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Duschen, Radio an, Espressokanne auf den Herd, Kinder in die Kita, ab in die U-Bahn: Alle diese Handlungen, die wir für selbstverständlich halten, wären ohne komplexe Infrastruktur nicht möglich. Ähnliches gilt für Gesundheitsversorgung und Bildung, die ohne staatliche Investitionen in Gebäude und Personal nicht funktionieren würden. Doch in den vergangenen Jahrzehnten wurden in ganz Europa immer mehr Krankenhäuser, Schulen, Bahnstrecken oder gleich ganze Verkehrsnetze privatisiert und so der Profitlogik unterworfen - mit bisweilen dramatischen Folgen.
Inzwischen wächst der Widerstand; in
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Produktbeschreibung
Duschen, Radio an, Espressokanne auf den Herd, Kinder in die Kita, ab in die U-Bahn: Alle diese Handlungen, die wir für selbstverständlich halten, wären ohne komplexe Infrastruktur nicht möglich. Ähnliches gilt für Gesundheitsversorgung und Bildung, die ohne staatliche Investitionen in Gebäude und Personal nicht funktionieren würden. Doch in den vergangenen Jahrzehnten wurden in ganz Europa immer mehr Krankenhäuser, Schulen, Bahnstrecken oder gleich ganze Verkehrsnetze privatisiert und so der Profitlogik unterworfen - mit bisweilen dramatischen Folgen.

Inzwischen wächst der Widerstand; in vielen Ländern formieren sich Bewegungen für eine Rekommunalisierung z. B. der Wasserversorgung. Was wir brauchen, so die Autorinnen und Autoren, ist eine neue, progressive Infrastrukturpolitik. Wir müssen die Ökonomie wieder als etwas begreifen, das zuallererst dem guten Leben der Bürgerinnen und Bürger verpflichtet ist.
Autorenporträt
Das Foundational Economy Collective ist eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus mehreren (hauptsächlich) europäischen Ländern. Stephan Gebauer arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als freier Übersetzer. Für den Suhrkamp Verlag übersetzte er unter anderem Werke von Paul Mason, Quinn Slobodian und Branko Milanovi¿ ins Deutsche. Wolfgang Streeck, geboren 1946, war bis 2014 Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Academia Europaea, Korrespondierendes Mitglied der British Academy sowie Honorary Fellow der Society for the Advancement of Socio-Economics. Sein Buch Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus war 2013 für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik nominiert und wurde bislang in 17 Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.09.2019

Unser alltäglicher Kommunismus
Strom, Wasser, Bildung, Pflege: Ein Autorenkollektiv wirbt für „eine neue Infrastrukturpolitik“
Der Kapitalismus ist immer für eine Überraschung gut. Wenn es nicht so gut läuft, umarmt er seine Kritiker. Am liebsten so fest, dass sie keine Luft mehr bekommen. Kürzlich verkündeten führende amerikanische CEOs, dass die Shareholder-Value-Doktrin nicht länger zeitgemäß sei. Die Einsicht kommt spät. In den vergangenen dreißig Jahren haben Unternehmen, sekundiert von den jeweiligen Regierungen, die ökonomische und soziale Infrastruktur fortgeschrittener Volkswirtschaften ausgezehrt: Öffentliche Unternehmen wurden in großem Stil privatisiert, Leistungen reduziert oder abgeschafft. Hier setzt das Buch „Die Ökonomie des Alltagslebens“ eines vorwiegend britisch-italienischen Autorenkollektivs an.
Ihr Ausgangspunkt sind die ökonomischen Voraussetzungen des Alltagslebens, die Autoren nennen es „Fundamentalökonomie“, die so selbstverständlich geworden sind, dass sie aus dem Rahmen der Wahrnehmung fallen. Wir erwarten, dass der Strom aus der Steckdose, das Wasser aus dem Hahn kommt. Wenn wir uns verletzen, kommt ein Krankenwagen. Vom Bahnhof bringt uns ein Zug zum gewünschten Ort – oder auch nicht. Erst, wenn etwas mal nicht funktioniert, wird uns die Bedeutung dieser Voraussetzungen der modernen Zivilisation bewusst.
