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Die Geschichte der Stadt Czernowitz und ihrer Menschen ist die Geschichte einer einzigartigen Kulturmetropole, die zum Symbol für das lange Zeit friedliche Zusammenleben von Ukrainern, Rumänen, Polen, Ruthenen, Juden und Deutschen wurde, ehe der Zweite Weltkrieg und die Verbrechen der deutschen Besatzer die kulturelle Blüte der Stadt ein für allemal zerstörten. Zvi Yavetz läßt in seinen Erinnerungen an die 1930er und 1940er Jahre in Czernowitz eine untergegangene Welt wieder lebendig werden. In bewegenden Bildern berichtet er vom jüdischen Alltag in einer Stadt, aus der so unterschiedliche…mehr

Produktbeschreibung
Die Geschichte der Stadt Czernowitz und ihrer Menschen ist die Geschichte einer einzigartigen Kulturmetropole, die zum Symbol für das lange Zeit friedliche Zusammenleben von Ukrainern, Rumänen, Polen, Ruthenen, Juden und Deutschen wurde, ehe der Zweite Weltkrieg und die Verbrechen der deutschen Besatzer die kulturelle Blüte der Stadt ein für allemal zerstörten. Zvi Yavetz läßt in seinen Erinnerungen an die 1930er und 1940er Jahre in Czernowitz eine untergegangene Welt wieder lebendig werden. In bewegenden Bildern berichtet er vom jüdischen Alltag in einer Stadt, aus der so unterschiedliche Dichter und Gelehrte wie Paul Celan, Rose Ausländer, Erwin Chargaff oder Josef Schumpeter hervorgingen.
Autorenporträt
Zvi Yavetz, geb. 1925 in Czernowitz, ist Professor em. für Alte Geschichte an der Universität Tel Aviv, zu deren Gründungsvätern er gehört.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.12.2007

