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"Danke für die Angst und Unsicherheit, für verlorene, erloschene Träume, für den Schrecken und die Kriege", heißt es in einer Todesanzeige, die Gegner Milos? evic´' in der Belgrader Zeitung Politika aufsetzten. Wird nach seinem Tod Vergangenheitsbewältigung endlich möglich? Serbische und deutsche Autoren beschreiben, durchaus kontrovers, die Gründe für die politische Erosion des Landes und die Chancen für eine demokratische Annäherung an Europa. Jens Becker, geboren 1964, ist Sozialwissenschaftler an der Johann Wolfgang Goethe- Universität Frankfurt am Main; Achim Engelberg, geboren 1965, arbeitet als Publizist und Filmautor in Berlin.…mehr

Produktbeschreibung
"Danke für die Angst und Unsicherheit, für verlorene, erloschene Träume, für den Schrecken und die Kriege", heißt es in einer Todesanzeige, die Gegner Milos? evic´' in der Belgrader Zeitung Politika aufsetzten. Wird nach seinem Tod Vergangenheitsbewältigung endlich möglich? Serbische und deutsche Autoren beschreiben, durchaus kontrovers, die Gründe für die politische Erosion des Landes und die Chancen für eine demokratische Annäherung an Europa. Jens Becker, geboren 1964, ist Sozialwissenschaftler an der Johann Wolfgang Goethe- Universität Frankfurt am Main; Achim Engelberg, geboren 1965, arbeitet als Publizist und Filmautor in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2008

Flugzeugmotor im Pferdegespann
Serbiens jüngste Entwicklung und die Schuld des Westens

Selbst einige Jahre einer stabilen demokratischen Entwicklung werden nicht genügen, um einen serbischen Nationalismus zu überwinden, den die liberale Belgrader Historikerin Latinka Perovic als "Surrogat einer ausbleibenden Modernisierung" bezeichnet. Nationale Expansion, so Frau Perovic, habe in der serbischen Geschichte stets vor gesellschaftlicher Konsolidierung gestanden - mit der Folge, dass die erste Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems im Jahr 1903 in einem ökonomisch rückständigen und sozial erstarrten Land "dem Einbau eines Flugzeugmotors in ein Pferdegespann" geähnelt habe.

Diese Formulierung findet sich in dem Sammelband "Serbien nach den Kriegen", in dem außer Frau Perovic mehr als ein Dutzend weitere durchweg kenntnisreiche Autoren die jüngste Entwicklung eines Staates beschreiben, der in den vergangenen beiden Dekaden vor allem als Krisenexporteur in Erscheinung getreten ist. Die lückenhafte Modernisierung der serbischen Gesellschaft ist ein roter Faden, der sich durch alle Texte zieht. Besonders aufschlussreich ist der Beitrag des Belgrader Publizisten Aleksa Djilas. Djilas ist ein Sohn des 1995 gestorbenen einstigen Kommunistenführers Milovan Djilas, der zunächst ein enger Weggefährte Titos war, später aber als berühmtester Dissident in dessen Diktatur Bücher schrieb, die bis heute nicht nur in der Jugoslawien-Literatur oft zitiert werden.

Sein Sohn konstatiert nun, auch in der Erinnerung an den Lebensweg des Vaters, dass der Westen schon deshalb eine Mitschuld am Zerfall Jugoslawiens trage, weil der westliche Block Titos Staat zu lange unterstützt habe. Schließlich sei die jugoslawische Diktatur für den Westen "ein Geschenk des Himmels" gewesen: "Hätte es 1948 den jugoslawischen Widerstand gegen Stalin nicht gegeben, wären sowjetische Divisionen in die Kasernen jugoslawischer Städte gelangt, sowjetische Flugzeuge wären auf unseren Flughäfen gelandet, man hätte Raketen von unserem Territorium gegen Italien und weitere Ziele gerichtet . . . Der Westen war bereit, nahezu jeden Preis zu zahlen - einschließlich jenes moralischen, der in der Unterstützung von Titos Diktatur bestand -, um Jugoslawien als Bollwerk gegen einen sowjetischen Durchbruch zum Mittelmeer zu erhalten." Djilas verdeutlicht das am Schicksal seines Vaters, der nach seinen Haftentlassungen wie andere jugoslawische Dissidenten von westlichen Diplomaten ignoriert worden sei. Die Botschafter seien sogar angewiesen worden, Orte zu meiden, wo sie ihn hätten treffen könnten. Ausländische Politiker hätten nur mit ihm zu verkehren gewagt, solange sie in ihren Heimatländern in der Opposition gewesen seien. Erst mit dem Ende des Kalten Krieges habe sich das geändert: "Amerika und Westeuropa brauchten keine Diktatoren oder autoritären Herrscher in Europa mehr; sie konnten auf die griechischen Obristen, auf Franco und Salazar verzichten." Und eben auch auf einen neuen Tito, als der im Westen zu gelten Slobodan Milosevic anfangs wohl noch gehofft hatte.

