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Frühjahr 1858: Ein Brief verlässt eine kleine Insel in den Molukken. Sein Ziel ist Südengland, sein Inhalt: ein Aufsatz über den Ursprung der Arten. Kaum ein Jahr später sorgt die Schrift für Aufsehen und wird bekannt als Theorie der Evolution. Doch nicht der Verfasser des Briefes, der Artensammler Alfred Russel Wallace, erntet den Ruhm dafür, sondern sein Empfänger, der Naturforscher Charles Darwin. Von Wallace bleibt lediglich eine nach ihm benannte Trennlinie der Arten im Malaiischen Archipel.
Einhundertfünfzig Jahre später stößt der Museumsnachtwächter Albrecht Bromberg auf das
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Produktbeschreibung
Frühjahr 1858: Ein Brief verlässt eine kleine Insel in den Molukken. Sein Ziel ist Südengland, sein Inhalt: ein Aufsatz über den Ursprung der Arten. Kaum ein Jahr später sorgt die Schrift für Aufsehen und wird bekannt als Theorie der Evolution. Doch nicht der Verfasser des Briefes, der Artensammler Alfred Russel Wallace, erntet den Ruhm dafür, sondern sein Empfänger, der Naturforscher Charles Darwin. Von Wallace bleibt lediglich eine nach ihm benannte Trennlinie der Arten im Malaiischen Archipel.

Einhundertfünfzig Jahre später stößt der Museumsnachtwächter Albrecht Bromberg auf das Schicksal des vergessenen Wallace. Er begibt sich auf seine Spuren und je länger er mit Wallace unterwegs ist, desto mehr zweifelt Bromberg an, ob alles so bleiben muss, wie es ist. Er fasst einen Plan, der endlich denjenigen ins Licht rücken soll, der bisher im Dunkeln war, und erkennt: Geschichte wird nicht gemacht, sondern geschrieben.

Mit seinem Debüt ist Anselm Oelze ein philosophischer Abenteuerroman gelungen, ein literarisches Denkmal für die Außenseiter des Lebens und der Geschichte.
Autorenporträt
Anselm Oelze, geboren 1986 in Erfurt, studierte Philosophie, Politikwissenschaft und Philosophical Theology in Freiburg und Oxford. Nach seiner Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin forschte er an der Universität Helsinki. Derzeit lehrt er an der LMU München und lebt mit seiner Familie in Leipzig. »Wallace« ist sein erster Roman.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.03.2019