Der Schnee der Kindheitswinter ist für immer verloren
Zvi Yavetz’ „Erinnerungen an Czernowitz” werfen erfrischende Blicke auf eine längst mythisch gewordene Region
Czernowitz ist ein großer mitteleuropäischer Mythos. Es gilt als ein verlorengegangenes multikulturelles Paradies mit einem kunstsinnigen deutschjüdischen Bürgertum, als Perle der Bukowina, dem Kronland am äußersten Ende des Habsburgerreichs. In der deutschen literarischen Welt erlangte die Stadt als ferne, unbekannte Geburtsstadt Paul Celans eine oft raunend beschworene Bedeutung. Der inzwischen rapid angewachsenen Czernowitz-Nostalgie-Literatur fügt nun Zvi Yavetz ein autobiographisches Buch hinzu, das angenehm realistisch und nüchtern daherkommt. Yavetz ist 1925 in der Ziegeleigasse am Ortsrand geboren, fünf Jahre jünger als Celan, und er beschreibt die Zwischenkriegszeit, in der Czernowitz zu Rumänien gehörte. Es handelt sich also um eine ähnliche Sozialisation wie die des Lyrikers und ist daher für die sozialgeschichtlich orientierte Literaturwissenschaft von hohem Interesse. Yavetz bleibt sehr nah am konkreten Alltag, an der Familiengeschichte, und untersagt sich jeden Anflug von Pathos oder Gefühligkeit: „Czernowitz war eine Stadt voller Minderheiten, keine von ihnen war dominant, doch alle fühlten sich irgendwie benachteiligt.”
Yavetz wächst bei Mutter und Großmutter auf, der Vater hat früh Selbstmord begangen – er stammte aus einer Fabrikantenfamilie, die ihm seine Liebesheirat mit einer sozial nicht vergleichbaren Frau nicht verzieh. Die Mutter von Yavetz legt, trotz bescheidener Wohnverhältnisse, großen Wert auf eine solide bürgerliche Bildung des Sohnes. Grundschule wie Gymnasium sind Privatschulen, an denen trotz des zunehmenden Antisemitismus in Rumänien noch halbwegs überschaubare Verhältnisse herrschen.
Eindringlich schildert Yavetz das komplizierte Gefüge innerhalb der jüdischen Bevölkerungsgruppe. Die Entscheidung, ob man Jiddisch oder Deutsch spricht, ist nicht unbedingt sozial gebunden, sagt aber vieles über die jeweiligen Wertvorstellungen aus, wie auch der Streit zwischen Zionisten und Bundisten. Bei einem Familienrat geht es 1937 darum, ob man angesichts der faschistischen Bedrohung in Rumänien nach Palästina auswandern soll. Die Familie ist unter sich zerstritten – Zvi Yavetz erfährt erst im Jahr 1990 genauer, was es mit dem Selbstmord seines Vaters auf sich hatte. Der Großvater, der die Verantwortung dafür trägt, wirkt selbst in Yavetz’ sachlicher Darstellung wie eine düstere literarische Figur, und er ist es auch, der die Zeichen der Zeit nicht erkennt und glaubt, weiterhin in Czernowitz über die Runden kommen zu können.
Yavetz kritisiert diese geduckte Haltung des jüdischen Bürgertums, das fatale Sich-Fügen in die Verhältnisse anhand vieler Quellen. Vor allem die Lektüre der damaligen Czernowitzer Zeitungen ist aufschlussreich. Der Autor zeigt, dass Czernowitz durchaus keine besonders ungewöhnliche Stadt war, die Vergnügungen, die Intrigen, die Gesprächsthemen unterschieden sich kaum von vielen vergleichbaren Orten in Mittel-Osteuropa. Als Jugendlicher beginnt sich Yavetz immer mehr für den Zionismus zu interessieren, er schließt sich der Jugendbewegung „Hanoar Hazioni” an. Wie er die Jahre des Terrors überlebt, erfahren wir nicht. 1945 jedenfalls schlägt er sich nach Israel durch, er wird einer der Gründungsväter der Universität in Tel Aviv und hat einen Lehrstuhl für Alte Geschichte inne. Dieser Blick aus Israel ist für das Buch prägend: Besonders in der ersten Phase der Staatswerdung schob man dort das osteuropäische Leiden sehr stark beiseite und wollte die Juden auf keinen Fall aus der Opferperspektive beschreiben. Dennoch: Bei Yavetz gibt es zwar keinen Czernowitz-Mythos, aber eine individuelle Sehnsucht nach der Kindheit, vor allem nach dem Schnee in den Kindheitswintern, tritt deutlich hervor. Für den oft heiligen Ton in der Germanistik wirkt es erfrischend, dass Yavetz Czernowitz auch mit Fußballmannschaften in Verbindung bringt, sowie mit einem spezifischen, deftigen Humor. Er zeigt an etlichen Beispielen das Charakteristische des „Czernowitzer Deutsch”, das viele jiddische Einsprengsel hat. Sein Buch ist vor allem deshalb wohltuend, weil jegliche Verklärung fehlt – und die Trauer über diesen verschwundenen Alltag sich gleichwohl vermittelt. HELMUT BÖTTIGER
ZVI YAVETZ: Erinnerungen an Czernowitz. Wo Menschen und Bücher lebten. Verlag C.H. Beck, München 2007. 254 Seiten, 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr eingenommen zeigt sich Helmut Böttiger für Zvi Yavetz' Erinnerungen an seine Geburtsstadt Czernowitz. Besonders gefallen hat ihm der "deftige" Humor des Autors sowie der nüchterne, unsentimentale Ton, den er anschlägt, wenn er über seine Kindheit und Jugend in dieser untergegangenen Kulturmetropole berichtet, vom jüdischen Leben und von den komplizierten und oft konflikthaften Verhältnissen innerhalb der jüdischen Bevölkerung. Prägend für das Buch scheint ihm der Blick aus Israel, wohin sich Yavetz 1945 durchschlagen konnte und wo er einer der Gründungsväter der Universität in Tel Aviv wurde. Er unterstreicht, dass es bei Yavetz keinen Czernowitz-Mythos gibt, wohl aber eine "individuelle Sehnsucht nach der Kindheit".

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