späterer Stelle: "Siehe. Die Sprache balanciert auf hochgespanntem Seil, stürzt ab / wenn sie herunterblickt auf den Gegenstand, über den sie spricht." Zwischen Denken und Sprachen wie zwischen Sprache und Dingen balanciert Krechels Poesie. Deren Balance kommt und geht vor dem Fall. Auf den Sturz aber folgt das abermalige Aufheben. Wechselerhöhung und -erniedrigung - dieses einst von der Frühromantik gepriesene Doppel führt Krechels Lyrik unserer Zeit gemäß ins Kognitive über. Geistige Erhöhung kann da schon mal per Terrasse ausgebaut und per Aufzug geliftet werden: "Hier kommt der blaugeäderte Prämissenliebling / der mit der Denkterrasse, mit Aufzug in den Cortex."

Nicht nur Krechels kognitionspsychologische Aisthesis gewinnt einen ganz eigenen Charakter. Sondern auch die Art, wie sie ihren poetischen Denkstil entwirft. Die ersten Funken schlagen ihre Verse aus Wortspielen, in erster Linie aus Paronomasien: Plötzlich interagieren "Kompass und Kompromiss". Während man "im Hirn ein Zittern, Gewittern" vernimmt. Oder staunt, wie unter dem kreditwürdigen Titel "Darlehen, Darling" mehrere "krumme Zaunlatten grüßen, büßen". Die Änderung eines Details am Wortkörper löst enorme Verfremdungseffekte aus, die - so das Ziel - zum Staunen bringen sollen. Wie sagte schon Jean Paul? "Der wahre Reiz des Wortspiels ist das Erstaunen über den Zufall, der durch die Welt zieht."

Krechels poetisches Denken besticht diesen Zufall. So entstehen ihre Wortmelodien, zu denen Buchstaben, Klänge und Gedanken tanzen. Diese Wortspiele führt Krechel - zweitens - mit metaphorischen Verfahren eng. Wenn sich "ein Canyon des Denkens, der sich auftut / nie mehr schließt", dann entstehen wohl Klischees, die sich tief in das Denken eingravieren. Mitunter kommt in den Versen geradzu tropische Euphorie auf, etwa wenn "die Wörter zu glänzen begannen, Sternschuppenwörter / da fehlte nur eine Aufhängevorrichtung im Kosmos". Skepsis gegenüber Sprachbildern sieht anders aus. Doch Wortspiel und Bildlust finden ihr Gegengewicht - drittens - in einem prosaischen Duktus: "wann haben wir zuletzt ein Gespräch über Syntax geführt". Nüchterner geht es kaum. Zumal Krechel zudem eine Vorliebe für sperrige Wörter pflegt: "Dunstabzugshaube", "überqualifiziert", "Untersuchungsergebnis" oder "Übertragungsobjekt". Sie lässt den Klang solcher Wortungetümer in ihre charakteristischen Langverse sanft ausschwingen.

Welche Zusammenhänge und Gegenstände Krechel unter diesen denkerischen und sprachlichen Bedingungen in den Blick nimmt! Die thematische Palette ist weit. 58 Gedichte umfasst der Band. Hinzu kommen drei eigenständige Gedichtzyklen: die heitere Mobilitätsstudie "Fahrbereitschaft", der man im besten Sinne Fahrlässigkeit bescheinigen kann. Die eindringliche "Fuga" (Flucht), die unter anderem im rhythmischen Pattern von Hölderlins "Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch" postuliert: "Wo Denken war, war auch Nebel und Notwendigkeit." Und die brillant beobachteten "Krankenblätter", die in großer Genauigkeit Ängste und Komik einer "beileibe und zumute" unangenehmen Situation ausstellen: "Wie geht's dem Sprunggelenk, dem Hasenfuß / es geht doch, geht", eröffnet der Arzt. Und man spürt sogleich, dass es doch auch für den Hasenfüßigen weitergehen muss, obwohl er in den Fängen der Ärzte steckt.

Krechels Gedichte leisten mehr, als einfach nur bestehende Sprachmuster zu irritieren. Sie eröffnen neue Denk- und Gefühlsräume. Vers für Vers leiten sie ihre Leser mit großer Umsicht und gedanklicher Klarheit durch diese Räume. Wer mit diesen Versen denkt, richtet seine Welt neu ein.

CHRISTIAN METZ

Ursula Krechel: "beileibe und zumute". Gedichte.

Jung und Jung, Salzburg 2021.

112 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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