22,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

In den zwanziger Jahren zu leben war hart - besonders für einen jungen Mann wie Atwater, dem seine nicht klar definierte Tätigkeit in einem Museum viel Zeit lässt, allen möglichen Gedanken nachzuhängen. Oder für ein Mädchen wie Lola (Atwater lernt sie auf einer der vielen Partys kennen), die Bertrand Russell liest, um sich inspirieren zu lassen. Fotheringham dagegen arbeitet hart, doch wird er den Verdacht nicht los, dass er sein Talent an eine zweifelhafte spirtualistische Zeitschrift verschwendet. Und ebenso hat Barlow, der von allen bewunderte Maler, seine Probleme: Er muss sich - nach dem…mehr

Produktbeschreibung
In den zwanziger Jahren zu leben war hart - besonders für einen jungen Mann wie Atwater, dem seine nicht klar definierte Tätigkeit in einem Museum viel Zeit lässt, allen möglichen Gedanken nachzuhängen. Oder für ein Mädchen wie Lola (Atwater lernt sie auf einer der vielen Partys kennen), die Bertrand Russell liest, um sich inspirieren zu lassen. Fotheringham dagegen arbeitet hart, doch wird er den Verdacht nicht los, dass er sein Talent an eine zweifelhafte spirtualistische Zeitschrift verschwendet. Und ebenso hat Barlow, der von allen bewunderte Maler, seine Probleme: Er muss sich - nach dem übernächsten Drink - nun wirklich entscheiden, welches Mädchen er heiraten soll. Genauso geht es auch den anderen, Brisket, Wauchop, Scheigan, aber sie alle schaffen es, dem Abgrund mit einer gewissen positiv rücksichtslosen Fröhlichkeit ins Auge zu sehen.Mit der Übersetzung seines Romandebüts "Afternoon Men" (1931), eines unverschämt komischen Porträts der Londoner Partyszene in der Zeit zwischen den Weltkriegen, setzen wir die Publikation von Anthony Powells Erzählwerk fort.Bereits erschienen: "Ein Tanz zur Musik der Zeit" (12 Bände) inkl. Hilary Spurlings Handbuch "Einladung zum Tanz" (ISBN 978-3-941184-48-0).
Autorenporträt
Anthony Powell (1905-2000) besuchte das Eton College, studierte in Oxford und heiratete eine Adlige. Er arbeitete als Verlagslektor, schrieb Drehbücher und Beiträge für britische Tageszeitungen, leitete den Literaturteil des Magazins "Punch" und war Autor zahlreicher Romane. Jene gesellschaftliche Oberschicht Großbritanniens, der er selbst angehörte, porträtierte er in seinem zwölfbändigen Romanzyklus "Ein Tanz zur Musik der Zeit". Während seine Altersgenossen und Freunde Evelyn Waugh, Graham Greene und George Orwell sich auch im deutschsprachigen Raum bis heute großer Popularität erfreuen, ist Anthony Powell hierzulande noch zu entdecken.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2021

Die ewige Wiederkehr des Alkoholkaters
Stiche, präzise wie mit der Nähmaschine gesetzt: Anthony Powells erster Roman "Die Ziellosen", nach neunzig Jahren auf Deutsch

Bevor er sich in das Abenteuer seines zwölfteiligen Romanwerkes "Ein Tanz zur Musik der Zeit" stürzte, machte der junge Anthony Powell erste Tanzschritte mit einem kleinen, in seinen Dialogen bestechend lakonischen Werk. Da war er um die fünfundzwanzig, Verlagslehrling in London, aber kannte sich aus mit der Boheme der Stadt, den Clubs und gescheiterten Existenzen, herumziehenden Künstlern und Autoren wie etwa Evelyn Waugh. Katerstimmung war ihm vertraut wie die Langeweile im Kontor. Entsprechend war die Stimmung im Roman "Die Ziellosen", der 1931 erschien. Der Originaltitel "The Afternoon Men" spielt auf eine alte Bezeichnung für Trinker, Wirrköpfe und Faulenzer an, die Robert Burton 1621 in seiner enzyklopädischen "Anatomie der Melancholie" aufführt. Verrückte sind sie für den Gelehrten, Zeitverschwender, aber sie stehen eben auch im Bannkreis der Melancholie, der Acedia, des Trübsinns, all dessen, was wir heute nur noch Depression nennen.

