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Chimbote an der peruanischen Pazifikküste. Rasend hat sich die Stadt in den 60er Jahren vom Dorf zum Zentrum der Fischmehlindustrie entwickelt: ein Moloch aus Hafenkneipen, Bordellen und Slums, in denen ausgebeutete indigene Arbeiter aus den Bergen hausen. Das Großstadtleben und die gefährdete Natur beschreibt Arguedas in Bildern des Zerfalls: Möwen und Hunde streiten um Abfälle eines leergefischten Meers, im flackernden Stimmengewirr spricht jeder für sich allein.Krisenerfahrung und Zerfall greifen auch auf den Roman selbst über, Tagebuchnotizen des Autors unterbrechen die Handlung. In ihnen…mehr

Produktbeschreibung
Chimbote an der peruanischen Pazifikküste. Rasend hat sich die Stadt in den 60er Jahren vom Dorf zum Zentrum der Fischmehlindustrie entwickelt: ein Moloch aus Hafenkneipen, Bordellen und Slums, in denen ausgebeutete indigene Arbeiter aus den Bergen hausen. Das Großstadtleben und die gefährdete Natur beschreibt Arguedas in Bildern des Zerfalls: Möwen und Hunde streiten um Abfälle eines leergefischten Meers, im flackernden Stimmengewirr spricht jeder für sich allein.Krisenerfahrung und Zerfall greifen auch auf den Roman selbst über, Tagebuchnotizen des Autors unterbrechen die Handlung. In ihnen versucht Arguedas festzuhalten, was er liebt und was zu verschwinden droht: die Natur der Anden, deren Schönheit er funkelnde Miniaturen widmet, und die indigene Kultur Perus, verdrängt durch die kapitalistische Moderne. Arguedas ringt mit dem Roman, beobachtet seine eigene psychische Zerrüttung, hegt Suizidgedanken. Schreiben wird zur Überlebensstrategie - bis der Abschiedsbrief des Autors dem Text ein Ende setzt.Arguedas' letztes Buch ist das bewegende Dokument dieses existenziellen Scheiterns und zugleich der große peruanische Roman des 20. Jahrhunderts. Die beispiellose hybride Sprache des Originals hat Matthias Strobel auf kongeniale Weise ins Deutsche übertragen.
Autorenporträt
José María Arguedas, geboren 1911 in Andahuaylas (Peru), gehört zu den großen Vergessenen der lateinamerikanischen Boom-Literatur. Er war Ethnologe und der prominenteste Vertreter des literarischen Indigenismus. In Romanen wie »Die tiefen Flüsse« (1957), die ihn zu einem bekannten Autor machten, versuchte er die indigene Tradition Perus mit der dominanten westlich geprägten Kultur zu versöhnen. 1966 übersetzte Arguedas als Erster das berühmte Huarochirí-Manuskript aus dem Quechua ins Spanische. In dieser Sammlung andiner Mythen entdeckte er auch die beiden Füchse, die für die beiden peruanischen Landschaften (das Gebirge der Hochanden sowie die teils fast tropische Küstenregion) stehen und seinem letzten Roman den Titel geben. In »Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten« rechnet Arguedas zudem mit lateinamerikanischen Berufsschriftstellern wie Julio Cortázar ab, der ihn als Provinzautor diffamiert hatte. Im Dezember 1969 nahm sich Arguedas das Leben, der Roman blieb unvollendet. Matthias Strobel, geboren 1967, studierte Germanistik, Geschichte und Hispanistik in Tübingen, Leeds, Madrid und Hamburg. Er ist Übersetzer aus dem Spanischen und Englischen, unter anderem von Alfredo Bryce Echenique, Alberto Barrera Tyszka, César Aira, Guillermo Arriaga und Peter Heller. 2014 erhielt er den Europäischen Übersetzerpreis Offenburg (Förderpreis), 2017 stand er auf der Shortlist zum Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2019

Zwei Füchse, Peru und der Untergang einer Kultur
José María Arguedas letzter Roman

Als sich José María Arguedas am 27. November 1969 eine Kugel in den Kopf jagte, war sein Tod damit noch nicht besiegelt. Fünf Tage kämpfte er zwischen Leben und Tod, bevor er am 2. Dezember starb. Jahre zuvor hatte Arguedas über Selbstmord nachgedacht und vor allem auch über dieses Leben in unmittelbarer Nähe zum Tode geschrieben. Davon zeugt das Tagebuch, das den ersten Teil seines letzten Romans "Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten" bildet.

