24,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 1-2 Wochen
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

"Ein überwältigender Roman, eine Anleitung für eine humane Gesellschaft." Björn Hayer, Spiegel Online
Orient und Okzident, Einwanderer, Auswanderer, Aussteiger, Islam, Christentum, Kapitalismus und die Suche nach dem Glück: Michael Kleeberg erzählt Geschichten und Schicksale in einer globalisierten Welt. In diesem großen Wurf gelingt es ihm, die wichtigen Fragen unserer Zeit in packende Literatur zu verwandeln.
Mühlheim bei Frankfurt. Ein Kreis von Freunden trifft sich und versucht, über Freundschaft und Gesellschaft nicht nur nachzudenken, sondern auch Utopien eines anderen
…mehr

Produktbeschreibung
"Ein überwältigender Roman, eine Anleitung für eine humane Gesellschaft." Björn Hayer, Spiegel Online

Orient und Okzident, Einwanderer, Auswanderer, Aussteiger, Islam, Christentum, Kapitalismus und die Suche nach dem Glück: Michael Kleeberg erzählt Geschichten und Schicksale in einer globalisierten Welt. In diesem großen Wurf gelingt es ihm, die wichtigen Fragen unserer Zeit in packende Literatur zu verwandeln.

Mühlheim bei Frankfurt. Ein Kreis von Freunden trifft sich und versucht, über Freundschaft und Gesellschaft nicht nur nachzudenken, sondern auch Utopien eines anderen Zusammenlebens zu verwirklichen. Dabei: Hermann, einst Doktorand der Philosophie, dann Aussteiger, jetzt Lehrer in Frankfurt. Maryam, eine iranische Sängerin, die auswandern musste, weil ihr das Singen verboten wurde. Dabei auch: Younes, ein libanesischer Pastor, Zygmunt, ein polnischer Handwerker, Bernhard, ein Ex-Sponti, der lange einen Verein für Jugendsozialarbeit leitete, Ulla, seine Frau, Kadmos, ein arabischer Lyriker.

In einem kaleidoskopischen Roman in zwölf Büchern (angelehnt an Goethes West-Östlichen Divan und Nezamis Leila und Madschnun) erzählt Michael Kleeberg ihre Geschichten und Geschichten um sie herum und begibt sich zu den Wurzeln ihrer Kulturen. Sein Buch spielt in Deutschland, Iran, im Libanon und im Reich der Mythen; Kleeberg verarbeitet Motive östlicher und westlicher Kultur - von der persischen Erzählung bis zu den Blogs deutscher Islamistinnen im "Islamischen Staat"; er mischt verschiedene Erzählperspektiven und Genres, Erzählung, Dialog, Essay und Parabel zu einem großen multiperspektivischen Ganzen, das den Suchbewegungen und Unsicherheiten der Gegenwart gerecht wird. Kein Buch der Gewissheiten, ein Buch der Suche. Ein literarisches Wagnis. Ein großes Buch.

"Ein ost-westlicher Divan des 21. Jahrhunderts - auf den Spuren Goethes versammelt Michael Kleeberg zwölf Geschichten mit allen Problemen und Konflikten unserer Zeit: Terrorismus, Fundamentalismus, Kampf der Kulturen. Vom Libanon und Iran bis in die hessische Provinz - am Ende steht die Vision einer humanistischen Utopie, wo Menschen trotz aller Unterschiede einander Freund sein können. Ein großer, anspruchsvoller, weltliterarischer Wurf - und er gelingt!" Joachim Scholl, Deutschlandradio Kultur

"Michael Kleeberg ist ein unendlich begabter, unverschämt maliziöser Schriftsteller, der souverän über alle Register der großen Romanorgel verfügt." Ijoma Mangold, Die Zeit