Zwei Schiffsglocken im Einklang
Anselm Oelzes Debütroman „Wallace“ über den Forschungsreisenden und Evolutionstheoretiker Alfred Russel Wallace, den Charles Darwin ausgestochen hat
In der Literatur wie in der Evolutionstheorie spielen Schönheit und Tod eine zentrale Rolle. In beiden setzt sich durch, was eine schöne Form hat. Wenn aber Kunstwerke scheitern und Fortpflanzungslinien abreißen, kann es das Ende einer Art bedeuten. Sie verschwinden und werden vergessen. Schönheit und Tod spielen in „Wallace“, dem Debütroman von Anselm Oelze überraschenderweise keine große Rolle.
Oelze, Philosophiedozent derzeit in München, hat einen Abenteuerroman geschrieben, mit dem er etwas zurechtrücken möchte. Seine Titelfigur basiert auf der Geschichte des historischen Naturforschers Alfred Russel Wallace, der neben Charles Darwin als Entdecker der Evolutionstheorie gilt, es aber nie zu dessen Weltruhm gebracht hat.
Mitte des 19. Jahrhunderts schlug sich Wallace, einige Jahre nach Darwins Reise auf der Beagle, jahrelang durch den lateinamerikanischen Urwald und durchkreuzte das Malayische Archipel, wo er, als habe sich nach Jahren des Forschens und Sammelns plötzlich alles gefügt, an nur drei Abenden und unabhängig von Darwin das Prinzip der Entwicklung der Arten durch natürliche Selektion beschrieb. Er schickte das Manuskript an Darwin, den er aus London kannte und als Gutachter heranziehen wollte, bevor er sich mit dem Text bei einem Fachjournal bewarb.
Was dann geschah, ist bislang nicht eindeutig rekonstruiert. Klar ist, dass Darwin, kurz nachdem der Brief bei ihm eingetroffen sein soll, mit der Evolutionstheorie an die Öffentlichkeit ging. Wollte er verhindern, dass ihm dieser Wallace zuvorkam mit einer Theorie, auf die sie beide unabhängig voneinander gestoßen waren? Sah er sich in den Ideen des Kollegen endlich bestätigt und wagte den Schritt an die Öffentlichkeit? Oder plagiierte er gar Teile der Theorie, wohl wissend, dass dieser Wallace am anderen Ende der Welt kaum etwas dagegen unternehmen konnte?
Obwohl Wallace in „Die Entstehung der Arten“ erwähnt wird und beide zu Lebzeiten auch gemeinsam als Vertreter der Evolutionstheorie auftraten, gilt heute Darwin als maßgeblicher Entdecker der wichtigsten Theorie des 19. Jahrhunderts. Wallace ist in die Fußnoten verbannt, ein zu spät und zu kurz Gekommener, ein Gescheiterter und deshalb als literarische Figur bestens geeignet. Oelzes Roman soll ihn vor dem Vergessen bewahren.
Er steht damit in auffälliger Parallele zu einem anderen Vergessenen, den die deutschsprachige Literatur vor wenigen Jahren wiederentdeckte, nämlich den Lebensreformer und Auswanderer August Engelhardt, von dem Christian Kracht in seinem 2012 erschienen Roman „Imperium“ erzählte. Schon auf den ersten Seiten von Anselm Oelzes „Wallace“ muss man eine enge Verwandtschaft mit Krachts Roman feststellen: „Es war heller Nachmittag, als die Koningin der Nederlanden in die Bucht einlief. Ihre frisch gestrichenen weißen Planken glitzerten unter der grellen Sonne, die seit dem frühen Morgen schon im Zenit stand und zu Füßen des großen Vulkans, dessen grüne Hänge über dem kleinen Eiland aufragten, alles in eine träge, schläfrige Ruhe gezwungen hatte. (…) Noch war, dem schrillen Geläut der Schiffsglocke zum Trotz, das der landseitige Wind herantrug, niemand in Unruhe geraten, geschweige denn in Bewegung versetzt worden.“ Bei Kracht heißt es: „Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament, da war erst ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zu Mittag, und ein malayischer Boy schritt sanftfüßig und leise das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem üppigen Frühstück wieder eingeschlafen waren.“
Ungeachtet der Frage, ob jedes Substantiv ein Adjektiv braucht, ist es eine schöne Fügung der Stoffe, dass Krachts „Boy“ ausgerechnet aus Malaysia, Wallaces Forschungsfeld, stammt. Spätestens beim Läuten der Schiffsglocke kann aber kein Zufall mehr im Spiel sein und Oelze beruft sich klar auf Kracht, der in „Imperium“ mit seinem Imitat einer Romansprache des späten 19. Jahrhunderts auch formal sein Thema anspielte, nämlich das einer jahrzehntelangen Entwicklung des deutschen Geisteslebens, die da endete, wo bei Kracht immer alles endet, im Faschismus.
