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"Viele Menschen", schreibt Kurt Flasch," darunter auch einige Philosophen, stellen sich Philosophie als ruhige Weisheit oberhalb aller Parteiungen vor. Die Philosophie, meinen sie, das seien die großen, gleichbleibenden Themen: Die Wahrheit und das gute Leben, Gott und Mensch, das Einzelne und das Allgemeine." Dieses Buch lädt zu einer anderen Betrachtung ein: Es geht nicht von Begriffen oder Systemen aus, sondern zeigt die Philosophie als eine Serie von Konflikten. Kurt Flasch analysiert die gut dokumentierten, großen Kontroversen im christlichen Mittelalter, die Auseinandersetzung…mehr

Produktbeschreibung
"Viele Menschen", schreibt Kurt Flasch," darunter auch einige Philosophen, stellen sich Philosophie als ruhige Weisheit oberhalb aller Parteiungen vor. Die Philosophie, meinen sie, das seien die großen, gleichbleibenden Themen: Die Wahrheit und das gute Leben, Gott und Mensch, das Einzelne und das Allgemeine." Dieses Buch lädt zu einer anderen Betrachtung ein: Es geht nicht von Begriffen oder Systemen aus, sondern zeigt die Philosophie als eine Serie von Konflikten. Kurt Flasch analysiert die gut dokumentierten, großen Kontroversen im christlichen Mittelalter, die Auseinandersetzung Erasmus-Luther und die Streitfragen, die der friedliebende Leibniz mit John Locke und Pierre Bayle auszutragen hatte. Der Band schließt mit der Kritik Voltaires an Pascal.
Das Buch verzichtet auf die Illusionen von Vollständigkeit oder zielgerichtetem Verlauf. Es beleuchtet durch diese neue Betrachtungsweise den Geschichtsraum zwischen Augustin und Voltaire. Es illustriert den alteuropäischen Begriff von Philosophie. Es berichtet von Wendepunkten, die über die weitere Entwicklung entschieden haben. Es handelt von Wahrheitskämpfen, die die kulturellen Konflikte ihrer Zeit auf den Begriff gebracht haben. Es beweist den agonalen Charakter der Philosophie.
Autorenporträt
Kurt Flasch is one of Germany¿s most renowned scholars on the history of philosophy and medieval philosophy in particular. He has a large number of publications on medieval philosophy to his credit, some of which have attained the status of standard works. He is a member of the Roman Academy of Sciences (Accademia die Lincei), the Tuscan Academy of Sciences and Literature in Florence (La Colombaria), the Göttingen Academy of Sciences and the German Academy for Language and Literature (Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung). He was awarded the Sigmund-Freud-Prize for Scientific Prose in 2000, the Hannah-Arendt-Prize in 2009, the Lessing Prize for Criticism in 2010, the Tractatus-Prize and, most recently, the Joseph-Breitbach-Prize. "Germany¿ s most brilliant philosophy historian." DIE WELT
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008

Wer denkt, streitet
Kurt Flaschs Kampf / Von Manfred Gerwing

Professoren, die sich einig sind, gibt es nicht, außer bei einer Verschwörung." Der Satz, geschrieben vor fast fünfhundert Jahren, stammt von Erasmus von Rotterdam. Kurt Flasch, emeritierter Professor für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum, unterstreicht diesen Satz nicht nur. Er macht eine Philosophie daraus. Philosophie, so erfahren wir, sei nicht das ruhige Streben nach Wahrheit oder Weisheit "oberhalb aller Parteiungen", sondern sei Zank und Streit, intellektueller Konflikt mit aller Polemik.

Und der Autor versucht den Beweis für seine These zu liefern. Er geht exemplarisch und quellenorientiert den großen Kontroversen der europäischen Philosophie nach: von Augustinus bis Voltaire. Dabei konzentriert er sich auf das christliche Mittelalter, das für Flasch nicht irgendwann im sechzehnten Jahrhundert endet, sondern sich erst allmählich gegen Ende des achtzehnten Säkulums verläuft.

Zunächst wird Einblick gewährt in den Konflikt zwischen Augustinus von Hippo und Julian von Aeclanum: ein geradezu atemberaubender Auftakt philosophisch-theologischer Kontroverse. Wer aber kennt heute noch Julian? Einige Spezialisten vielleicht. Jedenfalls findet sich im neuen Brockhaus kein Eintrag, wohl aber ein längerer über Königin Juliane. Flasch fragt: Warum ist das so? Was sagt der fehlende Eintrag im Brockhaus über unsere Gegenwart aus?

