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Henry Kissinger, ein Scheinriese, der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt. Auf diesen Nenner lässt sich sein politisches Denken und Handeln bringen. Zugleich verstand er es, sich zur Marke in Übergröße zu machen, egal, ob als Sicherheitsberater zweier amerikanischer Präsidenten, als Außenminister, Elder Statesman, Bestsellerautor, Politikberater oder Orakel. Sich immer im Gespräch zu halten, war und ist Kissingers größter Erfolg. Gestützt auf eine Vielzahl unbekannter Quellen, rekonstruiert Bernd Greiner das Leben eines Mannes, der für die Macht lebte und in die Geschichte eingehen…mehr

Produktbeschreibung
Henry Kissinger, ein Scheinriese, der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt. Auf diesen Nenner lässt sich sein politisches Denken und Handeln bringen. Zugleich verstand er es, sich zur Marke in Übergröße zu machen, egal, ob als Sicherheitsberater zweier amerikanischer Präsidenten, als Außenminister, Elder Statesman, Bestsellerautor, Politikberater oder Orakel. Sich immer im Gespräch zu halten, war und ist Kissingers größter Erfolg. Gestützt auf eine Vielzahl unbekannter Quellen, rekonstruiert Bernd Greiner das Leben eines Mannes, der für die Macht lebte und in die Geschichte eingehen wollte - mit allen Mitteln und um fast jeden Preis.

Der Riese taumelte. Amerika führte einen Krieg, der nicht zu gewinnen war, seine Wirtschaft lebte auf Pump, mächtige Konkurrenten machten seinen Führungsanspruch streitig, die politische Elite war zerstritten wie selten zuvor. Ratlosigkeit und Zeitdiagnose im Panikmodus, wohin man auch blickte. Was macht eine Weltmacht, wenn ihr die Macht entgleitet? Wo war Amerikas Platz in einer multipolaren Welt? Welche Rolle sollten Militär und Diplomatie künftig spielen? War es ratsam, sich dem Wandel entgegenzustellen, ihn gar auf halten zu wollen? Oder musste von Grund auf neu über Ordnung und Sicherheit nachgedacht werden? Als diese Fragen Ende der 1960er Jahre auf die Tagesordnung drängten, betrat Henry Kissinger die große Bühne. In jungen Jahren vor den Nazis geflohen, schrieb er in der neuen Heimat eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Für die einen ist er unwiderstehlich, für andere unausstehlich und für alle unvermeidlich. Noch heute ist Kissinger aktuell - auf verstörende Weise und in jedem Fall anders, als er es selbst gerne hätte. Denn er wollte Grenzen verschieben, die nicht mehr zu verschieben waren. Im Grunde spiegelt seine Karriere ein Dauerproblem amerikanischer Außenpolitik und die Antiquiertheit ihrer bevorzugten Leitideen: Vorherrschaft, Wille zur Gewalt, Mehrung eigener Macht durch die Angst der anderen.
Autorenporträt
Bernd Greiner ist Gründungsdirektor und Mitarbeiter des «Berliner Kollegs Kalter Krieg». Er lehrte Außereuropäische Geschichte an der Universität Hamburg und leitete bis 2014 den Arbeitsbereich «Geschichte und Theorie der Gewalt» am Hamburger Institut für Sozialforschung.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Stephan Bieling hat Respekt vor Bernd Greiners Recherchen, etwa in Nixons Tonaufzeichnungen aus dem Oval Office. Allerdings nutzt der Autor seine Forschungsfrüchte für Bieling auf enttäuschende Weise. Allzu sehr ist der Autor von Anbeginn festgelegt darauf, Kissinger als Fürsten der Finsternis zu zeichnen, als schlampigen Unterhändler, weinerlichen Schmeichler, skrupellosen Egomanen. Dass der Autor Kissinger kaum Positives abgewinnen kann, liegt für Bieling aber weniger an Kissingers miesem Charakter als an dem politischen und moralischen Spiegelbild Willy Brandts, das Greiner installiert und stilisiert. Immerhin findet Bieling die Biografie "gut geschrieben". Warum Kissinger immer wieder faszeniert, kann Greiner jedoch nicht erklären, bedauert der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2020

Fürst der Finsternis?
Mit größtmöglicher Distanz - Eine Biographie über Henry Kissinger