Die Engführung des Kokosnussfanatikers August Engelhardt mit dem anderen Vegetarier Adolf Hitler in dieser ironisch mehrfach gebrochenen Sprache wurde Kracht kritisch ausgelegt, obwohl schon im Aufruf der Register, von den schlafenden Passagieren bis zum kräftigen Bier, das auch Hans Castorp so gerne trinkt, in jedem Satz klar ist, dass hier etwas dem „Zauberberg“ Ähnliches angedeutet wird. Oelze verweist nun seinerseits auf Kracht und anders als es der Poststrukturalismus behauptet – und Kracht es gerne demonstriert – lassen sich die Zeichenketten eben doch nicht ganz bruchlos fortknüpfen.
In den ersten Kapiteln zeichnet Oelze in ironisch ausgefeiltem Stil ein Bild seines Helden, der es mit verschlagenen und neugierigen Inselbewohnern zu tun bekommt, bei der Krokodiljagd aus einem Kanu fällt und mitten im Urwald nackt einem Schmetterling hinterherjagt. Das ist schön nachgemacht, nur bleibt die Frage offen, wozu es diese übertriebene Imitation von Krachts Stil braucht, den Oelze dann nicht einmal durchhält. Die Adjektive werden bald weniger, die Nebensätze auch, und dann zeigt sich, wie wenig von diesem Pastiche übrig bleibt: eine heruntergebrochene Nacherzählung der Aufzeichnungen Wallaces, die nicht so unbekannt sind, wie der Roman suggeriert. Erst 2014 sind sie in deutscher Übersetzung neu herausgegeben worden, im Jahr zuvor erschien eine große Biografie Wallaces von dem Evolutionsbiologen Matthias Glaubrecht.
Ähnlich vereinfachend ist die dem Roman zugrunde liegende Prämisse, dass wissenschaftliche Entwicklungen immer einem klaren Urheber haben. Entdeckungen zeichnen sich oft schon ab, bevor ein Forscher die entscheidende Schwelle übertritt. Dieser letzte Schritt erscheint oft ganz einfach, ist aber eben entscheidend und im Falle der Evolutionstheorie hat ihn Darwin getan, nicht Wallace – wenn auch mit Hilfe von dessen Erkenntnissen.
Der andere große Roman der letzten Jahre, in dem es darum ging, dass sich jemand durch den dichten Urwald kämpft, war Daniel Kehlmanns „Vermessung der Welt“, in dem die Geschichten der Entdeckungen Alexander von Humboldts und Carl Friedrich Gauß’ erzählt wurden. Oelze hat seinem Wallace auch eine Parallelfigur zur Seite gestellt. In einer nicht näher definierten Gegenwart kommt der verhuschte Museumsnachtwächter Albrecht Bromberg durch eine Reihe gar nicht so bemerkenswerter Ereignisse dem angeblich unbekannten Alfred Russel Wallace auf die Spur und beschließt, den verschollenen Brief, den Wallace an Darwin schickte, zu fälschen um der Geschichte eine neue Wendung zu geben. Die Frage lautet also, wie schon auf dem Buchumschlag notiert: „Warum sind die Dinge so, wie sie sind? Und könnten sie nicht auch ganz anders sein?“ Der philosophische Anspruch des Romans ist vollkommen beliebig.
Die Bromberg-Kapitel lassen im Jugendbuchton eine Parade von Nebenfiguren aufmarschieren um verschiedene Theorien zu referieren. Was sie mit Wallace zu tun haben sollen, ist oft unklar. Zumal der Roman schon sein Hauptthema, die Evolutionstheorie, ungenutzt lässt. Form und Inhalt finden nicht zusammen. Das Fiese an der Evolution ist ja, dass immer etwas auf der Strecke bleibt. Ausgerechnet Darwin hat schon in „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ auf die Verwandtschaft von Evolution und Ästhetik in der für beide maßgeblichen Rolle der schönen Form hingewiesen. Die Chance, diese Verbindung für sich zu nutzen, hat dieser Roman verpasst. Er hätte Wallaces Niederlage im Feld der Evolution erklären und dieser Geschichte durch die ästhetische Form des Romans etwas neues entlocken können, anstatt nur revisionieren zu wollen. Warum hat sich, evolutionär gesehen, Darwin durchgesetzt und nicht Russel? Warum aber erscheint Russel als faszinierende Romanfigur und nicht Darwin? Offenbar traut der Roman der Literatur gar nicht zu, solche Fragen zu beantworten.
Der Evolution nicht unähnlich sind ja die Erscheinungen der Mode, die ihre eigene Kurzlebigkeit, das Verschwinden ihrer Phänomene immer schon antizipiert. Am Ende von Krachts „Imperium“ ist der Boy zu einem „Statisten“ und die Schiffsglocke mit dem Dampfer zu einem Film geworden, der in den Lichtspielhäusern auf der ganzen Welt reproduziert wird. Am Ende von „Wallace“ legt der Dampfer nur wieder ab und die Schiffsglocke läutet, als wäre nichts passiert. So gesehen ist dieser Roman sehr modisch.
NICOLAS FREUND
Ungeachtet der Frage, ob jedes
Substantiv ein Adjektiv braucht,
sind die Parallelen zu Kracht klar
Schon Darwin hat auf die
Verwandtschaft von Evolution
und Ästhetik hingewiesen
Anselm Oelze: Wallace. Roman. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2019. 264 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2019