"Michael Kleeberg hat diese Bereitschaft, seine Identität zu vergessen (nicht seine Existenz oder seine Kultur). Er ist bereit, sich dem anderen anzunähern ohne fertige Kategorien." Abbas Beydoun
Autorenporträt
Kleeberg, MichaelMichael Kleeberg, geboren 1959 in Stuttgart, lebt als Schriftsteller und Übersetzer (u.a. Marcel Proust, John Dos Passos, Graham Greene, Paul Bowles) in Berlin. Sein Werk (u.a. Ein Garten im Norden, Karlmann, Vaterjahre, Der Idiot des 21. Jahrhunderts) wurde in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt. Zuletzt erhielt er den Friedrich-Hölderlin-Preis (2015) und den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung (2016). 2020 erschien sein Buch Glücksritter. Recherche über meinen Vater.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.08.2018

Shiraz im Taunus
Durchaus gemütlich: Michael Kleeberg macht seinen neuen Roman
„Der Idiot des 21. Jahrhunderts“ zu einem Update des west-östlichen Divan
VON MEIKE FESSMANN
Zu Naivität, Gutwilligkeit und Traurigkeit neigen die Bewohner des Landes, in welches die „Drei Prinz*essinnen von Serendip“ in Kleebergs zeitgemäßer Metamorphose einer bekannten, vermutlich aus Persien stammenden Sage geraten. Man nimmt sie gern als Ursprungsmythos des Begriffs „Serendipity“, des glücklichen Findens von etwas, das man gar nicht gesucht hat. Die Prinzessin und ihre beiden Brüder (in der ursprünglichen Fassung handelt es sich um drei Prinzen) kommen aus einem armen Land, in dem die Bildung hochgehalten wird. Sie landen in Deutschland, um ihr Glück zu suchen und entwickeln eine App, mit der sich Nutzer zusammenschließen können, die einen verschwundenen Menschen finden oder gemeinsam um jemanden trauern wollen. Auch gescheiterte Hoffnungen können betrauert werden. Kein Wunder, dass die App ein Erfolg wird.
Michael Kleebergs neuer Roman wird von einer großen Erkenntnissehnsucht getrieben. Wie kann man nach dem Ende der Utopien ein anständiges Leben führen? Der 1959 in Stuttgart geborene Autor, der lange in Paris gelebt hat und nun in Berlin wohnt, gehört zu einer Generation, über die es in seinem Roman heißt, sie sei die „Generation der Zuversicht“. Zwar fürchtete sie in ihrer Jugend um den Bestand der Welt, deren Vernichtung durch einen Atomkrieg unmittelbar bevorzustehen schien, über die eigene Zukunft machte sie sich jedoch wenig Gedanken. Mit den Restbeständen dieser Zuversicht stürzt sich Kleeberg nun in ein Generationen und Kulturen überspannendes Projekt, das wenigstens im Reich der Fiktion den Beweis antreten will, wie viele Möglichkeiten es gibt, ein richtiges Leben im falschen zu führen.
Anders als Botho Strauß in seinem Essay über die Figur des „Toren“ und „Idioten“, geht es bei Kleebergs „Privatperson“, wie sich das griechische „idiotes“ übersetzen lässt, nicht um den Typus des weltabgewandten Einzelgängers. Im Gegenteil. Kleebergs „Idiot des 21. Jahrhunderts“ will sich nicht vereinnahmen lassen, vergemeinschaften aber sehr wohl. In Ferdinand Tönnies’ Unterscheidung zwischen „Gemeinschaft und Gesellschaft“ stünde er auf der Seite der Gemeinschaft.
An einem langen Wochenende Ende August 2015 trifft sich eine Gruppe miteinander vertrauter Menschen und tauscht Geschichten aus. Zum Teil sind es ihre eigenen Lebensgeschichten, zum Teil Geschichten, die sie gehört haben. Nicht immer ist klar, wer erzählt, die Perspektiven wechseln wie die Stile und Tonlagen. Manches ist im Legendenton erzählt und von weither geholt, etwa die Mythen um die Gottheiten des syrischen und levantinischen Raums, mit denen Gewalt, Schuld und Rache in die Welt gekommen seien.
Anderes könnte aus einem realistischen Roman des 19. Jahrhunderts stammen, etwa die idyllischen Vignetten über Waldspaziergänge, die sich zu philosophischen Lehrgängen auswachsen oder realistische Schilderungen über die Schwierigkeiten des Heranwachsens, aber auch über die Lage in Beirut und Teheran. Essayistische Formen und lange historische Exkurse stehen neben Epitaphen, wenn fünf „Grabsteine“ für Opfer des Attentats auf Charlie Hebdo aufgereiht werden. Eine Geheimdienststory findet ebenso Eingang wie Blogs von jungen Frauen und Männern, die in den Dschihad gezogen sind.
Von Goethes „West-östlichem Divan“ übernimmt Kleeberg die Aufteilung und Namen der Kapitel, die Sage von Leilah und Madschnun bildet neben Hafis eine weitere persische Referenz. „Der Orient ist längst hier bei uns“ heißt es gleich zu Anfang. Das ist nicht alarmistisch gemeint, wie man nach der Aufregung um seine Frankfurter Poetik-Vorlesung im vergangenen Jahr meinen könnte, als Kleeberg sich als „Staatsbürger“ kritisch über muslimische Einwanderer äußerte. Hier ist der Orient eher eine Gegebenheit mit vor allem erfreulichen Aspekten. Dass in der Figurenrede ein aus Syrien vertriebener Christ, der als Hausmeister an einer Schule arbeitet, befürchtet, in einem halben Jahrhundert werde es in Europa „eine muslimische Mehrheit“ geben, muss in einem Roman möglich sein, sonst verliert die Unterscheidung zwischen Literatur und Sachtexten ihren Sinn.
