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Seit September 2015 gibt die Berliner Musikerin und Autorin Christiane Rösinger Deutschunterricht für Geflüchtete. Ihr Kreuzberger Anfänger-Kurs ist Teil einer freien Deutschkurs-Initiative für Menschen, die oft keine anderen Angebote zum Spracherwerb bekommen und die, wie es im Behördenjargon heißt, »keine gute Bleibeperspektive« haben. Aber nicht nur die Kursteilnehmer kämpfen mit trennbaren Verben und »den verdammten drei 'sie'« der deutschen Sprache, auch Christiane Rösinger hat alle Mühe, das »Lernziel« zu erreichen und sich selbst zu integrieren. Bis das gelingt, schlägt sie sich mit den…mehr

Produktbeschreibung
Seit September 2015 gibt die Berliner Musikerin und Autorin Christiane Rösinger Deutschunterricht für Geflüchtete. Ihr Kreuzberger Anfänger-Kurs ist Teil einer freien Deutschkurs-Initiative für Menschen, die oft keine anderen Angebote zum Spracherwerb bekommen und die, wie es im Behördenjargon heißt, »keine gute Bleibeperspektive« haben. Aber nicht nur die Kursteilnehmer kämpfen mit trennbaren Verben und »den verdammten drei 'sie'« der deutschen Sprache, auch Christiane Rösinger hat alle Mühe, das »Lernziel« zu erreichen und sich selbst zu integrieren. Bis das gelingt, schlägt sie sich mit den beiden größten Hindernissen für eine gelingende Integration herum - der deutschen Gesellschaft und der deutschen Grammatik.
Autorenporträt
Christiane Rösinger war Mitgründerin, Sängerin und Texterin der Berliner Bands »Lassie Singers« und »Britta«. In den 90er Jahren war sie eine der Betreiberinnen der legendären Flittchenbar am Berliner Ostbahnhof, die sie 2010 zu neuem Leben erweckte. Seitdem führt sie einmal im Monat durch eine musikalische Gala-Show im Kreuzberger Club Südblock. Neben ihrer Arbeit als Musikerin (¿Songs Of L. And Hate¿, ¿Lieder ohne Leiden¿) schreibt sie für verschiedene Zeitungen und Magazine. Christiane Rösinger veröffentlichte 2008 ihr erstes Buch ¿Das schöne Leben¿, es folgten ¿Liebe wird oft überbewertet¿, ein humorvolles Plädoyer für das Alleinleben, und ¿Berlin-Bakü, der Bericht ihrer Reise zum Eurovision Song Contest nach Baku.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2017

Micky Maus hilft bei Präpositionen
Konsequent zugewandt: Die Berliner Musikerin Christiane Rösinger berichtet von ihrem Einsatz als Deutschlehrerin für Flüchtlinge

"Ich kenne die Fluchtgeschichten meiner TN nicht, sie wollen sie auch nicht erzählen. In einer unausgesprochenen Übereinkunft blenden wir das Thema im Deutschunterricht weitgehend aus. Wir spielen Schule", schreibt Christiane Rösinger, über die Teilnehmer, abgekürzt "TN". Um gleich darauf zu bekräftigen: Es sei ein ernstes, schönes Spiel. Es zähle nur die Gegenwart. Mit dem Perfekt hätten sie an diesem Tag das erste Mal angefangen, "Zukunft machen wir später".

Dieser letzte Teilsatz gibt ihrem Buch den Titel und darf gerne als Leitgedanke verstanden werden. Die von Rösinger geschilderte Tour führt nicht nur durch die deutsche Grammatik mit all den bekannten Schwierigkeiten - oder wer kann schon einfach erklären, wie mit starken, unregelmäßigen Verben umzugehen ist? Sofern man sich überhaupt einig ist, ob es nun starke oder unregelmäßige sind oder nicht doch beides gilt, wie eine Anekdote veranschaulicht, die viel mehr über "männliches Dominanzverhalten" erzählt als über Linguistik.

Andere Szenen beschreiben konfliktreiche Sprachverwirrungen, zugleich erlebt der Leser eine ernüchternde Exkursion durch die deutsche Behördenlandschaft nebst einem Dschungel aus Lehrsätzen und Vorschriften, mittendrin ein paar Biodeutsche, und das alles zur Hochphase der sogenannten Flüchtlingskrise.