Tatsächlich agieren in diesem Roman die Figuren vor der Folie einer generellen Bedrückung, Unentschiedenheit und Leere. Der Erste Weltkrieg liegt etwa ein Jahrzehnt zurück, nur ein schwacher dunkler Nachschimmer ist fühlbar, aber wohin die Reise nun geht, bleibt völlig offen. Der erste Satz des Romans "Wann nimmst du es ein?" reißt den medizinischen Horizont auf, den schon der Enzyklopädist im siebzehnten Jahrhundert ständig besprach; eine Antwort bekommen wir nicht, eher viele Antworten oder besser: leere Hülsen von Antworten, dafür aber gut und knapp formuliert, kleine Stiche, die hin und her gehen wie von einer kaum kontrollierbaren Nähmaschine gesetzt und von Heinz Feldmann zielgenau übersetzt, wie schon das zwölfteilige Mammutwerk.

Das Leben der wohlsituierten Boheme könnte auch jenem Höllenkreis in Dantes Inferno entstammen, in dem die Habgierigen und Verschwender, die scheelen Kleriker, ewig Brocken gegeneinander schieben. Im Mittelpunkt, so das Buch denn einen hat, steht William Atwater, seines Zeichens zweimal erfolgloser Bewerber um einen Posten im Außenministerium. Immerhin konnte er eine Stelle als Museumsmitarbeiter ergattern, durch Beziehungen natürlich. Der junge Mann schielt leicht durch seine Hornbrille hindurch. Um ihn herum das ziellose Geflatter von Menschen, die auf der Suche nach kurzen Genüssen sind, von Unsicheren und Angebern und vor allem von Trinkern und Trinkerinnen, Alten, Jungen, Amerikanern und Briten. Dazwischen ein Deutscher, der Freiherr von Waldesch, "offensichtlich das Opfer von Zentralheizungen, denn er sah ziemlich ungesund aus".

Mit kurzen Strichen und in ihrem Nuscheln und Sticheln enthüllen sich Charaktere, die nur noch Schatten und Hülle sind. Auch T. S. Eliot sollte in dieser Zeit von ihnen sprechen und nannte sie die hohlen Menschen. In "The Hollow Men" ahnt er das Ende voraus, nicht als Knall, sondern als Wimmern. Der Knall in Powells Roman, das sei vorweggenommen, ist ein vorgetäuschter Selbstmord, der nur ein leichtes Wimmern der anderen auslöst.

Hier sind sie also, die Hohlen: Der Museumskollege von Atwater ist hauptberuflich mit seinem Gesundheitszustand beschäftigt. Vor der Tür wartet ein verrückter Querkopf, der Atwater von seinen Schriften überzeugen will. Atwaters Bekannter Pringle, ein schlechter Maler, will, nachdem er verlassen wurde, aufs Land ziehen und nie wieder eine Frau sehen. Am Ende des Buchs will er sich ertränken, bricht das Unternehmen aber ab. Ein erfolgreicherer Maler taucht auf, der nicht weiß, wen er heiraten soll, eine Lola, die Russell liest, weil der sie so "inspiriert", man trinkt in Pubs und Clubs und prostet sich bei Vernissagen zu. Und natürlich Partys, nach denen Leute am Boden liegen, Partys, die "gut" waren oder "schlecht", und man weiß danach eigentlich nicht, was diese Ausdrücke noch bedeuten. "Kommen Sie herein, es wird ein guter Abend" könnte auch übersetzt werden mit der Inschrift des Dante'schen Höllentors: "Lasst alle Hoffnung fahren!"

Komik kommt hier wie bei Dickens aus Erwartbarkeit: Der Schriftleiter einer okkulten Zeitschrift ist seit langem unzufrieden mit seinem Job und sucht einen neuen, und wann immer er auf der Bühne auftaucht, wird das zum Thema. Ebenso der Maler auf der Suche nach einer zu heiratenden Frau. Sammler und Verleger sind Glühwürmchen, die nur kurz die Langeweile der Boheme erhellen. Sie kommen aus Amerika oder sind Juden. Überhaupt werden Juden oft markiert in den Dialogen - nicht explizit antisemitisch, aber man fühlt ein gewisses Unbehagen in den Reden, ein Abwarten, was der andere wohl antworten mag.