Drei Paare, ungefähr im Alter des Autors, bilden das Gerüst, um das sich die Handlung rankt. Ulla und Bernhard sind beide in der Jugendarbeit tätig. Bernhard wurde erst kürzlich durch eine Intrige aus dem von ihm gegründeten Verein katapultiert. Noch weiß er nicht recht, was ihm geschehen ist, aber natürlich gibt es an diesem Wochenende Diskussionen, ob man naiv sein muss, um an „flache Hierarchien“ zu glauben. Ihr Haus steht immer offen, und so versammelt man sich im hessischen Mühlheim in der Nähe Frankfurts.
Maryam, die nach der Revolution Iran verließ und ihrer kranken Mutter wegen zurückkehrte, um schließlich ein zweites Mal zu fliehen, hat nach Jahren als alleinerziehende Mutter Hermann wiedergetroffen, der sie bei ihrem ersten Aufenthalt in Deutschland aus ihrer Einsamkeit holte. Durch ein Missverständnis war ihre Liebe zerbrochen. Der libanesische Pfarrer und Dichter Younes und seine Frau Karoline bilden das dritte Paar. Die Orientalistin aus dem Taunus hat als Studentin mehrere jener legendären Rucksack-Reisen durch den Nahen und Fernen Osten unternommen, die sich Frauen in den 1970er-Jahren allein und mit wenig Geld zutrauten.
Ernst, der Sohn von Bernhard und Ulla, sowie Maryams Sohn Navid kommen hereingeschneit, Martha, eine alte Dame, deren Sohn sich umgebracht hat, ist froh über die Fürsorglichkeit ihrer Nachbarn. Udo, Hermanns und Bernhards Jugendfreund aus ihrem pfälzischen Heimatdorf, schaut vorbei, ebenso der polnische Handwerker Zygmunt und ein in Beirut lebender Freund Younes.
Es ist idyllisch, dieses „Wochenende im Rosengarten von Taunus-Shiraz“, und es ist ganz gewiss auch ein wenig bieder, wie Michael Kleeberg seine Fantasien des erfüllten Lebens ausmalt und mit Geschichten der Gewalt konterkariert, die sich quer durch die Jahrhunderte und Hemisphären ziehen. Einmal bittet eine der Frauen, beim Erzählen nicht so blutrünstig wie die „Medien“ vorzugehen, und liefert damit eine Legitimation des gelegentlich ins Betuliche umschlagenden Erzähltons, der oft schon zu wissen scheint, wonach er zu suchen vorgibt.
Wenn von Frauen die Rede ist, die es „in die Hände von Orientalen verschlagen hatte“, dann muss man dem Autor gar nicht Sexismus oder Rassismus unterstellen. Schon die stilistische Schwerhörigkeit wirkt bei einem Schriftsteller, der gern als Stilist gepriesen wird, verstörend. Warum überlässt er sich solchen Sprachklischees, wohlgemerkt in einem Kapitel, das auktorial erzählt ist und nicht aus der Perspektive einer Figur?
Michael Kleeberg profiliert die religiöse Erfahrung gegen die Indienstnahme der Religion für politische Zwecke. Der Sufismus, die Kabbala und die christliche Mystik sind ihm allemal lieber als kirchliche Institutionen mit ihren Herrschaftsansprüchen und erst recht als die religiöse Legitimation von Gewalt. Bei aller Kenntnis über Iran und Libanon wird man diesen „Divan“ genannten Roman aber nicht lesen, um mehr über den Islam oder die arabische Welt zu erfahren. Da greift man dann doch eher zu Navid Kermani.
„Der Idiot des 21. Jahrhunderts“ ist vor allem als Generationenroman interessant, der vom Exil erzählt, um den Begriff der Heimat einzukreisen. Die geburtenstarken Jahrgänge beginnen allmählich, über ihr Rentenalter nachzudenken. Als „Generation der Zuversicht“ haben sie sich nicht allzu viele Gedanken gemacht, wie sie im Alter leben wollen und wovon. Das „Magierhaus“ in Mühlheim ist ein Vorschein jener neuen Lebensform der Alterskommunen, in denen wohngemeinschaftserfahrene Menschen in einer Mischung aus Not, Pragmatismus und jahrzehntelang geübter Utopiefreude ein neues Zuhause finden werden. Mit einer Anspielung auf Novalis führt Kleeberg seine Paare am Ende des Romans durchs Mondlicht nach Hause. Er ist kein Zyniker wie Michel Houellebecq. Statt „Unterwerfung“ findet Eingemeindung statt. „Der Idiot des 21. Jahrhunderts“ ist ein moderner Heimatroman, weniger kosmopolitisch, als man meinen könnte, und in Maßen durchaus erbaulich.
Fünf Grabsteine für Opfer
des Attentats auf „Charlie Hebdo“
werden aufgereiht
Im „Magierhaus“ steckt die
Aussicht auf die neue Lebensform
gemischter Alterskommunen
Michael Kleeberg: Der Idiot des 21. Jahrhunderts. Ein Divan. Galiani-Berlin-Verlag, Köln 2018. 464 Seiten,
19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2018

