Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2013

Es zappeln
die Fische
„Meßmers Momente“:
Martin Walser lässt es strömen
Es war Mitte der Achtzigerjahre, als der seltsame Herr Meßmer erstmals im Œuvre des Martin Walser auftauchte. „Meßmers Gedanken“, das waren Notate zwischen zwei Zeilen und einer halben Seite, zwischen Walser als Person und Walser als Fiktion, zwischen Tagebuch und Sentenzensammlung. Denn: „Überall komme ich vor. Überall bitte ich, mich geheimzuhalten“, wie es nun im dritten Band, „Meßmers Momente“, heißt. Die enigmatischen Sprachschnappschüsse scheinen ein ideales Medium zu bleiben für Walsers ewiges Schlingern, ob er sich offenbaren oder doch lieber maskieren möchte. Denn zwischen beidem liegt bei ihm seit je das Schreiben, das „Einbiegen in die Ausdrucksstraße“. Einbrüche von Authentizitätslyrik kommen deshalb vor, bleiben aber glücklicherweise selten. Walser nähert sich seiner selbst aus gutbildungsbürgerlichem Abstand, vorbeiströmendes Bildungsgut eingeschlossen. Die Gefühle sollen zappeln und sterben wie Fische auf der Sandbank, bevor sie aufs Papier gelangen: Bei gleich dreien seiner Lieblingsdichter – Friedrich Hölderlin, Robert Walser, Franz Kafka – hat Walser diese Metapher gefunden und dem Band als Motto vorangestellt.   
  Wiederkennen werden seine Leser die Walserschen Gefühlswelten dennoch. Den Wunsch etwa, sich zu „sperren gegen Unterrichtung“, lieber böse zu bleiben unter den ganzen Moralisten, die laut Walser am liebsten vor dem Spiegel kotzen. „Immer von selbst gegen die mächtigste Strömung. / So ein Partikel ist man. / Man hat nicht recht, sondern eine Richtung. / Und kann nichts dafür.“ Mit seinen Kritikern ist Walser noch nicht fertig, auch wenn er zugleich mit dem eigenen Verfolgungswahn kokettiert.
  Doch kam all das 2003, im zweiten Band, schon mal politischer daher. Mit „Meßmers Reisen“ ging es nicht nur metaphorisch hinaus in die Welt. Seitdem scheint Meßmer melancholischer geworden zu sein, sinniert darüber, was unerledigt bleiben könnte am Ende, merkt, dass ihn die anderen notorisch für älter halten als er sich selbst. Um die jüngeren Frauen kümmert er sich für Walsersche Verhältnisse wenig, dafür öffnet sich nun ein deutlicher Horizont von Endlichkeit. „Bis jetzt war’s Geplänkel. / Jetzt hat die Schlacht begonnen, / die von Anfang an verloren ist, / aber nicht vermieden werden kann.“
  Walser hat den Band dem im vergangenen Jahr mit nur 46 Jahren verstorbenen Priester Michael Felder gewidmet, der auch über dessen Novelle „Mein Jenseits“ publiziert hat. Doch gerade die Religion, Walsers Dauerthema in jüngster Zeit, spielt eine für den Kontext überraschend geringe Rolle. Allzu stark erscheinen die Erfahrungen von Sinnlosigkeit, die bis an die Grenze von Selbstmordgedanken reichen. Doch zuletzt biegt Walser noch immer ein in die Umgehungsstraße der Selbstironie. Anders als bei den Vorgängerbänden sind die Notate locker über die Seiten hin arrangiert, nähern sich auch im Zeilenumbruch Prosagedichten an. Man muss sie wörtlich nehmen, diese „Momente“, auch darin, dass sie zum Ende hin regelrecht verschweben, weil immer weniger Text auf den Seiten erscheint.  
  Dass der bald 86-jährige Walser an Leichtigkeit gewonnen hat, ist oft konstatiert worden. Über manch höhere Küchentuchstickerei und manch zähes Wortspiel trägt es einen deshalb hier glatt hinweg. In Walsers jüngstem, im vergangenen September erschienenem Roman „Das dreizehnte Kapitel“ bestand auch das namensgebende Konvolut aus ziemlich Meßmerischen Notaten. Dass sie verraten wurden, zog dort ihre Vernichtung nach sich. Walser dagegen verrät sich noch immer gern. Denn: „Ich bin eine abgewählte Regierung, die nicht geht.“
MICHAEL STALLKNECHT
Martin Walser: Meßmers Momente. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013. 112 Seiten, 14,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr