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Bisher ungedruckte Zeugnisse einer kurzen Freundschaft im Zeichen Hölderlins - vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs.Rainer Maria Rilkes Freundschaft zu dem Initiator der kritischen Hölderlin-Ausgabe, Norbert von Hellingrath, begann im Oktober 1910 in München. Bald wurde Hellingrath zum »Hölderlin-Lehrmeister« des Dichters: Ihre Gespräche und die Auseinandersetzung mit Hellingraths wissenschaftlicher Arbeit eröffneten Rilke den Zugang zu Person und Werk des »Herrlichen«, seine eigene Dichtung und deren Stil wurde dadurch maßgeblich beeinflusst. Der junge Wissenschaftler erfuhr indes das…mehr

Produktbeschreibung
Bisher ungedruckte Zeugnisse einer kurzen Freundschaft im Zeichen Hölderlins - vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs.Rainer Maria Rilkes Freundschaft zu dem Initiator der kritischen Hölderlin-Ausgabe, Norbert von Hellingrath, begann im Oktober 1910 in München. Bald wurde Hellingrath zum »Hölderlin-Lehrmeister« des Dichters: Ihre Gespräche und die Auseinandersetzung mit Hellingraths wissenschaftlicher Arbeit eröffneten Rilke den Zugang zu Person und Werk des »Herrlichen«, seine eigene Dichtung und deren Stil wurde dadurch maßgeblich beeinflusst. Der junge Wissenschaftler erfuhr indes das Glück, sich gleichberechtigt und vertrauensvoll dem dreizehn Jahre älteren Dichter anzuschließen. Seine bisher unveröffentlichten, von Zuneigung getragenen Charakteristiken und sein kluges, bisweilen auch kritisches Urteil schlagen innerhalb der Rilke-Rezeption ganz neue Töne an.1916 fand die kurze Freundschaft ein jähes Ende durch den Tod des jungen Hellingrath auf dem Schlachtfeld von Verdun.Die erhaltene Korrespondenz wird in chronologischer Folge um gedruckte und ungedruckte Bemerkungen aus Tagebüchern und Briefen an andere Adressaten sowie um zugehörige Aussagen Dritter ergänzt. Erst vor dem Hintergrund solcher direkten und indirekten Spiegelungen kann sich das Bild dieser besonderen Freundschaft entfalten, die bis zuletzt im Zeichen Hölderlins steht.
Autorenporträt
Rainer Maria Rilke (1875-1926) ist der weltweit berühmteste Dichter deutscher Sprache. Seine Werke sind ebenso populär wie schwer zu verstehen - der "Cornet", das "Stunden-Buch", die "Neuen Gedichte", die "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge", die "Duineser Elegien" und "Die Sonette an Orpheus", ebenso seine Prosaschriften und seine Übersetzungen aus dem Französischen, Italienischen und anderen Sprachen.

Norbert von Hellingrath (1888-1916) war Altphilologe und Germanist. Ihm ist wesentlich die Wiederentdeckung Hölderlins zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu verdanken.

Klaus E. Bohnenkamp, geb. 1942, studierte Klassische Philologie und Germanistik in Gießen und Tübingen. 1992 bis 1999 beim Boehringer Ingelheim Fonds in Stuttgart. Von 1996 bis 2000 Vizepräsident der Internationalen Rilke-Gesellschaft. Veröffentlichungen u.a.: Rainer Maria Rilke und Rudolf Kassner, Freunde im Gespräch (1997) sowie Rainer Maria Rilkes »Gedichte an die Nacht« (2004).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.2008

Hölderlin-Schock

Die Freundschaft von Rilke und Norbert von Hellingrath währte nur kurz, der Philologe fiel 1916 bei Verdun. Der jetzt vorliegende Briefwechsel offenbart den großen Einfluss der Initiators der ersten kritischen Hölderlin-Ausgabe auf den Dichter.

