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Mit dem berühmten Prager Fenstersturz im Mai 1618 begann ein gewaltiger Krieg, der Millionen Menschenleben fordern und drei Jahrzehnte andauern sollte. Bis heute ist diese beispiellose historische Katastrophe von Mythen überwuchert. Georg Schmidt, einer der großen Kenner der Epoche, legt aus Anlass des 400. Jahrestages eine Gesamtdarstellung des Dreißigjährigen Krieges auf dem neuesten Stand der Forschung vor. "Die Reiter der Apokalypse" - das waren Krieg, Hunger und Seuchen, die einen millionenfachen Tod brachten und weite Teile Mitteleuropas verwüsteten. In seiner großen Geschichte des…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem berühmten Prager Fenstersturz im Mai 1618 begann ein gewaltiger Krieg, der Millionen Menschenleben fordern und drei Jahrzehnte andauern sollte. Bis heute ist diese beispiellose historische Katastrophe von Mythen überwuchert. Georg Schmidt, einer der großen Kenner der Epoche, legt aus Anlass des 400. Jahrestages eine Gesamtdarstellung des Dreißigjährigen Krieges auf dem neuesten Stand der Forschung vor. "Die Reiter der Apokalypse" - das waren Krieg, Hunger und Seuchen, die einen millionenfachen Tod brachten und weite Teile Mitteleuropas verwüsteten. In seiner großen Geschichte des Dreißigjährigen Krieges verknüpft Georg Schmidt souverän das politische und militärische Geschehen mit Tagebuchaufzeichnungen, Predigten und anderen zeitgenössischen Quellen, die beklemmend anschaulich zeigen, wie der Krieg erfahren und durchlitten wurde: als Strafe Gottes, als Kampf um die deutsche Freiheit, als blutiger Weg zu einem neuen Frieden. So ist ein grandioses Panorama entstanden, das zugleich das Geschehen historisch deutet und einordnet: in das große religiöse Ringen von Reformation und Gegenreformation, den Machtkampf zwischen der Habsburgermonarchie und den Reichsständen, die Ziele der Nachbarstaaten und die undurchsichtigen Ränkespiele eines Wallenstein.
Autorenporträt
Georg Schmidt ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Jena und einer der angesehensten Experten für die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Sein Wissen-Band zum Thema hat acht Auflagen erlebt. Bei C.H.Beck sind außerdem erschienen: Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert (2009) und Geschichte des alten Reiches (1999).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2018

Auf der Blutspur eines aufgeschobenen Friedens

Vierhundert Jahre Prager Fenstersturz: Georg Schmidt und Johannes Burkhardt erzählen von Wendepunkten und verpassten Chancen im Dreißigjährigen Krieg. Und sichern mit ihren Büchern der Forschung Fragen für die kommenden Jahre.

Die Erzählerin in Monika Marons Roman "Munin oder Chaos im Kopf" soll einen Aufsatz über den Dreißigjährigen Krieg "für die Festschrift einer westfälischen Kleinstadt" verfassen. Sie tut sich schwer. Eigentlich hasst sie diesen Krieg, alle Kriege, und noch mehr das Schreiben darüber. Doch dann gibt sie sich einen Ruck. "Es kam nur darauf an, den einen Faden, vielleicht nur ein Fädchen zu finden, (...) das nicht in die Logik von Herrschaftskämpfen, geostrategischen Konfliktlagen, militärischen Bündnissen und Staatenbildungen passte, eine zarte Nervenfaser aus jener Zeit, über die sich ein Signal senden ließ an unsere Nervenstränge."

