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»Seit einiger Zeit bin ich nun geplagt, vielleicht auch gesegnet, durch Träume von Flüssen und Meeren.«Als John in London diesen merkwürdigen Brief seines Vaters erhält, ist Albert James, der berühmte Anthropologe, bereits tot. John eilt nach Indien, der Wahlheimat der Eltern, sucht nach Erklärungen: Warum ist der Vater so plötzlich gestorben? Seine Krebserkrankung hatte er eigentlich unter Kontrolle. Welche Theorien haben ihn zuletzt beschäftigt, warum hat er am Schluss, ganz gegen seine Gewohnheit, Johns Nähe gesucht? Helen, seine Mutter, empfängt ihn kühl wie immer. Die engagierte Ärztin…mehr

Produktbeschreibung
»Seit einiger Zeit bin ich nun geplagt, vielleicht auch gesegnet, durch Träume von Flüssen und Meeren.«Als John in London diesen merkwürdigen Brief seines Vaters erhält, ist Albert James, der berühmte Anthropologe, bereits tot. John eilt nach Indien, der Wahlheimat der Eltern, sucht nach Erklärungen: Warum ist der Vater so plötzlich gestorben? Seine Krebserkrankung hatte er eigentlich unter Kontrolle. Welche Theorien haben ihn zuletzt beschäftigt, warum hat er am Schluss, ganz gegen seine Gewohnheit, Johns Nähe gesucht? Helen, seine Mutter, empfängt ihn kühl wie immer. Die engagierte Ärztin scheint auch über den Tod hinaus ihre exklusive Beziehung zu dem großen Forscher bewahren zu wollen. Wieso lässt sie sich dann mit dem amerikanischen Journalisten ein, der die erste große Biografie ihres Mannes schreiben will? Bei der Trauerfeier tauchen Menschen auf, die Albert nahestanden, doch jeder scheint von einem anderen Albert James zu sprechen. John kriegt zunehmend das Gefühl, weder Vater noch Mutter gekannt zu haben, zu kennen. Der Tod, eine Leerstelle. Je länger sich Helen, John und der Biograf mit dem Verstorbenen und ihrer Beziehung zu ihm befassen, desto mehr scheinen sich die Fäden zu verwirren. In dem brodelnden Delhi schwinden alte Gewissheiten, gerät ihr eigenes Leben aus der Bahn.
Autorenporträt
Parks, Tim§Tim Parks, geboren in Manchester, wuchs in London auf und studierte in Cambridge und Harvard. Seit 1981 lebt er in Italien. Seine Romane, Sachbücher und Essays sind hochgelobt und mit vielen Preisen ausgezeichnet. Er unterrichtet Literarisches Übersetzen an der Universität Mailand, schreibt u.a. für The Guardian, The New Yorker und The New York Review of Books, und übersetzt, u.a. die Werke von Moravia, Calvino, Calasso, Tabucchi und Machiavelli. Zuletzt erschien Thomas & Mary (Kunstmann 2017).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2010

Verwirrte Angelsachsen im Riesenland Indien

Delhi ist eine einzige Halluzination: Tim Parks betritt in seinem neuen Roman den Subkontinent - und stellt sich damit in eine ehrwürdige englische Literaturtradition.

Der 1954 geborene Tim Parks spielt in der englischen Gegenwartsliteratur eine ähnliche Rolle wie der um eine Generation ältere Dieter Wellershoff in der deutschen. Das stattliche, ohne große Sprünge stetig gewachsene Werk des Pastorensohnes aus Manchester umfasst inzwischen vierzehn Romane und acht essayistische, bisweilen auch reportagehafte Bände, von denen eine Vielzahl ins Deutsche übersetzt sind. Wie Wellershoff verbindet Parks dabei präzise Handwerklichkeit mit poetischer Intuition und bodenständige Beobachtung mit kühler Intellektualität. Dass er seit nun fast dreißig Jahren im italienischen Verona lebt, hat seine Literatur nicht nur um südliche Themen bereichert, sondern gerade in ihren besten Momenten auch mit einer Leichtigkeit ausgestattet, die dem Geist des Understatements ebenso entstammt wie jenem der mediterranen Ironie.

In der englischen Literatenszene aber ist er ob seines Auslandslebens auch ein wenig Außenseiter geblieben, dem die bedeutendsten Auszeichnungen bisher versagt wurden - mit "Europa", dem bürokratiesatirischen Roman von 1997, schaffte er es immerhin in die Endrunde des Booker-Preises, seine besten Bücher hingegen, also die Romane "Schicksal" (2001), "Doppelleben" (2003) und "Stille" (2006), sind leer ausgegangen. Dafür kann er hierzulande mit einer stabilen Leserschaft rechnen, nicht zuletzt verdankt sich der hiesige Erfolg auch dem Engagement seiner Verlegerin Antje Kunstmann.