Im Salon des Münchner Verlegers Bruckmann lernte Rainer Maria Rilke 1910 den jungen Philologen Norbert von Hellingrath (1888 bis 1916) kennen. Hellingrath hatte gerade in Georges Zeitschrift "Blätter für die Kunst" Hölderlins Pindar-Übertragungen veröffentlicht und begonnen, Hölderlin, den im neunzehnten Jahrhundert vergessenen Dichter, in die deutsche Literatur einzuführen. Eine historisch-kritische Ausgabe in sechs Bänden, die erste für Hölderlin, sollte folgen: Ende 1912 wurde der fünfte Band mit den Übertragungen ausgeliefert, im September 1913 erschienen im ersten Band die Jugendgedichte und Briefe, und im Juni 1914 lag schon der vierte Band mit den Gedichten aus den Jahren zwischen 1800 und 1806 vor, "Herz, Kern und Gipfel des Hölderlinischen Werks", wie Hellingrath in der Vorrede schrieb.

Rilkes intensive Lektüre Hölderlins hatte, vermittelt durch den neuen Freund, 1913 eingesetzt: "sein Einfluß auf mich ist groß und großmüthig wie nur der des Reichsten und innerlich Mächtigsten es sein kann", schreibt er Hellingrath. Kaum einem Dichter hat er diese Stellung über sich eingeräumt. Und als Rilke in den letzten Julitagen des Jahres 1914 die späten Gedichte liest, erlebt er als "Hölderlin-Schock" (Bernhard Böschenstein) den Kriegsausbruch. Die "Fünf Gesänge", in den ersten Augusttagen 1914 notiert, sowie das Gedicht "An Hölderlin", das er im September 1914 abschloss, sind Euphorie und Kritik in einem und gerade nicht Kritik einer vorgängigen Kriegsbegeisterung, in der sich Hellingrath sofort freiwillig gemeldet hatte. (Nach Hellingraths Tod - er fiel 1916 vor Verdun - führten Ludwig von Pigenot und Friedrich Seebaß die Ausgabe nach dem Ersten Weltkrieg zu Ende.)

Die Freundschaft, die sich zwischen Hellingrath und Rilke entfaltete, hatte zum Gegengewicht Rilkes Radikalität in seinen Texten, die Hellingrath selbst spürte; seiner Vertrauten Marie von Sladovich schrieb er: "dabei weiß ich so gut wie immer dass eine welt mich trennt von ihm, und dass in solcher trennung fast feindschaft ist, aber solche feindschaft bleibt im werk und legt sich gar nicht zwischen die menschen." Rilkes Lektüre Hölderlins, in den Gedichten reflektiert, bleibt der Demut des Herausgebers und seiner Leser strikt entgegengesetzt. Hellingrath behauptet, wie sein Meister Stefan George, seine Haltung als ästhetisches Programm gegen Rilkes riskante, intellektuelle Form. Vor diesem Horizont ist Klaus Bohnenkamps wichtige Edition der sechzehn Briefe zwischen Rilke und Hellingrath zu beurteilen, denn in seiner dichten Dokumentation gehen die Briefe und ihr Sinn - als Kern einer Freundschaft, die sich im Schriftlichen in ihr Gegenteil verkehrt - unter.

Auf dem Spiel stand zuletzt Rilkes eigene Begründung aus der französischen Literatur. Mochte George Novalis und später eben Hölderlin an die Stelle Mallarmés setzen, im Sinn seiner nationalen Literaturpolitik gegen das "reine" Intellektuelle, führt Rilke Hölderlin in eine französische Tradition ein, die er von Maurice de Guérin über Flaubert und Proust zu Paul Valéry zieht. Ihr Kennzeichen ist eine Prosa, die zugleich realistisch und geschlossen ist und für die die Maxime gilt: je geschlossener der Raum, umso realistischer die "dargestellte" Welt.