In der deutschsprachigen Literatur gilt Wolfgang Herrndorfs digitales Tagebuch "Arbeit und Struktur" als die eindringlichste literarische Arbeit dieser Art. Im spanischsprachigen Raum sind es die Aufzeichnungen des Peruaners José María Arguedas. Sein letzter Roman geht allerdings nicht vollständig in diesen Aufzeichnungen auf. Vielmehr wird er eng geführt mit der Erzählung vom Fischereistädtchen Chimbote, das unter der aufstrebenden Fischindustrie einen gewaltigen Strukturwandel erlebt.

In der lateinamerikanischen Literatur gilt Arguedas als der Autor, der sich wie kein zweiter mit der Kultur der indigenen Quechuas auseinandergesetzt hat. Im Hauptberuf Ethnologe, verdankt die Wissenschaft ihm zahlreiche Aufschlüsse und Dokumentenfunde über die Kulturen, Rituale und Lebensgewohnheiten vor der Ankunft der spanischen Eroberer.

Aus heutiger Sicht würde man Arguedas als einen Literaten des Hybrids bezeichnen. Ihn faszinierte die Kultur der Quechua, er schrieb aber über die Überlagerung und Verschränkung der indigenen mit der westeuropäischen Kultur, welche Länder wie Peru bis in unsere Gegenwart prägt. "Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten" bildet ein eindrückliches Beispiel für diese Arbeitsweise. Der Roman basiert auf einem Mythos der Quechua, der in den Dokumenten des Predigers Francisco de Ávila überliefert wurde. Der Missionar hatte im Übergang zum 17. Jahrhundert die mündlichen Geschichten der indigenen Bevölkerung verschriftlicht, um sie auf diesem Wissen erfolgreicher zum christlichen Glauben bekehren zu können. Arguedas selbst hat den betreffenden Mythos als Erster ins Spanische übersetzt.

Die Geschichte erzählt von zwei Füchsen, höhere, weissagende Wesen, die über zwei Länder herrschen. Das eine oben, das andere unten. Über das eigene Land wissen sie alles, über das des anderen nichts. Und treffen sie sich immer wieder zum Gespräch, um ihr Wissen auszutauschen. Huarichiri, ein junger Quechua, belauscht sie dabei, indem er sich schlafend stellt, und spielt danach sein gewonnenes Wissen erfolgreich aus. Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten, das ist das Bild für das Land Peru, das sich einerseits über die Hochebene erstreckt, während es sich andererseits an den Pazifik schmiegt. In der Höhe bereitet sich der tagebuchschreibende Autor auf seinen Tod vor, direkt am Meer erlebt und erleidet Chimbote seinen ökonomisch getriebenen Kulturwandel. Für Arguedas strukturiert die Vorstellung des getrennten Oben und Unten aber auch den eigenen Körper: Die Geistes- und Verstandeskräfte oben, die Sexualtriebe unten. Auch sie wissen nichts vom Land des anderen und müssen miteinander ins Gespräch kommen.

Damit nicht genug. Arguedas ordnet auch die Geschlechtertrennung in dieses Muster ein, und zwar in Anspielung auf die vulgäre Metaphorik von Zorro (Fuchs) und Zorra (Füchsin) als geläufige Metapher für das weibliche Geschlecht wie für Prostituierte. Das ist der Ausgangspunkt für die vielfältigen Hybridbildungen und Überlagerungen dieses Romans, für den Reigen aus Bordell-Besuchen und hochintellektuellen Schriftstellergesprächen ebenso wie die Erzählung vom Niedergang des eigenen Lebens und des kulturellen Umbruchs Perus.

Vor exakt fünfzig Jahren lag Arguedas im Reich zwischen Leben und Tod. Mit "Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten", der in einer feinen Übersetzung von Matthias Strobel jetzt erstmals auf Deutsch vorliegt, hat er ein ebenso erstaunliches wie erschütterndes Testament hinterlassen.

CHRISTIAN METZ

José María Arguedas: "Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten". Roman.

Aus dem peruanischen Spanisch von Matthias Strobel. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019. 320 S., br., 25,- [Euro].

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