Am Ende findet sie die "Nervenfaser" ausgerechnet bei Cicely Veronica Wedgwood, der klassischsten aller klassischen Historikerinnen des Dreißigjährigen Krieges, deren Buch vor achtzig Jahren erschien. Ob sie die Faser auch bei Georg Schmidt entdeckt hätte? Immerhin ist Schmidt Autor einer mehrfach aufgelegten Kompaktgeschichte des Konflikts und einer "Geschichte des Alten Reiches", die gleichfalls als Standardwerk gilt. Auch seine gerade erschienene Gesamtdarstellung des Krieges hat trotz ihrer epischen Länge durchaus kompakte Züge. Das eigentliche Kriegsgeschehen wird auf knapp vierhundert Seiten zusammengefasst. Kaum weniger Platz bekommen die Vorgeschichte und der Osnabrücker Frieden mit seinen politischen und mentalitätsgeschichtlichen Folgen.

Man kann sich bei Schmidt also nicht nur, um mit Monika Maron zu reden, in die Herrschaftskämpfe und Militärbündnisse, sondern darüber hinaus in die geostrategischen und verfassungsrechtlichen Konfliktlagen des siebzehnten Jahrhunderts einlesen. Darin liegt, kurz gesagt, das eigentliche Verdienst von Schmidts Buch: Anders als der Engländer Peter Wilson, dessen elfhundertseitiges Kriegspanorama im Herbst auf Deutsch herauskam, hat der Jenaer Ordinarius auch die Predigten, Pamphlete und Gutachten jener Zeit gründlich ausgewertet; und im Vergleich mit Herfried Münklers ebenfalls zur Buchmesse erschienener Studie (F.A.Z. vom 7. Oktober 2017) kennt er sich mit der Rechtslage im Heiligen Römischen Reich und den verschiedenen Stadien des diplomatischen Kräftemessens in Münster und Osnabrück entschieden genauer aus.

In diesem Vorzug steckt allerdings auch eine Beschränkung. Schmidts Darstellung kreist um den deutschen "Reichs-Staat" unter Führung Habsburgs und seine Zerreißprobe im Krieg. Folgerichtig kommen jene Staaten, die nur indirekt oder für kurze Zeit am Geschehen teilgenommen haben, also England, die Niederlande, Dänemark, Siebenbürgen und sogar Spanien, bloß am Rande und das Papsttum fast gar nicht vor. Weder die Tiefe des habsburgisch-französischen Gegensatzes, der das Eingreifen Schwedens unter Gustav Adolf erst ermöglichte, noch die europäische Dimension der spanischen Politik werden so angemessen sichtbar.

Für den Leser, der sich vor allem für die Katastrophe Deutschlands interessiert, ist die Fokussierung ein Gewinn, für andere ein Verlust an Übersicht. Den Grafen Olivares, neben Richelieu ein Hauptdrahtzieher des Geschehens, sucht man im Namensverzeichnis vergeblich, der Jesuitenpater Lamormaini, der als Beichtvater Ferdinands II. die graue Eminenz hinter den kaiserlichen Beschlüssen war, schrumpft zur Nebenfigur. Überhaupt ist die Personenzeichnung keine Spezialität Schmidts, oder jedenfalls nicht in diesem Buch. In seiner Kurzdarstellung für die Becksche "Wissen"-Reihe hat der Autor die bigotte Frömmigkeit Ferdinands noch in knappen Sätzen umrissen. In seinem Großpanorama verzichtet er nun darauf. Auch bei der Charakterisierung Wallensteins zieht sich Schmidt hinter die Forschungsdiskussion von Schiller bis Golo Mann zurück. "Es wurde und wird spekuliert." Manchmal kann es nicht schaden, auch in nebligen Gefilden Position zu beziehen, selbst auf die Gefahr eines Irrtums hin.

Umso überzeugender schildert Schmidt das Kriegswesen in all seinen Facetten - von der Wallensteinschen Heeresvermehrung, die den Gegner durch systematisches Aussaugen seiner Operationsgebiete in die Knie zwang, bis zu den beweglichen Armeen der Schlussphase des Krieges, die sich überfallartig durchs Land bewegten und vor der Auflösung standen, wenn sie sich bei einer Belagerung festfraßen (oder, wie Gallas in Magdeburg, blockiert und ausgehungert wurden). Zu diesem Zeitpunkt war das Söldnertum längst zum letzten Strohhalm der ausgeplünderten Landbevölkerung geworden. Andere, die noch Besitz hatten, flüchteten hinter die Mauern der Städte. Dort und in den Feldlagern grassierte die Pest, in den verbrannten Dörfern der Hunger. Die breite Zerstörungszone mit Bevölkerungsverlusten über fünfzig Prozent, die sich von der Odermündung bis zum Elsass zog, war nur mittelbar eine Folge von Kampfhandlungen. Schlimmer als Piken und Musketen wüteten Seuchen und Not.

Insofern erinnert der Dreißigjährige Krieg mehr an einen afrikanischen Konflikt des zwanzigsten als an die arabischen Bürgerkriege des einundzwanzigsten Jahrhunderts, mit denen Herfried Münkler ihn verglichen hat. Trotzdem tut Schmidt Münkler unrecht, wenn er ihm vorwirft, einen "Typus" zu konstruieren, der die Wirklichkeit des siebzehnten Jahrhunderts verfehle. Schmidts Krieg, "ein aus dem Ruder gelaufener Verfassungskonflikt", ist ja ebenso ein Konstrukt. Dass das "mitteleuropäisch-deutsche Geschehen" in der kollektiven Erinnerung der Deutschen im Zentrum stand, muss für Historiker kein Grund sein, an den Grenzen Mitteleuropas haltzumachen -, zumal Schmidt durchaus zugesteht, dass es bei alldem um Großmachtpolitik ging, um die Frage, wer auf dem Kontinent das Sagen hatte. Vor 1618 war es Habsburg, nach 1648 Frankreich.

Einen Wendepunkt in diesem hegemonialen Duell bildet der Prager Frieden, den der Kaiser 1635 mit Sachsen schloss. Bei Schmidt ist der Friedensvertrag, dem alsbald alle Reichsstände bis auf Hessen-Kassel, Sachsen-Weimar und die Pfalz beitraten, eine "monarchische Provokation", eine Art Ermächtigungsgesetz für Ferdinand II. und die Gegenreformation "zu Lasten der deutschen Freiheiten". Dass der protestantische Adel es seinerzeit anders sah und sich mit dem um vierzig Jahre verschobenen Vollzug des Restitutionsedikts zufriedengab, ficht den meinungsstarken Historiker nicht an.

In ganz anderem Licht erscheint dasselbe Ereignis bei Johannes Burkhardt. Für ihn ist das Prager Abkommen "ein Meilenstein der deutschen Reichsgeschichte" und der Aufschub des Edikts dessen "stillschweigende Dispensierung". Warum also funktionierte die Friedensordnung nicht? Weil sich der schwedische Kanzler Oxenstierna von "französischen Unterstützungsavancen" umstimmen ließ und "die Militärführung vor Ort" nicht zur Einstellung der Kampfhandlungen bereit war.

Auch so, im Duktus eines Zeitungsberichts, kann man geschichtliche Vorgänge zusammenfassen. Allerdings nimmt man dabei in Kauf, dass die Feinheiten des Geschehens hinter leitartikelnden Generalisierungen verschwimmen. Genau darum aber ist es dem Autor dieser "neuen Geschichte des Dreißigjährigen Krieges" zu tun. Burkhardt, Emeritus in Augsburg, ist ein ausgewiesener Experte, seine Monographie zum Thema erschien bereits 1992. Der schlanke Band, den er zum vierhundertsten Jahrestag des Kriegsbeginns verfasst hat, hält sich nicht mit Schlachtbeschreibungen auf.

Stattdessen will er einer These zum akademischen Durchbruch verhelfen: Der "Krieg der Kriege" ist bei Burkhardt nichts als ein immer wieder aufgeschobener Friede. Die erste große Chance wurde schon 1619 beim abgesagten Friedenskongress in Eger vertan, die zweite im Nachgang zum Prager Vertrag. Erst die sechsjährige "Großbaustelle des Friedens" in Münster und Osnabrück führte endlich zu tragfähigen statischen und staatlichen Lösungen.

Man muss solche perspektivischen Verkürzungen nicht in allen Details nachvollziehen (zumal, was Burkhardts Einschätzung des "Friedensgenerals" Wallenstein angeht, den er in eine Reihe mit Bismarck und Friedrich den Großen rückt), um ihre befreiende Wirkung dennoch schätzen zu können. Dass ein historisches Thema zum Gegenstand eines Meinungsstreits wird, wie es zuletzt mit der deutschen Kriegsschuld im Ersten Weltkrieg passiert ist, kann dem Fach insgesamt nur nützen. Dazu kommt, dass beide Autoren ein sachliches, weitgehend jargonfreies Deutsch schreiben, das sich bei Georg Schmidt stellenweise zu aphoristischer Schärfe aufschwingt.

Ob man das Heilige Römische Reich derart vollmundig zum vorrevolutionären Hort der bürgerlichen Freiheiten hochloben sollte, wie es Schmidt und Burkhardt tun, könnte eine Forschungsfrage der nächsten Jahre sein. Zum diesjährigen Gedenken hat die deutsche Geschichtswissenschaft jedenfalls ihre Pflicht getan - und die Kür dazu. Auch wenn das unsere aufgeputschten Nervenstränge kaum beruhigen dürfte.

ANDREAS KILB.

Johannes Burkhardt: "Der Krieg der Kriege". Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges.

Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018. 296 S., Abb., geb., 25,- [Euro].

Georg Schmidt: "Die Reiter der Apokalypse". Geschichte des Dreißigjährigen Krieges.

Verlag C. H. Beck, München 2018. 810 S., Abb., geb., 32,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.05.2018

