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Friedrich Schleiermacher war Theologe, Philosoph, Pädagoge und Altphilologe in der bewegten Epoche um 1800. Als emblematischer Sprössling des evangelischen Pfarrhauses steht er wie nur wenige für die kulturelle Blütezeit des Protestantismus, in der sich eine neue Form kultivierter Innerlichkeit und subjektiver Religiosität herausbildete. Andreas Arndt wirft einen neuen Blick auf das Denken Schleiermachers im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Geschehnisse seiner Zeit. Dabei zeichnet er seine intellektuelle Entwicklung nach, verortet sie in seiner changierenden Positionierung…mehr

Produktbeschreibung
Friedrich Schleiermacher war Theologe, Philosoph, Pädagoge und Altphilologe in der bewegten Epoche um 1800. Als emblematischer Sprössling des evangelischen Pfarrhauses steht er wie nur wenige für die kulturelle Blütezeit des Protestantismus, in der sich eine neue Form kultivierter Innerlichkeit und subjektiver Religiosität herausbildete. Andreas Arndt wirft einen neuen Blick auf das Denken Schleiermachers im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Geschehnisse seiner Zeit. Dabei zeichnet er seine intellektuelle Entwicklung nach, verortet sie in seiner changierenden Positionierung gegenüber dem preußischen Staat und rekonstruiert seine gesellschaftspolitischen Konzepte in Reaktion auf die großen historischen Umbrüche, namentlich die Französische Revolution, die Schleiermacher als Ereignis von religiöser Bedeutung versteht. Mit ihr verbindet er die Idee eines Reiches der Freiheit, das Entfremdung und knechtende Arbeit aufhebt und die menschliche Gattung verbindet. In seinem späteren Werk entwickelt Schleiermacher daraus eine Staatskonzeption, welche mehr auf die Gemeinschaft stiftende Gesinnung als auf das Recht setzt, womit er als virtueller Antipode Hegels kenntlich wird. Zu seinem 250. Geburtstag zeigt Andreas Arndt Schleiermacher als Denker zwischen Liberalität, Reaktion und utopischer Kritik und profiliert ihn in dieser Ambiguität als exemplarischen Vertreter der deutschen Geistesgeschichte.
Autorenporträt
Andreas Arndt, 1949 in Wilhelmshaven geboren, war zuletzt Professor für Philosophie an der Theologischen Fakultät der Humboldt Universitat zu Berlin. Er ist Mitherausgeber der Kritischen Schleiermacher-Gesamtausgabe und Leiter des Forschungsprojekts Friedrich Schleiermacher in Berlin 1808¿1834 an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Ehrenvorsitzender der Internationalen Hegel-Gesellschaft und veröffentlichte zahlreiche Studien zur Klassischen Deutschen Philosophie, zu Marx und Marxismus, Geschichte und Theorie der Dialektik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2019

Der ewige Harmoniker
Statt Hegel: Andreas Arndts Schleiermacher-Biographie

Eigentlich kommt dieses Buch ein Jahr zu spät. Denn 2018 wurde Schleiermachers 250. Geburtstag begangen. Allerdings hat dieses Jubiläum auf dem Buchmarkt nicht recht stattgefunden. Die meisten Fachleute werden gedacht haben, dass die große Schleiermacher-Biographie des viel zu früh verstorbenen Kirchenhistorikers Kurt Nowak von 2001 nicht zu übertreffen ist. So ist im vergangenen Jahr keine interessante Gesamtdarstellung erschienen.

In diese Lücke tritt nun Andreas Arndt. Wenige sind so intim mit Schleiermachers Werk vertraut, haben diesem so hingebungsvoll gedient wie er. Von 1979 bis 2011 hat er in der Schleiermacher-Forschungsstelle an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gearbeitet und sie am Ende geleitet. Das beeindruckende Fortschreiten der Gesamtausgabe wäre ohne ihn nicht denkbar gewesen. Anders aber als der Titel vermuten lässt, hat Arndt keine farbige Biographie geschrieben, sondern eine politik-philosophische Studie. Sie unternimmt am Beispiel zentraler Lebensstationen eine konsequente Ideologiekritik des politischen und theologischen Denkens dieses Kirchenvaters des aufgeklärten Protestantismus. Der durchgängige Bezugspunkt ist dabei die Französische Revolution, das größte welthistorische Ereignis seiner Epoche.