An wohl kaum einem Politiker des 20. Jahrhunderts jenseits von Staats- und Regierungschefs haben sich Politologen, Historiker und Investigativjournalisten intensiver abgearbeitet als an Henry Kissinger. Unberührt hat er keinen seiner Biographen gelassen. Die einen verdammen den ehemaligen Sicherheitsberater und Außenminister der Vereinigten Staaten als zynischen Machtpolitiker und Selbstdarsteller, die anderen feiern ihn als Über-Staatsmann und Welterklärer. In "The Price of Power: Kissinger in the Nixon White House" kanzelte ihn der Journalist Seymour Hersh 1983 für seine Vietnam-Politik ab, sein Kollege Christopher Hitchens beschuldigte ihn 2001 in "Die Akte Kissinger" sogar zahlreicher Kriegsverbrechen. Sehr viel gewogener dagegen ist ihm der britische Historiker Niall Ferguson 2016 in "Kissinger: The Idealist", deckt auf 1120 Seiten allerdings nur die Lebensjahre 1923 bis 1968 ab - die Zeit vor seinem Regierungseintritt also. Sollte Ferguson in ähnlicher Detailverliebtheit weiterschreiben, dürfte er sogar Kissingers drei Memoirenbände von insgesamt 4000 Seiten übertrumpfen, quantitativ jedenfalls.

Bei Bernd Greiner, drei Jahrzehnte lang Historiker am Hamburger Institut für Sozialforschung, hat Kissinger keine Chance - nicht als Mensch, nicht als Wissenschaftler und erst recht nicht als Außenpolitiker. Schon mit den drei Großkapitel-Überschriften "Lehrling", "Angestellter" und "Pensionär" distanziert er sich von seinem Protagonisten, der sich doch als Vordenker, Gestalter und ewiger Ratgeber der Mächtigen betrachtet. Zum Auftakt zeigt Greiner, wie der vor den Nazis nach Amerika geflüchtete Fürther Jude Heinz Alfred Kissinger durch harte Arbeit, unbändige Intelligenz, Selbstbewusstsein und Selbstdarstellung, aber auch durch die richtigen Förderer und durch Schmeichelei in jungen Jahren in die Spitze der außenpolitischen Community seiner neuen Heimat aufsteigt. Die neugeborene Weltmacht sucht händeringend nach Köpfen, die im Kalten Krieg Strategien ersinnen und Politiker anleiten können. Kissinger macht sich schnell einen Namen als Hardliner, der Moskau und Peking entschlossen entgegentreten und notfalls atomare Gefechtsfeldwaffen einsetzen will.

Von Harvard aus, das diese internationalistische Elite mit Verve und Geld aus Regierung und Wirtschaft ausbildet, streckt Kissinger seine Fühler immer tiefer in die Hallen der Macht hinein: als Autor politikrelevanter Studien, als Mitglied des Council on Foreign Relations, des Durchlauferhitzers für nach politischer Mitsprache gierende Akademiker, als Kurzzeit-Zuarbeiter von John F. Kennedys Nationalem Sicherheitsrat. Greiner zeichnet Kissinger als selbstbezogenen Megalomanen, ausbeuterischen Chef und prinzipienlosen Karrieristen, der sich so lange verschiedenen Herren andient, bis ihn endlich Richard Nixon 1969 ins Weiße Haus holt. Der neue Präsident übernimmt ein durch den Vietnam-Krieg zerrissenes Land, misstraut Bürokratien und Establishment bis hin zur Paranoia, ist konfliktscheu und bedarf ständiger Bestätigung: Alles Umstände, die Kissinger rasch zum zentralen außenpolitischen Berater Nixons, und, als der im Sumpf von Watergate versinkt, zum Dreh- und Angelpunkt von Washingtons Beziehungen mit der Welt werden lassen.