Die letzten Tage der Menschheit
Der Jenaer Frühneuzeit-Historiker Georg Schmidt schöpft seine fulminante Geschichte über den Dreißigjährigen Krieg aus
Quellen, die anderen Autoren entgangen sind. Der Hass auf die Gegner und die Endzeitängste werden greifbar
VON RUDOLF NEUMAIER
Überall piesackten sich Protestanten und Katholiken mit Gemeinheiten. Gerade hundert Jahre waren seit der Glaubensspaltung vergangen. Ständig köchelten Animositäten, wo sich Einflusssphären überlagerten – und mit Glaubensangelegenheiten waren allzu oft Machtfragen verbunden. Doch das Scharmützel in der böhmischen Kanzlei auf dem Hradschin von Prag, das sich auf den Tag genau vor 400 Jahren um 9 Uhr morgens zutrug, dieses Scharmützel stellte dann doch eine exzeptionelle Gemeinheit dar: der Fenstersturz. Die Defenestration – welch vornehmer Begriff für eine lebensgefährliche Rüpelei! Die Defenestrierten überlebten. Am 23. Mai 1618 war also entweder Gott im Spiel. Oder der Teufel. Vielleicht auch beide. Spektakulärer geht’s kaum.
Protestanten stürzen die Vertreter der katholischen Machthaber in die Tiefe. Es ist eine dankbare Szene für jeden Historiker, der sich als Autor den Dreißigjährigen Krieg vornimmt. Aber dann kommt es darauf an, ob und wie man diesen Vorfall interpretiert und einbettet in die noch viel spektakulärere Geschichte dieses Krieges. Zumeist ist er als Schlacht der Mächtigen und als politisches Gemetzel mit unzähligen Bauernopfern beschrieben worden, als ein sehr blutiges Schachspiel. Georg Schmidt hat ein sehr viel weiteres Blickfeld. Als langjähriger Ordinarius für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena kennt er die Epoche zu gut, als dass er sich auf den Verlauf des Krieges, der Friedensverhandlungen und die Interessen der vermeintlichen Protagonisten konzentrieren müsste. In Schmidts Kriegsgeschichte spielt der Geist der Zeit wie bei keinem anderen Historiker eine wesentliche Rolle.
Friedrich Schiller war einer der ersten, der eine große Geschichte des Dreißigjährigen Krieges verfasste. Schmidt, Jahrgang 1951, hat nun nach seinem eigenen in der achten Auflage erschienenen Überblicksbüchlein in der Reihe Beck Wissen, nach dem Buch des Politologen Herfried Münkler (SZ vom 28.10.2017) und nach der deutschen Übersetzung der Kriegschronik „Eine europäische Tragödie“ des Oxford-Historikers Peter H. Wilson die jüngste Analyse dieses Infernos vorgelegt.
Bei Schmidt wird anschaulich, in welcher Atmosphäre der Krieg ausbrach und sich auswuchs zu einer Katastrophe bis dahin nicht gekannten Ausmaßes. Weltuntergangsstimmung herrschte schon ein halbes Jahr nach dem Fenstersturz. Die Menschen glaubten an die Menetekel von Natur- und Himmelserscheinungen. Und jeder Theologe deutete sie so, wie er es für günstig hielt, um die befeindeten Konfessionen zu diskreditieren. Im Herbst 1618 stand ein riesiger Komet in Gestalt einer Rute am Firmament und strahlte hell.
Eine Bedrohung? Eine Gelegenheit! Zumindest für die protestantischen Pfarrer in den Gebieten jedenfalls, in denen das Volk aufzuwiegeln war gegen katholische Vormacht. In Prag zum Beispiel kletterte der Superintendent Helwig Garth auf die Kanzel von St. Salvator und machte sein Auditorium hysterisch: Die Wiederkunft des Herrn stehe bevor, der Komet sei als eindeutiges Zeichen zu werten. Doch vor der Wiederkunft werde die Strafe Gottes mit üblen Plagen über die Welt kommen. Christus werde alle Gottlosen ins Verderben stürzen. Deswegen war’s geboten, Buße zu tun und dem Antichrist die Stirn zu bieten. Die letzte Phase der Menschheitsgeschichte war angebrochen, verkündeten Prediger wie Garth. Sie hetzten in ihren Kirchen, ließen ihre Hassreden drucken und verbreiten. Die Endzeitangst breitete sich viel schneller aus als der Krieg selbst.
Solche Panikattacken entdeckte Schmidt in unterschiedlichsten Quellen aus verschiedensten Gegenden. Die meisten Historiker sehen über solche Zeiterscheinungen hinweg. Bei Wilson etwa ist Helwig Garth nicht einmal erwähnt. Dabei hatten noch Zeitgenossen wie Philipp Abelin im Jahr 1635 den Schweifstern als Gottes Zeichen dargestellt, den „ganz Europa mit sonderlichem Schrecken“ beobachtete. Selbstverständlich bedeutet das nicht, Georg Schmidt selbst würde einen kausalen Zusammenhang herstellen zwischen Komet und Krieg. Er hat die politische Entwicklung ebenso im Blick, wie die militärische keineswegs zu kurz kommt. Vielmehr beleuchtet er jedoch zudem, in welch apokalyptischem Klima die Kriegsparteien zu den Waffen riefen.