Lust und Pein, den Zwillingen gemein
Michael Kleebergs neuer Roman zieht in den Orient, mit Dostojewski im Gepäck

Werfen wir den Samowar an. Dimmen wir das Licht. Es braucht schon eine gewisse Gestimmtheit, um den hohen Ton und unverhohlenen Mythenzauber dieses wie alle großen Epen im Kern von der Liebe handelnden Romans nicht für verblasen und überorchestriert zu halten. Wer aber das Nachdenken de profundis nicht fürchtet, kann frei eintauchen in das zeitlich weit ausgreifende und zugleich äußerst heutige Ost-West-Panorama, das sich als Feier des Händereichens erweist. Weil nur so ein Ganzes entstehen kann, das mehr ist als die Summe der Teile.

Michael Kleeberg, der Virtuose der Vielstimmigkeit, führt uns vor Augen, wie die im achtzehnten Jahrhundert von den nobelsten Aufklärern hoffnungsvoll ausgemalte Idee einer kosmopolitischen, intelligenten Weltrepublik aussehen könnte und im Kleinen vielleicht tatsächlich schon aussieht. Er tut das anhand einer Gemeinschaft, die anlässlich eines Geburtstags im hessischen Arkadien (das liegt, hört hört, zwischen Offenbach und Hanau) zusammenkommt, aber ebenso stark im Nahen Osten, vor allem im Libanon und in Iran, verwurzelt ist. "Aus irgendeiner Heimat sind wir alle hierher gekommen, und Heimat ist's immer, wonach wir suchen", heißt es auf den ersten Seiten. Die eigene Zurichtung aber will man auszusetzen versuchen: "Ein Besuch in der anderen Welt sollte ohne eine Identität erfolgen."