Die Geschichte der Fundamentalökonomie begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Städte infolge der Industrialisierung stark gewachsen waren – und mit ihnen die Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Nicht nur in den Metropolen begann man zu dieser Zeit mit der Errichtung von Kanalisationen und der Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Es war eine kollektive Anstrengung der Gesellschaft und ein moralisches Projekt, das nicht ganz uneigennützig war. Man verbesserte zwar das Leben der Menschen im Allgemeinen, machte sie aber auch produktiver. Und da Epidemien vor Klassenschranken keinen Halt machten, unterstützen auch die städtischen Eliten die neue Infrastrukturpolitik.
Zur Fundamentalökonomie gehört mehr als die Grundversorgung mit Wasser und Strom, sie umfasst auch den Wohnungsbau und das Verkehrssystem, Bankfilialen und Lebensmittelhändler. Diese „materielle“ Fundamentalökonomie unterscheiden die Autoren von der, wie sie und der Verlag es unglücklich nennen, „providenziellen“ Infrastruktur (vom englischen „provide“, bereitstellen), bestehend aus Schulen, medizinischen Dienstleistungen, Pflegeeinrichtungen, Sportstätten, Sozialversicherungen, im Grunde also dem um Dienstleistungen erweiterten Wohlfahrtsstaat.
Auch wenn es in den letzten Jahren eine Reihe von Rückschritten gegeben hat, so ist die Geschichte der Fundamentalökonomie eher von ihrer Ausdehnung geprägt. Viele Basisleistungen sind soziale Rechte geworden. Die außerfamiliäre Pflege von Verwandten war ein Luxusgut, das sich nicht viele leisten konnten. Heute ist die Pflegeversicherung ein selbstverständlicher Teil des Sozialsystems.
Große Teile sowohl der materiellen wie auch der providenziellen Fundamentalökonomie lagen in staatlicher oder öffentlicher Hand, bevor die Privatisierungswelle begann. Die privatisierten Unternehmen machten gute Geschäfte, aber auf Kosten des Gemeinwesens. Vormals öffentlich betriebene Schwimmbäder rentierten sich nicht mehr, genauso wenig die Bahnverbindungen in abgelegene Orte. Die Autoren konzentrieren sich in ihrer Untersuchung auf Großbritannien und Italien, aber jeder Bahnfahrer in Deutschland könnte seine eigene Fallstudie beisteuern. Das Buch entschlüsselt sorgfältig die Mechanismen des finanzialisierten Kapitalismus und dessen Auswirkungen auf die Fundamentalökonomie. Sachlich ist das alles richtig und es schadet auch nicht, es noch mal zu sagen.
Analytisch geht es aber kaum über das hinaus, was von Autorinnen und Autoren aus der Globalisierungskritik Ende der 1990er-Jahre nicht schon ebenso gut gesagt worden wäre. Auch der häufige Gebrauch der Empörungsvokabel „räuberisch“ macht die Analyse nicht schärfer. Politische Ökonomie kommt nur in den seltensten Fällen in glänzender Prosa daher, so auch hier.