Greiner hält das für eine Katastrophe. Kaum ein Charakterdefizit, das er Kissinger nicht attestiert: Skrupellosigkeit, Ruhmsucht, Eitelkeit, Ignoranz, Überheblichkeit, Selbstüberschätzung, Weinerlichkeit, Egomanie, Wetterwendigkeit. Für alles bietet er Belege; vor allem die von Nixon insgeheim mitgeschnittenen Gespräche im Oval Office sind eine Schatzkiste für seine Vorwürfe - auf mehr als 20 Seiten finden sich diese Aufzeichnungen abgedruckt im Buch. Mit der Politik des angeblichen Duo Infernale geht Greiner gnadenlos ins Gericht: Das Ende des Vietnam-Kriegs hätten die beiden zu lange hinausgezögert und noch dazu Kambodscha bombardiert, die Entspannungspolitik mit Moskau nur aus dem Kalkül betrieben, die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten zu sichern, den Salt-Vertrag mit dem Kreml über Obergrenzen für strategische Nuklearwaffen schlampig verhandelt, in Indonesien und Chile brutale Diktatoren unterstützt, bei der Annäherung an China sei Peking der Strippenzieher gewesen. Allein Kissingers Pendeldiplomatie für einen Waffenstillstand zwischen Israel und den arabischen Staaten 1974 kann der Autor etwas Positives abgewinnen, aber auch hier habe dieser die Chance auf einen breiten Interessenausgleich nicht genutzt. Dass Kissinger den Friedensnobelpreis erhielt, in Amerika zeitweise 85 Prozent öffentliche Zustimmung erfuhr und ihn die Medien als Superstar feierten, führt der Autor zurück auf dessen Selbstinszenierung und unkritische, mehr an Hype als an Substanz interessierte Journalisten.

Nach seinem Ausscheiden aus der Regierung 1977 ändert sich Kissinger in Greiners Darstellung nicht. Mit aller Macht drängt er ins Rampenlicht, will wieder ein Amt ergattern, gibt ein weiteres Mal den Rechtsausleger und ständigen Mahner vor drohendem Unheil, wenn man seinem Rat nicht folge. Unermüdlich arbeite er daran, so der Verfasser, sein Bild für die Nachwelt selbst mit brachialen Mitteln wie Gerichtsverfahren und dem Verschluss von Akten zu schönen und seinen Ruf mit hochdotierten Vorträgen und mit einer Beratergesellschaft zu Geld zu machen. Bis heute ist der mittlerweile Siebenundneunzigjährige im Fernsehen, auf Konferenzen und mit Zeitungskolumnen präsent, zuletzt zur Corona-Krise. Für Greiner weitere Belege ungezügelten Öffentlichkeitsdrangs.

Die Biographie ist gut geschrieben, aber dramaturgisch wenig packend: Zu vorhersehbar bleibt Kissinger stets Fürst der Finsternis, zu wenig wird erklärt, warum er dann doch so viele Menschen in seinen Bann schlug und nach wie vor schlägt. Auch fair ist das Buch nicht. Wie ein Staatsanwalt sammelt Greiner Indizien gegen den Delinquenten, entlastende Zeugen oder alternative Interpretationen blendet er aus. Zu unterschiedlich sind letztlich die außenpolitischen Selbstverortungen, ja Weltsichten von Autor und Objekt. Greiner setzt auf Vertrauen, hehre Absichten, Menschenrechte und kollektive Sicherheit. Wiederholt stilisiert er Willy Brandt mit seiner Ostpolitik zu Kissingers moralischem und politischem Spiegelbild. Der bleibt stets der Bösewicht, weil er internationale Politik als Nullsummenspiel begreift, in dem der Gewinn der einen den Verlust der anderen Seite bedeutet, und amerikanische Interessen notfalls mit militärischem Druck und diplomatischer Intrige durchsetzt. Dass Kissinger die Vereinigten Staaten nicht zuletzt damit zwischen 1969 und 1977 aus einer Position der Defensive und Lähmung herausführte und durch seine Dreieckspolitik mit China und der Sowjetunion wieder als zentralen Global Player etablierte, zählt für Greiner nichts.

STEPHAN BIERLING

Bernd Greiner: Henry Kissinger. Wächter des Imperiums. Eine Biografie.

C.H. Beck Verlag, München 2020. 480 S., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.09.2020