Vom Ursprung der Unarten

Anselm Oelze will Darwins Kollegen Alfred Russel Wallace als Entdecker der Evolutionstheorie rehabilitieren.

Auch in Wissenschaft und Literatur gilt das harte Gesetz der natürlichen Selektion: Nur die Stärksten, Wendigsten und am besten Angepassten überleben, nicht die zarten, selbstgenügsamen Naturen mit ihren Beiß- und Schreibhemmungen. Und wer zuerst kommt, mahlt zuerst. So gilt heute Newton und nicht Leibniz als Pionier der Infinitesimalrechnung, Tesla und nicht Ferraris als Genie des Zweiphasenwechselstroms, Darwin und nicht etwa sein Zeitgenosse Alfred Russel Wallace als Vater der Evolutionstheorie. Dabei kann man über das Erstgeburtsrecht durchaus streiten. 1858 schickte Wallace seinem verehrten Kollegen Darwin einen Aufsatz mit Beobachtungen und Gedanken zur natürlichen Zuchtwahl im Tierreich; ein Jahr später erschien Darwins "Ursprung der Arten". Darwin wurde weltberühmt, Wallace ist heute allenfalls noch Wissenschaftshistorikern bekannt als Entdecker der Wallace-Linie, die im Südpazifik die australische von der asiatischen Fauna trennt.

Darwin hat seinen jungen Kollegen durchaus gewürdigt, so wie Wallace umgekehrt nie schlecht über seinen Lehrmeister sprach. Aber es gab auch schon früh den bösen Verdacht, Darwin habe Wallace schamlos plagiiert, hintergangen oder jedenfalls um den verdienten Anteil am Ruhm betrogen. Ein solcher Fall von vergangenem Unrecht schreit nach den Gesetzen des Buchmarkts und der Opfer-Idealisierung heute nach postumer Wiedergutmachung, und so reiht sich jetzt auch ein junger deutscher Schriftsteller in die gar nicht so kleine Schar der angelsächsischen Wallace-Rächer ein: Anselm Oelze, 1986 in Erfurt geboren, derzeit noch Philosophiedozent in München, aber schon mit Ideen für drei oder vier Romane ausgerüstet.

In seinem Erzähldebüt lässt Oelze Wallace späte Gerechtigkeit widerfahren: Dass nur Darwin im kollektiven Gedächtnis überlebte, verdankt sich nicht dessen Genie oder auch Infamie, sondern Wallace' sympathischer Bescheidenheit und Schüchternheit. Zwei gelehrte Laien wollen den zu spät gekommenen Naturforscher mit einem "kleinen Schubs" rehabilitieren: Oelze mit seinem Roman und darin ein Wallace-Fan mit einem gefälschten Brief. "Selbstverständlich ist dies eine wahre Geschichte", heißt das Motto. Aber so einfach funktioniert verspätete Wahrheitskonstruktion nicht.

Oelzes Roman zerfällt in zwei nicht gerade innig verzahnte Hälften. Die eine erzählt, sichtlich auf den Spuren von Daniel Kehlmanns "Vermessung der Welt", das Leben und Streben eines verkannten Forschers aus dem 19. Jahrhundert: autodidaktische Studien, erste Forschungsreisen ins Amazonasgebiet, herbe Rückschläge (auf der Rückfahrt von Brasilien verlor Wallace durch einen Schiffsbrand fast alle 25 000 Objekte, die er in vierjähriger Arbeit gesammelt, erforscht und beschrieben hatte), neue Expeditionen, kleine Abenteuer und Anfechtungen in den traurigen Tropen. Oelze schmückt seine brav nacherzählte Wallace-Biographie mit Joseph-Conrad-Atmosphäre, etwas zu vielen Adjektiven (der paddelnde Indianer, der dösende Molukke, "der malaiische Maat in seiner ockergelben Puffhose") und Kapitelüberschriften wie aus einem barocken Schelmenroman ("Worin der junge Bärtige in Amazonien einen Sandfloh aus seinem Fuß entfernt, ein Krokodil verspeist, auf Eingeborene trifft und sich im Urwald verläuft"). Auf die Dauer nervt dieser altväterlich-neckische Tonfall mit seinen verschnörkelten Satzgirlanden und seinen Kaskaden nutzlosen Wissens über Primzahlen und Zikaden, die Geschichte der Kartenprojektionen oder die Erfindung des Gin Tonic. Oelzes Marotte, Wallace immer nur als "der junge Bärtige" auftreten zu lassen, soll vielleicht den Gegensatz zu dem vierzehn Jahre älteren, backenbärtigen Darwin herausarbeiten.