Die Autoren des Buches bringen die alte Frage nach dem Verhältnis von Markt und Staat wieder auf, umgehen sie aber innovativ. Es geht ihnen nicht um einen neuen Etatismus, sondern darum, eine moralisch eingebettete Ökonomie zu schaffen. Die Anbieter der Fundamentalökonomie, seien es Genossenschaften, Staats- oder Privatunternehmen, werden in dieser Perspektive als öffentliche Körperschaften betrachtet, an die „gesellschaftliche Betriebslizenzen“ vergeben werden. Den Unternehmen wird das Recht eingeräumt, angemessene Gewinne zu erwirtschaften. Im Gegenzug wird öffentlich verhandelt, was angemessen ist. Notwendige Investitionen in die Infrastruktur werden durch eine Vermögensteuer und eine Bodenwertsteuer finanziert. Die Betriebe müssen ferner gesellschaftliche Verpflichtungen erfüllen, sie sollen nicht den Shareholdern und dem kurzfristigen Profit dienen, sondern dem Gemeinwohl. An diesem Buch ist nicht allein das interessant, was darin geschrieben steht, sondern, welche Fragen sich daran anschließen: Sind Facebook und Google noch private Anbieter von digitalen Medien? Oder sind es im Grunde schon fundamentalökonomische Institutionen, die ebenfalls einem Lizenzierungsverfahren unterliegen sollten?
Fundamentalökonomische Politik kann aus der Sicht der Autoren viele Formen annehmen, sie kann reformorientiert oder auch transformatorisch ausgerichtet, immer jedoch sollte sie demokratisch sein. Man soll die Bürger fragen, welche gesellschaftliche Prioritäten gesetzt werden sollen. Die Autoren befürworten eine experimentelle Politik, die jede planwirtschaftlichen Anmaßung vermeidet.
Auf ein wichtiges Problem ihres Ansatzes weisen sie selbst hin: Die Fundamentalökonomie ist räumlichen und staatlichen Grenzen unterworfen. Dadurch werden Nichtstaatsbürger innerhalb und außerhalb des Territoriums in der Regel ausgeschlossen. Eine wahre Fundamentalökonomie müsse deshalb nicht allein auf Bürger-, sondern – so die nicht explizite, aber naheliegende Schlussfolgerung – auf Menschenrechten beruhen.
Das vielleicht Wichtigste an diesem Buch ist, wie es die Perspektive der hoffentlich zahlreichen Leser verschiebt. Moderne Gesellschaften tragen viel mehr sozialistische Elemente in sich, als allgemein sichtbar ist (Wolfgang Streeck nennt dies in seinem eindringlichen Vorwort „alltäglicher Kommunismus“). Eine fundamentalökonomische Politik atmet den Geist des kommunalen Sozialismus, wie man ihn etwa in Wien, Birmingham und Bologna für eine gewisse Zeit etablieren konnte. Und diese Politik ist viel weniger utopisch, als man denken möchte.
Seit einigen Jahren werden Wasserwerke, die privatisiert wurden, wieder rekommunalisiert. Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau sieht sich als Vertreterin sozialer Bewegungen, in Berlin werden Wohnungsbaugesellschaften mit der Drohung der Enteignung an ihren gesellschaftlichen Auftrag erinnert.
Dieses Buch sollte jeder lesen, der sich für linke Politik interessiert (und vielleicht einmal was anderes als toxische Antiidentitätspolemiken lesen möchte). Es verschiebt die Perspektiven einer auf Verteilung ausgerichteten Politik zu einer Politik der Infrastrukturen, der vergesellschafteten Ökonomie. Mit solch einer Strategie könnte die Linke am Alltag der Menschen ansetzen – und zugleich das Bild einer großen Transformation entwerfen. Es ist aber ebenso ein Buch für aufgeklärte Konservative. Zur fundamentalen Ökonomie gehören auch das 5G-Netz, das Glasfaserkabel und der kleine Konsum auf dem Land sowie ein leistungsfähiges Universitätssystem. Die Fundamentalökonomie ist zwar kollektivistisch, aber im besten Sinne liberal, weil sie keine Privilegien kennt.
OLIVER NACHTWEY
Man soll die Bürger fragen,
welche gesellschaftlichen
Prioritäten sie setzen wollen
Foundational
Economy Collective:
Die Ökonomie des
Alltagslebens. Für eine
neue Infrastrukturpolitik.
Aus dem Englischen
von Stephan Gebauer.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2019. 263 Seiten,
18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Anregend und hochaktuell.« Emanuel Herold taz. die tageszeitung 20200404