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Ein Dorf, irgendwo im ehemaligen Osten, dreißig Jahre nach der Wende. Kramer, ein Bibliothekar Mitte fünfzig, ist soeben angekommen, um seine Tochter Justine zu besuchen. Seit Jahren ist das Verhältnis zwischen ihnen nicht das beste. Mit ihrem Mann hat Justine ein altes Haus gekauft, einen wunderschönen Obstgarten inklusive, wäre da nicht der abgestorbene Pflaumenbaum.Auf dem Weg zum Haus, dort, wo einmal die Bandweberei gestanden hat, lässt sich Kramer von einem alten Kauz, Rottmann, in ein Gespräch verwickeln, das ihn sogleich tief in die Dorfgeschichte hineinzieht. Rottmann klagt über alles…mehr

Produktbeschreibung
Ein Dorf, irgendwo im ehemaligen Osten, dreißig Jahre nach der Wende. Kramer, ein Bibliothekar Mitte fünfzig, ist soeben angekommen, um seine Tochter Justine zu besuchen. Seit Jahren ist das Verhältnis zwischen ihnen nicht das beste. Mit ihrem Mann hat Justine ein altes Haus gekauft, einen wunderschönen Obstgarten inklusive, wäre da nicht der abgestorbene Pflaumenbaum.Auf dem Weg zum Haus, dort, wo einmal die Bandweberei gestanden hat, lässt sich Kramer von einem alten Kauz, Rottmann, in ein Gespräch verwickeln, das ihn sogleich tief in die Dorfgeschichte hineinzieht. Rottmann klagt über alles und jeden, auch bei ihren weiteren Begegnungen, nicht selten mit Argumenten, die Kramer von den Pegida Demonstrationen zu kennen glaubt. Dennoch beginnt er sich für das Leben des Alten und das Dorf zu interessieren. Beim Zuhören merkt er, wie wenig er von seiner Tochter und sie von ihm weiß. Durch Rottmann angeregt, fängt auch er an zu erzählen ..."Mission Pflaumenbaum" ist Jens Wonnebergers bisher politischstes Buch. Es wäre freilich nicht Wonneberger, wenn die Worte nicht kostbar gewebt und von großer Poesie wären. Eine Dorfgeschichte der subtilsten Art!
Autorenporträt
Jens Wonneberger, geboren 1960, lebt in Dresden. Er studierte zunächst Bauingenieurwesen und arbeitete anschließend als Reinigungskraft und Verkäufer. Seit 1992 ist er freiberuflicher Autor und Redakteur. Diverse Stipendien, 2010 Sächsischer Literaturpreis, 2017 Werkstipendium des Deutschen Literaturfonds, 2019 Londonstipendium des Deutschen Literaturfonds. Zahlreiche Romane, Erzählungen und Sachbücher. Zuletzt erschienen im Müry Salzmann Verlag "Goetheallee" (2014), "Himmelreich" (2015) und "Sprich oder stirb" (2017).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.02.2020

Der Stammtisch ist jetzt überall
Ein Autor, der groß zu entdecken wäre: Jens Wonneberger, sein Roman „Mission Pflaumenbaum“ und die Gemüter der Provinz
In Kathrin Gerlofs Roman „Nenn mich November“, letztes Jahr bei Aufbau erschienen, wird ein verschlafenes ostdeutsches Kaff unweit von Berlin aus einer Art Koma erweckt. Erst kommen zwei Großstadtflüchtige, dann 70 Flüchtlinge. Und plötzlich wehen Deutschlandflaggen, obwohl keine Fußball-WM stattfindet: „Das Dorf rüstet sich zum Kampf. Damit hat es keine Erfahrung, denn wer tot ist, kämpft nicht. Nun aber droht Ungemach.“ Wie so ein Kampf ausschauen könnte, lässt sich an Ortschaften wie Freital ablesen oder an den Wahlergebnissen in einem idyllisch herausgeputzten Städtchen wie dem sächsischen Hirschfeld, wo es die AfD bei der Landtagswahl auf stolze 50,6 Prozent der Stimmen gebracht hat.
Es brodelt aber nicht nur in den neuen Bundesländern. Tommy Wieringa beobachtet in den so genannten abgehängten Provinzen der Niederlande ähnliche Phänomene. Sein Roman „Santa Rita“ spielt im Grenzörtchen Mariënveen. Angst vor steigender Kriminalität und Überfremdung – der übliche Gefühlsparameter der Volksseele – führt zu zunehmender Radikalisierung, die von der Politik über Jahre ignoriert und von Rechtspopulisten mit feinem Gespür für die Sollbruchstellen einer Gesellschaft geschickt befeuert wird. Am offenen Ende von Wieringas Roman dürfte entweder Kapitulation oder Aufruhr stehen, eine Katastrophe so oder so.