Heiß auf
den Kalten Krieg
Bernd Greiner zeigt in seiner exzellenten Biografie,
wie Henry Kissinger die US-Außenpolitik mitprägte
VON FRANZISKA AUGSTEIN
Als Richard Nixon 1968 Wahlkampf führte, gaben seine Mitarbeiter ihm ein Memorandum mit: Die Vereinigten Staaten seien bisher zu defensiv gewesen. Es gelte, der Welt zu zeigen, wer Herr auf dem Globus ist: mittels kleiner Kriege, militärischer Machtdemonstrationen an den Grenzen der UdSSR und Chinas sowie in der Dritten Welt, psychologische Kriegsführung nicht zu vergessen. Nixon wurde 1969 als 37. Präsident der USA bestallt und kam auf den Autor des Memorandums zurück: Henry Kissinger.
Kissinger, 97 Jahre alt, gilt als Orakel der Realpolitik, als brillanter Historiker und Länderkenner. Sein Leben lang hat er verstanden, sich mit Mächtigen gut zu stellen. Nun hat der Historiker und USA-Experte Bernd Greiner dem Sicherheitsberater von Richard Nixon, dem Außenminister und späteren Berater zahlungskräftiger Kunden, dem Autor vieler Bücher ein bleibendes Denkmal gesetzt: Kissinger ist hochintelligent, ein exzellenter PR-Mann in eigener Sache, eher nicht bewundernswert. Greiners Buch kommt an diesem Donnerstag in die Buchhandlungen.
Die Eltern, gläubige Juden aus Fürth, hatten mit ihren zwei Söhnen Heinz Alfred und Walter Nazi-Deutschland 1938 rechtzeitig verlassen und bauten in New York eine bescheidene Existenz auf. Dass man mit dem Vornamen Heinz in Amerika bestenfalls Ketchup verkaufen konnte, hatte Kissinger schnell begriffen, seither heißt er Henry. Beim Studium in Harvard fand er zwei Mentoren. Der eine war William Elliott, ein Kalter Krieger erster Güte, der Kissingers Bachelor-Arbeit „The Meaning of History“ schon deshalb mit der Bestnote auszeichnete, weil er darin seine eigenen Ideen wiederfand – „Was Geschichte ist“: Sein Leben lang hat Kissinger es verstanden zu suggerieren, dass er das wisse.
Während des Zweiten Weltkriegs war er in Belgien eingesetzt, als Sergeant im US-Militärgeheimdienst. Diese Erfahrung genügte nicht, sein Ego einzuhegen. Laut Greiner hat er sich anschließend auf der Universität Harvard die Fingernägel bis aufs Blut abgekaut. Das macht nur, wer sich unsicher fühlt – oder wer brachial ehrgeizig ist. Harvard war damals ein Bildungszentrum für Kalte Krieger: Das „Russian Research Center“ informierte, wie es um die Sowjetunion bestellt war und – so Greiner – „wie die USA dort Unruhe stiften könnten“. Nachdem William Elliott den jungen Kissinger nach seinem Bilde geformt hatte, als „geistigen Sherpa für Amerikas Aufstieg zur Weltmacht“, fand dieser neue Mentoren. Er begann als Berater John F. Kennedys; weil er da nicht weiterkam, wandte er sich den Republikanern zu. Also schrieb er das eingangs erwähnte Memorandum für Richard Nixon, und so wurde er 1969 dessen Sicherheitsberater.
Einige Jahre lang hat Bernd Greiner an seinem Buch gearbeitet. Es ist viel mehr als eine exzellente Biografie, es bietet eine Darstellung der Grundzüge und Idiotien amerikanischer Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, sinnfällig gemacht anhand des Gespanns Nixon und Kissinger.
Der Watergate-Skandal hat Nixons Ruf dermaßen erledigt, dass die meisten bei Erwähnung seines Namens an Intrigantentum und Alkohol denken. Kissinger hat sein Teil dazu getan. Wenn es nach ihm geht, war er der Schöpfer der erfolgreichen Verhandlungen mit Russland und China Anfang der 1970er-Jahre. Greiner zeigt, wie es wirklich gewesen ist. Nixon bestimmte die Außenpolitik und konnte dabei Kissinger gut brauchen. Die beiden waren eines Sinnes: begrenzte Atomkriege sind machbar; Aufrüstung ist nötig; und der Feind – die UdSSR – muss im Unklaren darüber gelassen werden, wie weit man zu gehen beabsichtigt. In Kissinger fand Nixon einen Gehilfen bei der Umsetzung seiner „Madman-Theorie“. Die beschrieb der Präsident so: Im Kreml müsse man denken, „dass dieser Nixon vom Kommunismus besessen ist, dass man ihn nicht bändigen kann, wenn er wütend wird, und dass er obendrein den Finger auf dem Atomknopf hat“.