Der Autor scheint selbst gespürt zu haben, dass seinem Helden eine bartlose "Schattenfigur" guttäte - und so stellt er ihm in der Gegenwart einen ebenso weltfremden, ehrgeiz- und glücklosen Bücherschrat zur Seite: Albrecht Bromberg, Museumsnachtwächter, Pfeifenraucher und Mitglied der Elias-Birnstiel-Gesellschaft, einer Stammtischrunde alter Besserwisser und Antiquare. Bromberg stolpert im "Museum des Verworfenen" zufällig über Wallace und vergräbt sich immer tiefer in dessen Lebensgeschichte. Sein Plan, Wallace "eine postume Nachhilfe in Sachen Glück" zu gewähren, stößt freilich auf Unverständnis. Selbst Brombergs alter Jugendfreund plädiert als erfolgreicher Banker naturgemäß dafür, der Evolution nicht ins Handwerk zu pfuschen. "Die Geschichte ist geschehen, und ich fürchte, sie ist so zu akzeptieren, wie sie geschehen ist": Was sich in der Natur bewährt, überlebt und pflanzt sich fort; was zu schwach ist, wird zu Recht ausgemerzt.

Bromberg will sich mit diesem zynischen Fatalismus nicht zufriedengeben und durch einen gefälschten Brief Darwin nachträglich moralisch und wissenschaftlich ins Unrecht setzen. Oelze macht daraus eine Art "Schtonk"-Klamotte in der scientific community und verschenkt damit nicht nur das komische Potential, sondern auch die Pointe der natürlichen Zuchtwahl durch Scheitern und Versagen. "Wallace" ist eine anekdotenselige Schnurre, aber weder eine wissenschaftshistorische Pioniertat noch ein erzählerisches Meisterwerk: Die Figuren bleiben flach und konturlos, die theoretischen Schlussfolgerungen banal. Die Geschichte der Evolution muss jedenfalls nicht neu geschrieben werden. Wie in der Natur, so entpuppen sich auch in der Literatur oft "berühmt-berüchtigte Knaller am Ende als armselige, kleine Böllerchen".

MARTIN HALTER

Anselm Oelze:

"Wallace". Roman.

Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2019.

263 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Eine hinreißende Meditation über Erfolg und das dafür notwendige Quäntchen Glück, und über die Fähigkeit, diesem Glück - zur Not - etwas nachzuhelfen."
Denis Scheck, Druckfrisch
Zwei Schiffsglocken im Einklang

Anselm Oelzes Debütroman „Wallace“ über den Forschungsreisenden und Evolutionstheoretiker Alfred Russel Wallace, den Charles Darwin ausgestochen hat

In der Literatur wie in der Evolutionstheorie spielen Schönheit und Tod eine zentrale Rolle. In beiden setzt sich durch, was eine schöne Form hat. Wenn aber Kunstwerke scheitern und Fortpflanzungslinien abreißen, kann es das Ende einer Art bedeuten. Sie verschwinden und werden vergessen. Schönheit und Tod spielen in „Wallace“, dem Debütroman von Anselm Oelze überraschenderweise keine große Rolle.

Oelze, Philosophiedozent derzeit in München, hat einen Abenteuerroman geschrieben, mit dem er etwas zurechtrücken möchte. Seine Titelfigur basiert auf der Geschichte des historischen Naturforschers Alfred Russel Wallace, der neben Charles Darwin als Entdecker der Evolutionstheorie gilt, es aber nie zu dessen Weltruhm gebracht hat.

Mitte des 19. Jahrhunderts schlug sich Wallace, einige Jahre nach Darwins Reise auf der Beagle, jahrelang durch den lateinamerikanischen Urwald und durchkreuzte das Malayische Archipel, wo er, als habe sich nach Jahren des Forschens und Sammelns plötzlich alles gefügt, an nur drei Abenden und unabhängig von Darwin das Prinzip der Entwicklung der Arten durch natürliche Selektion beschrieb. Er schickte das Manuskript an Darwin, den er aus London kannte und als Gutachter heranziehen wollte, bevor er sich mit dem Text bei einem Fachjournal bewarb.