Es geht auch um Liebe, zumindest um das, was unter dieser Währung läuft: "L'Ersatz d'amour", wie ein Roman des Franzosen Willy 1923 hieß. Die Zwischenkriegszeit entblößt ihre Frustrationen, wie sie schon in T. S. Eliots "The Waste Land" sichtbar wurden, wo es auch um schnellen und billigen Sex in den Städten ging. Dort regieren Kälte und Illusionen zwischen den Menschen wie in Fitzgeralds "Großem Gatsby". Aber Powell versteht seinen Zynismus offenzuhalten. Das Lachen bleibt nicht sentimental im Hals stecken, vielmehr zeigt seine Lakonik eine Grundeinstellung zum Leben. Sie mag britisch sein, trägt aber auch amerikanische Züge. Powell hat sich zumindest von E. E. Cummings' und Hemingways neuen Schreibweisen, die auf Telegramm und Aperçu zielen, beeinflussen lassen.

Und was liest man in diesen trinkenden Kreisen so? Vogue, Villon, "Trilby" und Marlowe - aber welchen Sinn solche Lektüre hat, außer dass sie sich sehen lassen will, erfährt man nicht. Gedanken sind beiläufig. Auch Geschichte, die restliche Welt ist beiläufig. Amerika ist vital, der blonde Deutsche hat einen Schmiss, und in Versailles schrubbt eine Mildred aus den besseren Kreisen als sechsmonatige Kur die Fußböden. "Mildred sagte, sie fühlte sich völlig verändert danach" - möglicherweise eine Erinnerung an die Methoden, mit denen der kaukasische Medizinmann G. I. Gurdjieff in Fontainebleau die Intellektuellen (wie etwa Katherine Mansfield) beharkte.

Das Buch ist in drei Teile geteilt: Montage, Perihel und Palindrom. Montiert sind die Dialoge, die Stimmen überschneiden sich, eine springt zum vorletzten Thema, die nächste verhakt sich im Nirgendwo - ein Störfeuer der Kommunikation, das an Beckett erinnert. In der Mitte, wenn im Perihel der Planet der Sonne am nächsten steht, kommt es zu einer einzigen Annäherung, die entfernt Züge von Liebe hat. Wo anders als während eines Boxkampfes? Wie die Fäuste der Kämpfer fliegen die Wortfetzen der beinahe Liebenden, die aber gleich wieder auf Abstand gehen, sie nach Amerika, er ins Museum, und die nächste Party. Und das Palindrom? Die Wiederkehr des ewig Gleichen - kein Zufall, dass jemand irgendwo den "Zarathustra" liegen hat: Irgendwo liegt immer irgendetwas und kehrt später wieder.

Am Ende also ist Anfang: Da wird die nächste Party besprochen. Als die Kleider des vermeintlich ertrunkenen Pringle von einem Retter gebracht werden, diskutiert man endlos über die Frage, wie viel man diesem Mann als Trinkgeld mitgeben sollte, zehn Shilling, fünfzehn? In solchen Streitereien werden die Hauptfragen des Buches sichtbar: Wer zahlt eigentlich die Rechnung? Wie viel ist der Mensch wert? Doch wer will sich schon damit auseinandersetzen - am Ende zählt: Werde ich zur nächsten Party eingeladen oder nicht? Atwater kommt gerne.

ELMAR SCHENKEL

Anthony Powell: "Die Ziellosen". Roman.

Aus dem Englischen von Heinz Feldmann. Elfenbein Verlag, Berlin 2020. 237 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Elmar Schenkel ist glücklich, dass dieser frühe Roman von Anthony Powell nach neunzig Jahren erstmals auf Deutsch vorliegt. Der Kritiker lässt sich vom britischen Schriftsteller in die Londoner Boheme der späten Zwanziger einführen, erlebt die Leere, vielmehr das "Hohle" jener Gestalten, zu denen ein schlechter, suizidaler Maler ebenso gehört wie ein erfolgloser Politiker oder ein Schriftleiter einer okkulten Zeitschrift. Man trifft sich auf Partys, trinkt und plaudert, gelegentlich mit verhalten antisemitischen Untertönen, resümiert Schenkel. Mit Lakonie und in knappen, präzisen Skizzen fängt Powell Figuren und Stimmung ein, lobt der Rezensent, den die montierten Dialoge und einander überblendenden Stimmen im Roman mitunter an Beckett erinnern.

© Perlentaucher Medien GmbH