"Träume von Flüssen und Meeren", das jüngste Werk, versammelt zwar aufs Neue die verlässlichen Tugenden des Tim Parks, gehört indes nicht zu seinen besten. Weshalb? Von den zwei nötigen Antworten lautet die erste: weil dieser Roman besonders britisch ist. Besonders britisch ist er, weil er mehrteils in Indien, zumal in Neu-Delhi spielt. Er wirkt dabei über weite Strecken hinweg wie das postkoloniale Echo auf ein literarisches Hauptwerk der Kolonialzeit, mithin auf E. M. Forsters 1924 erstmals erschienenen Roman "Auf der Suche nach Indien". Bei Forster wie bei Parks geht es um verwirrte Angelsachsen in einem unverstandenen, für sie unverstehbaren Riesenland.

Vermutet eine von Forsters Figuren, "das indische Geheimnis" bestehe letztlich bloß in einem monströsen "Durcheinander", so schildert Parks die ersten Eindrücke einer seiner Hauptfiguren, des amerikanischen Autors Paul Roberts, als eine Stufenfolge der Entzauberung: "Die Stadt war ein unaufhörliches Gewirr von Körpern, Gerüchen und Geräuschen, die alle fremd und größtenteils unattraktiv waren, und besaß weder moderne Effizienz noch traditionellen Charme." Für John James, den jungen Mediziner aus London, dem in der Metropole alles "schwer und schmerzhaft hell" erscheint, ist Delhi denn auch "eine einzige Halluzination".

Gerade in seiner Perspektive auf Indien wirkt der Roman seltsam anachronistisch. Das liegt vor allem daran, dass die Erzählautorität für dieses Thema inzwischen längst auf die indischstämmigen, indes auf Englisch schreibenden Autoren übergegangen ist - auf Vikas Swarup etwa, aus dessen Roman "Rupien, Rupien" 2008 der mit acht Oscars gekrönte Kinoerfolg "Slumdog Millionär" wurde, auf Erzählwerke zudem von Vikram Seth, Rohinton Mistry, Amitav Ghosh oder Kiran Nagarkar. Ebenfalls 2008 und damit zeitgleich mit dem englischen Original der Indiensaga des Tim Parks veröffentlichte Aravind Adiga sein Erzähldebüt "Der weiße Tiger". Symptomatisch, dass er damit auf Anhieb den Booker-Preis gewann, während Parks erst gar nicht nominiert wurde.

Es gibt einen zweiten Grund dafür, dass "Träume von Flüssen und Meeren" trotz aller stilistischen Qualitäten - Parks schreibt wie stets unverkrampft und dialogsicher - so spröde, gelegentlich sogar zäh anmutet: Die Fabel dieses Buches kreist um eine abwesende Zentralfigur und lässt uns deshalb am Ende einigermaßen ratlos und erschöpft zurück. Zentralfigur ist Albert James, ein in Neu-Delhi wahlbeheimateter Anthropologe mit einigem Renommee und unkonventionellen Methoden. Den Tod dieses Mannes vermeldet der Roman indes gleich in der ersten Zeile - die gut fünfhundert Seiten, die folgen, dienen vorzüglich dazu, das Bild und damit die Identität des Protagonisten aus den Blickwinkeln von vier Zeugen seines Lebens zusammenzusetzen.

Da ist zunächst Helen, dreiundfünfzig Jahre alt, Ärztin in einem Armenhospital, über Jahrzehnte Alberts Frau, jetzt seine Witwe. "Ihr ganzes Eheleben lang", heißt es einmal, "war Helen überzeugt gewesen, dass ihr Mann als einer der großen Denker seiner Zeit in die Geschichte eingehen würde." Nun aber, im illusionslosen Rückblick auf dessen Existenz, wird ihr klar, dass er "nichts erreicht" habe: "Alberts gesamtes Denken hatte zu nichts geführt." Gleichwohl muss sich Helen, die autonome, selbständige Frau, eingestehen, dass Sinn und Zweck ihres eigenen Lebens mit Alberts Tod endeten. Sie, die dem an Prostatakrebs Erkrankten beim Suizid assistierte, nimmt sich ihrerseits das Leben.

John James, der Sohn der beiden, erhält nach der Rückkehr von der indischen Beisetzung des Vaters in London einen etwas wirren Brief von ihm, der ganz offensichtlich erst am Tag nach dem Tod abgeschickt wurde. Also fliegt er nach Delhi zurück und stößt bei seinem Detektivspiel auf die Studentin Jasmeet, die mit seinem Vater eine Art Liaison unterhielt - wohl auch, um auf diese Weise einen Flugschein in die Freiheit Englands zu erhalten. Der Vierte im Bunde der Lebenszeugen ist der Amerikaner Roberts, ein Journalist, der eine Biographie über James schreiben möchte und deshalb um Helens Unterstützung buhlt.