Was dann geschah, ist bislang nicht eindeutig rekonstruiert. Klar ist, dass Darwin, kurz nachdem der Brief bei ihm eingetroffen sein soll, mit der Evolutionstheorie an die Öffentlichkeit ging. Wollte er verhindern, dass ihm dieser Wallace zuvorkam mit einer Theorie, auf die sie beide unabhängig voneinander gestoßen waren? Sah er sich in den Ideen des Kollegen endlich bestätigt und wagte den Schritt an die Öffentlichkeit? Oder plagiierte er gar Teile der Theorie, wohl wissend, dass dieser Wallace am anderen Ende der Welt kaum etwas dagegen unternehmen konnte?

Obwohl Wallace in „Die Entstehung der Arten“ erwähnt wird und beide zu Lebzeiten auch gemeinsam als Vertreter der Evolutionstheorie auftraten, gilt heute Darwin als maßgeblicher Entdecker der wichtigsten Theorie des 19. Jahrhunderts. Wallace ist in die Fußnoten verbannt, ein zu spät und zu kurz Gekommener, ein Gescheiterter und deshalb als literarische Figur bestens geeignet. Oelzes Roman soll ihn vor dem Vergessen bewahren.

Er steht damit in auffälliger Parallele zu einem anderen Vergessenen, den die deutschsprachige Literatur vor wenigen Jahren wiederentdeckte, nämlich den Lebensreformer und Auswanderer August Engelhardt, von dem Christian Kracht in seinem 2012 erschienen Roman „Imperium“ erzählte. Schon auf den ersten Seiten von Anselm Oelzes „Wallace“ muss man eine enge Verwandtschaft mit Krachts Roman feststellen: „Es war heller Nachmittag, als die Koningin der Nederlanden in die Bucht einlief. Ihre frisch gestrichenen weißen Planken glitzerten unter der grellen Sonne, die seit dem frühen Morgen schon im Zenit stand und zu Füßen des großen Vulkans, dessen grüne Hänge über dem kleinen Eiland aufragten, alles in eine träge, schläfrige Ruhe gezwungen hatte. (…) Noch war, dem schrillen Geläut der Schiffsglocke zum Trotz, das der landseitige Wind herantrug, niemand in Unruhe geraten, geschweige denn in Bewegung versetzt worden.“ Bei Kracht heißt es: „Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament, da war erst ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zu Mittag, und ein malayischer Boy schritt sanftfüßig und leise das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem üppigen Frühstück wieder eingeschlafen waren.“

Ungeachtet der Frage, ob jedes Substantiv ein Adjektiv braucht, ist es eine schöne Fügung der Stoffe, dass Krachts „Boy“ ausgerechnet aus Malaysia, Wallaces Forschungsfeld, stammt. Spätestens beim Läuten der Schiffsglocke kann aber kein Zufall mehr im Spiel sein und Oelze beruft sich klar auf Kracht, der in „Imperium“ mit seinem Imitat einer Romansprache des späten 19. Jahrhunderts auch formal sein Thema anspielte, nämlich das einer jahrzehntelangen Entwicklung des deutschen Geisteslebens, die da endete, wo bei Kracht immer alles endet, im Faschismus.

Die Engführung des Kokosnussfanatikers August Engelhardt mit dem anderen Vegetarier Adolf Hitler in dieser ironisch mehrfach gebrochenen Sprache wurde Kracht kritisch ausgelegt, obwohl schon im Aufruf der Register, von den schlafenden Passagieren bis zum kräftigen Bier, das auch Hans Castorp so gerne trinkt, in jedem Satz klar ist, dass hier etwas dem „Zauberberg“ Ähnliches angedeutet wird. Oelze verweist nun seinerseits auf Kracht und anders als es der Poststrukturalismus behauptet – und Kracht es gerne demonstriert – lassen sich die Zeichenketten eben doch nicht ganz bruchlos fortknüpfen.