Dann blickt Flasch auf die geistigen Auseinandersetzungen zurück, die zu Beginn des werdenden Europas tobten: auf Alkuins Politische Theologie, auf die Abgrenzungs- und Profilierungspolitik Karls des Großen gegenüber Byzanz und auf den Kampf Gottschalks gegen den Rest der Welt. Auch auf Johannes Eriugena wird eingegangen, der die Verurteilung Gottschalks begrüßte und selbst eine Art negativer Theologie vertrat.

Zweihundert Jahre später ein neuer Konflikt: Berengar von Tours gegen Lanfrank von Bec. Jetzt geht es um das rechte Verständnis dessen, was Jesus beim Letzten Abendmahl sagte und jeder Priester in der heiligen Messe wiederholt: "Dies ist mein Leib" und "Dies ist mein Blut". Wie sind diese Sätze zu verstehen? Was wird hier mit dem Wort "ist" ausgesagt? Flasch sympathisiert mit Berengar und übersieht die spirituelle Kraft des Arguments bei Lanfrank: "Wandlung" der Substanz korrespondiert mit innerer "Umkehr". Die machtpolitisch ausgerichtete Entlarvungstheorie, die Flasch hier anwendet, geht jedenfalls weit an der Sache vorbei.

Lanfrank war Prior der Mönche in Le Bec, Nordfrankreich. Auch Anselm von Canterbury, von vielen "Vater der Scholastik" genannt, lebte hier. In Le Bec entwickelte er seinen später so genannten "ontologischen Gottesbeweis", auf den noch Kant und Hegel zu sprechen kommen: Kant ablehnend, Hegel durchaus zustimmend. Die Gegenargumente aber entstanden nicht erst Jahrhunderte später. Sie kamen, wie Flasch zeigt, bereits von den Zeitgenossen Anselms selbst. Ja, sie erhoben sich aus dem Kreis der eigenen Mitbrüder, messerscharf artikuliert von einem Mönch namens Gaunilo. Und bemerkenswert: Anselm besteht darauf, dass die von Gaunilo vorgetragenen Argumente stets zusammen mit seinem Traktat zu veröffentlichen seien.

Weitere philosophisch-theologische Konflikte werden dargestellt: der zwischen Manegold von Lautenbach und Wolfhelm von Köln, zwischen Abälard und Bernhard von Clairvaux, zwischen Averroes und Al-Gazali, zwischen Albertus Magnus und Averroes und zwischen den Politiktheorien eines Thomas von Aquin, Dante und Marsilius von Padua. Alle hatten ihre Gegner, alle betrieben sie Philosophie in bestimmter Absicht und zu einem bestimmten Nutzen: Lutterell und Ockham, Meister Eckhart und seine Gegner, Nikolaus von Kues und Johannes Wenck, Erasmus und Luther, Francesco Patrizi und die Peripatetiker, Leibniz und John Locke, Pierre Bayle, Voltaire und Pascal.

Die Fülle des von Flasch Gebotenen ist beeindruckend. Sie wird spannend wie geistvoll serviert. Es macht Vergnügen, Flasch zu lesen, auch dann, wenn man seine Interpretation nicht teilt. Er ist stets anregend, selbst wenn man vieles anderswo so oder so ähnlich schon einmal bei ihm gelesen hat. Wer etwa die 1987 erschienene "Einführung in die Philosophie des Mittelalters" kennt, wird manches Déjà-vu-Erlebnis haben.

Und die Frage bleibt zuletzt, ob Philosophie tatsächlich als der intellektuelle Versuch gelten muss, sich im Leben zu orientieren, wie Flasch schreibt, und mit anderen "darüber in Streit" zu geraten? Man versucht sich vorzustellen, was Sokrates dazu gesagt hätte.