Das Merkwürdige, auch Unbefriedigende des Romans: Obwohl alle wichtigen, deshalb aber noch nicht besonders interessanten Figuren permanent über ihn reden, nachdenken oder postum mit ihm rechten, bleibt Albert James eine einzige Leerstelle, schlicht eine schillernde Person, die sich allen und allem erfolgreich zu entziehen verstand - inklusive den Lesern. Dass Parks nach eigenem Bekunden seinen Albert James frei nach dem Lebenslauf des 1980 gestorbenen Anthropologen Gregory Bateson modelliert hat: gut und schön, aber literarisch nicht weiter erheblich. Dass er sich im jüngsten Roman aufs Neue mit zwei Problemkonstanten seines OEuvres beschäftigt, mit dem Verhältnis von Vater und Sohn wie mit den Fährnissen der Ehe als Lebensform: ebenfalls gut und schön, aber das gelang ihm in früheren Büchern entschieden überzeugender.

Nehmen wir "Träume von Flüssen und Meeren" mithin als eine Zwischenetappe auf dem langen Schreibweg des Tim Parks etwas mürrisch, im Ganzen trotzdem wohlwollend zur Kenntnis. Als im Jahr 2000 "Der Liebeswunsch", das Meisterwerk des Dieter Wellershoff, erschien, war dessen Autor beinahe fünfundsiebzig Jahre alt. Tim Parks ist jetzt gerade mal fünfundfünfzig.

JOCHEN HIEBER.

Tim Parks: "Träume von Flüssen und Meeren". Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Verlag Antje Kunstmann, München 2009. 512 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.01.2010

KURZKRITIK
Bloß keine Teamarbeit
Tim Parks erzählt von einem englischen Anthropologen
Zwei Männer versuchen einen dritten zu verstehen. Albert James, ein exzentrischer englischer Anthropologe, ist in Indien verstorben. Den großen Durchbruch in der Fachwelt hat er nie geschafft; dennoch wird er wegen seiner unkonventionellen Thesen von manchen als Guru verehrt. John, sein Sohn, reist aus London zur Beerdigung an; Paul, ein amerikanischer Journalist, will eine Biographie verfassen. Aber Helen, die Witwe, die sich als Ärztin in einem schäbigen Krankenhaus aufopfert, bleibt beiden gegenüber in kühler Reserve. Jahrzehntelang ist sie mit ihrem Mann um die Welt gereist, blieb ihm aufs engste verbunden. John, der Sohn, war für sie dagegen immer nur „Verpflichtung und Last”, und Intimes preisgeben will sie auf keinen Fall.
Insofern im Zentrum ein Toter steht, ist „Träume von Flüssen und Menschen” nicht ohne Reiz. Geschildert wird ein Eigenbrötler, der Teamarbeit scheut und sich dem Betrieb verweigert, ein Grenzgänger zwischen Wissenschaft, Philosophie und Kunst, der im Grunde wohl vor allem zwei einander widersprechende Eigenschaften besaß: eine kindliche Neugier und die Unfähigkeit, die Welt anders als im relativierenden Modus der Ironie wahrzunehmen. Aber das wird erst nach und nach deutlich, durch die Recherchen und Geständnisse der Zurückgebliebenen, die mit dem Verlust, der ihnen plötzlich widerfahren ist, mehr schlecht als recht klar kommen müssen.
Dass dieser langsame Enthüllungsprozess, der am Ende nicht völlig abgeschlossen werden kann, mitunter recht spannend zu lesen ist, lässt sich nicht bestreiten. Um den Leser richtig zu packen, ist Tim Parks aber ein viel zu biederer Erzähler: Die Metaphern und Symbole, zu denen er greift, sind schwerfällig; die Andeutungen von Geheimnissen, die er streut, lassen sich sofort durchschauen. Auf den letzten 100 Seiten verliert er dann auch noch den Sinn fürs Timing und zieht die Handlung ungebührlich in die Länge – so bleibt von diesem Roman schließlich weit weniger, als sein schöner, poetisch-epischer Titel verspricht. CHRISTOPH HAAS
TIM PARKS: Träume von Flüssen und Meeren. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Becker. Antje Kunstmann Verlag, München 2009. 512 Seiten, 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Als "üppigen, magischen Roman" feiert Rezensent Christian Seiler das neue Buch des in Italien lebenden britischen Schriftstellers, dessen große Qualitäten er speziell auf den "Nebenfahrbahnen des Handlungshighways" gefunden hat. Die Hauptfigur des Romans, ein von der historischen Figur des Gregory Bates inspirierter Anthropologe, ist Seiler zufolge auf Seite 37 bereits verstorben. Doch da erst beginnt der Roman zu fließen "wie ein breiter Fluss", zu mäandern und in Verästelungen, Netzwerke und erotische Verwicklungen, Fragen nach der Todesursache des Protagonisten, Geschichten um seine Witwe und seinen Sohn zu entwickeln. Schauplatz sei Delhi, wohin der verstorbene Albert James einst mit seiner Frau Helen gezogen sei. In präziser, distanzierter Sprache erzähle Tim Park die Geschichten seines Romans, behandele die Figuren mit Abstand. Es tauchen Seiller zufolge auch Briefe und E-Mail-Dialoge auf und am Ende dieses "beeindruckenden" Buchs hat der fehlende Protagonist für den Rezensenten in höchst verschiedenen Interpretationen Gestalt angenommen.

© Perlentaucher Medien GmbH