In den ersten Kapiteln zeichnet Oelze in ironisch ausgefeiltem Stil ein Bild seines Helden, der es mit verschlagenen und neugierigen Inselbewohnern zu tun bekommt, bei der Krokodiljagd aus einem Kanu fällt und mitten im Urwald nackt einem Schmetterling hinterherjagt. Das ist schön nachgemacht, nur bleibt die Frage offen, wozu es diese übertriebene Imitation von Krachts Stil braucht, den Oelze dann nicht einmal durchhält. Die Adjektive werden bald weniger, die Nebensätze auch, und dann zeigt sich, wie wenig von diesem Pastiche übrig bleibt: eine heruntergebrochene Nacherzählung der Aufzeichnungen Wallaces, die nicht so unbekannt sind, wie der Roman suggeriert. Erst 2014 sind sie in deutscher Übersetzung neu herausgegeben worden, im Jahr zuvor erschien eine große Biografie Wallaces von dem Evolutionsbiologen Matthias Glaubrecht.

Ähnlich vereinfachend ist die dem Roman zugrunde liegende Prämisse, dass wissenschaftliche Entwicklungen immer einem klaren Urheber haben. Entdeckungen zeichnen sich oft schon ab, bevor ein Forscher die entscheidende Schwelle übertritt. Dieser letzte Schritt erscheint oft ganz einfach, ist aber eben entscheidend und im Falle der Evolutionstheorie hat ihn Darwin getan, nicht Wallace – wenn auch mit Hilfe von dessen Erkenntnissen.

Der andere große Roman der letzten Jahre, in dem es darum ging, dass sich jemand durch den dichten Urwald kämpft, war Daniel Kehlmanns „Vermessung der Welt“, in dem die Geschichten der Entdeckungen Alexander von Humboldts und Carl Friedrich Gauß’ erzählt wurden. Oelze hat seinem Wallace auch eine Parallelfigur zur Seite gestellt. In einer nicht näher definierten Gegenwart kommt der verhuschte Museumsnachtwächter Albrecht Bromberg durch eine Reihe gar nicht so bemerkenswerter Ereignisse dem angeblich unbekannten Alfred Russel Wallace auf die Spur und beschließt, den verschollenen Brief, den Wallace an Darwin schickte, zu fälschen um der Geschichte eine neue Wendung zu geben. Die Frage lautet also, wie schon auf dem Buchumschlag notiert: „Warum sind die Dinge so, wie sie sind? Und könnten sie nicht auch ganz anders sein?“ Der philosophische Anspruch des Romans ist vollkommen beliebig.

Die Bromberg-Kapitel lassen im Jugendbuchton eine Parade von Nebenfiguren aufmarschieren um verschiedene Theorien zu referieren. Was sie mit Wallace zu tun haben sollen, ist oft unklar. Zumal der Roman schon sein Hauptthema, die Evolutionstheorie, ungenutzt lässt. Form und Inhalt finden nicht zusammen. Das Fiese an der Evolution ist ja, dass immer etwas auf der Strecke bleibt. Ausgerechnet Darwin hat schon in „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ auf die Verwandtschaft von Evolution und Ästhetik in der für beide maßgeblichen Rolle der schönen Form hingewiesen. Die Chance, diese Verbindung für sich zu nutzen, hat dieser Roman verpasst. Er hätte Wallaces Niederlage im Feld der Evolution erklären und dieser Geschichte durch die ästhetische Form des Romans etwas neues entlocken können, anstatt nur revisionieren zu wollen. Warum hat sich, evolutionär gesehen, Darwin durchgesetzt und nicht Russel? Warum aber erscheint Russel als faszinierende Romanfigur und nicht Darwin? Offenbar traut der Roman der Literatur gar nicht zu, solche Fragen zu beantworten.

Der Evolution nicht unähnlich sind ja die Erscheinungen der Mode, die ihre eigene Kurzlebigkeit, das Verschwinden ihrer Phänomene immer schon antizipiert. Am Ende von Krachts „Imperium“ ist der Boy zu einem „Statisten“ und die Schiffsglocke mit dem Dampfer zu einem Film geworden, der in den Lichtspielhäusern auf der ganzen Welt reproduziert wird. Am Ende von „Wallace“ legt der Dampfer nur wieder ab und die Schiffsglocke läutet, als wäre nichts passiert. So gesehen ist dieser Roman sehr modisch.

NICOLAS FREUND

Ungeachtet der Frage, ob jedes
Substantiv ein Adjektiv braucht,
sind die Parallelen zu Kracht klar

Schon Darwin hat auf die
Verwandtschaft von Evolution
und Ästhetik hingewiesen

Anselm Oelze: Wallace. Roman. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2019. 264 Seiten, 22 Euro.

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