Nixon war kein netter Arbeitgeber. Seinen Sicherheitsberater mit unflätigen, auch antisemitischen Beschimpfungen zu traktieren, war normal. Kissinger konnte devot sein und sich auf diesen Ton einschwingen. Nixon bezeichnete seriöse Menschen als Clown, Strolch, Bastard, Hurensohn, Wahnsinniger, Arschloch, Luder, Dummkopf, Schwuchtel, Trampel, Pupser, Zwerg, Schweinepriester, Tussi, Wichser, Gauner, Mistkerl, Hure, Bandit, Kotzbrocken, Trottel, Schwanzlutscher, Ratte. Greiner hat 38 Schimpfwörter zusammengetragen und schreibt lakonisch, seine Liste dürfte „halbwegs vollständig“ sein.
Es war üblich gewesen im Weißen Haus, heimlich Aufzeichnungen der dort geführten Gespräche zu machen. Zu Beginn seiner Amtszeit wollte Nixon das nicht fortführen. Als er aber mitbekam, dass Kissinger hinter seinem Rücken übel über ihn sprach, ließ er eine Abhöranlage installieren. 1973, als der Watergate-Skandal losgebrochen war, machte ein Vertrauter des Präsidenten das öffentlich. Danach, so Greiner, „wurden die Aufzeichnungen eingestellt, zum Bedauern von Historikern und allen, die sich einen Sinn für unfreiwillige Komik bewahrt hatten“. Diese Aufzeichnungen hätte Nixon besser nicht machen lassen: Sie führten zu seinem Abtritt, denn sie belegten unter anderem, dass er 1972 Einbrecher ins Wahlkampfbüro der Demokratischen Partei im Wohn- und Bürokomplex „Watergate“ geschickt hatte. Per Beschluss des Obersten Gerichtshofs der USA mussten die Aufzeichnungen 1974 herausgegeben werden. Greiner hat sie studiert wie andere die Bibel.
Im Hinblick auf unverträgliches Verhalten stand Kissinger seinem Präsidenten nicht nach. Von 1969 bis 1973 drohte er mindestens 16-mal mit seinem Rücktritt. An haltloses Brüllen mussten seine Mitarbeiter sich gewöhnen; sie lernten, beiseitezutreten, wenn sie mit Gegenständen beworfen wurden. Greiner zeigt, dass Kissinger sich aufgeführt hat wie der Gockel auf dem Mist. Den damaligen Außenminister William Rogers suchte er kaltzustellen. Die Militärs im Pentagon fühlten sich von ihm erniedrigt. Das Gleiche galt für das führende Personal von CIA und FBI.
Vor Watergate hatte Richard Nixon das Heft in der Hand. Er war es, der darauf drang, mit der UdSSR und mit China ein Einvernehmen zu finden. „Tricky Dick“ wollte beide Staaten gegeneinander ausspielen. Das hat recht gut funktioniert. Im übrigen war die damalige Außenpolitik der USA ziemlich verheerend, ja dümmlich. Nixon und Kissinger haben den von den vorherigen US-Regierungen geerbten Krieg gegen Nordvietnam sinnlos in die Länge gezogen. Die beiden, so Greiner, „klammerten sich an eine zum Dogma erstarrte Maxime: Solange man nicht wie ein offenkundiger Verlierer dasteht, ist der Krieg gewonnen“. Greiner weiter: „Wie widerständig ein in Jahrzehnten des Unabhängigkeitskampfes genährter Nationalismus war, wie misstrauisch Hanoi trotz der neuen Waffenbrüderschaft die alte Kolonialmacht China beäugte, wie sehr die Berufsrevolutionäre um Ho Chi Minh auf Rückhalt in der Bevölkerung setzen konnten, wie der Machtapparat in Nordvietnam funktionierte und wer dort überhaupt das Sagen hatte – für derlei Fragen interessierte man sich in Washington schlichtweg nicht.“
Nicht besser war die US-Politik in Chile. 1970 wurde Salvador Allende zum Präsidenten gewählt. Weil er sozialistische (in der Praxis linksliberale) Ideen hegte, galt er im Weißen Haus als Erzfeind. Gegen den Rat von Diplomaten und Geheimdienstlern halfen Nixon und Kissinger, einen Putsch vorzubereiten. Kissingers Empfehlung: Man solle Allende „auf kalten Entzug setzen“. Auf Anweisung der USA gab die Weltbank Chile keinen Kredit mehr. US-Unternehmen erhielten bei Investitionen nicht mehr eine staatliche Rückversicherung (in Deutschland ist das bei Investitionen im Ausland die Hermes-Bürgschaft). Paramilitärische Organisationen bekamen von den USA die damals hohe Summe von acht Millionen Dollar geschenkt: Allende sollte gestürzt werden. Weil er rechtens gewählt worden war, sollte die Rolle der USA dabei aber nicht öffentlich werden. Allendes Nachfolger Augusto Pinochet unterhielt beste Beziehungen zu den USA. Dass er Kritiker seines Regimes foltern und töten ließ, war für Kissinger nebensächlich. Er teilte Pinochet mit: „Mit dem Sturz Allendes haben Sie dem Westen einen großen Dienst erwiesen. Anderenfalls wäre Chile den Weg Kubas gegangen.