Kurt Flasch: "Kampfplätze der Philosophie". Große Kontroversen von Augustin bis Voltaire. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2008. 362 S., br., 34,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008

Ein Bischof war’s, im Handgemenge
Was für Wortschlachten, was für Energien der Ideenpolitik: Kurt Flasch erkundet in glänzender Weise die großen philosophischen Kontroversen von Augustinus bis Voltaire. Es ist ein Buch für alle, die des ewigen geistigen Sommerlochs und der kleinen Streitereien des Kulturbetriebs überdrüssig sind Von Stephan Schlak
Für Polemik hat der ordentliche Wissenschaftler in aller Regel keinen Platz. Wenig scheint diese leidenschaftliche Gattung mit dem moderaten und akademisch disziplinierten Gespräch der Jetztzeit zu verbinden. In der Tat ist sie ein schmutziges Geschäft, voller unlauterer Tricks und persönlicher Nickligkeiten – weit entfernt von der unaufgeregten Suche der Kenner nach dem besseren Sachargument. Und doch waren es immer geistige Kontroversen, in denen sich die Umschwünge der Geschichte in besonders kristalliner Form spiegelten. Wer diese Wendepunkte verstehen möchte, darf sich nicht allein in die Systeme und Theoriekathedralen verkriechen. Der Ideenhistoriker Kurt Flasch, selbst ein feuriger Geist und begnadeter Polemiker, setzt nun für das Mittelalter zur historischen Ehrenrettung der Polemik an.
Für Flasch ist das Mittelalter eine Kampfzone. Um die „Untergrundspannungen” auf den Begriff zu bringen, sucht er ihre großen Kontroversen und „Wortschlachten” auf. Ein gewaltiges Pensum hat er sich vorgenommen. In zwanzig Duellpartien durchmisst er über tausend Jahre Streitgeschichte, vom frühen Mittelalter bis an die Schwelle der Moderne, vom Kirchenvater Augustin bis zum Aufklärer Voltaire. „Zwei Bischöfe schlagen aufeinander ein” – den Auftakt setzt er um 400 mit Augustin und seinem vergessenen Kontrahenten, dem Bischof Julian von Aeclanum. Worum ging es? Es war ein erster Aufstand gegen die Autorität Augustins, den strafenden Gott und das Dogma der Erbsünde. Dagegen verteidigte Julian in einem für das vierte Jahrhundert kühnen Akt die Freiheit zur eigenen Willensentscheidung. Auch wenn Julian, der einsame Bischof ohne Truppen, für seine „ketzerischen” Ansichten mit Exil, Ächtung und dem Vergessen der Nachwelt gestraft wurde – einmal in die Welt gesetzt, konnte seine Alternative zu Augustins Dogma nicht mehr kassiert werden. Schon in dieser Kontroverse um „Natur oder Gnade” waren alle späteren Schlachten vorgezeichnet. Noch die Schlachten der Reformation zwischen Erasmus und Luther um „Menschenwürde oder Allmachtstheologie” oder der Streit zwischen Pascal und Voltaire um die „vernünftige” Wahrheit der christlichen Religion bewegten sich in den alten Bahnen. Lange lag Augustins Schatten über dem Mittelalter. „Die intellektuelle Geschichte Europas war die geduldige und leidvolle Arbeit, die antike Idee von Verantwortlichkeit und Freiheit, die Augustin verdrängt hatte, zurückzugewinnen.”
In beeindruckender Gelehrsamkeit entfaltet Flasch seine Philosophiegeschichte. Aber man darf sich diesem Buch ganz ohne Schwellenangst nähern. Auch wenn er so verwinkelten Geschichten wie dem Streit um das Abendmahl, rivalisierenden Aristoteles-Lektüren im Mittelalter oder letzten Gottesbeweisen nachspürt, versteht Flasch es, die ideenpolitischen Konfliktlinien anschaulich nachzustellen. Das ist eine enorme erzählerische Leistung, handelt das Buch doch nicht vom populär verkitschten Mittelalter-Bild unserer Tage, sondern von Mönchen, Gelehrten und kniffligen theologischen Problemen.
Mit wenigen Strichen bekommen die großen Kontrahenten Anselm, Abaelard, Ockham oder Nikolaus von Kues sofort Kontur. Dieser Professor hat Lust am Fabulieren. Mit atmosphärisch dichten, farbigen Schilderungen saugt er den Leser regelrecht in die Kapitel hinein. Knallige Überschriften („Ost oder West”, „Schulwissen oder Kritik”, „Skepsis oder Optimismus”) spornen die Neugierde an. Man liest die Kapitel mit gespanntem Atem wie einen philosophischen Fortsetzungsroman.