Auf die Alternative von Revolution oder Reform hin untersucht Arndt Schleiermachers Denkwege, Bildungs- und Berufsetappen. Stets habe Schleiermacher, als Vertreter einer "linken Mitte", das historische - ja religiöse - Recht der Revolution anerkannt, zugleich aber für eine Reform "von oben" optiert. Dies sei nicht nur seiner Persönlichkeit und politischen Einstellung geschuldet, sondern im Kern durch eine theoretische "Unterbestimmtheit" verursacht. Anders als Hegel habe Schleiermacher den erstrebten Fortschritt nicht entschieden an das Recht und damit an eine verbindliche Institutionalisierung des Demokratischen gebunden, sondern eher auf die Bildung von Ethos und Gesinnung abgezielt. So sei bei ihm die Revolution in ein tendenziell unpolitisches Reformvorhaben gemündet: eine Mischung aus neuer Verwaltungsorganisation, Bildungsarbeit sowie einer Liberalisierung und Ästhetisierung der Religion. Das gebe seinem politischen Denken eine grundsätzliche Ambivalenz: Schleiermacher habe den Fortschritt befürwortet, doch wenn es hart auf hart ging, habe er Konflikte verunklart, Entschiedenheit vermissen lassen und der Obrigkeit gehorcht. Sein Fortschrittsbegriff bleibe deshalb naiv und lasse zudem "keinen Platz für die Härten und die Negativität, die Erfahrungen des Unglücks und der Zusammenbrüche."

Arndts Ideologiekritik aus Hegelscher Perspektive ergibt eine anregende und anspruchsvolle Lektüre. Er erhebt einen Vorwurf, den auf ihre Weise auch viele theologische Gegner formuliert haben: Schleiermacher als ewiger Harmoniker, Allversöhner und Dauervermittler, der die Abgründe des Lebens und Glaubens verhüllt habe - ein "Schleier-Macher" eben. Mit so einem ist weder eine autoritäre Klerikerkirche zu führen noch eine Revolution zu machen. Schleiermacher hätte vielleicht gar nicht widersprochen. In einem Brief vom Februar 1793, kurz nach Hinrichtung von Ludwig XVI., schrieb er mit knapp 25 Jahren an seinen Vater: "Ich armer Mensch gelte den Demokraten nicht selten für einen Vertheidiger des Despotismus, bei den Brauseköpfen für einen Politikus, der den Mantel nach dem Winde hängt, bei den Royalisten für einen Jakobiner und bei den klugen Leuten für einen leichtsinnigen Menschen, dem die Zunge zu lang ist."

Doch muss man darin nur eine Schwäche sehen? Arndts oft wiederholter Hauptvorwurf lautet "Unterbestimmtheit". Das ist das Schlimmste, was ein Hegelianer über einen anderen Philosophen sagen kann. Aber gibt es im Politischen nicht auch ein Recht auf Unschärfe? Ist diese nicht eine Voraussetzung für Verständigungen, Kompromisse, Rücksichtnahmen und behutsame Reformversuche? Wenn man auf die Geschichte der Französischen Revolution und ihren Terror oder auf Napoleon und seine sinnfreie, auf Dauer gestellte Expansionsgewalt schaut, oder wenn man an die totalitären Folgen des Linkshegelianismus denkt, fragt man sich, ob eine gewisse "Unterbestimmtheit" nicht auch zu einer friedlichen Liberalität gehört.

So hinterlässt dieses Buch in all seiner Klugheit einen eigentümlich zwiespältigen Eindruck. Stets auf höchstem argumentativem Niveau, mit virtuoser Quellenbeherrschung und dabei immer um Fairness bemüht, destruiert hier ein Autor einen Klassiker, dem er doch sein ganzes Berufsleben gewidmet hat. Vielleicht ist seine Ideologiekritik deshalb so intensiv und bohrend geraten. Aber man wird bei der Lektüre dieses überaus scharfsinnigen Buches nie den Eindruck los, sein Verfasser hätte eigentlich viel lieber etwas ganz anderes geschrieben, nämlich eine Monographie über Hegel. Doch das Rettende wächst auch hier: Im kommenden Jahr ist ja der 250. Geburtstag dieses großen Schleiermacher-Antipoden zu begehen.

JOHANN HINRICH CLAUSSEN

Andreas Arndt:

"Die Reformation der Revolution". Friedrich Schleiermacher in seiner Zeit.

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019. 336 S., geb., 30,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Eine wissenschaftlich fundierte und flüssig geschriebene intellektuelle Biografie, welche geschickt die verschiedenen Lebensstationen Schleiermachers mit seiner Denkentwicklung verbindet. Dieter Altmeyer Bibliothekarische Dienste 20190506