In vielen jüngeren Texten ist das Bemühen zu erkennen, tiefere Einblicke in die verbittert-wütenden Gemüter der Provinzler zu bekommen. Menschen, die sich magisch hingezogen fühlen zu einfachen, nostalgischen, manchmal faschistoiden Problemlösungen. Das jüngste Beispiel: Jens Wonnebergers neuer Roman „Mission Pflaumenbaum“. Darin berichtet gleich auf den ersten Seiten ein leutseliger Dörfler namens Rottmann, mürrischer Überlebender der untergegangenen DDR, wie in seinem kleinen Nest alles den Bach runtergeht. Den Dorfkrug gebe es nicht mehr, dafür finde sich der Stammtisch jetzt überall: „Es wird gemeckert und lamentiert, und jeder weiß sowieso alles besser, aber ich fürchte, irgendwann wird ihnen dieses Meckern und Motzen nicht mehr reichen, und dann wird’s hier gewaltig krachen.“
Dreißig Jahre sind seit der Wende vergangen. Kramer, Wonnebergers Held, gehörte damals zu den Skeptikern. An eine blühende Zukunft glaubte er schon nicht, als man auf der Mauer noch freiheitstrunken tanzte. Vielleicht, weil er seine Pappenheimer nur allzu gut kannte. Einig Vaterland – ein rührender Traum. Dass er Bibliothekar ist und damit von Berufs wegen mit der Bewahrung von Erinnerungen zu tun hat, macht ihn wahrscheinlich noch ein bisschen sensibler für die untergründigen Verschiebungen, die gerade für mittlere Erdbeben in der politischen Landschaft sorgen. Kramer ist einer, der am liebsten unter Büchern bliebe und gerne anonym in der Großstadt lebt. Seine Tochter hingegen hat es in die Provinz, in die vermeintliche Aufgeräumtheit eines Dorfs gezogen, zusammen mit ihrem unnahbaren Ehemann, der irgendetwas mit Digitalisierung macht. Kramer hält von dieser Stadtflucht nicht sehr viel; die väterliche Pflicht verlangt trotzdem einen Besuch.
Jens Wonneberger lässt seinen Kramer eine kleine Reise ins Unbewusste des Landes unternehmen. Gleich die erste Begegnung mit jenem schon erwähnten Rottmann, einem der Dorfbewohner, hat etwas beklemmend Geheimnisvolles. Rottmann taucht immer wieder unverhofft auf, eine Mischung aus Kassandra und Wutbürger, Stadt- und Friedhofsführer. Er geleitet einen gespenstergleich, mit seinem spitzen Vogelgesicht noch die kleinsten, übrig gebliebenen Brosamen des Verlorenen erspähend, durch eine dem Verfall anheim gegebene Welt: leer stehende Häuser, hinter deren zerbröckelnden Fassaden lauter Geschichten von Gescheiterten lauern; eine sanierte Villa, in der ein Anwalt aus dem Westen wohnt; ein Bungalow mit Reichskriegsflagge im Vorgarten. Jugendclub, Seniorentreff, Bibliothek: plattgemacht. Zukunft? Die reinste Bedrohung. „Fremde“ würden kommen, zetert das dörfliche Faktotum. „Rottmann spuckte verächtlich auf die Erde. Auf Deutsch gesagt, Hottentotten, sagte er und versprühte dabei wieder etwas Speichel. Er wisse nicht wie viele, keiner wisse das, ganz sicher aber zu viele, und das werde man wohl noch sagen dürfen.“
Kramer sähe seine Mitbürger zuweilen lieber schweigen. Weder versteht er deren tiefe Verzweiflung noch ihre wohlfeile Resignation. Seine Tochter ist ihm fast so suspekt wie die restlichen Dorfbewohner; es ist eine Spannung in dieser Beziehung, Risse, die sich durch die gemeinsame Geschichte ziehen, und eine Empfindungs-entfremdung. Die Wahrnehmung Kramers bekommt etwas Vernebeltes; der Ort selbst ist zuverlässig in ein Zwielicht getaucht. Jens Wonneberger spürt dem Zerbrochenen und Zerbrechenden auch in der Sprache subtil nach, und in der Natur. Immer wieder sind es Vögel, die er beobachtet und die ihn beobachten, die aus einer ganz anderen Welt zu stammen scheinen und wie Unheilsboten wirken oder zum Aufbruch mahnen.
Jens Wonneberger ist ein leiser, behutsamer Autor. Das gilt für seine Texte. Aber auch für sein Auftreten. Etwa alle zwei Jahre erscheint ein schmaler Roman von ihm, und alle handeln von Außenseitern, Beiseitestehern, Verlierern. Der 59-Jährige selbst, in Dresden lebend, zieht einen Beobachtungsposten im Schatten dem Rampenlicht vor. Nicht der schlechteste Ort für einen Schriftsteller, ein problematischer allerdings, wenn man Bücher an die Leserin bringen will. „Gegenüber brennt noch Licht“ heißt ein großartiger, 2008 erschienener Roman von Wonneberger, und man wünschte sich, dass zumindest ein kleiner Lichtstrahl von der anderen Seite her einmal auf ihn fiele. Und die Leser ihn so entdecken könnten.
ULRICH RÜDENAUER
Wonneberger erzählt vom
Zerbrochenen, seine Romane
handeln von Beiseitestehern
Jens Wonneberger, aufgewachsen in Ohorn, lebt in Dresden.
Foto: Christine Stark
Jens Wonneberger:
Mission Pflaumenbaum. Roman. Müry Salzmann. Salzburg, Wien 2019. 188 Seiten. 19 Euro.
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