Dabei nimmt der Mainzer Gelehrte sich selbst zurück. Ein heller, skeptisch abwägender Geist durchweht sein Buch. Flasch inszeniert die Argumente im Schlagabtausch, ohne selbst vorschnell Partei zu ergreifen. Weder versucht er die theologische Festung des Mittelalters unbedingt zu halten, noch stürzt er sich vorschnell in die Arme der Aufklärung. Wenn ihm etwas imponiert, dann ist es die Konsequenz und Unerbittlichkeit, mit der ein Gedanke verfochten wurde. Ihr versucht er gerecht zu werden.
In diesem Sinne scheint Flasch dem Einzelgänger und großen Neuerer der mittelalterlichen Philosophie Abaelard nachzueifern, der im 12. Jahrhundert den Freiraum der Forschung gegen die überlieferten Lehrmeinungen erst einmal erkämpft hat. Für Abaelard war Wissenschaft nicht die „meditative Aneignung” autoritärer Wahrheiten, sondern ein offenes Spiel, das durch Zweifel, Debatten und Kontroversen ständig neu zu befeuern sei. Flasch widmet diesem Kampf gegen die „Traditionalisten” ein eigenes Kapitel. Aber jede der zwanzig „Denkszenen” wird unter seiner Dramaturgie zu einem philosophischen Kabinettstück. Diesem Buch kommt sehr zugute, dass dem temperamentvollen und feuilletonistisch erprobten Autor das polemische Handgemenge nicht fremd ist. Flasch kennt alle schmutzigen intellektuellen Tricks. Er weiß, dass sich das riskante umstürzlerische Argument mit Vorliebe in den Tarnmantel der Autorität kleidet. „Man stürzte Welten ein, sagte aber, man wolle nur zu den Quellen oder man stelle das Ursprüngliche wieder her.”
Ein halbes Jahrtausend nach Julians Attacke war Augustins Autorität in einer neuen gnadenlosen Kontroverse zum wiederholten Male ein Kampfplatz. Wieder lieferte das Arsenal des Schreckenstheologen die Waffen – nur diesmal unter historisch umgekehrten Vorzeichen. Was im vierten Jahrhundert das unbedingte Dogma war – die „Gnade” des strafenden Gottes – war im Karolingischen Reich weitgehend dem Vergessen anheimgefallen. Das theologische Gespräch hatte sich entspannt. Anstatt der einen Autorität zu folgen, wurden Kategorien gelehrt, mit denen der Wissbegierige sich die heiligen Texte erschließen konnte. Heil und Sünde standen nicht mehr allein in der Allmacht Gottes, sondern wurden in die Verantwortung des Einzelnen gelegt. Die stolzen Wiederaufbauleistungen des Karolingischen Reiches gründeten sich nicht zuletzt auf den Energien, die diese Ermächtigung des Menschen freisetzte.
Als dagegen Gottschalk, ein Mönch aus Sachsen, im „Prädestinationsstreit des 9. Jahrhunderts” an Augustins dunkles Fatum erinnerte, dass die Menschen nach „Gottes unerforschlichem Ratschluss” entweder dem Himmel oder der Hölle zugeschlagen werden, traf er auf schärfsten Widerstand. Wenn das gelte, wäre ja alles irdische Streben sinnlos. Ein Angriff auf die karolingische Kultur: Gottschalk wurde vor die Mainzer Synode geladen und vor den versammelten Bischöfen öffentlich ausgepeitscht.
„Alle gegen Gottschalk” – außer Kurt Flasch, der dem einsamen Mönch für seinen Scharfsinn und tollkühnen Mut, aber auch für seine philologische Entdeckerfreude den Respekt nicht versagt. Flasch führt eine dramatisch bewegte Zeit lebhaft vor Augen, in der der Besitz von bestimmten Büchern oder Schriften unter Todesstrafe verboten war. Alle diese Kontroversen wurden mit hohem existentiellem Einsatz ausgefochten; sie sind für ihre Zeit revolutionäre Umbrüche der Denkungsweise. Sie fanden nicht in abgeschiedenen Klostergärten statt, sondern im „Zentrum der Macht”. Man hüte sich, bei diesen großen geistigen Kontroversen an die Aufgeregtheiten des heutigen Kulturbetriebes zu denken.