Abgesehen von Adjektiven, Wechselpräpositionen und Redemitteln geht es hier um Asylrecht und eine Bleibeperspektive, um Notunterkünfte und das berüchtigte "LAGeSo" in Berlin ebenso wie um Polygamie, Pop, Mülltrennung oder Analphabetismus. Und natürlich immer wieder auch um Kreuzberg und Berliner Stadtgeschichten, denn es ist eine sehr persönliche Schilderung der Verhältnisse, in die Christiane Rösinger, Jahrgang 1961 und ein Urgestein der Berliner Musikszene, gerät, als sie sich 2015 im "Spät-Summer-of-Love" selbst aufmacht, Deutsch als Zweitsprache zu unterrichten.

Im Jahr 2015 beantragten 1 322 825 Menschen Asyl in den Ländern der Europäischen Union, 2016 waren es 1 259 555, und was das im Einzelnen bedeutet, kann man nach der Lektüre von "Zukunft machen wir später" zumindest erahnen, ohne die vielleicht gefürchtete Ekstase im Ehrenamt überblättern zu müssen oder sich mit der gerade wieder neu entfachten Diskussion um Obergrenzen herumzuschlagen. Rösinger nimmt sich dem Thema mit Humor und der ihr eigenen Lakonie an. Die auch als Melancholikerin bekannte Autorin gibt sich "konsequent zugewandt". Zunächst hat die Germanistin mit Hochschulabschluss jedoch vor allem die eigene Rente (180 Euro monatlich von 2021 an) im Blick. Nach dreißig Jahren des prekären Singer-Songwriter-Daseins schaut sie sich deshalb nach einer Lehrtätigkeit um, ohne zu verschweigen, dass sie Lehramtsstudenten einst für noch langweiliger als alle anderen hielt. Ihre akute Sehnsucht nach einer regelmäßigen, "nichtkreativen" Arbeit lässt sie bald einen unbezahlten Job antreten, in dem sie ihre ersten Erfahrungen mit Sprachbegabten, Beflissenen, Nullcheckern und Problemjugendlichen macht.

Wer Rösinger jemals bei einer Lesung oder auf der Bühne mit ihrer Band "Britta", den "Lassie Singers" oder solo erlebte, hat ihre Stimme im Ohr, wenn die Teilnehmer, die aus mehr als zwei Dutzend Ländern stammen, in offenen Kursen mit feierlichem Gesichtsausdruck ihren Wortschatz anhand von Einkaufsdialogen erweitern. Und vor dem inneren Auge sieht man sie, Schattentänze beim Picknick vollführen und verzweifelt versuchen, das Verb "backen" pantomimisch zu erklären oder mit Hilfe einer Micky Maus aus Plüsch irgendwelche Präpositionen auszudrücken. Ob sie sich nun dem Nahostkonflikt im Klassenzimmer stellen, ein Mützenproblem lösen oder gar Mark Twain angesichts eines Rockdilemmas heranziehen muss: Es ist unterhaltsam und durchaus bildend, mit Christiane Rösinger die Verwandlung zur Integrationsfachkraft zu vollziehen. Auf den Dativ würde man trotzdem ungern verzichten, wie Twain es empfiehlt.

Sie, die Bauerstochter aus Baden, die bittersüß wie keine andere den "zukünftigen Exfreund" zelebrieren kann - und nach all den Jahren das "Lob der stumpfen Arbeit" singen, wie auf ihrem aktuellen Album "Lieder ohne Leiden", beschönigt nichts. Nicht einmal Possessivpronomina. Sie huldigt aber der deutschen Sprache, nicht zuletzt mit ihrer betörenden Kleist-Vertonung "Das gewölbte Tor", und regt zum Nachdenken an. Indem sie zum Beispiel schreibend den Wortbildungen mit -ling nachfühlt, die häufig stark abwertenden Charakter hätten. "Nur der Frühling und der Schmetterling sind durchweg positiv besetzt. Der Flüchtling aber leider nicht."

SONJA KASTILAN

Christiane Rösinger: "Zukunft machen wir später". Meine Deutschstunden mit Geflüchteten.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 224 S., br., 12,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Alles in allem ein informativer, unterhaltsamer und vor allem sehr lebendiger und realitätsnaher Band - und erfreulich weit weg von stupider political correctness. Darmstädter Echo 201705