Das sind keine neuen Erkenntnisse, aber Djilas verbindet die Folgen direkt mit dem blutigen Zerfall Jugoslawiens: "Ist es nicht ein trauriges Paradox, dass sich die Vertreter des Westens erst seit 1987 regelmäßig mit der serbischen demokratischen Opposition getroffen haben, nachdem Slobodan Milosevic der unantastbare Führer Serbiens geworden war? Hätten sie die demokratischen Kräfte Serbiens früher unterstützt, wäre Milosevic wahrscheinlich gar nicht an die Macht gekommen." Ist dies noch eine kühne These, über die zu streiten lohnte, so sind Djilas' übrige Einschätzungen mitunter etwas wundersam. Er spricht von dem Programm einer "ethnischen Säuberung" Kroatiens von der serbischen Minderheit, die bei den Kroaten breite Unterstützung genossen habe. Nun bleibt der Exodus der Serben aus der Krajina unbestritten eine üble Episode der europäischen Nachkriegsgeschichte, doch hatten sich in Kroatien zuvor auch einige andere Begebenheiten zugetragen. Zunächst hatten serbische Armee und Freischärler Vukovar zerstört, schließlich etwa ein Drittel Kroatiens besetzt und nach Möglichkeit "kroatenfrei" gemacht. Das macht die Verbrechen an Serben bei der Rückeroberung kroatischen Territoriums nicht besser, setzt sie aber in einen Zusammenhang, den Djilas weglässt. Vollends verwundert liest man dann Djilas' Einschätzungen zum Kosovo-Krieg, der angeblich vermeidbar gewesen wäre, hätte der Westen sich nur etwas mehr bemüht, die Bedeutung des Amselfelds für die Serben zu verstehen: "Es hätte beispielsweise genügt, sich in die serbische epische Poesie zu vertiefen, in der die Niederlage auf dem Amselfeld 1389 beklagt wird." Gewiss doch: Hätten sich Herr Clinton und Frau Albright 1999 nur etwas eifriger mit serbischem Volksliedgut beschäftigt, wäre es allen besser ergangen, auch den vom Belgrader Regime kujonierten Albanern, die ohnehin viel zu wenig wissen von der serbischen Kosovo-Poesie.

MICHAEL MARTENS.

Jens Becker/Achim Engelberg (Herausgeber): Serbien nach den Kriegen. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007. 350 S., 13,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Viel ist es ja nicht gerade, was Rezensent Michael Martens uns über den Sammelband Serbien nach den Kriegen mit immerhin mehr als einem Dutzend Beiträgern und Beiträgerinnen zu sagen hat. Martens lobt ihren Kenntnisreichtum und entdeckt einen allen Texten gemeinsamen roten Faden, bezieht sich desweiteren aber auf einen Beitrag des Publizisten Aleksa Djila, den er für besonders aufschlussreich hält. Martens entdeckt darin keine neuen Erkenntnisse, die These, mit der Djila versucht, dem Westen Mitschuld am Zerfall Jugoslawiens zu übertragen, erscheint ihm kühn. Und über Djilas Ansicht, der Kosovo-Krieg wäre vermeidbar gewesen, hätte der Westen sich mehr mit der Bedeutung des Amselfelds für die Serben befasst, kann Martens sich nur verwundert die Augen reiben.

© Perlentaucher Medien GmbH