In einer Zeit, in der die Menschen noch glaubten, Regenwolken mit Kanonen verjagen zu können, in einer solchen Zeit glaubte man auch daran, den Antichrist selbst zu peinigen, wenn man ein Bauerndorf des Kriegsgegners niederbrannte. Die Kriegspropaganda verfing auf beiden Seiten, während die Menschen verzweifelten. Am eindrucksvollsten schilderte diese Depression Andreas Gryphius in seinem berühmten Sonett, das Schmidt anführt, um die Erschütterungen und Verheerungen darzustellen. „Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret.“
Die Sitten verrohten. Jede Geschichte, die über eine Gräueltat verbreitet wurde, senkte die Hemmschwelle, selbst mit Brutalität vorzugehen. Mancherorts rotteten sich sogar Bauern zusammen und massakrierten ihre Besatzer. Die wiederum rächten sich. Man schnitt sich gegenseitig Ohren, Nasen und Geschlechtsteile ab. Frauen wurden in aller Öffentlichkeit vergewaltigt. Für die Geistlichen waren immerhin Plünderungen akzeptabel. Verboten sei es allerdings, die „fleischliche Lust- und Hurenfülle“ im „Angesicht der Ehemänner, Väter und Mütter“ auszuleben, predigte der Ulmer Superintendent Conrad Dietrich im Jahr 1638. Am Oberrhein wurde von Kannibalismus berichtet. „Der Krieg als ,Theater des Schreckens‘“, schreibt Georg Schmidt, „kulminierte im absoluten Tabu- und Zivilisationsbruch.“
Für die Protestanten wurde der schwedische König Gustav Adolf, der „Löwe aus Mitternacht“ zum Helden. Ein solcher Retter aus dem Norden war nicht nur im Alten Testament angekündigt, sondern auch wenige Jahrzehnte zuvor vom Astrologen und Arzt Paracelsus.
Sein Eintritt in den Krieg war ein Medienereignis, er beflügelte die Flugblattproduktion. Der Schwede wurde als Jäger dargestellt, sein katholischer Widersacher, der Feldherr Johann Tserclaes von Tilly, als Habicht. Schmidts großartige Medienbetrachtungen vermitteln einen Eindruck, mit welchen Impulsen, Hoffnungen und Ängsten in den Bauernstuben und in den Landsknechtlagern politisiert wurde.
Sehr dezent nimmt sich der Geschichtswissenschaftler Schmidt am Ende den Politologen Münkler vor. Der bezeichnete in seinem Buch als Kennzeichen des Dreißigjährigen Krieges, dass „er von außen nur schwer zu beenden ist und ein militärisches Eingreifen zumeist das Gegenteil dessen bewirkt, was offiziell beabsichtigt ist“. Wer so argumentiere, kritisiert Schmidt, verfehle die Wirklichkeit des 17. Jahrhunderts. Dieses Ereignis sei nun mal ein „als gottgewollt ausgegebener und verstandener Krieg, der sich als Strafe gegen die armen Sünder richtete und von diesen als Kampf gegen die Ketzer oder den Antichristen rationalisiert wurde“. Belege hat Schmidt genügend angeführt.
Weltuntergangsstimmung
herrschte schon ein halbes Jahr
nach dem Fenstersturz
Das „Theater des Schreckens“
kulminierte „im absoluten
Tabu- und Zivilisationsbruch“
Georg Schmidt: Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Verlag C.H. Beck, München 2018. 810 Seiten, 32Euro. E-Book 26,99 Euro.
Carl Wahlboms (1810 – 1858) Ölgemälde zeigt den Tod des Schwedenkönigs Gustav Adolf in der Schlacht von Lützen, im heutige Sachsen-Anhalt. Dort standen sich im November 1632 ein protestantisches Heer und kaiserliche Truppen unter Wallenstein gegenüber.
Foto: gemeinfrei
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"Schmidt gelingt etwas, das seinen Konkurrenten auf den Büchertischen nicht immer in dieser Klarheit gelungen ist: die Charakterisierung des Dreissigjährigen Krieges und seine entsprechende Einordnung in die Gewaltgeschichte Europas."
Neue Zürcher Zeitung, Thomas Speckmann

"Der Jenaer Frühneuzeit-Historiker Georg Schmidt schöpft seine fulminante Geschichte über den Dreißigjährigen Krieg aus Quellen, die anderen Autoren entgangen sind."
Rudolf Neumaier, Süddeutsche Zeitung, 23. Mai 2018

"Schmidts 'apokalyptische Reiter' galoppieren durch eine fremde, exotische Welt. Er holt weit aus, um deren Genese zu zeigen, blendet zurück in die Renaissance und Reformation und zeigt damit die tiefen tektonischen Verwerfungen."
Bernd Roeck, Die Zeit, 9. Mai 2018

"Eine packend zu lesende Gesamtdarstellung."
Heike Talkenberger, damals, 5/2018