Freunde fürs Leben sind aus den Weltenwanderern geworden, weil sie entdeckt haben, dass der Zwischenraum, der das neugierige Begegnen ermöglicht, lange vor ihnen da war, eine Insel, auf der dem gegenseitigen Vertrauen keine falsche Scham und kein tumber Stolz im Wege steht. Von der immer schon den Austausch suchenden Kultur ist hier selbstverständlich die Rede, von Philosophie, Literatur, Mythos und vor allem von der verbindenden Musik. In diesem Sinne sind die Protagonisten bei Kleeberg einander Heimat. Das offene Haus, das der Jugendsozialarbeiter Bernhard und seine Frau Ulla führen, wird zum Nukleus einer Gesellschaft im Namen des Schönen. Die vielen Erzähler und ihr unsichtbarer Meister sind sich freilich bewusst, dass sie sich einer Illusion hingeben, denn die Verhältnisse, sie sind nicht so. Der zu wenig machtbewusste Bernhard etwa wurde soeben aus seinem eigenen Jugendhilfeverein herausgemobbt. Schöngeister stehen meist ohne Rüstung da.

Hier aber existiert für einen kurzen Zeitraum keine Ablehnung, keine Lächerlichkeit, schwimmt man in der "Fruchtblase des Einvernehmens". Eine hessische Doyenne namens Martha ist zugegen, der Dichter Kadmos, zwei Söhne und ihre Freundinnen. Zygmunt, der Alles-Renovierer aus Polen, erbaut für die den ganzen Ort erhebenden Gartenopern des aus dem Libanon stammenden, mit Karoline verheirateten Pfarrers Khalil Jean Younes die Dachkonstruktion. Auch Flüchtlinge aus Syrien treffen wir an. Die stärkste, den Roman tragende Geschichte aber ist die der Liebenden Maryam und Herrmann, Bernhards Busenfreund. Die junge Musikerin und Lehrerin ist kurz nach der Revolution aus Iran nach Deutschland geflohen, wo sie, verloren und verunsichert, auf den höflichen Doktoranden traf, der eine Musikerseele besitzt wie sie selbst.

Kleeberg erzählt das Auf und Ab dieser Freundschaft detailrealistisch, zugleich aber als ins menschlich Unvollkommene abgelenkte Variation der von einer so unsterblichen wie hoffnungslosen Liebe handelnden altpersischen Erzählung "Leila und Madschnun" (die bis in Eric Claptons "Layla" fortlebt). Für beides steht ihm eine souveräne, reizvolle Sprache zur Verfügung. Die harmonische Verschaltung von Mythisch-phantastischem mit exakt abgebildeter Gegenwart - mehrfach meint man durch das lichtdurchtränkte Beirut zu wandeln -, genretechnisch ausgedrückt also von hehrer Poesie und reflektierender Essayistik (in Figurenrede) mit scharfkantiger Prosa ist das poetologische Prinzip dieses referenzprallen Wunderbuchs. Sein zentrales Thema ist die Begegnung von Orient und Okzident. Auf der konkreten Ebene sind das Geschichten vom Ein-, Aus- und Umherwandern in einer globalisierten Moderne, von Flucht, Vertreibung oder internationalen Karrieren, auf der philosophischen geht es um stimulierende Einflussnahmen, um ein Überbietungsspiel unter Gleichen, wie es schon Goethe im Sinn hatte: "Hafis, mit dir, mit dir allein / Will ich wetteifern! Lust und Pein / Sei uns, den Zwillingen, gemein!" Im Fremden findet sich das Eigene wieder, oft klarer als zuvor.