“ Abgesehen davon, dass er selbst wichtig sein wollte, so Greiner, habe Kissingers Bestreben darin bestanden, gegen die Sowjetunion zu arbeiten. Kissinger sagte: „Sobald die Sowjetunion auftaucht, müssen wir beweisen, dass alle, die von der Sowjetunion unterstützt werden, ihre Ziele nicht durchsetzen können, egal, um welche Ziele es sich handelt.“
Das zeigte sich auch bei seinen Verhandlungen mit Israel und Ägypten. Außenminister William Rogers hatte vorgeschlagen, „Israel solle aus den 1967 annektierten Gebieten abziehen“, der „in Feindschaft vereinte Block seiner arabischen Nachbarn“ solle Friedensverträge mit Israel schließen. Das klingt wie eine gute Idee, aber weil sie von Rogers kam, war Kissinger dagegen. Mit seiner Pendeldiplomatie, für die er berühmt wurde, hat er dann 1973 – 74 den klugen, zugänglichen ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat sowie die Regierungen in Syrien, Israel und anderer Staaten dazu bewogen, einem Übereinkommen zuzustimmen, das auf eine „räumliche Trennung“ der Streitkräfte auf den Golan-Höhen und im Sinai hinauslief. Es hätte damals, so Greiner, die Chance gegeben, die Feindschaften der Staaten im Nahen Osten zu befrieden. Aus dieser Steilvorlage hat Kissinger aber nichts gemacht. Nachdem es ihm gelungen war, die Sowjetunion bei seiner Pendeldiplomatie außen vor zu halten, hatte er an Ägypten, Israel, Syrien, Jordanien kein Interesse mehr.
Zu jener Zeit war Nixon wegen des Watergate-Skandals schwer angeschlagen. Tatsächlich hatte nun Kissinger das Heft in der Hand. Er wurde Außenminister und überreichte Nixon 1974 die Bestätigung seiner Demission. Nixons Nachfolger Gerald Ford konnte wenig anfangen mit einem Minister, der intrigierte, rumbrüllte und dessen geopolitisches Interesse letztlich darin kulminierte, sich selbst in Szene zu setzen. Seit 1977 ist Kissinger politischer Berater, seine Firma Kissinger Associates floriert.
Am Ende seiner exzellenten und mit Esprit geschriebenen Biografie bemerkt Bernd Greiner, Kissinger habe den Kalten Krieg „am Leben erhalten, zu einer Zeit, als Alternativen in Gestalt der bundesdeutschen Ostpolitik oder des KSZE-Prozesses längst vorhanden waren“. Im Hinblick auf Kissingers Machenschaften als Nixons Sicherheitsberater in Chile und andernorts schreibt er: „Und bisweilen zog er gegen die als naiv oder töricht Abgestempelten zu Felde, wenn sie seine politischen Kreise störten. Es war eine Vorwärtsverteidigung gegen das Notwendige, aber bis heute Vertagte: Ihn wegen Mitverantwortung auch juristisch zur Rechenschaft zu ziehen. Die Tonbandprotokolle seiner Gespräche mit dem Präsidenten stehen als Beweismittel zur Verfügung.“
Kissingers Mitarbeiter lernten,
beiseitezutreten, wenn sie mit
Gegenständen beworfen wurden
Sein Bestreben als Berater
des Präsidenten bestand darin,
gegen die UdSSR zu arbeiten
Bernd Greiner:
Henry Kissinger.
Wächter des Imperiums.
Eine Biografie.
Verlag C.H. Beck,
München 2020.
480 Seiten, 38 Euro.
(erscheint am Donnerstag, 17. September)
In Henry Kissinger (links) fand US-Präsident Richard Nixon einen Gehilfen bei der Umsetzung seiner „Madman-Theorie“. Kissinger diente Nixon erst als Sicherheitsberater, im September 1973 (Foto) wurde er zum Außenminister ernannt. Knapp ein Jahr später musste Nixon wegen des Watergate-Skandals zurücktreten.
Foto: AP
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