In einem kleinen Nachwort weist Flasch seiner kontroversen Philosophiegeschichte selbst den Platz zu. Er stellt seine Kampfplätze in die aristotelische Linie der Topik. Es ist diese alteuropäische Form des „Platz-Denkens”, die Flasch in seinem Buch polemisch neu in Stellung zu bringen versucht gegen die reine Systematik und theoretische Begriffsklauberei. Der „Platz-Theoretiker” sucht nicht den platonischen Ideenhimmel ab, sondern denkt vom geschichtlichen Boden her, aus konkreten Situationen, Umständen und Konstellationen. Flaschs Kampfplätze sind so auch eine Frucht des Aristotelismus, der auf arabischen Umwegen verspätet wieder in die westlich europäische Hochkultur eingespeist wurde. Aber Flasch verschweigt nicht den Verfall und das Erkalten der alten Argumentationskunst: Wie aus Kampfplätzen Gemeinplätze wurden. „So wurde der ‚Platz‘ zu einem Raum, zu dem man Vorgegebenes hinbringen konnte; er diente der pädagogisch übersichtlichen Systematisierung, schließlich der Katalogisierung”.
Was hier auf den letzten Seiten in düsteren Worten aufscheint, ist das bürokratische Elend der systematisch ausgenüchterten modernen Philosophie. In all seinen Schriften hat Flasch gegen die erkenntnistheoretische Hybris seines Faches angeschrieben. „Philosophie hat Geschichte” – ist sein kämpferisches Petitum. Heute sehen wir überdeutlich, dass der szientistische Glauben der Nachkriegszeit an Systeme und Strukturen selbst historisch geworden ist. Die akademische Philosophie unserer Tage hat für die Austreibung der Zeit und die Abkoppelung von der rhetorischen Tradition des „Platz-Denkens” einen teuren Preis bezahlt: Sie hat ihren kontroversen Charakter verloren.
Aus Mainz erwächst dem analytisch um sich selbst kreisenden philosophischen Seminarbetrieb seit Jahren eine Gegenmacht. Erst im letzten Herbst hatte Flasch eine dickleibige Monographie über den verkannten Naturforscher Dietrich von Freiberg vorgelegt. Und nun entfaltet er souverän und mit leichter Hand eine Philosophiegeschichte in Kontroversen. Dabei stört es gar nicht, dass der Leser bisweilen auf altbekannte Figuren und Zitate aus dem Flasch-Kosmos stößt. Was Flasch anhand des Aachener Münsters über die „Kunst der Nachahmung” im Karolingischen Reich schreibt, scheint auch für diesen Autor zu gelten: „In bestimmten historischen Konstellationen ist die Reprise so groß wie das Original.”
Beeindruckt schauen wir auf die Arbeitsenergie und intellektuelle Unruhe des auf die Achtzig zugehenden Gelehrten. Heute, wo halbseidene Ratgeber über unsere kleinen multiplen Identitätsnöte die Charts stürmen, wünscht man als Gegengift Flaschs philosophischer Reise ins Mittelalter viele Leser. In einer seiner reizenden kleinen Abschweifungen hat er ein kokettes „Lob des mittelmäßigen Autors” angestimmt, in dem sich oft mehr von der zeitgenössischen Stimmung aufgehoben finde als im abgehobenen Klassiker. Das mag so sein. Aber trotzdem glauben wir hier widersprechen zu müssen. Wir dürfen dem außerordentlichen Autor Kurt Flasch für seine polemische Philosophie ein großes Lob nicht ersparen.
Kurt Flasch
Kampfplätze der Philosophie Große Kontroversen von Augustin bis Voltaire. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt/Main 2008. 353 S., 34 Euro.
Gestritten wurde mit höchstem existentiellen Einsatz
Manchmal ist die Reprise so groß wie das Original
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Uwe Justus Wenzel weiß, was er an Kurt Flaschs neuem Buch über "große Kontroversen von Augustin bis Voltaire" hat. Er schätzt den Autor als vorzüglichen Kenner der mittelalterlichen Philosophie, der es verstehe, schwierige Gedanken, ihre Herkunft und ihren lebensweltlichen Kontext anschaulich darzustellen. So auch im vorliegenden Werk. Wenzel geht vor allem auf methodische Aspekte des Buchs ein. Er unterstreicht Flaschs Kritik an der problemgeschichtlichen Methode, konstatiert aber auch, dass die Methode des Autors nicht so ganz deutlich wird. Auf Flaschs "Kampfplätzen der Philosophie" sieht er weniger Probleme aufeinanderprallen und auch nicht Autoren, Philosophen und Theologen, sondern Texte, die sich polemisch aufeinander beziehen. Insgesamt würdigt er das Buch als "aufschlussreich und stets anregend", auch wenn auf den nachmittelalterlichen Schauplätzen der Erzählfluss am Ende zu seinem Bedauern "fazitlos" versickert.

© Perlentaucher Medien GmbH