Kleeberg, das merkt man dieser kostbaren Melange aus "Tausendundeiner Nacht" und "West-östlichem Divan" auf jeder Seite an, ist jemand, der auf zahlreichen Reisen - seit fünfzehn Jahren ist der Autor im Nahen Osten unterwegs - den Orient an sich herangelassen hat, der überwältigt wurde von der Pracht und Tradition der islamisch geprägten Kultur, ohne die Augen zu verschließen vor den Disharmonien, die bis zu den schrecklichsten und dümmsten Anverwandlungen führten. Ausführlich zitiert der Autor etwa aus Blogs, mit denen IS-Kämpfer rekrutiert werden: auch eine Ost-West-Begegnung, aber ohne Verstand und Herz. Genau das Gegenteil tue not, lernen wir (mag der Autor es mit dem Götteranrufungspathos auch ein wenig übertrieben haben): Einen Fürsten Myschkin sehnt das Buch herbei, einen "Idioten" im dostojewskischen Sinne, isoliert womöglich, aber zugleich ein Heros der kindlich-naiven Sensibilität und Mitleidsfähigkeit, "unverfügbar" für alle Instrumentalisierungen. Dafür steht vor allem die Figur Herrmanns/Madschnuns ein, der sich an der orthodoxiestürzenden Mystik abarbeitet, bis kein Doktorvater mehr mitkommt. Später führt er Bernhards aufmüpfigen Sohn Ernst und dessen Freund Navid, den Sohn Maryams (was Herrmann nicht weiß), in Waldgesprächen sanft zur Philosophie zurück. Etwas Ähnliches wie dieses immer in Bewegung bleibende "nomadische Denken" praktiziert auch der Roman selbst.

In disparaten Exkursen, die manchmal nur mühsam an die Grundhandlung angebunden sind und auch einmal unterkomplex geraten (eine Reflexion über die ewige Männerangst vor der unkeuschen Frau klingt nach abgeflachtem Klaus Theweleit), erfahren wir Wissenswertes über den Islam, aber auch über die in seinem Namen in Paris, Boston oder Bangladesch Hingemetzelten, über persische Musik, über das tägliche Leben in Beirut und Teheran, über das schwierige Zurechtfinden in der deutschen Gesellschaft oder über die gar nicht in allem schiefen Gedanken von Salafisten. Es geht stets darum, aus den gegenseitigen Vorurteilen die Luft herauszulassen, das Andere aus der Anonymität zu holen und damit nicht mehr ganz so leicht anfeindbar zu machen.

Es ist also durchaus ein engagiertes Buch, das in feierlichem Ton auf das Höchste zielt, so etwa, wie sich die Tetralogie "Joseph und seine Brüder" von Kleebergs großem Stilvorbild Thomas Mann der Verdüsterung der Welt entgegenstemmte. In unseren zynischen Zeiten, in denen Humanisten als Gutmenschen diskreditiert werden, ist es wohl mutig, mit einer betont naiven Utopie zu enden, einer märchenhaften Flüchtlingsparabel, die in einen Goldregen mündet: "und am Ende sind alle reicher, als sie es sich je vorstellen konnten". Wir schaffen das? Es gibt gar nichts zu schaffen, ruft uns Michael Kleeberg zu, nur zu sehen, zu verstehen und zu lieben. Es gibt das Wir oder nichts.

OLIVER JUNGEN

Michael Kleeberg: "Der Idiot des 21. Jahrhunderts". Ein Divan.

Galiani Verlag, Berlin 2018. 464 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Für Paul Jandl will Michael Kleebergs Roman einfach zu viel. Das Wissen des Autors vom Orient kommt dabei schlecht weg und wird im Text zu "Zuckerguss-Orient", bedauert Jandl. Dass der Autor bei seinem Versuch zu einer "Enzyklopädie der migrantischen Weltlage" zwischen Gross-Frankfurt und Beirut allzu viel von Nächstenliebe und zu wenig von aktueller deutscher Gegenwart fabuliert, findet er schade. Geschichte auf Geschichte türmend, mal essayistisch, mal dadaistisch, so Jandl, verliert sich der Text in "tausendundeinem Klischee". Wenn der Autor schließlich die große Utopie der Gastfreundschaft und des Zusammenlebens ausruft, ist der Rezensent schon ermattet.

© Perlentaucher Medien GmbH
Wuchtig und elegant (...) [Ein] anrührendes, ebenso tiefsinniges wie unterhaltsames, weltsorgendes wie menschenfreundliches Kunstwerk. Erhard Schütz Der Tagesspiegel