Als Rilke 1911 das Prosastück "Le Centaure" von Maurice de Guérin aus dem Jahr 1835 übersetzte, begegnete ihm Hölderlin zum ersten Mal, und zwar als Kommentator, der in strenger Prosaführung das neunte, selbst aus dem Griechischen übertragene Pindar-Fragment glossiert; Hellingrath hatte ihm "Das Belebende" (Pindars Gedicht und Hölderlins Exegese in einem) abgeschrieben und geschickt. Rilke dankte für die Auskunft, "durch die ich noch aufmerksamer und gleichsam erfahrener zu dem Centauer Guérins's zurückkomme". Die im Briefwechsel geschaffene Konstellation ist einzigartig: Hölderlins Rolle bleibt gegenüber Guérins Meditation über die Entstehung des Gesangs in der Natur sekundär. Dem entsprach zeitgleich der topographische Zweifel Hellingraths, der 1911 nach einem Jahr als Lektor an der École Normale Paris wieder verließ, weil die Stadt ihm anders als Rilke nicht "nöthig" sei, und nach Deutschland zurückkehrte.

Hölderlins Programm einer Identität von Strom, Kentauren und der Dichtung wird von Rilke, der als Übersetzer die Worte wägt, in die Sprachbewegung Guérins eingeführt. So lautet dessen letzter Satz: "mais je reconnais que prochainement j'irai me mêler aux fleuves qui coulent dans le vaste sein de la terre." Doch Rilke übersetzt, gegen die Wendung "se mêler à", die keine Einswerdung bedeuten kann: "und eins werden mit den Flüssen, die hinströmen in dem großen Schoß der Erde." Das Intellektuelle wird so literarisch, und "eins werden" ein neues Wort, dessen Kraft aus dem poetischen Gebrauch stammt: Es behält die Dissoziation im Inneren bei.

Rilke überwindet Hölderlin schließlich mit dessen eigener (und der Romantik vertrauten) Einsicht, dass in jeder Gattung die anderen Gattungen mitenthalten sind. In der Emphase, mit welcher die "Fünf Gesänge" anzuheben scheinen, steckt zugleich die Kritik, ja mehr noch: die Satire, und später im Zyklus behauptet sich Rilkes Einsicht, dass das Rühmen nur der Modus der Klage sei. Der Kriegsausbruch, den Rilke hölderlinisch erlebt, wird zum poetischen Paroxysmus, der diesen "Wechsel der Töne" (Hölderlin) offenlegt.

Schon in der ersten Intuition hält Rilke der Euphorie kraft lang geübter Wortpraxis stand: "Zum ersten Mal seh ich dich aufstehn / hörengesagter fernster unglaublicher Kriegs-Gott." Ein ebenso gewaltiger wie unglaubwürdiger Gott. Wenig später erweist sich der verführerische Satz "Endlich ein Gott" bei genauem Hinsehen als Figurenrede, so sprachen die Leute damals, doch das lyrische Subjekt kehrt - im Wortgebrauch - die Sache um: "Da wir den friedlichen oft / nicht mehr ergriffen, ergreift uns plötzlich der Schlacht-Gott." Die so geformte Intuition wird in der Folge interpretiert, und jeder Gesang ist ein Schritt auf diesem Weg. Dichtend interpretiert sich Rilke selbst. Darin besteht seine Reue. Die Dichtung entsteht als sich zuspitzender Gedanke.

Mit dem Kriegsgott hat Rilke auch Hölderlin und Georges Hellingrath hinter sich gelassen. Aus dem Propheten und Heroen Hölderlin wird zuletzt ein orphischer Dichter, einer jener Dichter, die ihre Kunstwelt klagend-rühmend schaffen.

CHRISTOPH KÖNIG

"Rainer Maria Rilke/Norbert von Hellingrath. Briefe und Dokumente". Hrsg. von Klaus E. Bohnenkamp. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 244 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christoph König erschließt dem literaturwissenschaftlich gebildeten Leser den Sinn der von Klaus Bohnenkamp herausgegebenen sechzehn Briefe zwischen Rainer Maria Rilke und dem Hölderlin-Herausgeber Norbert von Hellingrath. König verdeutlicht die dieser Beziehung zugrundeliegende Differenz von menschlicher Zuneigung und schriftlicher Feindschaft anhand von Rilkes radikal intellektueller Hölderlin-Lektüre. Diese deutete Hölderlin als Heroen und Propheten und schließlich als orpheischen Sänger und war dem der Demut verpflichteten ästhetischen Programm eines Hellingrath entgegengesetzt, erläutert der Rezensent.

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